Guute September 2017
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28 | LOKALES <strong>September</strong> <strong>2017</strong> | GUUTE JOURNAL<br />
LAND OHNE ACKER?<br />
Die Versiegelung der Böden<br />
bereitet zunehmend Sorgen<br />
Es ist ein paar Jahrzehnte her, da war es chic, Anbauflächen<br />
„aus der Produktion zu nehmen“, um den Überfluss<br />
an Rohstoffen für die Nahrungsmittelproduktion zu bremsen.<br />
Jetzt schrillen die Alarmglocken. Weil die Bodenversiegelung<br />
rasch voranschreitet und die Bevölkerung<br />
wächst, könne sich Österreich in Zukunft nicht mehr selbst<br />
ernähren, befürchtet die Hagelversicherung.<br />
In den Fünfzigern und Sechzigern wurden<br />
die Bauern zu mehr Produktion ermuntert,<br />
um Österreich bei Lebensmitteln<br />
„autark“ zu machen. In den<br />
Siebzigern stauten sich plötzlich<br />
„Milchseen“ und bauten sich „Schweineberge“<br />
auf. Die Milchkontingentierung<br />
war eine der Folgen. Es gab sogar<br />
Geld für Brachen, also für unbebaute<br />
Flächen. Äcker wurden zur Gewinnung<br />
von Energieholz und Rohstoffen für<br />
Biogasanlagen verwendet.<br />
Doch jetzt droht neue Gefahr, dass die<br />
Eigenversorgung Österreichs mit Nahrungsmitteln<br />
erneut in Frage gestellt<br />
wird. Die Sunnseitn-Gespräche im TUK<br />
Haslach standen im Zeichen der dramatischen<br />
Frage „Land ohne Äcker?“. Das<br />
fortschreitende Versiegeln wertvoller<br />
Anbauflächen habe große Auswirkungen:<br />
Der Anteil an hochwertigen Lebensmitteln<br />
aus dem eigenen Land<br />
werde geringer, die Umweltschäden<br />
werden größer, weil die Wassermengen<br />
immer weniger Flächen zum Versickern<br />
hätten. Der Klimawandel mache<br />
sich durch Spätfröste, Trocken- und<br />
Hitzeperioden stark bemerkbar. Ein<br />
Schritt könnte sein, hochwertige<br />
Agrarflächen unter absolutes Bauverbot<br />
zu stellen, wie das in der Schweiz<br />
bereits passiert ist, lautet ein Vorschlag<br />
des Kommunikationssprechers der Hagelversicherung,<br />
Mario Winkler.<br />
Ein überregionales Leerstandsmanagement<br />
hält die ehemalige Professorin<br />
Gerhild Weber von der Wiener Universität<br />
für Bodenkultur für unumgänglich.<br />
In den Orten seien Baulücken bevorzugt<br />
zu schließen, das Bebauen<br />
erschlossenen Baulandes der Umwidmung<br />
von Grünland vorzuziehen.<br />
Sorgsamer Umgang mit Grund<br />
Die Infrastruktur – Straßen, Wasser,<br />
Kanal – in zersiedelten Orten kommt<br />
den Gemeinden sehr teuer, und damit<br />
auch dem Steuerzahler, der die Defizite<br />
tragen muss. Die Geografin Elisabeth<br />
Koblmiller aus Haslach ging diesen<br />
Kosten in den Gemeinden des Mühlviertels<br />
nach. Örtlich sind die Probleme<br />
verschieden. In St. Georgen/Gusen<br />
bleibt gar nichts anderes übrig, als auf<br />
leerstehende Häuser zurückzugreifen,<br />
weil es kein Grünland mehr gibt zum<br />
Bebauen. In Reichenau gäbe es gewidmete<br />
Baulücken – doch die Besitzer<br />
verkaufen die Grundstücke nicht. In<br />
Ulrichsberg werden freie Nachbargrundstücke<br />
aufgekauft, damit sie<br />
nicht verbaut werden können. Sie lobte<br />
das Beispiel St. Stefan am Walde: Dort<br />
werden Kompakthäuser auf Flächen<br />
von 700 bis 800 Quadratmetern errichtet.<br />
Für flächensparendes Bauen ist die Gemeinde<br />
St. Stefan bereits ausgezeichnet<br />
worden, bemerkte Bürgermeister<br />
Alfred Mayr stolz. Die Gemeinde ist<br />
mit dem Glasfaserkabel flächendeckend<br />
versorgt. Die Volksschule ist ein<br />
Multifunktionsgebäude mit Kindergarten,<br />
zwei Wohnungen und Carsharing.<br />
Die Bevölkerung wächst – eine<br />
Ausnahme für eine Gemeinde an der<br />
Grenze.<br />
Derzeit kann in der Frage der Bodenversiegelung<br />
nur eines getan werden:<br />
Bewusstseinsarbeit zu leisten, denn gesetzliche<br />
Maßnahmen sind nicht in<br />
Sicht. In Deutschland etwa ist die<br />
Raum ordnungs-Kompetenz nicht in<br />
den Händen der Gemeinden, sondern<br />
Das Rückgewinnen von Asphaltflächen<br />
– der Fachausdruck lautet Renaturierung<br />
– ist eine knochenharte Arbeit mit<br />
oft zweifelhaftem Erfolg.<br />
bei einer übergeordneten Behörde.<br />
Diskussionsleiter Helmut Eder von der<br />
Naturschutzjugend Kasten betonte,<br />
dass sich die Sunnseitn-Gespräche auch<br />
mit dem „Asphaltackern“, mit der<br />
Rückgewinnung versiegelter Flächen<br />
als Grünland, beschäftigt habe. Eine<br />
knochenharte Arbeit, deren Erfolg vor<br />
allem kurzfristig zweifelhaft erscheint.<br />
In TUK Haslach findet am 18. Oktober,<br />
9 bis 17 Uhr, das 2. OÖ. Bodenbündnis-Vernetzungstreffen<br />
statt. Das Thema:<br />
„Umgang mit Boden im Wandel?<br />
Klimawandelanpassung durch bodenschonende<br />
Planungen in Gemeinden.“<br />
Anmeldungen bis 13. Oktober unter<br />
www.nodenbuendnis.or.at.<br />
♦ Wolfgang Reisinger<br />
Info<br />
Seit Jahrzehnten werden täglich 20<br />
Hektar oder 30 Fußballplätze<br />
Agrarfläche „versiegelt“, fallen also aus<br />
der landwirtschaftlichen Produktion<br />
heraus. In den vergangenen drei<br />
Jahren ist zwar dieser Wert auf 14,7<br />
Hektar pro Tag gesunken, aber auch<br />
noch immer über dem Zielwert von 2,5<br />
Hektar Verbauung pro Tag, den die<br />
Bundesregierung 2010 festgelegt hat.<br />
Jährlich verliert Österreich 0,5 Prozent<br />
seiner Agrarfläche an Straßen,<br />
Wirtschafts- und Wohnbauten. In 200<br />
Jahren gibt es keine Anbauflächen<br />
mehr, wenn der Raubbau so<br />
weitergeführt wird. Österreich kann<br />
sich damit bald nicht mehr selbst<br />
ernähren. Zwischen 1965 und 2015<br />
sind rund 300.000 Hektar verbaut<br />
worden. Dagegen gibt es 40.000<br />
Hektar leerstehende Häuser,<br />
Gewerbe- und Industrieimmobilien<br />
– das entspricht der Größe Wiens.<br />
Foto: Sunnseitn