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Bühne Sachsen

Ein Kulturmagazin über die mannigfaltige Theaterlandschaft in Sachsen.

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33<br />

Foto: Ullstein Bild<br />

VIEL MEHR<br />

ALS EINE<br />

KOMÖDIANTIN<br />

Friederike<br />

Caroline<br />

Neuber<br />

reformierte<br />

das Theater,<br />

stritt für<br />

Zärtlichkeit, Natur<br />

und Kunst und half<br />

Lessing auf die <strong>Bühne</strong>.<br />

Was für ein Leben!<br />

TEXT Alexander Kissler<br />

Wie viel Anspruch verträgt das<br />

deutsche Publikum, wie viel<br />

Geist, Raffinesse, Bildung?<br />

Vor dieser Frage stehen sämtliche<br />

Theater, Museen, Verlage, Rundfunkund<br />

Fernsehanstalten, und es war die<br />

Lebensfrage einer der bemerkenswertesten,<br />

tapfersten Frauen der Schauspielgeschichte,<br />

der Friederike Caroline<br />

Neuber aus dem sächsischen Reichenbach.<br />

Am Ende empfand sie sich als gescheitert,<br />

abgeprallt an der Gier des Auditoriums<br />

nach Spaß und Tölpelei ohne<br />

tiefere Bedeutung, doch ihr Verdienst<br />

ist bleibend. Ohne „die Neuberin“ gäbe<br />

es vielleicht keine Programmhefte – sie<br />

machte als Erste aus der Besetzungsliste<br />

einen Theaterzettel mit Stückbeschreibungen<br />

–, und ohne sie hätte das schauspielernde<br />

Handwerk sich nicht so rasch<br />

vom Ruch des Halbseidenen befreit.<br />

Und dennoch dieser Ausbruch, diese<br />

Enttäuschungssuada, diese Publikumsbeschimpfung<br />

zu Hamburg im Januar<br />

1740. Da war sie 42 Jahre alt und kurz<br />

davor, auf den Ruf der Zarin Anna hin<br />

mit ihrer Truppe nach St. Petersburg<br />

überzusiedeln. Den Hamburgern klangen<br />

die Ohren: „Hier hält mich wenig<br />

Gunst und kein Verdienst zurück, / darum<br />

gönnet wenigstens Euch und mir<br />

dies Glück, / dass Ihr uns nicht mehr<br />

seht. / Denn von der Schauspielkunst<br />

habt ihr sehr wenig Licht, / weil’s Euch<br />

an Zärtlichkeit, Natur und Kunst gebricht.“<br />

Ein Auftrittsverbot durch den<br />

Hamburger Magistrat war die Quittung<br />

für weiblichen Bekennermut.<br />

St. Petersburg wurde Episode. Die<br />

Zarin starb Ende Oktober 1740 und<br />

mit ihr alle Gunst. In absolutistischen<br />

Zeiten konnte es nicht anders sein.<br />

Zuvor hatte der Tod Augusts des Starken<br />

1733 zu einer Krise geführt, war<br />

doch damit das Privileg erloschen, kraft<br />

dessen das Ehepaar Neuber zu Hofkomödianten<br />

ernannt worden war. Kein<br />

festes Haus hatte ihr der Kurfürst verliehen,<br />

aber das Recht, als fahrendes<br />

Ensemble aufzutreten. Das Leipziger<br />

Debüt zur Ostermesse führte die<br />

Neuberin 1727 mit<br />

Johann Christoph Gottsched<br />

zusammen. Eine<br />

fruchtbare Zusammenarbeit<br />

beginnt. Beide<br />

wollen das Schauspiel<br />

in deutschen Landen<br />

auf europäisches<br />

Niveau heben. Die<br />

Franzosen sind Vorbild.<br />

Die Neuberin macht<br />

sich um deutsche Aufführungen<br />

der Stücke von<br />

Corneille, Racine, Marivaux,<br />

Molière verdient.<br />

Gottsched, der die Neuberin<br />

in ihrer Paradedisziplin kennenlernte,<br />

der vierfachen Hosenrolle junger<br />

männlicher Studenten in der Komödie<br />

„Gespräche im Reiche der Toten“, ist<br />

bekümmert nach dem Hamburger<br />

Fiasko: „So verlieren wir in Deutschland<br />

wiederum ein Mittel, den guten Geschmack<br />

zu fördern.“ Leider frage man<br />

„in <strong>Sachsen</strong> nach solchen Sachen nichts,<br />

die von Auswärtigen mit sehr großen<br />

Kosten gesuchet werden“. <strong>Sachsen</strong> aber<br />

nimmt seine verlorene Tochter nach der<br />

Rückkehr aus Russland in Ehren auf.<br />

„Mein allerliebstes vernünftiges Leipzig“<br />

– so die Neuberin an Gottsched –<br />

wird Schauplatz der Uraufführung einer<br />

Komödie des blutjungen Gotthold<br />

Ephraim Lessing aus dem sächsischen<br />

Kamenz. Die Neuberin bringt 1748<br />

den „Jungen Gelehrten“ auf die <strong>Bühne</strong>.<br />

Die große Frau, die sich „nichts als<br />

eine Komödiantin“ nannte, stirbt in den<br />

Wirren des Siebenjährigen Krieges am<br />

29. November 1760 in Laubegast. Goethe<br />

setzt ihr ein Denkmal in „Wilhelm<br />

Meisters Lehrjahren“ – und Petra Oelker<br />

in historischen Krimis um die Komödiantin<br />

Rosina. Alles Weitere findet sich,<br />

anschaulich verdichtet, im Neuberin-<br />

Museum in Reichenbach/Vogtland. Das<br />

Wort, das Friederike Caroline auf einen<br />

Theaterzettel drucken ließ, gilt noch:<br />

„Das Übrige wird angenehmer zu sehen,<br />

als hier zu lesen sein.“ •<br />

BÜHNE SACHSEN

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