MTD_DDG_2017_09
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12 Kongress aktuell<br />
diabeteszeitung · 2. Jahrgang · Nr. 9 · 27. September <strong>2017</strong><br />
Orales Insulin:<br />
Wird dieser Traum jemals wahr werden?<br />
Ein erster wichtiger Schritt scheint geschafft | Entwicklung jedoch gestoppt<br />
„Statt spritzen,<br />
einfach eine Pille<br />
schlucken. Ist das<br />
für Insulin<br />
realistisch?<br />
Foto: iStock/PrettyVectors<br />
„Wermutstropfen“<br />
Expertenkommentar von Prof. Heinemann<br />
Insgesamt belegt diese Studie erstmalig<br />
die erfolgreiche Machbarkeit<br />
einer antidia betischen Therapie<br />
mit einer oralen Insulinabgabe. Die<br />
Dosis-Titration bleibt beim oralen Insulin<br />
aber eine komplexe Aufgabe.<br />
Zudem reduziert die zunehmende<br />
Beliebtheit von Nicht-Insulin-Alternativen<br />
für die Behandlung von<br />
Typ-2-Diabetes (einschließlich GLP1-<br />
Agonisten – die bald in oralen und<br />
implantierbaren Formulierungen<br />
angeboten werden – und SGLT2-<br />
Hemmern) das Interesse daran,<br />
eine Insulintherapie überhaupt zu<br />
beginnen, oder zögert diese deutlich<br />
hinaus.<br />
Der hohe Aufwand, der mit der Entwicklung<br />
neuer Diabetesmedikamente<br />
verknüpft ist, sowie die relativ<br />
niedriger Bioeffektivität dieses oralen<br />
Insulins (2 %) und nicht zuletzt die<br />
Verschiebung bei den Forschungsund<br />
Entwicklungsprioritäten auf<br />
andere Diabetes-Therapien (z.B.<br />
orales GLP1, welches eine höhere<br />
Bioverfügbarkeit aufweist), erklären<br />
vermutlich, warum trotz dieser ermutigenden<br />
Ergebnisse die Entwicklung<br />
nun zunächst gestoppt wurde.<br />
SAN DIEGO. Bei einer Phase-IIa-Studie wurde eine orale<br />
Formulierung des lang wirksamen Insulinanalogons 338 mit<br />
einem Absorptionsverstärker kombiniert. Dieses Analogon bindet<br />
an Albumin und weist eine Halbwertszeit von ~70 h auf, was<br />
gleichmäßige Spiegel erzeugt. Die Wirkung am Insulinrezeptor<br />
entspricht dem von Human insulin. Ist der Weg für die Insulin-<br />
Tablette nun geebnet?<br />
Zur oralen Verabreichung<br />
wurde Insulin 338 mit einem<br />
Absorptionsverstärker in magensaftresistente<br />
Tabletten verpackt.<br />
Ein wesentlicher Vorteil der oralen<br />
Einnahme ist, dass das aufgenommene<br />
Insulin über die Pfortader in<br />
den Körper kommt. Dadurch hat<br />
das Insulin – wie beim stoffwechselgesunden<br />
Menschen – eine direkte<br />
Wirkung in der Leber und eine geringere<br />
Wirkung in der Körperperipherie.<br />
Das bringt im Vergleich zu<br />
bisherigen Basalinsulinen vermutlich<br />
ein geringeres Risiko für Unterzuckerungen<br />
mit sich.<br />
Bei der achtwöchigen doppelblinden,<br />
Doppel-Dummy-Studie, deren<br />
Ergebnisse Privatdozentin Dr.<br />
Leona Plum-Mörschel vom Profil<br />
Institut Mainz vorstellte, wurden<br />
50 Patienten mit Typ-2-Diabetes<br />
ohne vorherige Insulintherapie 1:1<br />
in zwei Gruppen randomisiert. Sie<br />
erhielten entweder einmal täglich<br />
orales Insulin 338 oder Insulin glargin<br />
subkutan injiziert. Bei den Teilnehmern<br />
die aktives orales Insulin<br />
338 bekamen, wurde zusätzlich ein<br />
Placebo injiziert; diejenigen die<br />
Insulin glargin gespritzt bekamen,<br />
erhielten ein orales Placebo. Die Patienten<br />
durften während der Studie<br />
keine anderen Diabetes-Medikamente<br />
verwenden (außer Metformin<br />
und DPP4-Inhibitoren, deren vorher<br />
bestehende Einnahme während der<br />
Studienphase weitergeführt wurde).<br />
Zu Studienbeginn wiesen die Teilnehmer<br />
der oralen Insulin-Gruppe<br />
NBZ (mg/dL)<br />
»Nicht<br />
unterlegen«<br />
einen mittleren HbA 1c von 8,1 %<br />
auf und diejenigen in der Insulinglargin-Gruppe<br />
von 8,2 %. Die Insulindosis<br />
zu Studienbeginn lag bei<br />
2700 nmol orales Insulin 338 oder<br />
10 U Insulin glargin. Über die achtwöchige<br />
Behandlungsperiode hinweg<br />
wurde die Insulindosis in beiden<br />
Behandlungsgruppen ähnlich<br />
gesteigert.<br />
Bei einer ganzen Reihe von glykämischen<br />
Endpunkten war orales<br />
Insulin nicht unterlegen gegenüber<br />
Insulin glargin, einschließlich desprimären<br />
Endpunkts (s. Abb.; Nüchtern-Plasmaglukose<br />
ca. -45 mg/dl;<br />
p = 0,46), 10-Punkt-Plasmaglukoseprofil,<br />
HbA 1c (0,3 % höher mit<br />
oralem Insulin, p = 0,077), Fructosamin<br />
(9,6 µmol/l höher mit oralem<br />
Insulin, p = 0,37) und Nüchtern-C-<br />
Peptid (0,02 nmol/l niedriger mit<br />
oralem Insulin, p = 0,68).<br />
Interessanterweise war der einzige<br />
statistisch signifikante Unterschied<br />
eine erhöhte Variabilität der Nüchtern-Plasmaglukose<br />
in der Gruppe<br />
mit oralem Insulin im Vergleich zu<br />
Insulin glargin (p = 0,006). Trotz<br />
der erhöhten Variabilität traten weniger<br />
hypoglykämische Ereignisse<br />
mit oralem Insulin auf (7 Ereignisse<br />
bei 6 Patienten) als mit Insulin glargin<br />
(11 Ereignisse bei 6 Patienten).<br />
Schwere Unterzuckerungen blieben<br />
aus. Die Rate an unerwünschten<br />
Ereignissen war in den beiden Behandlungsgruppen<br />
ähnlich, es kam<br />
zu keinen (behandlungsbedingten)<br />
schwerwiegenden unerwünschten<br />
Ereignissen. Weiterhin gab es keine<br />
klinisch signifikanten Veränderungen<br />
bei Vitalzeichen, EKG, körperlichen<br />
Untersuchungen (einschließlich<br />
Funduskopie) oder Sicherheitslabordaten.<br />
Prof. Dr. Lutz Heinemann<br />
77th Scientific Sessions der ADA<br />
Nüchternblutzucker (NBZ) im Verlauf der Studie<br />
200<br />
180<br />
160<br />
140<br />
120<br />
0<br />
0<br />
Orales Insulin 338<br />
Insulin glargin<br />
Behandlung<br />
beendet<br />
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10<br />
Zeit (Wochen)<br />
Quelle: Nach Vortrag PD Dr. Leona Plum-Mörschel, MT-Grafik<br />
Typ-1-Diabetes: Glukagon-Rezeptor-Antikörper getestet<br />
Offenbar deutliche Effekte auf Blutzuckerspiegel in Phase-I-Studie<br />
SAN DIEGO. Eigentlich fragt man sich,<br />
warum da bisher noch keiner drauf<br />
gekommen ist: Durch Blockade des<br />
Insulin-Gegenspielers Glukagon lässt<br />
sich bei guter Blutzuckerkontrolle die<br />
benötigte Insulindosis reduzieren,<br />
ohne dass mehr Hypoglykämien auftreten.<br />
Zu schön, um wahr zu sein?<br />
Die Pilotstudie mit dem voll humanen<br />
Glukagon-Rezeptor-Antikörper<br />
REMD-477, die Professor<br />
Dr. Jeremy Pettus, Endokrinologe<br />
an der Universität San Diego,<br />
vorstellte, umfasste 21 Patienten<br />
mit Typ-1-Diabetes, die mit CGM-<br />
»Kurze Dauer<br />
und kleine<br />
Patientenzahl«<br />
System und Insulinpumpe versorgt<br />
waren.<br />
Am zweiten Tag des fünftägigen stationären<br />
Aufenthaltes erhielten zehn<br />
Teilnehmer eine einzelne 70-mg-Dosis<br />
REMD-477 s.c., die anderen Placebo.<br />
Als primärer Prüfparameter diente<br />
die benötigte Insulindosis an Tag<br />
4 versus Tag 1: Sie sank unter dem<br />
AK um 12 IE (26 %) im Vergleich zur<br />
Placebogruppe (p = 0,02).<br />
Parallel reduzierte sich auch<br />
der Blutzucker um 20–31 mg/dl<br />
(p < 0,05). Der antiglykämische<br />
Effekt hielt über 20 Tage nach der<br />
Injektion unvermindert an, erst<br />
dann begann der Blutzuckerspiegel<br />
wieder zu steigen. „Das entspräche<br />
einer HbA 1c -Senkung um etwa<br />
1 Prozentpunkt, bei deutlich geringerem<br />
Insulinbedarf“, betonte Prof.<br />
Pettus. Hypoglykämien wurden<br />
bisher nicht beobachtet, aber die<br />
Studie war natürlich kurz und hatte<br />
eine kleine Patientenzahl. Nächstes<br />
Ziel der Arbeitsgruppe ist eine<br />
Zwölf-Wochen-Studie mit multiplen<br />
REMD-477-Applikationen in unterschiedlichen<br />
Dosen, um den Effekt<br />
auf das Blutzuckerprofil und weitere<br />
Parameter über einen längeren Zeitraum<br />
zu dokumentieren. ara<br />
77th Scientific Sessions der ADA, Pressekonferenz<br />
Kritische Stimmen zum Risikopotenzial<br />
Trotz der vielversprechenden Ergebnisse dieser Phase-I-Studie bleiben kritische Stimmen<br />
laut: In aktuellen Studien 1,2 mit einem anderen Vertreter der Glukagon-Rezeptorantagonisten<br />
kam es bei Typ-2-Diabetespatienten zu einem Anstiegs des Leberfettanteils<br />
sowie erhöhten Spiegeln an hepatischer Aminotransferase. Auch der Blutdruck, die<br />
Lipidspiegel und das Körpergewicht stiegen an.<br />
dz<br />
1 Guzman CB et al. Diabetes Obes Metab <strong>2017</strong>; DOI: 10.1111/dom.12958<br />
2 Kazda CM et al. Diabetes Obes Metab <strong>2017</strong>; 19: 1071-1077