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SCHÖNHEIT<br />
Fotos: 01, <strong>02</strong> Gaston Wicky, 03 Harald Mol<br />
«Bei der Beurteilung der Qualität eines<br />
Kunstwerks ist <strong>Schönheit</strong> kein Kriterium.<br />
Was wir als schön empfinden, ist oft Dekoration.<br />
Gehaltlos und somit nicht bildende<br />
Kunst. Kunst aber muss substanziell sein.<br />
Hässlich und schön sind keine ästhetischen<br />
Wertkategorien, sondern subjektive,<br />
also zeit- und ortsabhängige Anmutungsqualitäten.»<br />
Es genügt nicht, dass ein Werk aus<br />
ästhetischen Gründen gefällt: «Wir müssen<br />
uns einen ganzheitlichen Einblick ins Werk<br />
des Künstlers verschaffen. Unsere Recherche<br />
bezieht sich auf professionelle Kunstschaffende,<br />
die Lösungen zu Problemen und<br />
Fragen verbildlichen wollen. Sie bringen in<br />
ihrem Werk eine eigene, innovative Sicht<br />
von Zeit und Umfeld zum Ausdruck. Der<br />
Betrachter wird mit diesen ‹Lösungen› konfrontiert<br />
und versucht zu verstehen, was der<br />
Kunstschaffende mitteilen will. Diesen Vorgang<br />
nennen wir das ‹denkerische Sehen›.»<br />
Erfahrung als Grundlage der Beurteilung<br />
Der Künstler mobilisiert während des Schaffens<br />
eigene Bewertungskriterien, er stellt<br />
stets alles in Frage, ist immer auf der Suche<br />
nach dem «vollendeten Werk». Bei der kunstwissenschaftlichen<br />
Analyse indes ist das vergleichende<br />
Sehen von Bedeutung, vor allem<br />
aber die Erfahrung. «Es gibt Nachschlagewerke<br />
für Weine, aber Weinkennerschaft<br />
ist ein Erfahrungsurteil, man muss Wein<br />
getrunken haben, um die Sprache der Weinkennerschaft<br />
zu erstehen. Und man muss<br />
viel Kunst gesehen haben, um sie zu verstehen<br />
und in der Auseinandersetzung damit<br />
ein Qualitätsurteil zu bilden», erklärt Lucius<br />
Grisebach, Direktor des Neuen Museums<br />
Nürnberg (NZZ Folio, Oktober 2000).<br />
Der Kunstkonsument neigt dazu, die<br />
Kunst nach den ursprünglichen Qualitätskriterien<br />
zu definieren: handwerkliche Perfektion<br />
(von Aristoteles gefordert), das Erhabene<br />
(Plato), die <strong>Schönheit</strong> oder auch das subjektiv<br />
Gefallende. Diese lassen sich heute aber<br />
nicht mehr uneingeschränkt anwenden, da<br />
Kunst nicht mehr funktionsgebunden ist.<br />
Ohnehin entdeckt jeder, wenn er etwas als<br />
schön empfindet oder es ihm schlicht gefällt,<br />
bei längerem Nachdenken weitere Kriterien.<br />
Der Schriftsteller Ludwig Hohl etwa schreibt<br />
in seinen «Notizen»: «Allein dadurch, dass<br />
das Bild den Ausführenden entspricht, ist die<br />
<strong>Schönheit</strong> erreicht.»<br />
Professionalität setzt Konzept voraus<br />
Geht es indes um Kunstausgaben zum Aufbau<br />
einer professionellen Kunstsammlung,<br />
sei es in einem Wirtschaftsunternehmen, in<br />
einer Kunstinstitution oder auch privat, so ist<br />
es zwingend, ein Konzept zu verfolgen. Dies<br />
bedingt eine systematische Bewertung.<br />
Die Credit Suisse hat zwar schon seit der<br />
Gründung der Schweizerischen Kreditanstalt<br />
1856 oder der Schweizerischen Volksbank<br />
1869 Kunstobjekte gekauft und dabei auch<br />
Werke erworben, die heute auf dem Kunstmarkt<br />
zu den Spitzenreitern gehören. Eine<br />
eigentliche Ankaufspolitik wird jedoch erstmals<br />
1975 mit der Einsetzung einer Kunstkommission<br />
beziehungsweise 1977 mit der<br />
projektbezogenen Kommission «Kunst im<br />
Üetlihof» verfolgt. In dieser kurzen Zeit vollzieht<br />
sich ein Fokuswechsel. Statt bereits<br />
etablierte Künstler werden bei der ersten<br />
Üetlihof-Etappe 14 junge, zeitgenössische<br />
Schweizer beigezogen. Diesem Konzept ist<br />
man seither treu geblieben, mit einer<br />
Ausnahme – beim Credit Suisse Communication<br />
Center «Bocken» in Horgen finden wir<br />
Kunstwerke international arrivierter Persönlichkeiten<br />
wie Dani Karavan, Nam June Paik<br />
oder Beverly Pepper.<br />
Mit dem Erwerb zeitgenössischer Kunst<br />
verfolgt die Credit Suisse Group drei Absichten.<br />
«Die Kunstwerke sind eine wesentliche<br />
Basis für eine anregende Atmosphäre»,<br />
erläutert Dora Frey. «Die Bank fördert zudem<br />
durch Kunstankäufe das Schweizer Kunstschaffen.<br />
Schliesslich bietet die Sammlung<br />
Sehhilfen, um bei Mitarbeitenden und Kunden<br />
Verständnis für junge Kunst zu wecken<br />
und Denkanstösse zu vermitteln.»<br />
Beim Ankauf geht es nicht um die mögliche<br />
Wertmehrung, sondern um die Kunst<br />
an sich. Die Credit Suisse kommt zwar zu<br />
günstigen Objekten, geht aber ein grösseres<br />
Risiko ein als bei der Anschaffung von Rudolf<br />
Kollers berühmter «Gotthardpost» oder von<br />
Alexandre Calames «Blick aufs Wetterhorn».<br />
Zeitgenössische Kunst ist gewöhnungsbedürftig<br />
und entspricht nicht dem Ästhetikempfinden<br />
des ungeübten Betrachters.<br />
Allerdings: Das Verständnis kann geweckt<br />
werden. Die «Kunst am Bau» im «Octavo» in<br />
Zürich-Oerlikon mit Objekten des Plastikers<br />
Anselm Stalder stösst nach Vertiefung in die<br />
Werke oder nach Führungen durch die Fachstelle<br />
Kunst fast ausnahmslos auf ein positives<br />
Echo. Dasselbe gilt für das mehrteilige<br />
Kunstwerk im Hauptgebäude am Paradeplatz.<br />
Die Künstlerin Silvie Defraoui arbeitet<br />
mit Objekten (Brunnen), Motiven (Orakel)<br />
und Materialien (Wachs), die zeitlos sind und<br />
in verschiedenen Zusammenhängen auftreten.<br />
Ihr mehrteiliges Werk besteht aus Glas,<br />
Wasser, Stahl, Leuchtschrift und Fotografie.<br />
Salvador Dalís neun Qualitätskriterien<br />
Nochmals stellt sich die Frage nach der<br />
Objektivierbarkeit von Qualität. Salvador Dalí<br />
hat dazu neun Kriterien aufgestellt: Handwerk,<br />
Inspiration, Farbe, Zeichnung, Genialität,<br />
Komposition, Originalität, Geheimnis,<br />
Echtheit. In seiner darauf basierenden Rangliste,<br />
die von Vermeer van Delft, Raffael und<br />
Velasquez angeführt wird, landet er selbst<br />
nur auf dem fünften Platz!<br />
Der Schweizer Kunsthistoriker Peter Killer<br />
hingegen beschränkt sich auf fünf Qualitätsmerkmale:<br />
Formung (entspricht die Formung<br />
dem Inhalt?); Innovation (Eigen-Sinnigkeit);<br />
Intensität; Komplexität; die numinose Ganzheit<br />
(die unbenennbare Quintessenz).<br />
Wie wir es auch drehen, um ein Kriterium<br />
wie «Geheimnis» oder «das Numinose»<br />
kommen wir nicht herum. Durch objektive<br />
Kriterien können wir Leichtfertigkeiten, das<br />
Kunst-Fast-Food, ausschliessen; aber letztlich<br />
hat Johann Wolfgang von Goethe Recht,<br />
der in seinen «Maximen und Reflexionen»<br />
festhält: «Das Fürtreffliche ist unergründlich,<br />
man mag damit anfangen, was man will.» ❙<br />
Credit Suisse Bulletin 5-<strong>02</strong> 27