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Credit Suisse bulletin, 2002/05

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SCHÖNHEIT<br />

Fotos: 01, <strong>02</strong> Gaston Wicky, 03 Harald Mol<br />

«Bei der Beurteilung der Qualität eines<br />

Kunstwerks ist <strong>Schönheit</strong> kein Kriterium.<br />

Was wir als schön empfinden, ist oft Dekoration.<br />

Gehaltlos und somit nicht bildende<br />

Kunst. Kunst aber muss substanziell sein.<br />

Hässlich und schön sind keine ästhetischen<br />

Wertkategorien, sondern subjektive,<br />

also zeit- und ortsabhängige Anmutungsqualitäten.»<br />

Es genügt nicht, dass ein Werk aus<br />

ästhetischen Gründen gefällt: «Wir müssen<br />

uns einen ganzheitlichen Einblick ins Werk<br />

des Künstlers verschaffen. Unsere Recherche<br />

bezieht sich auf professionelle Kunstschaffende,<br />

die Lösungen zu Problemen und<br />

Fragen verbildlichen wollen. Sie bringen in<br />

ihrem Werk eine eigene, innovative Sicht<br />

von Zeit und Umfeld zum Ausdruck. Der<br />

Betrachter wird mit diesen ‹Lösungen› konfrontiert<br />

und versucht zu verstehen, was der<br />

Kunstschaffende mitteilen will. Diesen Vorgang<br />

nennen wir das ‹denkerische Sehen›.»<br />

Erfahrung als Grundlage der Beurteilung<br />

Der Künstler mobilisiert während des Schaffens<br />

eigene Bewertungskriterien, er stellt<br />

stets alles in Frage, ist immer auf der Suche<br />

nach dem «vollendeten Werk». Bei der kunstwissenschaftlichen<br />

Analyse indes ist das vergleichende<br />

Sehen von Bedeutung, vor allem<br />

aber die Erfahrung. «Es gibt Nachschlagewerke<br />

für Weine, aber Weinkennerschaft<br />

ist ein Erfahrungsurteil, man muss Wein<br />

getrunken haben, um die Sprache der Weinkennerschaft<br />

zu erstehen. Und man muss<br />

viel Kunst gesehen haben, um sie zu verstehen<br />

und in der Auseinandersetzung damit<br />

ein Qualitätsurteil zu bilden», erklärt Lucius<br />

Grisebach, Direktor des Neuen Museums<br />

Nürnberg (NZZ Folio, Oktober 2000).<br />

Der Kunstkonsument neigt dazu, die<br />

Kunst nach den ursprünglichen Qualitätskriterien<br />

zu definieren: handwerkliche Perfektion<br />

(von Aristoteles gefordert), das Erhabene<br />

(Plato), die <strong>Schönheit</strong> oder auch das subjektiv<br />

Gefallende. Diese lassen sich heute aber<br />

nicht mehr uneingeschränkt anwenden, da<br />

Kunst nicht mehr funktionsgebunden ist.<br />

Ohnehin entdeckt jeder, wenn er etwas als<br />

schön empfindet oder es ihm schlicht gefällt,<br />

bei längerem Nachdenken weitere Kriterien.<br />

Der Schriftsteller Ludwig Hohl etwa schreibt<br />

in seinen «Notizen»: «Allein dadurch, dass<br />

das Bild den Ausführenden entspricht, ist die<br />

<strong>Schönheit</strong> erreicht.»<br />

Professionalität setzt Konzept voraus<br />

Geht es indes um Kunstausgaben zum Aufbau<br />

einer professionellen Kunstsammlung,<br />

sei es in einem Wirtschaftsunternehmen, in<br />

einer Kunstinstitution oder auch privat, so ist<br />

es zwingend, ein Konzept zu verfolgen. Dies<br />

bedingt eine systematische Bewertung.<br />

Die Credit Suisse hat zwar schon seit der<br />

Gründung der Schweizerischen Kreditanstalt<br />

1856 oder der Schweizerischen Volksbank<br />

1869 Kunstobjekte gekauft und dabei auch<br />

Werke erworben, die heute auf dem Kunstmarkt<br />

zu den Spitzenreitern gehören. Eine<br />

eigentliche Ankaufspolitik wird jedoch erstmals<br />

1975 mit der Einsetzung einer Kunstkommission<br />

beziehungsweise 1977 mit der<br />

projektbezogenen Kommission «Kunst im<br />

Üetlihof» verfolgt. In dieser kurzen Zeit vollzieht<br />

sich ein Fokuswechsel. Statt bereits<br />

etablierte Künstler werden bei der ersten<br />

Üetlihof-Etappe 14 junge, zeitgenössische<br />

Schweizer beigezogen. Diesem Konzept ist<br />

man seither treu geblieben, mit einer<br />

Ausnahme – beim Credit Suisse Communication<br />

Center «Bocken» in Horgen finden wir<br />

Kunstwerke international arrivierter Persönlichkeiten<br />

wie Dani Karavan, Nam June Paik<br />

oder Beverly Pepper.<br />

Mit dem Erwerb zeitgenössischer Kunst<br />

verfolgt die Credit Suisse Group drei Absichten.<br />

«Die Kunstwerke sind eine wesentliche<br />

Basis für eine anregende Atmosphäre»,<br />

erläutert Dora Frey. «Die Bank fördert zudem<br />

durch Kunstankäufe das Schweizer Kunstschaffen.<br />

Schliesslich bietet die Sammlung<br />

Sehhilfen, um bei Mitarbeitenden und Kunden<br />

Verständnis für junge Kunst zu wecken<br />

und Denkanstösse zu vermitteln.»<br />

Beim Ankauf geht es nicht um die mögliche<br />

Wertmehrung, sondern um die Kunst<br />

an sich. Die Credit Suisse kommt zwar zu<br />

günstigen Objekten, geht aber ein grösseres<br />

Risiko ein als bei der Anschaffung von Rudolf<br />

Kollers berühmter «Gotthardpost» oder von<br />

Alexandre Calames «Blick aufs Wetterhorn».<br />

Zeitgenössische Kunst ist gewöhnungsbedürftig<br />

und entspricht nicht dem Ästhetikempfinden<br />

des ungeübten Betrachters.<br />

Allerdings: Das Verständnis kann geweckt<br />

werden. Die «Kunst am Bau» im «Octavo» in<br />

Zürich-Oerlikon mit Objekten des Plastikers<br />

Anselm Stalder stösst nach Vertiefung in die<br />

Werke oder nach Führungen durch die Fachstelle<br />

Kunst fast ausnahmslos auf ein positives<br />

Echo. Dasselbe gilt für das mehrteilige<br />

Kunstwerk im Hauptgebäude am Paradeplatz.<br />

Die Künstlerin Silvie Defraoui arbeitet<br />

mit Objekten (Brunnen), Motiven (Orakel)<br />

und Materialien (Wachs), die zeitlos sind und<br />

in verschiedenen Zusammenhängen auftreten.<br />

Ihr mehrteiliges Werk besteht aus Glas,<br />

Wasser, Stahl, Leuchtschrift und Fotografie.<br />

Salvador Dalís neun Qualitätskriterien<br />

Nochmals stellt sich die Frage nach der<br />

Objektivierbarkeit von Qualität. Salvador Dalí<br />

hat dazu neun Kriterien aufgestellt: Handwerk,<br />

Inspiration, Farbe, Zeichnung, Genialität,<br />

Komposition, Originalität, Geheimnis,<br />

Echtheit. In seiner darauf basierenden Rangliste,<br />

die von Vermeer van Delft, Raffael und<br />

Velasquez angeführt wird, landet er selbst<br />

nur auf dem fünften Platz!<br />

Der Schweizer Kunsthistoriker Peter Killer<br />

hingegen beschränkt sich auf fünf Qualitätsmerkmale:<br />

Formung (entspricht die Formung<br />

dem Inhalt?); Innovation (Eigen-Sinnigkeit);<br />

Intensität; Komplexität; die numinose Ganzheit<br />

(die unbenennbare Quintessenz).<br />

Wie wir es auch drehen, um ein Kriterium<br />

wie «Geheimnis» oder «das Numinose»<br />

kommen wir nicht herum. Durch objektive<br />

Kriterien können wir Leichtfertigkeiten, das<br />

Kunst-Fast-Food, ausschliessen; aber letztlich<br />

hat Johann Wolfgang von Goethe Recht,<br />

der in seinen «Maximen und Reflexionen»<br />

festhält: «Das Fürtreffliche ist unergründlich,<br />

man mag damit anfangen, was man will.» ❙<br />

Credit Suisse Bulletin 5-<strong>02</strong> 27

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