Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Chefredaktion:
Redakteure:
Chef vom Dienst:
Abonnement:
Bezugspreis:
Nachbestellung:
Werbung:
Rathausplatz 22, 46562 Voerde, Tel.: 02855/96171-80; Fax: 02855/96171-82
Internet: http://www.verlag.jura-intensiv.de - E-Mail: info@verlag.jura-intensiv.de
Rechtsanwalt Oliver Soltner (V.i.S.d.P.)
Theresa Bauerdick &
Richterin am Amtsgericht Dr. Katharina Henzler (Zivilrecht)
Assessor Dr. Dirk Schweinberger (Nebengebiete)
Rechtsanwalt Dr. Dirk Kues (Öffentliches Recht)
Rechtsanwalt Uwe Schumacher (Strafrecht)
Ines Hickl
Abonnement (monatlich kündbar) zum Vorzugspreis von 5,50 Euro/Heft,
für ehemalige Kursteilnehmer von JURA INTENSIV 4,99 Euro/Heft (regulärer
Einzelpreis: 6,50 Euro/Heft) inkl. USt. und Versandkosten. Lieferung nur
gegen Einzugsermächtigung. Lieferung erstmals im Monat nach Eingang
des Abonnements, sofern nichts anderes vereinbart.
Regulär 6,50 Euro/Heft. 12 Hefte pro Jahr. Ermäßigungen für Abonnenten.
Einzelne Hefte können zum Preis von 6,50 Euro/Heft nachbestellt werden,
solange der Vorrat reicht.
Die RA steht externer Werbung offen. Mediadaten sind unter
info@verlag.jura-intensiv.de erhältlich.
© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
564 Zivilrecht RA 11/2017
Problem: Keine Haftung des Tanzpartners bei freiwillig
ausgeführtem Paartanz
Einordnung: Deliktsrecht
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 02.08.2017
13 U 222/16
LEITSATZ
Ein Tanzpartner haftet nicht für
Unfallfolgen eines gemeinsamen
freiwilligen Paartanzes, denn die
Gefahr eines Sturzes besteht grundsätzlich
und ist allgemein bekannt.
Aufgrund der freiwilligen
Selbstgefährdung sind die Folgen
dem Tanzpartner haftungsrechtlich
nicht zuzurechnen.
EINLEITUNG
Im Mittelpunkt der vorliegenden Entscheidung steht die Frage, ob beim
Tanzen zugezogene Verletzungen selbstverschuldet sind und dem Tanzpartner
daher nicht angelastet werden können.
SACHVERHALT
Die Klägerin (K) und der Beklagte (B) sind Bekannte und gemeinsam auf einer
Geburtstagsfeier eingeladen. K tanzt auf der Feier allein auf der Tanzfläche,
als B sie an ihren Händen nimmt und zu einem gemeinsamen Paartanz auffordert.
K teilt B mit, dass sie nicht tanzen könne und das „Ganze zu schnell für
sie“ sei. B erklärt ihr, dass er zwar nur wenige Tanzkurse besucht habe, aber
dennoch als der „Tanzkönig“ seines Ortes gelte. Nach einer schwungvollen
Drehung lässt er K los. Sie verliert das Gleichgewicht und fällt zu Boden. K
erleidet einen komplizierten Beinbruch und verlangt von B Schadenersatz für
die entstandenen Heilbehandlungskosten.
Zu Recht?
LÖSUNG
A. K gegen B gem. §§ 823 I, 249 II 1 BGB
K könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung der Heilbehandlungskosten
gem. §§ 823 I, 249 II 1 BGB haben.
I. Rechtsgutsverletzung
Als verletzte Rechtsgüter i.S.d. § 823 I BGB kommen hier sowohl die Körper- als
auch die Gesundheitsverletzung in Betracht. Körperverletzung ist jeder unbefugte
Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, die Gesundheitsschädigung
liegt in jedem Hervorrufen eines von den normalen körperlichen Funktionen
nachteilig abweichenden Zustands. Der von K erlittene komplizierte Beinbruch
stellt sowohl eine Körper- als auch eine Gesundheitsverletzung dar.
II. Verhalten des Anspruchsgegners
B hat K nach einer schwungvollen Drehung losgelassen. Dadurch verlor K das
Gleichgewicht und fiel zu Boden.
Das Verhalten des B war äquivalent
und adäquat kausal für die Rechtsgutsverletzung
der K.
III. Haftungsbegründende Kausalität
B müsste diese Rechtsgutverletzung adäquat kausal durch sein Verhalten hervorgerufen
haben. Nach der Äquivalenztheorie ist eine Handlung dann für
den Erfolg kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der
konkrete Erfolg entfiele. Nur durch das Verhalten des B stürzte K. Der Kausalverlauf
war auch nicht außerhalb des nach der allgemeinen Lebenserfahrung
wahrscheinlichen.
© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 11/2017
Zivilrecht
565
„[Dennoch kann B] unter Zugrundelegung der gemachten Angaben bei
wertender Betrachtung die verbundene Schädigung nicht zugerechnet
werden.
Zwar ist mit K davon auszugehen, dass die alleinige - und nachhaltige -
Initiative zu dem schließlich von den Parteien auf der privaten Geburtstagsfeier
ausgeführten Paartanz von B ausgegangen ist. Durch das an den Händen fassen
der K hat B - konkludent - seinem Wunsch Ausdruck verliehen, mit K einen
Paartanz auszuführen. Von seinem Vorhaben hat sich B durch die Äußerungen
der K, dass sie nicht tanzen könne und das Ganze zu schnell für sie sei, nicht
abhalten lassen und mit der Ausführung von Tanzschritten begonnen.
Wenngleich der Senat das Verhalten des B als egoistisch und wenig
einfühlsam bewertet, kann nicht davon ausgegangen werden, dass B
Gewalt ausgeübt hat und sein Verhalten - strafrechtlich relevanten -
Nötigungscharakter erreicht hat.
Vielmehr ist nach den eigenen Angaben der K davon auszugehen, dass
sie sich letztlich freiwillig auf den Tanz mit B eingelassen hat.
Es ist im vorliegenden Zusammenhang insbesondere nicht hinreichend
von K dargetan, dass sie ohne jedwedes eigenes Zutun und gegen ihren
ausdrücklich erklärten Willen von B geradezu zum Tanzen „gezwungen“
worden sei. Nach dem als unstreitig anzusehenden Sachverhalt hat K
- lediglich - geäußert, sie könne nicht tanzen und das Ganze sei zu schnell
für sie.
Eine klare und ausdrückliche Erklärung gegenüber B wie etwa „nein, ich
möchte bzw. werde nicht mit dir/Ihnen tanzen“, hat K nicht abgegeben.
Ebenso wenig ist ersichtlich, dass für K keine ihr zumutbare Möglichkeit
bestanden hätte, dem Tanzwunsch des B entgegenzuwirken bzw. sich
diesem zu entziehen. Es hätte in der konkreten Situation nach Einschätzung
des Senats durchaus die Möglichkeit bestanden, sowohl in verbaler
und auch physischer Hinsicht, etwa durch eine klar artikulierte Absage
gegenüber B, ein Verlassen der Tanzfläche oder wenn ihr dies aufgrund
des an den Händen Gehaltenwerdens durch B nicht ohne weiteres möglich
gewesen sein sollte, durch ein einfaches Stehenbleiben in zumutbarer
Weise den Tanz mit B und die daraus resultierenden Folgen zu vermeiden.
Stattdessen hat K sich dem Wunsch des B gebeugt und mit ihm getanzt.
Das Ausführen der Tanzschritte durfte B letztlich als Einwilligung
der K in den Paartanz auffassen, wobei diese rechtliche Bewertung
durch den Senat keineswegs so verstanden werden soll, dass der Senat
das Verhalten des B als solches gutheißt. Nachdem K sich auf den Tanz
mit B letztlich eingelassen hat, musste sie dann allerdings auch mit dem
üblicherweise beim Paartanz zur Anwendung kommenden Tanzschritten
und Drehungen der Tanzpartner rechnen.
Im Unterschied zur Haftung für den Schaden, der einem außenstehenden
Dritten zugefügt wird, welcher mehr oder weniger zufällig
mit einer von einem bzw. mehreren anderen angesetzten Gefahr
in Berührung kommt, was etwa dann der Fall gewesen wäre, wenn
durch den Tanz, beim Sturz der K eine andere auf der Tanzfläche
befindliche Person verletzt worden wäre, steht vorliegend die eigene
freie Willensentscheidung der K im Vordergrund. K hat den Tanz mit B
ausgeführt und hätte die hiermit verbundenen Gefahren, insbesondere
im Hinblick auf ihr eigenes fehlendes tänzerisches Können, erkennen
können. Für die von ihr getroffene Entscheidung, sich auf einen Tanz mit B
- wenn auch zunächst widerwillig - einzulassen und die damit verbundene
Selbstgefährdung ist K letztlich selbst verantwortlich.
Eine Selbstschädigung durch ein
Handeln auf eigene Gefahr wird von
der Rspr. unterschiedlich verortet, im
Strafrecht wie hier beim Kausalzusammenhang,
im Zivilrecht eigentlich
eher bei § 254 BGB oder auch als
Einwand des venire contra factum
propriums gem. § 242 BGB.
K hat jedoch freiwillig mit B getanzt,
sodass ihm nach Meinung des OLG-
Senates die Rechtsgutsverletzung
nicht zugerechnet werden kann.
Siehe auch die Entscheidung des
OLG Frankfurt in RA 2017, 393.
Hier sieht der OLG-Senat den entscheidenden
Aspekt des Falles: K
wusste, dass sie nicht tanzen kann.
Dennoch hat sie sich auf den Tanz
eingelassen. Hätte sie sich deutlicher
geweigert und wäre sie
genötigt worden, läge keine Selbstgefährdung
vor.
K hätte sich der für sie gefährlichen
Situation entziehen können. Dies
hat sie jedoch nicht getan, sodass B
ihr Verhalten als Einwilligung in den
Paartanz werten durfte.
Eigene
der K
freie Willensentscheidung
Erkennbarkeit der Gefahren für K
Freiwillige Selbstgefährdung
© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
566 Zivilrecht RA 11/2017
Der OLG – Senat beruft sich auf das
Urteil des BGH vom 21.01.1986,
VI ZR 208/84. Danach besteht kein
absolutes Verbot, einen anderen zur
Selbstgefährdung auf psychische
Weise zu veranlassen. Beachten Sie
aber: Der BGH hat das Problem der
Selbstgefährdung in der zitierten
Entscheidung unter dem Einwand
des widersprüchlichen Verhaltens
gem. § 242 BGB (venire contra
factum proprium) verortet.
Wer sich in die Obhut eines Experten
begibt, der eine Garantenstellung
übernimmt, muss seinen Schaden
nicht vollständig selbst tragen. B
nannte sich zwar „Tanzkönig“, aber
weder Tanzlehrer noch Profi-Tänzer.
Ein Zurechnungszusammenhang
kann auch auf einer besonderen
Garantenstellung beruhen – eine
solche lag hier aufgrund der unzureichenden
Tanzfähigkeiten des B
allerdings nicht vor. Die Selbstbezeichnung
als „Tanzkönig“ reicht
insoweit nicht aus.
Noch einmal: Zum selben Ergebnis
gelangt, wer das Problem des Handelns
auf eigene Gefahr an das
Verbot des Selbstwiderspruchs gem.
§ 242 BGB knüpft (venire contra
factum proprium).
In Fällen der vorliegenden Art gilt nach st. Rspr. des BGH der Grundsatz,
dass weder ein allgemeines Gebot besteht, andere vor Selbstgefährdung
zu bewahren, noch ein Verbot, sie zur Selbstgefährdung psychisch
zu veranlassen, sofern nicht - was vorliegend ausscheidet - das
selbstgefährdende Verhalten durch Hervorrufen einer mindestens im
Ansatz billigenswerten Motivation „herausgefordert“ worden ist. Der
BGH hat in der vorgenannten Entscheidung u.a. ausgeführt: „Beschränkt
sich die Rolle des für die Selbstschädigung des Geschädigten zur
Mitverantwortung herangezogenen Schädigers dergestalt auf die bloße
Teilnahme an dem gefahrenträchtigen Unternehmen, dann fehlt es nach
Auffassung des Senats an dem erforderlichen inneren Zusammenhang
zwischen dem Schadenserfolg und einer von dem “Schädiger“ verletzten
Verhaltungsnorm, der es rechtfertigen könnte, den Geschädigten anders
zu behandeln, als wenn er das Unternehmen für sich allein durchgeführt
hätte und schon deshalb mit seinem Schaden allein belastet bliebe.“
Nach der Rspr. des BGH, der sich der Senat in vollem Umfang anschließt,
kommt die Annahme eines Zurechnungszusammenhanges zwischen der
schädigenden Handlung und dem eingetretenen Erfolg allenfalls dann in
Betracht, wenn der „Schädiger“ - hier also B - durch die Inanspruchnahme
einer übergeordneten Rolle als „Experte“ K gegenüber eine Garantenstellung
für die Durchführung des gemeinsamen Unternehmens
übernommen oder durch sein Verhalten einen zusätzlichen Gefahrenkreis
für die Schädigung der K eröffnet hätte. Wenngleich sich B selbst als
„Tanzkönig“ seines Ortes bezeichnet und seine Tanzkünste diejenigen der
K deutlich übersteigen, kann er nicht als Experte im vorstehenden Sinne
angesehen werden. B ist weder beruflich mit dem Tanzsport verbunden noch
führt die Teilnahme an einigen - wenigen - Tanzkursen zu einer Experten- und
damit Garantenstellung gegenüber K. Vielmehr zeigt das Verhalten des B, dass
es sich bei ihm gerade nicht um einen routinierten und professionellen Tänzer
handelt, da ein solcher - anders als B - entweder der - zunächst - ablehnenden
Haltung der K gegenüber dem gemeinsamen Tanz Rechnung getragen und
nach einer anderen Tanzpartnerin Ausschau gehalten hätte oder zumindest
die Art und Weise der Ausführung des Tanzes an den Tanzkenntnissen und
Fertigkeiten des schwächeren Tanzpartners ausgerichtet hätte.
Die Gefahr eines Sturzes beim Tanz besteht grds. und war für alle
Beteiligten, insbesondere für K aufgrund ihrer fehlenden Paartanzkenntnisse,
gleichermaßen erkennbar.“
Mithin kann B die Rechtsgutverletzung nicht zugerechnet werden.
B. Ergebnis
K hat gegen B keinen Anspruch auf Zahlung der Heilbehandlungskosten gem.
§§ 823 I, 249 II 1 BGB.
FAZIT
Es besteht kein Verbot, einen anderen zur Selbstgefährdung auf psychische
Weise zu veranlassen, solange das selbstgefährdende Verhalten durch
Hervorrufen einer im Ansatz billigenswerten Motivation – hier das Tanzen –
hervorgerufen wurde. In diesen Fällen fehlt es an dem für einen Schadensersatzanspruch
erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen Schadenserfolg
und einer vom Schädiger verletzten Verhaltsnorm. Alternativ besteht
ein Ausschlussgrund gem. § 242 BGB wegen eines Selbstwiderspruchs.
© Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
Jetzt zur
VOLLVERSION
WISEN...,
9'91Vft\Oinl •• 'a
udierende & Refere ndare
1 T
m
JURA
11 INTENSIV
RA
DIGITAL
11/2017
Jura Intensiv
- JURA
rf INTENSIV
verlag.jura-intensiv.de