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Neue Szene Augsburg 2017-11

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29<br />

Wieso bleiben die Stellen unbesetzt?<br />

Ich glaube, die Verantwortlichen denken, dass wir es schon irgendwie<br />

schaffen und deswegen wird da nicht so wirklich vehement nach neuen<br />

Kräften gesucht. Das Problem ist, dass wir einfach keine Zeit haben.<br />

Keine Zeit wofür?<br />

Wir haben keine Zeit, uns ausreichend um<br />

die Patienten zu kümmern, wir können nicht<br />

mal das machen, was wir machen müssten. Für<br />

menschliche Zuwendung haben wir erst Recht<br />

keine Zeit.<br />

Wir hatten neulich den Stand, dass von 42<br />

Patienten 27 pflegebedürftig waren. Das heißt,<br />

dass wir 27 pflegebedürftige Patienten in 30<br />

Minuten mit Essen versorgen mussten, das geht<br />

schon allein rechnerisch nicht.<br />

Wie schafft man das?<br />

Entweder hat der Patient halt keinen Hunger<br />

oder wenn ich Glück habe, dann kann ich Angehörige einbinden. Wir<br />

geben Medikamente und messen Werte. Aber Patienten mobilisieren oder<br />

alle zwei Stunden umlagern, damit sie keine Wundstellen bekommen, was<br />

bei Patienten über 70 oft nötig ist, das bleibt alles auf der Strecke.<br />

Aber dann liegen sich die Leute doch wund.<br />

Genau und dann hat der Patient eine Wunde, die ich nicht versorgen<br />

kann, weil ich dafür auch keine Zeit habe. Es ist eine richtige Abwärtsspirale.<br />

Was ist das Ende dieser Abwärtsspirale?<br />

Entweder entlassen wir den Patienten mit einer Wunde, die er vorher<br />

nicht hatte oder wir müssen den Patienten erst gar nicht mehr entlassen.<br />

Das wäre der Worst-Case, aber auch der trifft ein.<br />

Das heißt der Patient stirbt, weil er nicht ausreichend versorgt wurde?<br />

Ja.<br />

„Ich würde den<br />

Beruf heute nicht<br />

noch einmal<br />

wählen.“<br />

Was ist eigentlich, wenn zwei Pflegekräfte auf der Station sind und<br />

es mehr als zwei Notfälle gleichzeitig gibt?<br />

Das passiert manchmal, dann muss ich mir überlegen, welcher Notfall<br />

der dringendste sein könnte und laufe dann dorthin. Nach 16.00 Uhr ist<br />

ja auch kein Arzt mehr auf der Station. Neulich hatten wir eine Reanimation,<br />

45 Minuten lang, da musst du zu zweit am<br />

Patienten sein, der Rest der Station kann dann<br />

klingeln, stürzen oder sterben, aber ich kann<br />

nicht weg von der Reanimation.<br />

Es gibt doch diese Überlastungsanzeigen,<br />

in denen Pflegekräfte melden, dass sie die<br />

Arbeit nicht schaffen...<br />

… die dienen zur Absicherung.<br />

Zur Absicherung in welcher Hinsicht?<br />

Wir Pflegekräfte sichern uns damit ab. Wir<br />

belegen damit, dass wir zu wenig Personal sind<br />

und wenn dann irgendwas passiert, können wir<br />

uns auf unsere Überlastungsanzeige berufen und sagen, dass wir in der<br />

betreffenden Schicht alleine auf Station waren.<br />

Sollte der Sinn dieser Anzeige nicht sein, dass die Überlastung beendet<br />

wird?<br />

Sollte es. Die Überlastungsanzeige geht an den Personalrat und das<br />

Management, aber da passiert nichts.<br />

Was müsste sich ändern?<br />

Wir müssten mehr Zeit für die Patienten haben. Gestern hatte ich zum<br />

Beispiel Spätdienst und zwei Todesfälle auf der Station, aber ich konnte<br />

einfach nicht auf die Angehörigen eingehen, weil ich mich noch um 19<br />

andere Patienten kümmern musste. Das sind so Sachen, die machen mich<br />

fertig. Wenn ich jetzt acht Patienten hätte, um die ich mich kümmern<br />

muss, dann wäre das machbar, aber das ist utopisch. Deutschland hat bei<br />

den Industrieländern den letzten Platz, was die Zahl der Patienten pro<br />

Pflegekraft angeht, das ist eine Schande.<br />

Das muss der Klinikleitung aber doch bekannt sein.<br />

Die Klinikleitung weiß es, aber das Traurige ist, dass die Patienten<br />

meist so alt sind, dass es einfach nicht auffällt, wenn sie sterben. Das dreht<br />

man sich dann halt passend hin, so hart das jetzt klingt, diese Leute sterben<br />

dann offiziell an Organversagen.<br />

Dann ist der Tod dieser unzureichend gepflegten Patienten einkalkuliert?<br />

Ja.<br />

Wer hätte die Macht, diese Zustände zu verbessern?<br />

Das muss ja alles finanziert werden und das muss natürlich auf politischer<br />

Ebene entschieden werden. Was das Krankenhaus machen könnte,<br />

wäre ehrlich zu schauen, wie viel Personal eine Station wirklich braucht.<br />

Aber in der Praxis übt die Klinikleitung Druck auf die aus, die gegen die<br />

Zustände demonstrieren und streiken wollen. Es finden dann Einzelgespräche<br />

statt und einigen Leuten wurde auch schon damit gedroht, dass<br />

ihr Arbeitsvertrag nicht verlängert wird, wenn sie streiken. Oder, dass sie<br />

dann schuld sind, wenn das Klinikum doch nicht zur Uniklinik wird. Das<br />

geht in Richtung Mobbing.<br />

Ich frage mich: Wie kann das sein?<br />

Das fragen wir uns auch manchmal.<br />

Was ist Eure Antwort?<br />

Dass der Fehler im System steckt. Deutschland gibt einfach zu wenig<br />

Geld für Gesundheit und Pflege aus.<br />

Was meinst Du, warum so wenig in diesem Bereich passiert?<br />

Ich glaube, solange die Menschen und ihre Angehörigen gesund sind,<br />

denken sie einfach nicht daran, dass sie auch mal von der Situation betroffen<br />

sein könnten und wenn sie es dann sind, konzentrieren sie sich natürlich<br />

nur noch darauf, selbst gesund zu werden.<br />

Wie siehst Du deine berufliche Zukunft?<br />

Auf meiner Station jedenfalls nicht, das weiß ich sicher, denn die<br />

Arbeit hält keiner 40 Jahre aus. Ich überlege, mich beruflich weiter zu<br />

bilden.<br />

*Name von der Redaktion geändert

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