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Stolpersteine_2017_lowRES

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Gedenkschrift<br />

zur dritten<br />

Stolpersteinverlegung<br />

in Bruchsal<br />

am 26.4.<strong>2017</strong><br />

<strong>Stolpersteine</strong><br />

in Bruchsal


Inhaltsverzeichnis<br />

1 Grußwort der Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick<br />

3 Einführung in das Schülerprojekt Florian Jung<br />

Die Opferbiografien<br />

5 Dr. Siegfried Grzymisch (1875-1944) Peter Wagner, Klasse 8s<br />

7 Carola Grzymisch g. Schleßinger (1891-1944) David Henning, Klasse 8s<br />

8 Übersicht Familie Grzymisch Florian Jung<br />

9 Übersicht Familie Schleßinger Florian Jung, Heidemarie Leins<br />

10 Mathilde Weil geb. Rothschild (1878-1941) Elisa-Marie Lühmann, Klasse 8s<br />

11 Max Löb (1891-1968) und Lena Gräber, Klasse 8s<br />

Julie Löb geb. Weil (1902-1942)<br />

Lena Gräber, Klasse 8s<br />

13 Edith Löb verh. Leuchter (geb. 1927) Ann-Zoi Verhaert, Klasse 8s<br />

14 Heinz Löb (1931-1944) Angelina Scholl, Klasse 8s<br />

15 Übersicht Familie Weil Florian Jung<br />

16 Friedrich Molitor (1907-1940) Cihan Kati und Jan Bühn, Klasse 8s<br />

19 Friedrich Sem Bär (1889-1942) Serhat Tapan, Klasse 8t<br />

21 Franziska Bär geb. Rosenstein (1892-1942) Evangelos Karakas, Klasse 8t<br />

22 Therese „Resi“ Bär verh. Grosz (1921-2015) Evangelos Karakas, Klasse 8t<br />

24 Übersicht Familie Bär Florian Jung<br />

26 Simon Marx (1876-1938) Mathias Böckle, Klasse 8s<br />

28 Rosalie Marx geb. Mayer (1878-1942) Julian Dominicus, Klasse 8s<br />

29 Betty „Liesel“ Marx (1907-1989) Julian Dominicus, Klasse 8s<br />

30 Trude Marx verh. Frank (1909-1982) Julian Dominicus, Klasse 8s<br />

31 Charlotte „Lina“ Mayer (1880-1942) Jonas Gerzen, Klasse 8u<br />

32 Übersicht Familie Mayer Florian Jung, Helmut Sittinger, Franz Pfadt<br />

Anhang<br />

34 Preis für Erinnerungsarbeit Rolf Schmitt, Rainer Kaufmann<br />

38 Rückblick auf die zweite Bruchsaler Florian Jung<br />

Stolpersteinverlegung am 27.06.2016<br />

43 75 Jahre Deportation nach Izbica Rolf Schmitt<br />

Die Druckkosten dieser Broschüre wurden dankenswerterweise<br />

von der BürgerStiftung Bruchsal übernommen.


Grußwort<br />

der Oberbürgermeisterin<br />

Zum zwischenzeitlich dritten Mal nach 2015 und<br />

2016 werden am Mittwoch, 26. April <strong>2017</strong> durch<br />

den Künstler Gunter Demnig <strong>Stolpersteine</strong> in<br />

unserer Stadt verlegt. Stets waren Interesse und<br />

Anteilnahme an diesen Aktionen groß, viele Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer haben sich zusammengefunden,<br />

um an den jeweiligen Verlegestellen<br />

der Opfer von Terror und Unterdrückung durch<br />

das NS-Regime zu gedenken. In diesem Jahr sind<br />

es sechzehn Menschen, sechzehn Schicksale, an die<br />

wir erinnern wollen und deren Namen wir auf diese<br />

besondere Weise vor dem Vergessen bewahren<br />

können.<br />

In Anwesenheit von Nachfahren und Verwandten der NS-Opfer, die wir an<br />

diesem Tag mit <strong>Stolpersteine</strong>n würdigen werden, begeben wir uns diesmal gemeinsam<br />

zu den Verlegestellen vor den Anwesen Huttenstraße 2 und 26, Friedrichstraße<br />

53, Durlacher Straße 71, Schwimmbadstraße 17 und Bismarckstraße<br />

10. Nach Verlegung der <strong>Stolpersteine</strong> findet zum Abschluss in der Aula des<br />

Justus-Knecht-Gymnasiums ab 11.30 Uhr eine etwa einstündige Gedenkveranstaltung<br />

in Erinnerung an die Opfer des NS-Unrechts statt.<br />

Durch diese bereits zum dritten Mal in unserer Stadt ausgerichtete Aktion wird<br />

ein weiterer wichtiger Schritt hin auf ein dauerhaftes Erinnern getan und zugleich<br />

ein ehrenamtliches Engagement sichtbar, dessen Wurzeln eine Reihe von<br />

Jahren zurückreichen. Dass nun bereits die dritte Verlegung von <strong>Stolpersteine</strong>n<br />

erfolgen kann, beweist, wie groß und dauerhaft eben dieses bürgerschaftliche<br />

Engagement in der Zwischenzeit wiederum war und weiterhin ist.<br />

Einmal mehr danke ich daher allen Beteiligten – den Organisatoren, den Spendern,<br />

den Ideengebern, all jenen, die diese Aktion mit vorbereitet haben. Der<br />

BürgerStiftung Bruchsal bin ich in besonderem Maße dankbar, dass sie die Aufgabe<br />

übernommen hat, Mittel für das gemeinnützige Projekt einzuwerben und<br />

die Drucklegung dieser Broschüre zu ermöglichen.<br />

1


Ein besonderer Dank gilt für das laufende wie bereits für das letztjährige Projekt<br />

Herrn Florian Jung, Lehrer am Justus-Knecht-Gymnasium, und seiner Projektgruppe<br />

aus Schülern der 8. Klasse. Die Jugendlichen haben unter fachkundiger<br />

Anleitung und Betreuung intensiv zur Geschichte jener NS-Opfer recherchiert,<br />

für die im Rahmen der diesjährigen Stolperstein-Aktion eine bleibende Erinnerung<br />

entstehen wird. Dieses Engagement schafft etwas Bleibendes, das weit<br />

über den engen Zeitraum eines Schulprojektes hinauswirkt. Die Lehren, die<br />

aus den Schrecken des NS-Unrechts zu ziehen sind, müssen auch künftigen<br />

Generationen Orientierung sein; aus der Erinnerung lernen heißt Irrwege vermeiden.<br />

Ein großer Dank gilt wiederum auch Herrn Rolf Schmitt als weiterem Motor<br />

der Bruchsaler Stolperstein-Aktion. Seinen gemeinsam mit Florian Jung unternommenen<br />

familiengeschichtlichen Recherchen haben wir es zu verdanken,<br />

dass – ähnlich den Stolperstein-Aktionen 2015 und 2016 – auch diesmal wieder<br />

Angehörige der gewürdigten NS-Opfer aus Amerika und verschiedenen Teilen<br />

Europas in Bruchsal zu Gast sind, um an der Zeremonie teilzunehmen.<br />

Und so gelten mit Blick auf dieses Beisammensein, welches hierdurch ermöglicht<br />

wird, in ganz besonderer Weise die Worte des christlich-libanesischen<br />

Philosophen und Dichters Khalil Gibran: „Erinnern ist eine Form der Begegnung“.<br />

Ich danke allen, die in diesem Sinne zu Begegnung und Erinnerung beigetragen<br />

haben.<br />

Cornelia Petzold-Schick<br />

Einführung in das Schülerprojekt<br />

von Florian Jung, OStR am Justus-Knecht-Gymnasium Bruchsal<br />

„Dringend notwendig ist, dass statt Kriegshelden<br />

Friedenshelden im Zentrum jeder Bildung stehen.<br />

Die Friedenshelden sind die echten Realisten der Geschichte. Über sie viel mehr<br />

zu wissen und Mitgefühl für ihre Arbeit zu wecken, sich mit ihnen zu identifizieren –<br />

das sind Fundamente für das Überleben der Menschheit.“<br />

Diese Zeilen stammen von Prof. Dr. Frederick Mayer (1921-2006), einem weit über seine<br />

Wirkungskreise in Kalifornien und Wien hinaus anerkannten und vielfach ausgezeichneten<br />

Erziehungswissenschaftler und Philosophen, Kreativexperten und Autor von<br />

rund 70 Büchern. Diese Zeilen gehörten untrennbar zum Kern seiner Mission, genauso<br />

wie sein Engagement für globalen Humanismus, Förderung der Entwicklung<br />

des jedem Menschen eigenen schöpferischen Potenzials, Ermutigung (statt Entmutigung)<br />

in allen Bereichen der Gesellschaft, Kreativität bei der Gestaltung des eigenen<br />

Lebens („Lebensstrategie“) oder auch der Kunst der Beurteilung („Vorurteile<br />

bedrohen uns alle“).<br />

Sicher mag ein Motor seiner Philosophie in seiner Biographie zu finden sein. Im Alter<br />

von 15 Jahren floh der jüdische Junge „Friedrich Mayer“ aus Nazi-Deutschland,<br />

sah seine Eltern erst Jahre später wieder und verlor mehrere Verwandte im Holocaust.<br />

Zwei seiner Tanten, Rosa Marx geb. Mayer und Charlotte Lina Mayer, wurden<br />

1940 von Bruchsal aus nach Gurs deportiert und starben in Auschwitz.<br />

Wie lässt sich aber Frederick Mayers Forderung, sich mit den Friedenshelden zu<br />

identifizieren und Mitgefühl zu wecken, in der Bildung realisieren und in unser Bildungssystem<br />

integrieren? Am Justus-Knecht-Gymnasium Bruchsal gibt es im 9-jährigen<br />

Bildungsgang für alle Achtklässler die Möglichkeit, sich ein ganzes Schuljahr<br />

lang mit einem Projektthema ihrer Wahl zu befassen. Auch in diesem Jahr kam eine<br />

Gruppe von 13 Schülern zusammen, um sich mit den Biographien von 16 Bruchsalern<br />

zu beschäftigen, die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung wurden. Für<br />

diese verfolgten und oft ermordeten Menschen werden <strong>Stolpersteine</strong> in Bruchsal<br />

gelegt, um sie im kollektiven Gedächtnis der Bruchsaler Bevölkerung zu erhalten<br />

und um sie zu Friedenshelden werden zu lassen. In diesem Jahr werden auch die<br />

beiden Tanten und weitere Verwandte von Frederick Mayer mit <strong>Stolpersteine</strong>n geehrt,<br />

und wir haben von seinen ehemaligen Mitarbeiterinnen in Wien erfahren,<br />

dass er diese Aktion sicher sehr begrüßt haben würde.<br />

Einige von denen, für die <strong>Stolpersteine</strong> gelegt werden, wurden Friedenshelden auch<br />

zu Lebzeiten, beispielsweise die heute 89-jährige Edith Leuchter geb. Löb. Sie wurde<br />

2 3


als 13-jährige ebenfalls von Bruchsal aus nach Gurs deportiert. Und sie hat ihre<br />

Bereitschaft, Aufklärungs- und Versöhnungsarbeit zu leisten, an ihre Tochter und<br />

gar Enkelin weitergegeben. Für unsere Schüler war es neben der Recherche der Opferbiografien<br />

etwa im Generallandesarchiv Karlsruhe daher von besonderem Reiz,<br />

Kontakt aufzunehmen mit den Angehörigen der Verfolgten. 17 dieser Angehörigen<br />

werden zur Stolpersteinverlegung <strong>2017</strong> aus Kanada, den USA, Großbritannien, den<br />

Niederlanden, der Schweiz und aus Deutschland anreisen, um Teil der Zeremonie<br />

zu sein. Und unsere Schüler sind erwartungsvoll, diese Angehörigen persönlich<br />

kennen zu lernen, um sich mit ihnen weiter über die verfolgten, oft ermordeten<br />

Angehörigen austauschen zu können.<br />

Neben der Arbeit mit Archivmaterial und den Auskünften der Angehörigen gibt es<br />

auch zahlreiche Quellen an früheren Wohnorten unserer Bruchsaler Opfer, und so gilt<br />

der besondere Dank Heidemarie Leins (Bretten), Helmut Sittinger und Franz Pfadt<br />

(Leimersheim), Thomas Seitz (Oedheim), Walter Meister (Öhringen), Ronit Shimoni<br />

(Frankfurt/M.), Prof. Dr. Erhard Schnurr (Leutershausen) und Kurt Fay (Odenheim)<br />

– und natürlich den Bruchsaler Weggefährten Marlene Schlitz und Rolf Schmitt. Sie<br />

alle haben dazu beigetragen, die Lebenswege dieser mit <strong>Stolpersteine</strong>n geehrten Menschen<br />

für ihre Angehörigen, für unsere Schüler und auch für die interessierten Bruchsaler<br />

Mitbürger greifbar werden zu lassen. Ob man dann letztlich von großen oder<br />

kleinen „Friedenshelden“ sprechen kann, ob – nach Mayer – damit „Fundamente für<br />

das Überleben der Menschheit“ erstellt wurden, mag diskutiert werden. Aber sicher<br />

ist es ein Schritt – oder wenigstens ein Stolpern – in die richtige Richtung.<br />

Projektgruppe „<strong>Stolpersteine</strong>“ der 8. Klassen am Justus-Knecht-Gymnasium Bruchsal:<br />

Hinten von links: Julian, Jan, Cihan, Elisa-Marie; Mitte von links: Jonas, Mathias, Serhat, Evangelos, Lena;<br />

vorne von links: Peter, David, Ann-Zoi, Angelina. Foto: Florian Jung<br />

Biografie von Dr. Siegfried Grzymisch (1875-1944)<br />

Siegfried Grzymisch wurde am 08.08.<br />

1875 in Pleschen, heute Zentralpolen, geboren.<br />

Er war der Sohn des Kaufmanns<br />

Samuel Grzymisch und von Sofie Grzymisch<br />

geb. Badt. Er hatte zwei jüngere<br />

Brüder, Arthur und Georg Grzymisch.<br />

Die jüdische Gemeinde in Pleschen umfasste<br />

1875 über 1000 Personen, doch<br />

durch die Abwanderung ging die Zahl<br />

schnell zurück. Auch die Familie Grzymisch<br />

zog 1891 nach Berlin. Siegfried<br />

Grzymisch besuchte die Gymnasien<br />

in Pleschen und Ostrowo. In Ostrowo<br />

von Peter Wagner, Klasse 8s<br />

machte er sein Abitur. Seit 1894 studierte er Philosophie, orientalische Philologie sowie<br />

deutsche Literatur an der Universität Breslau. Er besuchte das Jüdisch-Theologische-Seminar<br />

(kurz JTS), wobei man ihm 1896, anlässlich seiner „magna cum laude“ bestandenen<br />

Promotion, bescheinigte, dass sein religiöser und sittlicher Lebenswandel stets dem Ernst<br />

seines künftigen Berufes entsprach. 1900/1901 machte er sein Rabbinatsdiplom am JTS.<br />

Vorher war Grzymisch vom 14.02.1900 bis zum 02.04.1900 Vertretungslehrer am Magdalenen-Gymnasium<br />

Breslau und danach, vom 01.08.1901 bis 1902, Vertretungslehrer<br />

am königlichen Gymnasium und stellv.<br />

Rabbiner in Schneidemühl. Von 1902 bis<br />

1906 war er Rabbiner in Magdeburg, von<br />

1910 bis 1911 Landesrabbiner in Hoppstädten-Birkenfeld,<br />

danach von 1911 bis<br />

1940 als Nachfolger von Dr. Max Eschelbacher<br />

in Bruchsal, zunächst als Rabbinatsverwalter,<br />

später als Bezirksrabbiner.<br />

Während seiner fast 30-jährigen Tätigkeit<br />

in Bruchsal konnte Grzymisch zahlreiche<br />

Akzente setzen und nahm auch<br />

zahlreiche Sonderaufgaben wahr, außerdem<br />

verheiratete er sich 1914 in Bruchsal<br />

mit Carola Schleßinger, der Tochter des<br />

Rabbiners von Bretten. Nach der Zurruhesetzung<br />

seines Schwiegervaters 1920<br />

Synagoge in Pleschen um 1900.<br />

Foto: www.jüdische-gemeinden.de<br />

Auszug aus dem Adressbuch Berlin, 1922. Darin:<br />

Samuel Grzymisch, Siegfrieds Vater, und Arthur<br />

Grzymisch, Siegfrieds Bruder. Foto: www.digital.zlb.de<br />

4 5


übernahm er auch Bretten als Bezirksrabbiner. Als Mitglied<br />

und zeitweiliger Vorsitzender des Lehrplan-Ausschusses erstellte<br />

er 1920 neue Lehrpläne für den israelitischen Religionsunterricht<br />

in Baden. 1925 übernahm er vorübergehend<br />

die Betreuung des verwaisten Rabbinats Bühl und betreute<br />

es im Jahre 1935 abermals als Amtsverweser. In dieses Jahr<br />

fiel auch sein 25. Amtsjubiläum. Außerdem war er Geistliches<br />

Mitglied des Oberrats der Israeliten Badens und Vorstandsmitglied<br />

des Badischen Israelitischen Waisenvereins.<br />

Auch in Bruchsal direkt hinterließ Dr. Siegfried Grzymisch<br />

zahlreiche Spuren. Er unterrichtete von 1911 bis 1935 als<br />

Religionslehrer an der Oberrealschule Bruchsal sowie 1920<br />

bis 1935 an der Höheren Mädchenschule Bruchsal. 1921<br />

wurde er von der Zuchthausleitung in Bruchsal für seine<br />

Dr. Siegfried Grzymisch,<br />

um 1930. Foto: StA Bruchsal<br />

seelsorgerische Arbeit gelobt. Er sorgte seit 1911 für die jüdischen Gefangenen und machte<br />

es möglich, dass sie am Pessachfest ungesäuertes Brot bekamen. Auch gründete er Jugendvereine<br />

und einen Kinderchor in Bruchsal. „Seine Predigten zeichneten sich durch<br />

die schöne Sprache, philosophische Gründlichkeit und seiner große Liebe zum Judentum<br />

aus,“ so in einem Nachruf. Aufgrund seiner Verdienste wurde Grzymisch in den 1920ern<br />

in die städtische Schulkommission sowie in die Armenkommission berufen.<br />

Ab 1933 hatte er den schmerzlichen Niedergang seiner Gemeinde zu begleiten, der neben<br />

den Anfeindungen der Nationalsozialisten auch die Reduzierung um 80% der Gemeindemitglieder<br />

bedeutete – meist durch Auswanderung. Vom 11.11. bis 02.12.1938 war er<br />

zusammen mit vielen männlichen Gemeindemitgliedern in Dachau inhaftiert. 1940 wurde<br />

er mit seiner Ehefrau Carola Grzymisch und dem Rest seiner Gemeinde nach Gurs<br />

deportiert, später zusammen mit seiner Frau in die Nähe von Grenoble und 1944 nach<br />

Auschwitz. Dort wurden beide ermordet.<br />

Handschriftlicher Brief an die Direktion der Mozartschule Bruchsal von Dr. Siegfried Grzymisch, mit Absenderstempel.<br />

Foto: Schularchiv Justus-Knecht-Gymnasium Bruchsal<br />

Biografie von Carola Grzymisch geb. Schleßinger<br />

(1891-1944)<br />

von David Henning, Klasse 8s<br />

Carola Grzymisch<br />

wurde am 23.09.1891<br />

als Carola Schleßinger<br />

in Bretten geboren.<br />

Sie war die<br />

Tochter des Brettener<br />

Rabbiners Lazarus<br />

Schleßinger und Klara<br />

Schleßinger geb.<br />

Gunzenhauser und<br />

hatte zwei Geschwister,<br />

Leo und Edda.<br />

Nachdem ihre Mutter<br />

starb, lebte sie noch bis zu ihrem<br />

Heiratsjahr 1914 bei ihrem Vater in<br />

der Melanchthonstraße 82 in Bretten.<br />

Ihr Ehemann, der Bruchsaler Rabbiner<br />

Siegfried Grzymisch, war somit<br />

Kollege ihres Vaters. Die Trauzeugen<br />

ihrer Hochzeit waren Lazarus Schleßinger<br />

und Louis Beißinger, Bruchsal. str. 2a), um 1910 (Bild oben) und im März 1940 nach einem<br />

Rabbinatsgebäude in Bruchsal, Huttenstr. 2 (heute Hutten-<br />

Kinder hatten die Grzymischs keine. der ersten Bombenangriffe auf Bruchsal. Fotos: StA Bruchsal<br />

Sie wohnten in der Huttenstraße 2 in Bruchsal, das war alte Rabbinatsgebäude der Bruchsaler<br />

Jüdischen Gemeinde. Diese Rabbiner-Dienstwohnung hatte fünf bis sechs Zimmer.<br />

So hatten sie in den 1930er eine Putzfrau, die Maria Bopp hieß. Ihr Haus war sehr<br />

reich eingerichtet, inklusive einem Flügel – den hatte Siegfried Grzymisch von seinen Eltern<br />

in Berlin geerbt – sowie Silberbesteck und einer großen und wertvollen Bibliothek.<br />

Das Ehepaar Grzymisch besaß außerdem viele Wertpapiere, etliches an Banknoten und<br />

vieles mehr, unter anderem auch einen Weinberg in Bruchsal. Am 22.10.1940 wurde<br />

Carola mit ihrem Ehemann Siegfried Grzymisch nach Gurs deportiert. Am 20.08.1943<br />

wurden sie im Centre de Alboussiere bei Grenoble untergebracht, einem einfachen Gebäude<br />

im alten Stadtzentrum. Die meist älteren Leute aus 20 Familien waren zu viert in<br />

einem Raum untergebracht und durften sich zunächst noch in der Stadt frei bewegen.<br />

Am 18.02.1944 wurden alle Insassen ins Camp de Masseubes verbracht und wenig später<br />

von da aus ins Durchgangslager Drancy. Nach einigen Tagen kam das Ehepaar Grzymisch<br />

mit dem Convoi 69 am 07.03.1944 nach Auschwitz und wurde dort ermordet.<br />

6 7


Familie Samuel und Sofie Grzymisch<br />

(Eltern von Siegfried Grzymisch)<br />

Samuel Grzymisch * Pleschen † nach 1922, vor 1925 Berlin<br />

(Sohn von Moses Grzymisch und Röschen Lewczyk) 1870er Kaufmann in Pleschen, später (nach<br />

1891) Kaufmann (Getreide- und Mehl-Commission) und Hausbesitzer in Berlin<br />

verh. Sofie Badt * Grätz † nach 1914, vor 1925 Berlin<br />

3 Kinder:<br />

1. Dr. Siegfried Grzymisch * 14.08.1875 Pleschen † 1944 KZ Auschwitz<br />

1911-1940 Bezirksrabbiner in Bruchsal, 22.10.1940 Gurs, 07.03.1944 Auschwitz<br />

verh. 27.04.1914 Bruchsal<br />

Carola Schleßinger * 23.09.1891 Bretten † 1944 KZ Auschwitz<br />

lebte zusammen mit Vater in Bretten, dann Bruchsal, 22.10.1940 Gurs, 07.03.1944 Auschwitz<br />

kinderlos<br />

2. Artur Grzymisch = Grimisch * 09.12.1876 Pleschen † nach 1960 USA<br />

1911-1935 Inh. einer Mädchen-Kleiderfabrik in Berlin-Mitte, versteckt in Frankreich, 1953 USA<br />

verh. unbekannt † vor 1953<br />

1 Kind:<br />

a) Kurt Grimisch = Kenneth Grimes * 13.01.1910 Berlin † 07.07.2001 New York<br />

Kaufmann in Mannheim, 1941 mit seiner Frau über Marseille nach New York<br />

verh. Lore „Laura“ Ullmann * 03.11.1913 Mannheim(?) † 30.07.1999 New York, 1 Sohn<br />

3. Georg Grzymisch * 01.12.1878 Pleschen + 03.06.1955 Buenos Aires, ARG<br />

Inhaber eines Möbelgeschäfts in Hamburg, in Buenos Aires im Schmuckgroßhandel tätig<br />

verh. Mary Leers<br />

* 05.08.1888 Hamburg † 06.11.1944 Buenos Aires, ARG<br />

2 Kinder:<br />

a) Fritz „Federico“ Grzymisch *27.04.1911 Hamburg † 13.08.1982 Buenos Aires, ARG<br />

1937 Auswanderung nach Argentinien, im Schmuckgroßhandel tätig, kinderlos<br />

verh. Hildegard Salomon *12.04.1922 Breslau † 26.08.1982 Buenos Aires, ARG<br />

b) Paul „Pablo“ Grzymisch *23.03.1910 Hamburg †23.02.1972 Buenos Aires, ARG<br />

1937 Auswanderung nach Argentinien, dort Tischtuch-Manufaktur<br />

verh. Ingeborg Rosenstein *19.03.1921 Hamburg † 08.04.2006 B. Aires, 2 Kinder<br />

Familie Lazarus und Klara Schleßinger<br />

(Eltern von Carola Grzymisch)<br />

Lazarus Schleßinger * 29.12.1842 Flehingen † 07.07.1924 Flehingen<br />

(Sohn von Lippmann Schleßinger (1812-1883), Metzger in Flehingen, und Carolina Münzesheimer<br />

(1817-1881) , Flehingen, 10 Kinder)<br />

1870-1876 Rabbinatsverweser in Bruchsal, 1877-1920 Rabbiner in Bretten<br />

verh. 11.05.1880 Mosbach<br />

Klara Gunzenhauser<br />

* 23.08.1857 Reckendorf/Ofr. † 13.01.1902 Bretten<br />

(Tochter v. Samson Gunzenhauser (1830-1893), Bezirksrabbiner, u. Karoline Hausmann (1835-1858))<br />

3 Kinder:<br />

1. Edda Schleßinger * 10.03.1881 Bretten † vor 1927 Nürnberg(?)<br />

verh. 29.08.1902 Bretten<br />

Kaufmann „Karl“ Jacobsohn * 31.01.1870 Neckarbisch. † 02.02.1943 Theresienstadt<br />

Kaffeehändler in Nürnberg, 2. Ehe mit Therese Leiter (1879 Buttenwiesen-1944 Auschwitz)<br />

1 Kind:<br />

a) Ludwig Jacobsohn * 04.07.1907 Nürnberg † 20.09.1940 Hartheim<br />

1927 Theologie-Student in Nürnberg, seit 1931 in Heilanstalt Erlangen, 1940 ermordet (siehe unten)<br />

2. Leo Schleßinger * 03.06.1883 Bretten † 29.07.1901 Bretten<br />

besuchte das Gymnasium Karlsruhe, erlag kurz vor dem Abitur einer heimtückischen Krankheit<br />

3. Carola Schleßinger * 23.09.1891 Bretten † 1944 Auschwitz<br />

lebte zusammen mit Vater in Bretten, dann Bruchsal, 22.10.1940 Gurs, 07.03.1944 Auschwitz<br />

verh. 27.04.1914 Bruchsal<br />

Dr. Siegfried Grzymisch * 14.08.1875 Pleschen † 1944 Auschwitz<br />

1911-1940 Bezirksrabbiner in Bruchsal, 22.10.1940 Gurs, 07.03.1944 Auschwitz<br />

kinderlos<br />

Ludwig Jacobsohn (re.), wurde<br />

am 16.09.1940 zusammen<br />

mit 20 weiteren jüdischen Patienten<br />

in die Anstalt Eglfing/<br />

Haar bei München „verlegt“.<br />

Vier Tage später kam er in die<br />

Tötungsanstalt Schloss Hartheim<br />

(Oberösterreich) und<br />

wurde dort sofort vergast.<br />

Quelle: www.lorlebergplatz.de/<br />

juden_in_erlangen_III.pdf<br />

Von links: Mary und Georg Grzymisch, um 1930, sowie Fritz und Paul Grzymisch, 1937 bei der Abreise aus<br />

Hamburg. Fotos: Daniel Grzymsich<br />

Ausschnitt aus dem Film „Deportation Bruchsaler<br />

Juden nach Gurs“. Vermutlich sind in der Mitte Carola<br />

und Siegfried Grzymisch zu sehen. Foto: StA Bruchsal<br />

8 9


Biografie von Mathilde Weil geb. Rothschild (1878-1941)<br />

Mathilde Weil geborene<br />

Rothschild wurde am 2. Januar<br />

1878 in Eschenau bei<br />

Heilbronn geboren. Die Familie<br />

Rothschild war dort<br />

alteingesessen und Verwandte<br />

mit dem Namen<br />

Rothschild lebten dort seit<br />

1828. Ihr Vater Max Rothschild<br />

war zweimal verheiratet,<br />

und so hatte Mathilde<br />

einen Bruder Hermann<br />

(1883-?) und die Stiefgeschwister<br />

Hugo (1888-1918,<br />

von Elisa-Marie Lühmann, Klasse 8s<br />

Von links: Julie, Mathilde, Sigmund, davor Cilli und Hermann Weil,<br />

um 1916. Foto: Edith Leuchter<br />

gefallen) und Lina (1896-?), weitere sieben Geschwister starben als Kleinkinder. Mathilde<br />

war verheiratet mit dem Metzger Seligmann Weil, der Sigmund genannt wurde. Dieser<br />

wurde am 21. März 1871 geboren und verstarb am 03.01.1936 in Öhringen. Das Ehepaar<br />

hatte zwei Töchter, deren Namen Julie und Cilli, genannt „Liesel“, waren. Julie war im Jahre<br />

1902 geboren und Cilli im Jahre 1911. Mathilde und Seligmann hatten auch einen Sohn<br />

namens Hermann Weil, der im Jahr 1908 geboren wurde und ebenfalls Metzger wurde.<br />

Die Familie besaß ein Haus mit Scheune in der Poststraße 46 in Öhringen (Ecke zur<br />

Kirchgasse, sehr zentral gelegen) und betrieb dort eine Metzgerei und eine Gastwirtschaft,<br />

in denen das Ehepaar, ihre Kinder und drei bis vier Angestellte volltägig beschäftigt waren.<br />

Die Betriebe hatten eine außerordentliche Beliebtheit in Öhringen, allerdings ging 1933<br />

aufgrund des Boykotts das Geschäft erheblich zurück. Vor 1933 waren Vater und Sohn<br />

in vielen Vereinen integriert, trotzdem wurden sie am 18.03.1933 zusammen mit anderen<br />

Juden und Kommunisten von der SA durch die Stadt getrieben und schikaniert. Laut<br />

ihrer Enkelin, Edith Leuchter, war Mathilde eine lustige, kleine, dünne Frau, die eine gute<br />

Großmutter war. Mathilde war mit Edith sogar vertrauter als Ediths eigener Bruder Heinz.<br />

Mathilde war gern unter Menschen und auch sehr tierlieb. Sie besaß zusammen mit ihrer<br />

Familie sogar ein Pferd. In späteren Jahren war Enkelin Edith oft dort zu Besuch. Am<br />

22.01.1936 verkaufte Mathilde die Geschäfte für 25000 RM, da ihr Mann verstorben war.<br />

Am 16.04.1936 zog Mathilde zusammen mit Tochter Cilli nach Bruchsal in die Huttenstraße<br />

26. Ihre Tochter Julie wohnte zu diesem Zeitpunkt schon mit ihrem Ehemann Max Löb<br />

und ihren Kindern Edith und Heinz in Bruchsal, außerdem stammte Mathildes Schwiegertochter<br />

Emmy Stroh aus Bruchsal. 1938 zog Julie mit ihren Kindern bei Mathilde ein,<br />

denn ihr Ehemann war in die USA gereist, um dort den Weg für die Familie zu ebnen.<br />

Da Mathilde durch den Verkauf des Betriebs genügend Geld zur Verfügung hatte, Julie<br />

jedoch kein Geld hatte, gab vor allem<br />

wohl Cilli, aber auch Mathilde den Ton<br />

an. Heinz verließ kurz darauf Bruchsal.<br />

Mathildes Vermögen bestand hauptsächlich<br />

aus Wertpapieren im Wert von<br />

14000 RM. Diese musste sie bei der Judenvermögensabgabe<br />

zusammen mit<br />

mehreren goldenen Schmuckstücken,<br />

die zum Teil mit Diamanten besetzt<br />

waren, abgeben. Die Einrichtung ihrer<br />

Wohnung, die in der Entschädigungsakte<br />

detailliert aufgeführt wurde, zeugt davon, dass sie sehr gut ausgestattet war. Mathilde<br />

Aus: AUFBAU, Ausgabe vom 23.01.1942<br />

und Cilli beantragten 1938 eine Auswanderung in die USA, die auch genehmigt wurde. Im<br />

Mai 1939 gab Cilli jedoch an, ihren Pass noch nicht abgeholt zu haben, da sich die Ausreise<br />

verzögert habe, jedoch plane sie eine 8 bis 10-tägige Reise zu Verwandten nach Amsterdam<br />

wegen „mündlicher Besprechung einer Heiratsangelegenheit“. Auch diese Reise wurde<br />

genehmigt, aber niemals angetreten. Im August oder September 1939 wanderte Cilli<br />

stattdessen nach England aus und Hermann wanderte nach Israel aus, worüber Mathilde,<br />

laut Enkelin Edith, sehr froh war. Mathilde wohnte bis zum 22.10.1940 in der Huttenstraße<br />

26, dann wurde sie mit Tochter Julie und Enkelin Edith nach Gurs deportiert. Danach<br />

kamen sie in das französische Haftlager Rivesaltes, das bei Perpignan lag. Mathilde blieb<br />

dort vom 16.03.1941 bis zum 02.10.1941 und war dann bis zu ihrem Tod am 23.12.1941 im<br />

Krankenhaus „St. Louis“ in Perpignan, wo sie an einem Herzfehler starb. Ihre Tochter Julie<br />

und Enkelin Edith erfuhren noch im Haftlager von Mathildes Tod, konnten jedoch nicht<br />

zu ihrer Beerdigung gehen. Mathilde wurde auf einem Friedhof in Perpignan beerdigt.<br />

Biografien von Max Löb (1891-1968)<br />

und Julie Löb geb. Weil (1902-1942)<br />

von Lena Gräber, Klasse 8s<br />

Max Löb wurde am 26.03.1891 in Odenheim<br />

geboren. Seine Eltern waren Moses Löb (1866-<br />

1931), welcher einen schwunghaften Tabakhandel<br />

in Odenheim betrieb, und Johanna Löb geb.<br />

Freund (1858-1917). Er hatte eine Schwester namens<br />

Regina Dax geb. Löb, die in Esslingen lebte.<br />

Nach dem Tod des Vaters wurde das Elternhaus<br />

1931 durch Max Löb verkauft.<br />

Wohnhaus Löb am Gaisberg in Odenheim,<br />

damals Hauptstraße 269. Foto: Kurt Fay<br />

10 11


Julie und Max Löb, Hochzeit in Öhringen 1926 (li.);<br />

Wohn- und Geschäftshaus mit Familie Löb in der<br />

Friedrichstr. 55 (heute 53), 1931. Fotos: E. Leuchter<br />

Während des 1. Weltkriegs diente Max Löb im Infanterie-Regiment 142. Am 25.03.1926<br />

heiratete er die Wirtstochter Julie Weil, die am 19.07.1902 in Öhringen geboren wurde. Ihre<br />

Eltern waren Sigmund und Mathilde Weil geb. Rothschild. Julie war die älteste von drei<br />

Kindern. Da eine ebenfalls aus Öhringen stammende Cousine von Julie, Irene Kanders,<br />

seit 1920 mit dem Bruchsaler Nathan Weil verheiratet war, kannte Julie sicher Bruchsal<br />

schon länger. Max und Julie Löb zogen nach Bruchsal, wo sie 1928/30 in der Kaiserstr. 16<br />

wohnten und mit Getreide, Hopfen und Futtermittel handelten. Von 1931 bis 1938 führte<br />

Max Löb in der Friedrichsstraße 55 einen Einmannbetrieb, in welchem z. B. Därme und<br />

Gewürze für den Metzgereibedarf und Kolonialwaren angeboten wurden. Teilweise besuchte<br />

er seine auswärtige Kundschaft auch mit dem Motorrad. Die Familie gehörte einem<br />

zionistischen Verein an und sammelte Geld für Israel. Der Verein organisierte aber auch<br />

Tanzveranstaltungen und es wurde gesungen.<br />

Auf Drängen seiner Frau ging Max Löb im Juli 1938 in die USA, um dort eine Arbeit<br />

zu suchen und den Rest der Familie nachzuholen. Julie Löb arbeitete bis zum November<br />

desselben Jahres in dem Laden, obwohl sie zuvor nur als Hausfrau und Mutter von Heinz<br />

und Edith tätig war. Sie musste das Geschäft jedoch 1938 an Paula Wiedemann für lediglich<br />

3000 RM verkaufen. Julie zog mit ihren Kindern zu ihrer Mutter Mathilde Weil,<br />

die auch in Bruchsal (Huttenstraße 26) wohnhaft war. Von dort aus wurde sie zusammen<br />

mit ihrer Mutter und ihrer Tochter am 22.10.1940 nach Gurs deportiert. Am 27.10.1940<br />

kam sie im Internierungslager Gurs an, von wo sie am 15.03.1941 in das Lager Rivesaltes<br />

gebracht wurde. Schweren Herzens stimmte sie zu, dass ihre Tochter Edith weg von ihr,<br />

in die Hände der Hilfsorganisation OSE, gegeben wurde. Von Rivesaltes aus wurde Julie<br />

Löb am 14.08.1942 über Drancy in das KZ Ausschwitz gebracht, und gilt seitdem als verschollen.<br />

Max Löb arbeite nach seiner Auswanderung in die USA ebenfalls als Kaufmann<br />

und wohnte in New York. Er hielt Briefkontakt zu seinem Sohn Heinz Löb und veranlasste<br />

1946, dass seine Tochter Edith Frankreich verlassen und zu ihm nach New York reisen<br />

konnte. Er starb am 1. Januar 1968 in New York.<br />

Biografie von Edith Löb (geb. 1927)<br />

von Ann-Zoi Verhaert, Klasse 8s<br />

Am 31.12.1927 wurde<br />

Edith Löb als erstes Kind<br />

von Julie und Max Löb<br />

in Bruchsal geboren. Ihre<br />

Kindheit beschrieb sie bis<br />

1936 als „normal“ – sie ging<br />

in eine Bruchsaler Volksschule<br />

und zusätzlich noch<br />

in eine jüdische Schule. Sie<br />

hatte jüdische Freunde und<br />

ihre Familie hatte auch gute Edith und Kurt Leuchter, 1943 in Masgelier und ca. 2015 in Florida.<br />

Beziehungen zu Nichtjuden. Dann sprachen manche Bruchsaler „Nazis“ nicht mehr mit<br />

ihnen, man bewarf sie mit verdorbenen Äpfeln. Das Geschäft wurde aber nie beschmiert,<br />

da das Haus Nichtjuden gehörte. Nach der Reichspogromnacht ging Edith nur noch in<br />

eine jüdische Schule, wohl in Karlsruhe. Am 22.10.1940 kamen zwei Polizisten und teilten<br />

der Familie mit, dass sie nur wenig Zeit hätten, um ihre Koffer zu packen. Sie mussten<br />

ihnen zum Bahnhof folgen und hatten keine Ahnung, wohin die Reise führt. Nach<br />

tagelanger Zugfahrt erreichten sie Gurs. Das entbehrungsreiche Leben im Lager bleibt<br />

in schrecklicher Erinnerung. Im April konnten sie in das Lager Rivesaltes wechseln und<br />

hofften, dass es dort besser sei, allerdings sahen die Baracken im Innern wie Tierkäfige aus.<br />

Männer mussten dort arbeiten, die Kinder konnten „Kurse“ in einer Schule besuchen. Als<br />

Mutter Julie hörte, dass Kinder durch die jüdische Hilfsorganisation OSE befreit werden<br />

würden, ließ sie Edith auf die Liste setzen und sie trennten sich schweren Herzens im<br />

November 1941 voneinander. Das letzte Lebenszeichen der Mutter war ein Telegramm<br />

vom 01.08.1942, in dem sie ihr mitteilte, dass sie in Kürze und wahrscheinlich in den Tod<br />

deportiert würde. Innerhalb eines Jahres war sie in verschiedenen Waisenhäusern, z. B. in<br />

Palavas-les-Flos, und kam dann im November 1942 in das nicht-jüdische Internat „Chateau<br />

de Masgelier“, wo sie unter dem Decknamen „Edith Labé“ bis zur Befreiung durch<br />

die Alliierten im April 1944 überleben konnte. Im September 1944 mussten alle Masgelier<br />

verlassen und Edith lebte dann bis April 1946 in einem Pfadfinderhaus in Mossiac, ging<br />

dort zur Schule, lernte Stenografie und Schreibmaschinenschreiben und verdiente Geld<br />

mit Babysitten. Zwischenzeitlich gelang es ihr, mit dem Vater in New York Kontakt aufzunehmen.<br />

Sie kam im April 1946 mit Holzschuhen und einem Weidenkorb am Dock in<br />

New York an, wo Vater Max sie nach acht Jahren wieder in die Arme schließen konnte. Da<br />

der Vater nur ein Zimmer zur Untermiete hatte, lebte sie zunächst bei Tante und Onkel.<br />

In New York traf sie auch Kurt Leuchter wieder, den sie in Masgelier kennen gelernt hatte.<br />

Die beiden heirateten 1950, bekamen zwei Töchter, Debbie und Julie, und lebten lange in<br />

Jackson Heights, NY. Ihren Lebensabend verbringen die Leuchters in Bayton Pat, Florida.<br />

12 13


Biografie von Heinz Löb (1931-1944)<br />

von Angelina Scholl, Klasse 8s<br />

Heinz wurde am 01.03.1931 in Bruchsal geboren. Seine<br />

Eltern waren Max und Julie Löb. Er ging in den katholischen<br />

Vincentius-Kindergarten und besuchte von<br />

April 1937 bis August 1938 die Volksschule in Bruchsal.<br />

Wie Max Löb später berichtete, redete er mit dem Klassenlehrer<br />

Karl Genannt, mit dem er seit Kriegszeiten<br />

befreundet war, weil Heinz – so wörtlich – „ unter den<br />

Edith u. Heinz, um 1936. F.: E. Leuchter Misshandlungen der Nazi-Generation litt.“ Der Lehrer<br />

konnte das nicht unterbinden. 1938 zog Heinz zunächst zusammen mit seiner Mutter und<br />

Schwester zur Großmutter und Tante. Entweder verließ er Bruchsal, weil die Wohnung zu<br />

eng und das Essen zu knapp für alle gemeinsam war, oder aber man wollte Heinz in eine<br />

jüdische Schule schicken, damit er ungestört lernen kann. Es ist nicht ganz klar, ob er nach<br />

Esslingen in ein Waisenhaus kam oder dort nur seine Tante Regina Dax geb. Löb besuchte.<br />

Wohl im März/April 1939 kam Heinz dann in das Israelitische Kinderheim am Roederbergweg<br />

87 in Frankfurt/M., im Juli 1942 in das Haus in der Hans-Thoma-Str. 24. In<br />

diesen Heimen kümmerte man sich aufopferungsvoll um die Kinder. Heinz schrieb während<br />

der ganzen Zeit Briefe an seine Familie. Einige sind erhalten, auch Zeugnisse. Man<br />

erfährt, dass Heinz nicht so stark in Mathe, dafür aber ein guter Zeichner war und enorme<br />

Kenntnisse über jüdische Feiertage hatte. In seinem letzten Brief an seine Tante schrieb<br />

er: „Bald können wir uns auch nicht mehr schreiben, da wir wahrscheinlich auch in aller<br />

Kürze verreisen müssen.“ Sieben Tage später, am 15.09.1942, wurden fast alle Bewohner<br />

des Kinderheims nach Theresienstadt deportiert. Er lebte dort im Kinderheim L 414, hat<br />

sich dort auf seine Bar Mizwa vorbereitet und scheint sie am 11.03.1944 gefeiert zu haben.<br />

Wenig später, am 18.05.1944, wurde er nach Ausschwitz gebracht. Er starb mit 13 Jahren.<br />

Familie Sigmund und Mathilde Weil (Eltern von Julie Löb)<br />

Sigmund Weil * 21.03.1871 Steinsfurt † 03.01.1936 Öhringen<br />

(Sohn von Max Weil (1843-1907) und Cilli Buxbaum (1844-1910), Steinsfurt)<br />

Metzgermeister in Öhringen, 1901-1936 gutgehende Gastwirtschaft in der Poststraße, Öhringen<br />

verh. 14.10.1901 Eschenau<br />

Mathilde Rothschild * 02.01.1878 Eschenau † 23.12.1941 Perpignan, F<br />

(Tochter von Max Rothschild (1846-1925), Metzger, und Julie Dick (1854-1885/86), Eschenau)<br />

1936 Anwesen in Öhringen verkauft und zusammen mit Tochter Cilli nach Bruchsal verzogen;<br />

22.10.1940 nach Gurs deportiert, 15.03.1941 nach Rivesaltes, 02.10.1941 in Krankenhaus Perpignan<br />

3 Kinder:<br />

1. Julie Weil * 19.07.1902 Öhringen † 1942/45 KZ Auschwitz<br />

22.10.1940 Deortation nach Gurs, 15.03.1941 Rivesaltes, 14.08.1942 Auschwitz<br />

verh. 25.03.1926 Öhringen<br />

Max Löb * 26.03.1891 Odenheim † 01.01.1968 New York, USA<br />

(Sohn v. Moses Löb (1866-1931), Handelsmann in Odenheim, u. Johanna Freund (1859-1917))<br />

Inhaber einer Darm- und Gewürzhandlung (Metzgereibedarf), 07.1938 Auswanderung USA<br />

2 Kinder:<br />

a) Edith Johanna Löb * 31.12.1927 Bruchsal<br />

22.10.1940 Deportation nach Gurs, Flucht 04.1941 in Südfrankreich, 1946 in USA zu Vater<br />

verh. 1950 Kurt Leuchter * 06.02.1929 Wien<br />

2 Töchter<br />

b) Heinz Löb * 01.03.1931 Bruchsal † 18.05.1944 Auschwitz<br />

seit 1939 in Kinderheimen, von Frankfurt 15.09.1942 nach Theresienstadt, dann Auschwitz<br />

2. Hermann Weil * 04.10.1906 Öhringen † 01.06.1976 Jenkintown, PA, USA<br />

Metzger, war zus. mit seiner Frau in Palästina und wanderte 1938 über LeHavre in USA aus<br />

verh. Emmy Stroh * 24.09.1908 Bruchsal † 03.12.1996 Jenkintown, PA, USA<br />

1938 Auswanderung nach Philadelphia zur Mutter Mina Stroh aus Bruchsal (seit 1936 USA)<br />

1 Kind:<br />

a) Evelyn Weil * 10.01.1939 Philadelphia † 18.03.1989 Wilmington, DE<br />

verh. Herbert Langerman * 23.07.1931, wohnhaft in Wilmington DE, USA, 2 Töchter<br />

3. Cilli „Liesa“ Weil * 23.11.1911 Öhringen † 11.1983 New York, USA<br />

1939 Auswanderung von Bruchsal aus, „ladies beltmaker“ in Lederfabrik New York (1960)<br />

verh. 20.10.1960 New York<br />

Salomon Schwab * 18.06.1888 Ditzingen † 09.1981 New York, USA<br />

Kaufmann, kam 1946 mit seiner ebenfalls ledigen Schwester Rosa von Europa nach New York<br />

kinderlos<br />

Brief: GLA KA 480 Nr. 22649;<br />

Anzeige: AUFBAU vom 12.04.1946<br />

V. li.: Julie Löb geb. Weil, Max Löb, Mathilde u. Sigmund<br />

Weil und Cilli Weil. Das Medaillon erreicht<br />

nach fast 80 Jahren wieder Bruchsal. F.: E. Leuchter<br />

14 15


Biografie von Friedrich Molitor (1907-1940)<br />

von Cihan Kati und Jan Bühn, Klasse 8s<br />

Geburtshaus von F. Molitor. Karlsruher Str. 16<br />

(früher Durlacher Str. 160). Foto: F. Jung<br />

Lina und Matthäus Molitor,<br />

Hochzeit 1904. Foto: F. Boppel<br />

Friedrich Molitor wurde am 03.08.1907 in der elterlichen<br />

Wohnung in der Durlacher Str. 160 in Bruchsal geboren (heute:<br />

Karlsruher Str. 16). Friedrichs Behinderungen waren sicher<br />

schon seit der Geburt erkennbar. Er wurde am 18.08.1907 in<br />

der Pauluskirche katholisch getauft.<br />

Seine Mutter Karoline Grundel (später Molitor) wurde am<br />

14.01.1878 in Bruchsal geboren. Ihr Vater Joseph Grundel<br />

starb bereits 1878 und die Mutter Elisabeth geb. Schwaninger<br />

1887. Ihre zwei älteren Schwestern waren in Freiburg und in<br />

Karlsruhe verheiratet, Karolina blieb in Bruchsal und arbeitete<br />

1904 als Näherin.<br />

Sein Vater hieß Matthäus Molitor, er wurde am 31.10.1878 in<br />

Bruchsal geboren als Sohn des Hilfsstationsmeisters Balthasar<br />

Molitor (1851-1929) und der Elisabeth Einsmann (1849-<br />

1925), wohnhaft in der Durlacher Str. 119. Matthäus Molitor<br />

soll als Gipsermeister 100 Angestellte in seinem Gipsergeschäft<br />

in der Durlacher Str. 160 beschäftigt haben. Man erzählt sich, dass seine Firma das<br />

neu gebaute Bruchsaler Krankenhaus verputzte, weil es sonst kein so großes Gipsergeschäft<br />

in Bruchsal gab. Als Matthäus Molitor auf der Jagd war, um Hasen zu schießen<br />

für seinen Stammtisch, schoss er sich selbst in den Fuß und wurde erst zwei Tage später<br />

aufgefunden. Er verweigerte seine Beinamputation. So starb er am 22.02.1909 im Alter<br />

von 31 Jahren.<br />

So stand die Mutter Karolina (genannt „Lina“) ohne Mann und mit drei Kindern alleine<br />

da: Elisabeth (geb. 18.01.1905), Franz (geb. 01.04.1906) und eben Friedrich. Dazu kam<br />

noch, dass sie schwanger war und am 26.05.1909 einen toten Jungen zur Welt brachte. Ihr<br />

blieb nichts anderes übrig, als das Haus und das Geschäft billig an ihren Schwager Heinrich<br />

Knoch abzugeben, welcher der Ehemann von<br />

Anna Molitor war. Mit diesem Paar hatten Matthäus<br />

und Karolina am 23.04.1904 eine Doppelhochzeit<br />

gefeiert. Praktischerweise zog sie dann in die Durlacher<br />

Str. 111, nahe ihrer Schwiegereltern. Vermutlich<br />

war die finanzielle Lage der Mutter nicht gerade gut,<br />

eventuell war sie überfordert, denn sie brachte ihren<br />

Sohn Friedrich 1911, im Alter von 4 Jahren, in die<br />

Kinderkrippe des Versorgungshauses Bruchsal. Widersprüchliche<br />

Angaben in der Krankenakte (Bundesarchiv<br />

Berlin) lassen nicht mehr feststellen, ob er<br />

Durlacher Str. 111 bis 115. (heute Nr. 71 bis 73).<br />

Im linken Haus wohnten Molitors um 1910/15. Foto: StA Bruchsal<br />

von dort aus am 05.11.1911 oder am 05.09.1915 in die St.-Josefs-<br />

Privat-Heil-und Pflege-Anstalt Herten kam. Im ärztlichen Zeugnis<br />

vom 14.08.1937 heißt es: „Dort wurden mit ihm Bildungsversuche<br />

unternommen, jedoch nur mit geringem Erfolg. Er ist<br />

nur in ganz geringem Maße für leichtere mechanische Arbeiten<br />

verwendbar und bedarf der ständigen Überwachung und Beaufsichtigung.“<br />

Die Kosten wurden vom städt. Fürsorgeamt Bruchsal<br />

übernommen, da die Mutter nicht das Geld dazu hatte.<br />

Nach ca. 25 Jahren dort wurde Friedrich Molitor am 25.11.1937<br />

auf Vermittlung der Stadt Bruchsal und aus unbekanntem Grund<br />

in der Kreispflegeanstalt Hub aufgenommen. Bekannt ist allerdings,<br />

wie er dorthin kam: Nach der Zugfahrt, die er zusammen<br />

mit einem Angestellten von Herten zurücklegte, wurden die<br />

beiden mit einem Wagen von der Station Ottersweier abgeholt. In seinem Besitz befanden<br />

sich nur einige wenige Kleidungsstücke, immerhin zwei Anzüge und 3 Paar Schuhe.<br />

Die Kreis-Pflegeanstalt Hub machte drei Einträge in seiner Akte: „10.12.1937: Molitor ist<br />

durchaus harmlos und hilft mit. 20.01.1938: Patient hat sich gut eingelebt. 26.01.1939: Molitor<br />

ist zu einer Mitarbeit unverwendbar.“<br />

Am 10.07.1940 wurde Friedrich Molitor aus der Kreis-Pflegeanstalt Hub nach Grafeneck<br />

deportiert und am selben Tag durch Gas ermordet (Aktion „T4“). Um die Ermordung von<br />

10000 Behinderten zu verschleiern, bekamen die Angehörigen falsche Todesnachweise:<br />

Friedrich Molitors Todesnachricht enthielt den falschen Todesort Hartheim/Österreich<br />

und das Datum 23.07.1940. Die Angehörigen wurden von den Standesämtern angewie-<br />

Auszug aus der Krankenakte der Anstalt Hub vom 25.11.1937. Foto: Bundesarchiv Berlin, R 179 Nr. 25515<br />

16 17


sen, am Heimatort einen Urnengrabplatz bereit zu halten,<br />

da ihr Angehöriger plötzlich verstorben sei. Mit dem Segen<br />

der katholischen Kirche (St. Paul) wurde seine Urne am<br />

15.08.1940 auf dem Bruchsaler Friedhof (Litera 80, Reihe 1,<br />

Grab 6) beigesetzt, an einem Hauptweg, vermutlich im Familiengrab.<br />

Der Kirchenbucheintrag von Pfarrer Weiskopf<br />

enthält den Zusatz: „vergast und verbrannt“. Ob Pfarrer<br />

Weiskopf hier Vermutungen anstellte oder „geheime Quellen“<br />

hatte? Ob er die Mutter, Lina Molitor, davon in Kenntnis<br />

setzte oder ob sie das trotz Täuschungsabsichten des<br />

Staats ahnte – oder gar wusste? Wir wissen nicht, wie sich<br />

die Mutter fühlte und wie sie darauf reagierte. Ob sie Friedrich<br />

seit seiner Unterbringung im Heim 1911 überhaupt<br />

jemals wiedersah? Ob sie ab und an wenigstens Nachricht<br />

über ihn erhielt?<br />

Elisabeth und Franz Molitor, um<br />

1920. Foto: Rolf Molitor<br />

Schicksalsschläge erlebte Lina Molitor viele in ihrem Leben: Arme Kindheit nach dem<br />

frühen Tod der Eltern (Halbwaise als Säugling, Vollwaise mit 9 Jahren), früher Tod des<br />

Mannes (sie war Witwe mit 31 Jahren, hatte drei Kinder und kaum Geld), Sorge um den<br />

behinderten Sohn Friedrich, Aufziehen ihrer beiden anderen Kinder Elisabeth und Franz<br />

als alleinerziehende Witwe (sie zogen zwischen 1914 und 1920 in die Salinenstr. 5), dann<br />

am 21.05.1931 der Tod der Tochter Elisabeth, die an der Lungenkrankheit Tuberkulose<br />

26-jährig starb. Elisabeth war von Beruf Näherin und hatte sich auf Ornamente von Altardecken<br />

und Priestergewändern spezialisiert.<br />

Ihr blieb nur der Sohn Franz (1906-1980), der Schreiner war und 1933 Anna Lang (1907-<br />

1977) aus Rinklingen heiratete. Das Paar hatte drei Söhne, Anton (1936-1987), Rolf (geb.<br />

1939) und Willi (1941-1941). Oma Lina zog kurzzeitig zur jungen Familie in die Büchenauer<br />

Str. 19, später fand sie eine kleine Wohnung in der Bismarckstr. 9. Der nächste Schicksalsschlag<br />

war, als Sohn Franz, Schreiner bei der Holzindustrie, 1941 einen Arbeitsunfall<br />

erlitt: Stämme lösten sich von einem Wagen und begruben ihn, er lag drei Tage in Heidelberg<br />

im Koma und war danach zeitlebens arbeitsunfähig und erhielt eine schmale Berufsunfähigkeitsrente.<br />

Lina Molitor starb am 24.10.1962 im für damalige Verhältnisse hohen<br />

Alter von 84 Jahren in einem Altersheim in Stutensee-Spöck.<br />

V. li.: Cihan und Jan bei der Zeitzeugenbefragung: Rolf, Christa Molitor und Enkel Jonathan Brütsch, F.: F. Jung<br />

Biografie von Friedrich Sem Bär (1889-1942)<br />

von Serhat Tapan, Klasse 8t<br />

Friedrich wurde am 25.02.1889 in Untergrombach<br />

geboren und ist der Sohn von Leopold und Therese<br />

Bär geb. Maier. Leopold Bär war in Untergrombach<br />

Handelsmann. Friedrich, genannt „Fritz“, hatte acht<br />

Geschwister und er war der Jüngste. Sein Vater starb,<br />

als er neun Jahre alt war und seine Mutter wenige Wochen<br />

nach seiner Hochzeit. Er hatte im 1. Weltkrieg<br />

mitgekämpft, wurde verwundet und erhielt das Eiserne<br />

Kreuz 1. Klasse. Bei seiner Hochzeit mit Franziska<br />

Rosenstein, die am 09.11.1919 stattfand, waren die<br />

Trauzeugen sein Bruder Hugo Bär, damals Kaufmann<br />

in Untergrombach, und Aron Bär, damals ein 65-jähriger<br />

Kaufmann in Bruchsal. Aron war ein Cousin von<br />

Fritz‘ Vater, und Arons Ehefrau Sofie geb. Rosenstein<br />

war eine Tante von Franziska, insofern hatten sich Fritz und Franziska wohl über diesen<br />

Onkel und diese Tante kennen gelernt. Friedrich übernahm 1919 die Firma von Aron Bär<br />

(Tabakwarengroßhandel) und kümmerte sich wohl auch um das alte, kinderlose Ehepaar,<br />

da Fritz als derjenige in den Standesbüchern eingetragen ist, der dem Standesamt den Tod<br />

von Aron und Sofie Bär anzeigte.<br />

Er wohnte 1920 bis 1928/30 in der Friedrichstr. 38, Bruchsal. Im Adressbuch von 1931/32<br />

steht, dass er in der Schwimmbadstr. 17 zusammen mit seiner Ehefrau und seiner einzigen<br />

Tochter Therese wohnte. An dieser Adresse wohnte die Familie bis 1940. Friedrich Sem<br />

Bär war Tabakgroßhändler und alleiniger Inhaber der Firma „A. Bär & Co. Rohtabake“<br />

von 1919 bis 1938, teilweise sind jedoch auch Aron Bär oder Adolf Moser als Mitinhaber<br />

genannt. Er handelte mit in- und ausländischen Tabaken<br />

sowie Rohtabaken. Die Firma hatte in den 1920ern<br />

ihren Sitz in der Bismarckstraße 4 und ab 1928/30 in<br />

der Friedrichstraße 16. Zur Firmenaufgabe gibt es<br />

unterschiedliche Angaben: Nach einer Liste des badischen<br />

Innenministeriums war dies zum 01.01.1938, im<br />

Handelsregister beim Amtsgericht Bruchsal ist sie bis<br />

zum 13.07.1939 notiert. In den Wiedergutmachungsakten<br />

wird erwähnt, dass sie durch einen Herrn Sinn<br />

im November 1938 arisiert wurde. In der Weimarer<br />

Zeit scheint es sich um ein florierendes Unternehmen<br />

mit guten Umsätzen gehandelt zu haben, außerdem<br />

Schwimmbadstr. 17. Foto: E. Habermann<br />

18 19<br />

Grabstein der Eltern von Fritz Bär, Jüdischer<br />

Friedhof Obergrombach. F.: E. Baer<br />

hatte Fritz eine Beteiligung am „Bankhaus Bär und<br />

Co.“ in Eppingen. Das Vermögen, das zum 31.01.1942


vom Finanzamt Bruchsal kassiert wurde,<br />

betrug bei Fritz Bär 16.960 RM. Es<br />

sind 63 Familien in der Bruchsaler Liste<br />

genannt, und nur vier Familien sind<br />

wohlhabender.<br />

Fritz Bär scheint ein gesellschaftlich<br />

rühriger Mann gewesen zu sein. In den<br />

1920ern war er aktives Mitglied im<br />

„Turnerbund 1907“. Er war Mitglied<br />

in der Ortsgruppe jüdischer Frontsoldaten,<br />

über eine Funktion dort ist aber<br />

Friedrich Sem Bär, um 1935 und um 1910. Fotos: S. Grosz<br />

nichts bekannt. 1933 soll er einen Untergrombacher,<br />

dem von Nazis eine Pracht Prügel drohte, einige Tage bei sich versteckt haben,<br />

weil er sich als Frontkämpfer des ersten Weltkriegs sicher fühlte. Er war bis 08.03.1939<br />

der Vorsitzende des Israelischen Landeswaisenvereins Baden, jedoch hält Fritz Bär eine<br />

Rede in der Vorstandsitzung und möchte den Vorsitz abgeben. Er war von 1938 bis 1940<br />

der Vorsteher der Israelitischen Gemeinde Bruchsals. Er fuhr in dieser Eigenschaft täglich<br />

nach Karlsruhe zum Israelitischen Oberrat. Am 11.11.1938, zwei Tage nach der Reichspogromnacht,<br />

wurde er in Dachau inhaftiert und erst am 26.11.1938 wieder entlassen.<br />

Er wurde am 22.10.1940 nach Gurs deportiert. In Gurs wurde er gleich zu Beginn zum<br />

Vorsteher seines Ilots gewählt und durfte daher eine Stunde pro Woche seine Frau sehen.<br />

Er war vor allem zusammen mit seinem Bruder Hugo Bär, ab und zu dürfen sie 1941/42<br />

auch die Frauenabteilung länger besuchen, denn dort war auch Hugos Frau Rosa Bär geb.<br />

Heitlinger und auch die Schwester Friederike Oppenheimer geb. Bär. Sie scheinen gut<br />

zusammengehalten zu haben. Es<br />

gab auch Briefkontakt zur Tochter<br />

Resi nach London und anderen<br />

Verwandten. Im Februar 1942<br />

wird Fritz Bärs Ilot aufgelöst und<br />

er kommt in ein anderes, bis dahin<br />

war er Vorsteher „seines“ Ilots.<br />

Turnerriege des „Turnerbund 1907 Bruchsal“, in dem es viele jüdische<br />

Mitglieder gab, 1925. Fritz Bär (2. Reihe, 2. von links) war<br />

bestens ins Vereinsleben integriert. Foto: Stadtarchiv Bruchsal<br />

Am 06.08.1942 kam er ins Durchgangslager<br />

Drancy und dann<br />

am 10.08.1942 nach Ausschwitz.<br />

Wahrscheinlich wurde er sofort<br />

nach Ankunft ermordet. Seine<br />

Tochter Resi erfuhr erst 1945, dass<br />

die Eltern von Gurs nach Ausschwitz<br />

kamen.<br />

„Der Mensch denkt und Gott lenkt. Wohin wird er meine Schritte lenken? Nach USA, sonst wohin<br />

oder wieder zurück? Ich war es gewohnt bis zu einem gewissen Grad mein Schicksal selbst zu meistern<br />

u. hier bin ich seit einem Jahr zum Spielball zuerst böser Mächte und jetzt u. später hoffentlich<br />

besserer Kräfte geworden. Ich selbst bin gefesselt an Händen und Füßen, selbst der Geist ist lahm und<br />

ich vermag nicht und nichts zu denken. Unser ganzes Denken und Fühlen endigt in dem Gedanken<br />

baldigen und guten Friedens für die Menschheit und damit auch für uns. Ob dieser Wunsch wohl in<br />

den nächsten 6-8 Monaten in Erfüllung gehen wird?“<br />

Brief von Fritz Bär aus Gurs am 26.10.1941 an Tochter Resi, nachdem er vom Tod seines Bruders Max in den USA<br />

erfahren hat. Foto: Stephen Grosz<br />

Biografie von Franziska Bär geb. Rosenstein<br />

(1892-1942)<br />

von Evangelos Karakas, Klasse 8t<br />

Franziska Bär geb. Rosenstein wurde am 30.03.1892 in Oedheim geboren. Ihre Eltern waren<br />

Josef (1855-1908) und Sophie Rosenstein geb. Maier (1868-1942) und die Familie lebte<br />

seit Generationen dort. Um 1900 zog die Familie nach Weinsberg, Josef Rosenstein wurde<br />

dort als Viehhändler vermögend und besaß ein großes Haus. Nach dem Tod des Vaters<br />

zogen sie nach Heilbronn, wo Franziska auch 1919, zum Zeitpunkt ihrer Heirat mit Fritz<br />

Bär, noch lebte. Franziska, genannt „Franzel“, hatte sieben Geschwister: Lina (1888-1945),<br />

Helene (1890-1989, verh. Kahn), Mina (1893-1975, verh. Harsch), Ludwig (1896-1961),<br />

Max (1897-1938), Fritz (1900-1956) und Wilhelm (1905-1964). Die meisten Geschwister<br />

wanderten schon in den 1920ern in die USA aus. Nachdem sie heiratete, war sie Hausfrau<br />

und wohnte in der Schwimmbadstr.<br />

17 in einer gut ausgestatteten Vier-<br />

Zimmer-Wohnung. Kurz bevor sie am<br />

22.10.1940 deportiert wurde, zog sie in<br />

die Bismarckstr. 5 um, was wahrscheinlich<br />

mit dem Gesetz über die Mietverhältnisse<br />

mit Juden vom 30.4.1939 zusammenhing.<br />

In einem Antrag in der<br />

Von links: Helene, Franziska und Mina<br />

Rosenstein, um 1910. Foto: S. Grosz<br />

20 21


Wiedergutmachungsakte berichtete die Tochter Resi Bär, dass<br />

die Wohnung ihrer Eltern komplett demoliert wurde. Ihr Sofa<br />

z.B. wurde komplett zertreten und mit den Kissen wurde auf der<br />

Straße Fußball gespielt. Nachdem Franziska fast zwei Jahre in<br />

Gurs gelebt hatte, überstellte man sie am 06.08.1942 nach Drancy.<br />

Dann wurde sie am 10.08.1942 von Drancy nach Auschwitz<br />

deportiert, weshalb kein klares Todesdatum vorliegt.<br />

Franziska Bär, um 1935. Foto: S. Grosz<br />

Liebes, gutes Röslein! 5. Dez. 1940<br />

Kind kannst Du glauben, dass es Deiner Mutter schwer fällt an Dich zu schreiben, obgleich es mir<br />

größtes Bedürfnis ist? Unser ganzes Leben ist derart verwandelt, dass wir uns kaum mehr zurecht<br />

finden können. Nur eines von allem ist noch geblieben, die Liebe zu Dir und zu unserem Vaterle<br />

und sie ist unser ganzer Halt. Du weißt jetzt sicher von unserem traurigen Schicksal und ich will<br />

Dir nicht das Herz schwer machen und Dir Näheres erzählen. Die Hauptsache ist wir sind noch<br />

gesund und haben trotz allem den Willen es zu bleiben. Das Härteste ist, dass Vater und ich getrennt<br />

sind und wir uns sehr wenig sehen können, dabei sehen wir uns noch mehr als viele Andere,<br />

da Vater „chef de baraque“ ist und 1 mal in der Woche 1 Stunde Ausgang hat. Du siehst auch hier<br />

müht sich Vater für Andere und ist dadurch seelisch gottlob obenauf. Onkel Hugo ist bei ihm im<br />

Lager und es geht ihm gesundheitlich besser als zu erwarten war. Tante Frida und Tante Rosl sind<br />

im nächsten Ilot, aber wir sprechen uns öfters am Draht. Tante Frida war anfangs gar nicht wohl,<br />

aber sie hat sich gut erholt, trotz primitivster Ernährung und vielem Frieren während der kalten<br />

Nächte. Gute Menschen, vor allem Richards, haben uns mit dem Nötigsten Warmen versorgt, denn<br />

Du kannst Dir denken, wir hatten 1<br />

Stunde Zeit zum Packen, ehe wir alles<br />

im Stich lassen mussten. Es war<br />

unsagbar hart und ich war ganz<br />

fassungslos. Bevor wir die Wohnung<br />

verlassen mussten kam noch<br />

ein Brief und im Rausgehen nahm<br />

noch Dein letztes Bildchen von Dir<br />

von der Wand, sonst haben wir kein<br />

Bild und kein Erinnerungszeichen<br />

von unseren Lieben bei uns.<br />

Erster Brief aus Gurs von Franziska Bär an ihre Tochter am<br />

05.12.1940. Foto: Stephen Grosz<br />

Biografie von Therese „Resi“ Bär (1921-2015)<br />

von Evangelos Karakas, Klasse 8t<br />

Therese Bär wurde am 14.12.1921 in Karlsruhe geboren, sie war das einzige Kind von<br />

Franziska und Fritz Bär. Ab dem 12.04.1932 besuchte sie die Sexta an der Mädchenrealschule<br />

Bruchsal, welche eine Vorgängerschule des Justus-Knecht-Gymansiums ist. Am<br />

03.11.1936 verließ sie die Schule aufgrund von Rassismus. Nach Auskunft des späteren<br />

Direktor Schwab war sie eine gute bis durchschnittliche Schülerin. Eine Freundin ihrer<br />

Mutter, Mina Moser geb. Odenheimer, meinte, dass die Eltern wollten, dass Therese stu-<br />

diert, da sie sehr sprachbegabt war und sich für die Weltgeschichte<br />

interessierte. Außerdem besuchte Thereses frühere<br />

Lehrerin, Frau Erika Gauckler, sie im Jahr 1956 in London<br />

und bestätigte dies. Am 10.11.1936 oder ein paar Tage davor<br />

verließ Resi Bruchsal und kam in England bei einer Familie<br />

namens Kahn in Bournemouth unter. Fritz Bär hatte in<br />

der Zeitung von einer Privatschule in England erfahren, die<br />

noch Schülerinnen suchte. Der erhaltene Briefwechsel zeigt,<br />

wie schwer es den Eltern fiel, ihr geliebtes, einziges Kind in<br />

die Fremde ziehen zu lassen. In den Sommerferien kam sie<br />

immer nach Hause, weil sie Heimweh hatte. 1938 verbot ihr<br />

Vater ihre Besuche aufgrund des Novemberpogroms. 1938<br />

erhielt sie dann das Schulzertifikat B der Universität Oxford.<br />

Walter Bär (Cousin) und Resi<br />

Bär, März 1928. Foto: E. Baer<br />

Darauf machte sie einen Einjahreskurs zur Krankenschwester, ihr Diplom bekam sie im<br />

Februar 1940. Ihr erlernter Beruf war Kindergärtnerin an dem „Hants and Dorset Nursery<br />

Training College“. In ihrem Abschlusszeugnis stand, dass sie immer sehr freundlich zu<br />

Kindern war. Vor der Geburt ihrer Kinder und nach 1961 arbeitete sie als Buchhändlerin.<br />

1944 heiratete sie den Ingenieur Emile Grosz in London. 1948 nahm sie die englische<br />

Staatsangehörigkeit an. Sie hatte zwei Söhne, Peter (1949-2009) und Stephen (geb. 1953),<br />

der heute mit seiner Familie in London lebt. In den 1950ern war Emile Grosz Ingenieur<br />

und Direktor der Creighton & Partners, Ltd. London. Die Gesellschaft bezeichnete sich<br />

als „Consulting Engineers and Maschine Designers“. Die Familie konnte sich schon bald<br />

ein Eigenheim leisten. Nach dem frühen Tod von Emile 1961 nahm sie in ihrem Haus in<br />

Golders Green auch Übernachtungsgäste auf. Theater und Oper besuchte sie sehr gerne.<br />

1950 gab Resi einen Entschädigungszahlungsantrag in Deutschland ab, in dem sie schrieb:<br />

„Bezahlen lässt sich ja der Verlust meiner Eltern und die aus der Tragödie meines jungen<br />

Schicksals erwachsenen seelischen Erschütterungen niemals.“ Trotzdem blieb Resi Grosz<br />

ihrer Heimatstadt Bruchsal zeitlebens treu, wie die Bilderfolge am Schlossgartenteich eindrucksvoll<br />

zeigt. Selbst ihren 80. Geburtstag wollte sie in Bruchsal feiern. Am 09.01.2015<br />

starb Therese mit 93 Jahren in Brighton, GB.<br />

Resi Grosz geb. Bär am Brunnen im Bruchsaler Schlossgarten: 1926, 1949, 1986, 2002. Fotos: Stephen Grosz<br />

22 23


Familie Leopold und Theresia Bär (Eltern von Friedrich Sem Bär)<br />

Leopold Bär<br />

* 26.01.1846 Untergrombach † 29.05.1898 Untergrombach<br />

(Sohn von Samuel Bär (1805-vor 1862), Handelsmann in Untergrombach, und Johanna Metzger<br />

(1816-1881) aus Eichtersheim, 4 Kinder) Handelsmann in Untergrombach<br />

verh. 16.11.1869 Karlsruhe<br />

Theresia Maier * 26.05.1847 Baiertal † 12.11.1919 Untergrombach<br />

(Tochter von Simon Maier, Handelsmann aus Baiertal und 1869 in Heidelberg wohnhaft, und<br />

Cäcilia Bär (1823-1896) aus Untergrombach)<br />

9 Kinder:<br />

1. Sofie Bär * 22.04.1870 Untergrombach † 02.08.1870 Untergrombach<br />

2. Samuel Bär * 18.08.1871 Untergrombach † 18.09.1871 Untergrombach<br />

3. Max Bär (Baer) * 01.03.1873 Untergrombach † 21.08.1941 Placerville, CA, USA<br />

1890 Auswanderung nach USA; in Placerville Gemeinderat, Vorsitzender der Handelskammer<br />

verh. 07.10.1911<br />

Edith Bennett * 05.10.1884 Placerville, CA † 20.01.1967 Placerville, CA, USA<br />

2 Kinder:<br />

a) Maxine Baer * 20.09.1912 El Dorado, CA † 07.03.2002 USA<br />

verh. Thomas Chard * 20.03.1895 Minnesota, USA † 23.05.1961 Placerville, 1 Kind<br />

b) Helen Baer * 20.10.1916 Placerville, CA † 30.12.2008 Sacramento, CA<br />

verh. 1946 Howard Fuller * 1915 Sacramento? † 21.01.2014 Sacram., 2 Kinder<br />

4. Auguste Bär * 16.03.1875 Untergrombach † 04.07.1875 Untergrombach<br />

5. Friederike „Frieda“ Bär * 21.01.1877 Untergrombach † 1942/45 KZ Auschwitz<br />

wohnhaft in Untergrombach, 22.10.1940 Deportation nach Gurs, 12.08.42 Drancy/Auschwitz<br />

verh. 29.04.1900 Heidelberg<br />

Gustav Oppenheimer * 10.09.1869 Neidenstein † 13.07.1933 Untergrombach<br />

Kaufmann (Glasereibedarf) in Untergrombach, 1933 wohnhaft Weingartener Str. 21, Untergr.<br />

4 Kinder:<br />

a) Jenny Oppenheimer * 26.03.1901 Untergrombach † 02.10.1987 Palm Beach, FL, USA<br />

emigr. 1945 von England nach New York zur Schw. Gertrud, lebte 1965 in NY, 1977 Florida<br />

vh. 1933 Paul Pinkus * 22.10.1892 Kattowitz † 1941 London, Kaufm. in Berlin<br />

vh. 1945/52 Fred Kann * 18.03.1893? NY?<br />

† 18.11.1977 Palm B., Kfm. in NY<br />

b) Leopold Oppenheimer * 21.05.1902 Untergrombach † 07.08.1984 Palm B., FL<br />

führte Geschäft der Eltern in Ugb. weiter, emigr. 1938 in USA, 1940/1968 Kfm. in NY<br />

verh. 1938/40 Emmy Seligmann * 09.07.1913 Coerrenzig † 06.05.2008 Palm Beach, FL<br />

c) Gertrud „Trude“ Oppenh. * 12.01.1905 Untergromb. † 05.1970 New York, USA<br />

verh. Sigmund Brasch * 1905/06 Berlin † nach 1940<br />

Elektriker in Berlin, emigr. zusammen mit seiner Frau Feb. 1940 über Triest nach NY<br />

d) Ernst Oppenheimer * 30.06.1908 Untergrombach † 18.10.1978 Placerville, CA, USA<br />

Kaufmann, wanderte 1938 von Untergr. in USA aus, lebte 1941 und 1967 in Placerville<br />

24<br />

6. Emilie Bär * 12.06.1879 Untergrombach † 08.07.1964 Buenos Aires, ARG<br />

1938 Umzug von Leutershausen nach Untergrombach, 1939 Auswanderung nach Argentinien<br />

verh. 10.07.1905 Untergrombach<br />

Max Meir Haarburger * 11.08.1869 Leutershausen † 14.08.1937 Wiesloch<br />

2 Kinder:<br />

a) Leo Haarburger * 17.07.1908 Hirschberg † 14.02.1986 Buenos Aires, ARG<br />

verh. 1935 Ruth Blum * 01.09.1909 Pforzheim † 26.11.2008 Buenos Aires, ARG<br />

1936 Auswanderung der Familie über die Schweiz nach Buenos Aires, Argentinien, 1 Tochter<br />

b) Richard „Reuven“ Haarb. * 16.12.1909 Leutershausen † 24.03.1983 Holon, ISR<br />

vh. Hela Swiatlowski * 16.03.1909 Lodz, Polen † 07.04.1999 Holon, ISR, 1 Tochter<br />

7. Simon Bär * 04.08.1881 Untergrombach † 20.08.1881 Untergrombach<br />

8. Hugo Bär * 13.05.1885 Untergrombach † 1942/45 KZ Auschwitz<br />

Kaufmann in Karlsruhe; 22.10.1940 Deportation nach Gurs, 10.08.1942 Drancy/ Auschwitz<br />

verh. Rosa Heitlinger * 22.10.1890 Zabreh, Mähren † 1942/45 KZ Auschwitz<br />

22.10.1940 Deportation nach Gurs, 10.08.1942 Drancy/Auschwitz<br />

1 Kind:<br />

a) Walter Leopold Bär * 17.09.1924 Karlsruhe † 17.08.2002 Valencia, ESP, 2 Kin.<br />

überlebte bis 1945 versteckt in NL, lebte 1956/1967 in Naarden/Holland, seit 1982 Spanien<br />

verh. Suze Cahn * 23.02.1923 Köln † 12.12.2016 Amsterdam, NL<br />

9. Friedrich Sem Bär * 25.02.1889 Untergrombach † 1942/45 KZ Auschwitz<br />

Tabakhändler in Bruchsal, 22.10.1940 Deportation nach Gurs, 10.08.1942 Drancy/Auschwitz<br />

verh. 09.09.1919 Bruchsal<br />

Franziska Rosenstein * 30.03.1892 Oedheim † 1942/45 KZ Auschwitz<br />

(Tochter von Josef Rosenstein (1855-1908), Handelsmann in Weinsberg u. Sofie Maier (1868-1942))<br />

wohnt vor 1919 in Heilbronn, 22.10.1940 Deportation nach Gurs, 10.08.1942 Drancy/Auschwitz<br />

1 Kind:<br />

a) Therese „Resi“ Bär * 14.12.1921 Karlsruhe † 09.01.2015 Brighton, GB<br />

Auswanderung 1936 nach England, Kinderkrankenschwester, in London wohnhaft, 2 Kinder<br />

verh. 1944 Emile Grosz * 17.10.1914 Ungarn † 14.02.1961 London, GB, Ing.<br />

Hinten, v. li.: Friederike Oppenheimer, Fritz Bär, Franziska Bär, Leopold Oppenheimer (?); vorne, v. li.: Emilie<br />

Haarburger, Rosa Bär, Resi Bär, Hugo Bär, Walter Bär, 1937. Foto: E. Baer. Kl. Bild: Max Bär. F.: A. Calzareth.<br />

25


Biografie von Simon Marx (1876-1938)<br />

von Mathias Böckle, Klasse 8s<br />

Firmenschild vom Vater des Simon Marx.<br />

Foto: <strong>Stolpersteine</strong> Wiesloch-Baiertal, 2013.<br />

Simon Marx wurde am 13. März 1876 in Baiertal<br />

geboren als Sohn von Bernhard Marx, der in Baiertal<br />

eine Mehlhandlung betrieb, und Elise geb. Haber.<br />

Simon hatte zwei Schwestern, Johanna Marx<br />

(* 29.01.1878 Baiertal † 24.02.1962 Cincinnati)<br />

und Betti Marx (* 13.05.1883 Baiertal † 1942<br />

Auschwitz). Das Wohnhaus war in der Hauptstraße<br />

39, heute Schatthäuser Str. 18, dort betrieben<br />

die beiden unverheirateten Schwestern die elterliche<br />

Mehlhandlung weiter und versorgten auch die alternde Mutter. Familie Marx war<br />

alteingesessen in Baiertal und die meisten Baiertaler Juden waren verwandt, da der Urgroßvater<br />

Marx einst fünf Häuser in derselben Straße für seine fünf Söhne bauen ließ.<br />

Da der Großvater Simon Marx hieß, wurde das Haus und auch die Familie „Schimmes“<br />

genannt und die Schwestern dementsprechend „Schimmes Johanna“ oder „Schimmes<br />

Betti“, oder auch „Schimmese“. Es wird erzählt, dass eine Hausfrau, falls sie kein Geld<br />

mehr hatte, zu „Schimmese“ ging, wo sie ihr Mehl ohne Bezahlung bekam und dann<br />

zahlte, wenn es später möglich war. Beide Schwestern wurden 1940 nach Gurs deportiert,<br />

wo sie auf ihre Schwägerin Rosa Marx aus Bruchsal trafen.<br />

Simon erlernte das Bäckerhandwerk und übernahm – mit finanzieller Unterstützung<br />

seines Vaters – 1906 in der Bismarckstraße 10 die Bäckerei von Bäckermeister Otto Emil<br />

Hanser. 1907 heiratete er Rosalie Mayer aus Leimersheim. Simon Marx und Rosalie<br />

Marx geb. Mayer, betrieben über 30 Jahre eine Brot- und Feinbäckerei in der Bismarckstraße<br />

10 in Bruchsal. Dort waren sie auch wohnhaft und zogen ihre beiden Töchter auf.<br />

Die Bäckerei wurde von Tochter Betty später als „lukratives Unternehmen“ bezeichnet<br />

und war von 31.10.1929 bis 23.9.1935 in der Handwerksrolle der Handwerkskammer<br />

Karlsruhe eingetragen. Im 1. Weltkrieg war Simon Marx, der nur 1,58 m groß war, ab<br />

1914 Soldat.<br />

Ab 1933 versuchten die Nationalsozialisten,<br />

Marx aus dem Beruf<br />

zu verdrängen. Am 09.07.1934<br />

wurde er wegen Vergehen gegen<br />

das Arbeitszeitgesetz vom Amtsgericht<br />

Bruchsal zu einer Strafe<br />

von 5 RM (!) verurteilt. Der Bäckereibetrieb<br />

wurde dann am<br />

21.09.1935 wegen angeblicher<br />

Handschriftlicher Lebenslauf aus der Häftlingsakte von Simon<br />

Marx, Sept. 1935. Foto: GLA Karlsruhe, 521 Nr. 8422<br />

Lehrlingsmisshandlung und Unreinlichkeit<br />

geschlossen (siehe<br />

Artikel aus dem „Führer“).<br />

Am 23.09.1935<br />

wurde Marx der Handel<br />

mit Lebensmitteln<br />

untersagt. Marx hatte<br />

zu diesem Zeitpunkt<br />

einen Gesellen und<br />

einen Lehrling in der<br />

Backstube beschäftigt.<br />

Simon Marx wurde direkt<br />

am 21.09.1935 in Haft genommen und am 25.09.1935 als „jüdischer Volksschädling“<br />

ins Konzentrationslager Kislau eingeliefert. Dort wurde er am 25.10.1935 vorläufig<br />

wieder entlassen. Nach einem weiteren Artikel im „Führer“ wurde sein Fall im März<br />

1936 in Karlsruhe verhandelt, Marx wurde mit vier Monaten Gefängnis und fünf Jahren<br />

Berufsverbot belegt.<br />

Den Töchtern Betty Marx und Trude Frank zufolge hat ihr Vater den Betrieb noch bis<br />

zum Sommer 1937 weitergeführt. Daraus schließt man während des Wiedergutmachungsprozesses<br />

in den 1960ern, dass Simon Marx Beschwerde gegen den Beschluss<br />

eingelegt haben müsste, was jedoch eher als unwahrscheinlich gilt. Eine andere Version<br />

gab 1962 sein ehemaliger Lehrling und Geselle Heinrich Schnepf, dort beschäftigt<br />

1920 bis 1934, zu Protokoll. Marx‘ Fall sei 1935 in Karlsruhe verhandelt und Marx freigesprochen<br />

worden. Außerdem,<br />

dass der Lehrling, der ihn wegen<br />

Ohrfeigen anzeigte, ein Halbjude<br />

war, der später auswanderte. Anschließend<br />

sei Marx dann einige<br />

Wochen zu Hause gewesen und<br />

wurde wieder abgeholt.<br />

Im Sommer 1937 wurde Simon<br />

Marx aus rassischen Gründen und<br />

unwahrer Denunzierung abermals<br />

verhaftet und ins Arbeitslager<br />

Kislau geschafft. In der Zeit vom<br />

24.06.1938 bis zu seiner Überstellung<br />

in das Konzentrationslager<br />

Dachau am 11.07.1938 war er<br />

in polizeilichem Gewahrsam im<br />

Gefängnis in Bruchsal. Drei Tage<br />

später, am 14. Juli 1938, wurde er<br />

angeblich auf dem SS-Schießplatz<br />

Prittelbach bei Dachau exekutiert.<br />

26 27<br />

Erkennungsdienstliche Aufnahmen von Simon Marx, 25.09.1935. Foto: GLA<br />

Karlsruhe, 521 Nr. 8422<br />

Artikel im „Führer“, 25.09.1935. Man beachte den gehässigen Ton<br />

dieser unbewiesenen Vorverurteilung. Foto: GLA KA, 521 Nr. 8422


Biografie von Rosalie Marx geb. Mayer (1878 – 1942)<br />

von Julian Dominicus, Klasse 8s<br />

Rosalie, genannt „Rosa“ Marx, wurde am 16.08.1878 in Leimersheim in der Pfalz als Rosa<br />

Mayer geboren. Die Familie galt in Leimersheim als angesehen. Über Rosalies Kindheit<br />

und Jugend ist nichts bekannt, nur, dass sie vier Geschwister hatte. Am 18.02.1907 heiratete<br />

sie in Leimersheim den Bäcker Simon Marx. Woher die beiden sich kannten ist<br />

unbekannt, aber Ehen wurden in dieser Zeit meist arrangiert. Der Leimersheimer Aron<br />

Mayer, ein Cousin von Rosalies Vater, war mit Sophia Marx aus Baiertal verheiratet. Diese<br />

war wiederum eine Cousine von Simon Marx‘ Vater, daher könnten sie sich so kennengelernt<br />

haben. Mit Simon Marx hatte Rosalie drei Töchter: Betty, Trude und Johanna,<br />

die aber aus nicht bekannten Gründen im Alter von nicht einmal einem Jahr starb.<br />

Die Familie wohnte in Bruchsal in der Bismarckstraße 10. An derselben Adresse betrieben<br />

die Eheleute Marx über 30 Jahre eine Brot- und Feinbäckerei. Laut der Wiedergutmachungsakte<br />

hatte Rosalie Marx zwar keinen erlernten Beruf und es wurde als<br />

Beruf Hausfrau angegeben, sie arbeitete aber wohl in der Bäckerei ihres Mannes mit. Im<br />

Sommer 1935 bzw. 1937 aber wurde die Bäckerei durch Polizeimaßnahmen geschlossen,<br />

Simon Marx kam ins Arbeitslager Kislau.<br />

Für Rosalie Marx folgten mehrere Umzüge: Zwischen September 1937 und Juli 1938<br />

zog sie zuerst in die Prinz-Wilhelm-Straße 9, dann, wahrscheinlich im 1. Halbjahr<br />

1939, in die Friedrichstraße 76. Etwa seit Oktober 1939 wohnte sie zusammen mit ihrer<br />

Schwester Charlotte Lina Mayer in der Huttenstraße 2. Am 22.10.1940 wurde Rosalie<br />

Marx deportiert, Möbel und Haushaltsgegenstände<br />

durch die Gestapo Württemberg-Baden beschlagnahmt.<br />

Zunächst war sie vom 25.10.1940 bis zum<br />

20.02.1941 im Internierungslager Gurs, dann vom<br />

21.02.1941 bis 08.08.1942 im Konzentrationslager<br />

Noé (Frankreich). Dort richtete sie zusammen mit<br />

ihrer Schwester Lina Mayer eine Bitte an die Lagerverwaltung,<br />

ihre Schwägerin Bertha-Betty Mayer<br />

(Witwe des Bruders Samuel Mayer), deren Tochter<br />

Sophie sowie die Schwägerinnen Betti und Johanna<br />

Werbeanzeige aus einer Festschrift von 1926 sowie Haus der<br />

Familie Mayer und der Eisenhandlung „J. Mayer & Sohn“<br />

in Leimersheim, 1980. Fotos: Helmut Sittinger<br />

28<br />

Marx (Schwestern des Simon<br />

Marx) und Babette Marx, eine<br />

Cousine, auch nach Noé zu verlegen.<br />

Das wurde genehmigt,<br />

alle kamen am 24.03.1942 nach<br />

Noé. Am 08.08.1942 wurde Rosalie<br />

mit fünf der genannten<br />

Frauen in das Konzentrationslager<br />

Recebedou (Frankreich)<br />

gebracht, nur die Schwägerinnen<br />

Bertha-Betty Mayer und<br />

Johanna Marx nicht - eventuell<br />

waren sie zu krank. Bertha-Betty<br />

wurde am 30.05.1944 doch<br />

noch nach Auschwitz gebracht,<br />

Häuserzeile der Bismarckstraße, das Eckhaus ist Nr. 12.<br />

Im Haus rechts daneben war die Bäckerei Marx, 1931.<br />

Foto: E. Habermann. Hochwasser. 1981. S. 45<br />

Johanna überlebte im Lager Montauban und ging 1947 in die USA zu den Nichten. Rosalie<br />

Marx kam danach kurzzeitig ins Sammellager Drancy (Frankreich) und am 14.8.1942<br />

wurde sie ins Vernichtungslager Auschwitz gebracht. Bekannt ist, dass Frauen im Alter<br />

über 35 oder 40 Jahre kurz nach ihrer Ankunft in Auschwitz in den Gaskammern umgebracht<br />

wurden. Rosalie Marx war zu diesem Zeitpunkt 64 Jahre alt.<br />

Biografie von Betty „Liesel“ Marx (1907 - 1989)<br />

von Julian Dominicus, Klasse 8s<br />

Betty „Liesel“ Marx wurde am 15.12.1907 in Bruchsal geboren. Die Eltern waren der Bäcker<br />

Simon Marx und die Hausfrau Rosalie „Rosa“ Marx. Betty wuchs mit ihrer Schwester<br />

Trude auf und besuchte die Höhere Töchterschule und ein Jahr die Höhere Handelsschule.<br />

Dann war sie auf der Haushaltungsschule in Karlsruhe. Sie erlernte den Beruf der<br />

Verkäuferin, machte eine Ausbildung in Konditorei und Feinbäckerei. So arbeitete sie im<br />

elterlichen Geschäft, hauptsächlich im Verkauf bis 1937 und bekam hierfür ein Gehalt<br />

von 250 Mark monatlich. Da die Bäckerei 1937 geschlossen wurde, war sie danach bei<br />

der Bruchsaler jüdischen Familie Walther Fuchs-Marx, dann bei der Familie Samuel<br />

Katzauer bis kurz vor ihrer Auswanderung als Hausangestellte tätig.<br />

Im August 1939 floh sie über die Niederlande nach Großbritannien, lebte dort zuletzt in<br />

London. Während ihrer Zeit in England arbeitete sie als Haushaltshilfe, unter anderem<br />

bei Anni Erle geb. Moser aus Bruchsal, also wohl eine Anstellung aus Barmherzigkeit.<br />

Am 13.08.1947 wanderte sie per Schiff von Southampton in die USA aus.<br />

In den USA begann sie am 15.10.1947 eine Arbeit als Nurseaid (Hilfs-Krankenschwester)<br />

im Jewish Hospital in Cincinnati, Ohio, mit einem Gehalt von 110 $ im Monat. In<br />

Cincinnati lebte sie auch bis zu ihrem Tod und blieb ledig und kinderlos. Am 07.09.1989<br />

starb sie im Jewish Hospital in Cincinnati im Alter von 81 Jahren.<br />

29


Biografie von Trude Marx (1909 - 1982)<br />

von Julian Dominicus, Klasse 8s<br />

Trude Frank wurde am 21.09.1909 in Bruchsal als Tochter von Simon und Rosalie Marx geboren.<br />

Sie absolvierte wie ihre Schwester zunächst die Höhere Mädchenschule und danach<br />

zwei Jahre die Handelsschule in Bruchsal, war dann über drei Jahre Lehrling bei der Süddeutschen<br />

Diskonto Gesellschaft in Bruchsal und blieb danach noch ein Jahr dort. Danach<br />

arbeitete sie als Buchhalterin bei der Tabakfabrik „Körner, Bürger & Co.“ in Bruchsal. Diese<br />

Stelle verlor sie 1937/38, als der Betrieb arisiert wurde. Mit ihrer Cousine mütterlicherseits,<br />

Ruth Mayer, wanderte sie am 01.12.1938 per Schiff von Hamburg in die USA aus. Ruth lebte<br />

bereits 1935 in Bruchsal bei Familie Marx und konnte von hier aus täglich ihre Arbeitsstelle<br />

in Karlsruhe, bei einer Bank, besser erreichen als von ihrem Heimatort Leimersheim aus.<br />

Man erzählt sich in Leimersheim, dass Ruth in Bruchsal sogar eine Liebschaft mit einem SA-<br />

Mann gehabt haben soll. Wie ihre Schwester Betty „Liesel“ Marx lebte Trude in Cincinnati,<br />

Ohio. Zunächst arbeitete sie von 1938 bis zu ihrer Eheschließung im August 1944 bei der<br />

Firma „Fashion Frocks“. Sie heiratete Berthold Frank, der 1998 starb. Nach der Eheschließung<br />

war sie Hausfrau. Woher sie sich kannten und seit wann, ist nicht bekannt, auch nicht,<br />

ob sie sich eventuell schon in Deutschland kannten. Die beiden hatten keine Kinder. Trude<br />

Frank starb am 01.07.1982 in Cincinnati. Über das Leben der beiden Schwestern in den USA<br />

ist nichts weiter bekannt. Nach Auskunft des Großcousins von Trude und Betty, Kurt Roberg,<br />

der auch in die USA auswanderte und die beiden in den 1950ern einige Male in Cincinnati<br />

besuchte, waren beide sehr hilfsbereite Menschen und kümmerten sich sehr – vor<br />

allem die unverheiratete Betty Marx – um ihre Tante Johanna, die Gurs überlebt hatte und<br />

1947 nach Cincinnati zu den beiden Nichten ausgewandert war. Auch blieb die ebenfalls<br />

kinderlose Cousine Ruth Mayer, dann verheiratete Spiegel, ebenfalls zeitlebens in Cincinnati<br />

und sicher in engem Kontakt mit Betty und Trude. Laut Kurt Roberg waren die Schwestern<br />

Besitzliste der Charlotte Mayer zum Zeitpunkt der Deportation, mit Unterschriften ihrer Neffen und Nichten:<br />

Betty Marx, Trude Frank, Ruth Spiegel, Wilhelm und Friedrich Mayer. Foto: GLA Karlsruhe, 480 Nr. 25183<br />

desillusioniert und die ganze Familie hatte nur bittere Erinnerungen an Deutschland. Auch<br />

wurden sie für die meisten Verluste ihres Vermögens nie entschädigt. Da der Wiedergutmachungsprozess<br />

voller bürokratischer Hindernisse und Verzögerungen war, wollten sie nie<br />

wieder in ein Land zurückkehren, das sie so schlecht behandelt hatte und den Tod so vieler<br />

naher Verwandter und Freunde verursacht hatte.<br />

Biografie von Charlotte „Lina“ Mayer (1880-1942)<br />

von Jonas Gerzen, Klasse 8u<br />

Charlotte, genannt „Lina“ Mayer wurde am 02.12.1880<br />

in Leimersheim geboren. Ihr Vater Moses Mayer führte<br />

ein gutgehendes Geschäft (Viehhandel und Eisenwaren)<br />

in Leimersheim, das er 1891 von seinem Vater übernommen<br />

hatte und bei seiner Schließung 1938 eine über<br />

100-jährige Familientradition hatte. Moses Mayer war in<br />

der Gemeinde wohl sehr anerkannt, da er von 1900 bis<br />

1909 Gemeinderat war und auch weitere Ämter inne hatte.<br />

Charlotte hatte vier Geschwister, mit denen sie in Leimersheim aufwuchs, darunter Rosalie<br />

verh. Marx (siehe oben). Sie erlernte keinen Beruf und blieb unverheiratet und kinderlos. Ihr<br />

Spitzname in Leimersheim war „Fules Lins“, Fules leitet sich dabei wohl von einem Namen<br />

ab. Es ist anzunehmen, dass sie zeitlebens bei ihrer Mutter, die 1931 starb, und dann bei<br />

der Familie ihres Bruders Samuel lebte. Samuel hatte das Geschäft seines Vaters übernommen,<br />

war außerdem Vorsteher der israelitischen Kulturgemeinde und im Ehrenausschuss<br />

des Krieger- und Militärvereins und konnte dank seiner Kutsche große Gewinne bei einem<br />

Ziegeleifabrikanten der Gegend machen. Die Familie und auch das Eisenwarengeschäft „J.<br />

Mayer und Sohn“ galten in Leimersheim als ehrenwert und wohlhabend. Nach Samuels<br />

Tod 1936 führte es dessen Witwe Bertha-Betty zusammen mit ihrer Tochter Sophie weiter.<br />

Nachdem die drei – Charlotte „Lina“, Bertha-Betty und Sophie Mayer – am 10.11.1938 aus<br />

Leimersheim nach Bruchsal ausgewiesen wurden, wohnten sie bei Linas Schwester Rosalie<br />

Marx. Eine Rückkehr in die Pfalz, selbst zum Verkauf des Geschäftshauses, wurde ihnen<br />

von den Behörden verweigert. In mehreren Schreiben baten die drei um die Überweisung<br />

der Pachtzinsen an die ledige und berufslose Lina, deren Äcker an mehrere Leimersheimer<br />

Bauern verpachtet waren. Ob bezahlt wurde, ist mehr als fraglich. Bertha-Betty und Sophia<br />

Mayer zogen bald weiter nach Karlsruhe, Charlotte „Lina“ und ihre Schwester Rosa Marx<br />

wohnten zunächst in der Friedrichstr. 76, direkt neben der Synagoge im Haus des Synagogendieners.<br />

Zuletzt wohnten sie in der Huttenstr. 2, bevor sie am 22.10.1940 durch die<br />

Gestapo nach Gurs deportiert wurden. Ihre gesamten Möbel und Haushaltsgeräte im Wert<br />

von 2043 RM (Reichsmark) wurden beschlagnahmt. 1941 wurde sie zusammen mit Rosa<br />

Marx von Gurs weiterverlegt nach Noe und dort interniert. 1942 kam sie kurzzeitig nach<br />

Recebedou und Drancy. Am 12.08.1942 wurde sie nach Auschwitz gebracht und dort sehr<br />

wahrscheinlich direkt nach der Ankunft ermordet.<br />

30 31<br />

Unterschriften unter einem Brief vom<br />

10.12.1938 an die NSDAP-Kreisleitung<br />

Speyer. F.: Gemeindearchiv Leimersheim


Familie Moses und Babette Mayer<br />

(Eltern von Rosa Marx und Charlotte Mayer)<br />

Moses Mayer<br />

* 01.10.1842 Leimersheim † 14.01.1912 Leimersheim<br />

(Sohn von Josef Mayer und Charlotte Veiss, Leimersheim)<br />

Handelsmann (Viehhandel und Eisenwaren) wohnhaft im Geschäftshaus Obere Hauptstraße 5,<br />

Leimersheim, übernahm 1891 Eisenwarenhandel „J. Mayer & Sohn“ von seinem Vater; war 1900-<br />

1909 Gemeinderatsmitglied in Leimersheim und ist 1907/09 auch als Weinkommissär genannt<br />

verh. 31.05.1876 Leimersheim<br />

Babette gen. Bertha Beissinger * 20.10.1852 Gondelsheim † 18.09.1931 Leimersheim<br />

(Tochter von Veitel Beissinger, Metzger in Gondelsheim, und Rebekka Münzesheimer)<br />

wohnhaft im Geschäftshaus Obere Hauptstraße 5, Leimersheim; 1912-1920 Besitzerin des Eisenwarenhande<br />

ls „J. Mayer & Sohn“<br />

5 Kinder:<br />

1. Samuel Mayer * 19.04.1877 Leimersheim † 08.08.1936 Leimersheim<br />

seit 1920 Inhaber der Eisenwarenhandlung „J. Mayer u. Sohn“ in Leimersheim, starb an Herzschlag<br />

aufgrund der politischen Verhältnisse<br />

verh. 17.02.1908 Leimersheim<br />

Bertha gen. Betty Mayer * 11.01.1880 Leimersheim † 1944 KZ Auschwitz<br />

(Tochter von Aron Mayer (1843-1925), Leimersheim, Cousin von Moses Mayer, s. o., und<br />

Sophia Marx (1847-1906) aus Baiertal bei Wiesloch) übernahm zusammen mit ihrer Tochter<br />

Sophie das Haushalts- und Eisenwarengeschäft in Leimersheim, wurde Nov. 1938 ausgewiesen<br />

und wohnte 1938 kurzzeitig in Bruchsal, dann in Karlsruhe, 22.10.1940 Deportation nach<br />

Gurs, 30.05.1944 über Drancy nach Auschwitz<br />

3 Kinder:<br />

a) Sophie Mayer * 23.05.1910 Leimersheim † 1942/45 KZ Auschwitz<br />

kam zus. mit Mutter nach Bruchsal, dann Karlsruhe; 22.10.1940 Gurs, 12.08.1942 Auschwitz<br />

b) Elsa Ruth Mayer * 25.04.1912 Leimersheim † 03.02.1913 Leimersheim<br />

c) Ruth Judith Mayer * 21.06.1915 Karlsruhe † 29.06.2001 Warren, OH, USA<br />

emigrierte 1938 von Bruchsal aus mit Trude Marx (s.u.) in USA, lebte Cincinnati, OH, kinderlos<br />

vh. 1943 Josef E. Spiegel * 19.09.1906 Lindau † 28.03.2006 Warren, OH; Kaufm.<br />

2. Rosalie „Rosa“ Mayer * 16.08.1878 Leimersheim † 1942/45 KZ Auschwitz<br />

wohnte nach der Geschäftsschließung 1937/1938 in der Prinz-Wilhelm-Str. 9, Bruchsal und<br />

kurz vor der Deportation zusammen mit ihrer Schwester Charlotte Lina (s. u.) Huttenstr. 2,<br />

Bruchsal (Rabbinatsgebäude); 22.10.1940 Deportation nach Gurs, 14.08.1942 Auschwitz<br />

verh. 18.02.1907 Leimersheim<br />

Simon Marx * 13.03.1876 Baiertal † 14.07.1938 Dachau, erschossen<br />

(Sohn von Bernhard Marx (1846-1918), Mehlhändler in Baiertal, und Elise Haber (1845-1935))<br />

seit 1906 selbständiger Bäckermeister in Bruchsal, Bismarckstr. 10 (Wohn- und Geschäftshaus),<br />

1937 erzwungene Geschäftsaufgabe und Inhaftierung in Kislau, Dachau<br />

3 Kinder:<br />

a) Betty „Liesel“ Marx * 15.12.1907 Bruchsal † 07.09.1989 Cincinnati, OH, USA<br />

Verkäuferin im Geschäft des Vaters, emigrierte 1939 nach England, 1947 weiter in USA<br />

b) Trude Marx * 21.09.1909 Bruchsal † 01.07.1982 Cincinnati, OH, USA<br />

erlernter Beruf: Bankbeamtin/Buchhalterin; emigrierte 12.1938 in USA, lebte Cincinnati, OH<br />

vh. 1944 Berthold Frank * 30.03.1911 Sögel/Emsland † 29.05.1998 Cincinnati, kinderlos<br />

c) Johanna Marx * 11.11.1911 Bruchsal † 11.05.1912 Bruchsal<br />

3. Sigmund Mayer * 24.09.1879 Leimersheim † 29.10.1942 Los Angel., CA, USA<br />

Bankdirektor in Frankfurt/M.; 1939 nach London und 1940 in die USA emigriert, in L.A.<br />

verh. 17.06.1914 Karlsruhe<br />

Helena Hiller<br />

* 13.11.1887 Mussbach/Pf. † 09.09.1949 Alameda, CA, USA<br />

1939 nach London und 28.05.1940 zusammen mit Ehemann und Sohn Wilhelm in USA<br />

2 Kinder:<br />

a) Wilhelm „William“ Mayer * 21.12.1917 Hanau/M. † 17.03.1999 Mill Valley, CA<br />

emigrierte mit den Eltern in die USA, wohnte San Mateo, CA, verheiratet und kinderlos<br />

b) Friedrich „Frederick“ Mayer * 11.08.1921 Frankfurt/M. † 26.06.2006 Wien, Öst.<br />

emigrierte 1936 in USA, Studium in Kalifornien, 1944 Promotion, 1944-1966 als Prof. an Univ. in<br />

USA, 1968-2006 in Wien, Erziehungswissenschaftler, Kreativexperte, Autor<br />

unverheiratet und kinderlos<br />

4. Charlotte „Lina“ Mayer * 02.12.1880 Leimersheim † 1942/45 KZ Auschwitz<br />

wohnhaft in Leimersheim bei der Mutter bzw. Familie, ohne Beruf, am 10.11.1938 aus Leimersheim<br />

ausgewiesen, seither in Bruchsal bei der Schwester Rosa Marx, zuletzt Huttenstr. 2,<br />

Bruchsal; 22.10.1940 Deportation nach Gurs, 14.08.1942 Auschwitz<br />

unverheiratet und kinderlos<br />

5. Hugo Mayer * 24.01.1885 Leimersheim † 18.02.1956 San Francisco, USA<br />

Kaufmann, emigrierte ~1913 und kam 1923 über Mexiko in die USA, wohnte 1930 Beverly<br />

Hills, CA, USA und 1948/1956 in Oakland, CA, USA<br />

unverheiratet und kinderlos<br />

Prof. Dr. Friedrich<br />

„Frederick“ Mayer<br />

siehe auch: https://de.wikipedia.org/<br />

wiki/Frederick_Mayer<br />

Von links: Sophie und<br />

Ruth Mayer, um 1920<br />

in Leimersheim.<br />

Foto: Franz Pfadt<br />

32 33


Preis für Erinnerungsarbeit<br />

Die Obermayer German Jewish History Awards werden jedes Jahr von der Obermayer-Stiftung<br />

aus den USA im Berliner Abgeordnetenhaus verliehen. Mit dieser Auszeichnung<br />

werden deutsche Bürgerinnen und Bürger geehrt, die auf freiwilliger Basis<br />

in ihren Heimatorten einen herausragenden Beitrag zur Wahrung des Gedenkens<br />

an die jüdische Vergangenheit leisten. In diesem Jahr wurde dem Bruchsaler Rolf<br />

Schmitt diese Ehrung zuteil. Mit dem Preisträger sprach der frühere SWR-Reporter<br />

und Buchautor Rainer Kaufmann.<br />

Rolf, Du bist einer der fünf diesjährigen Preisträger des Obermayer German Jewish History<br />

Award. Wie sind Deine Empfindungen?<br />

Ich freue mich sehr darüber, dass frühere jüdische Mitbürger und deren Nachfahren mich<br />

dieses Preises als würdig empfanden. Unter anderen haben mich Leo Rosenberg vorgeschlagen,<br />

der 1940 aus Bruchsal nach Gurs deportiert wurde, die Enkelkinder von Otto<br />

Oppenheimer, also Hanne Ansell, Walter Bernkopf und der „Monuments Man“ Harry<br />

Ettlinger oder Ludwig Marums Enkeltochter, Dominique Avery.<br />

Wie kamst Du darauf, Dich mit der Geschichte der Bruchsaler jüdischen Mitbürger zu beschäftigen,<br />

was waren Deine Beweggründe?<br />

An meinem Interesse bist Du nicht unschuldig. Nach der Uraufführung von Dirk Weilers<br />

Film „Ein grauenhafter Tag liegt hinter uns“ zur Zerstörung Bruchsals am 1. März<br />

1945 saßen wir in großer Runde zusammen und Du stelltest die rhetorische Frage: „Im<br />

Abspann des Filmes wurden 1.000 getötete Bruchsaler genannt – warum waren hier keine<br />

jüdischen Mitbürger dabei? Wo waren die an diesem grauenhaften Tag?“ Diese Frage<br />

war für mich die Initialzündung, mich mit dem Thema Juden in Bruchsal zu beschäftigen.<br />

Ich stellte fest, dass der Dichter der heute noch gesungenen Lokalhymne „De Brusler<br />

Dorscht“ Jude war und 1939 aus seiner Heimat fliehen musste, um nicht ermordet zu<br />

werden. Es war Otto Oppenheimer, ein begeisterter Fastnachter. So entstand meine Idee,<br />

einen innerstädtischen Platz nach Oppenheimer zu benennen. Nach einigen Querelen<br />

wurde im Mai 2011 der Holzmarkt umbenannt. Das „Sahnehäubchen“ dabei: Der heutige<br />

Otto-Oppenheimer-Platz hieß zu Nazi-Zeiten Adolf-Hitler-Platz.<br />

Was meinst Du mit Querelen?<br />

Ich will mal so sagen. Offene Türen habe ich keine eingerannt. Die Haltung von Verwaltung<br />

oder Institutionen war je nachdem ablehnend oder bestenfalls nur unschlüssig.<br />

Großen Rückhalt und Unterstützung erfuhr ich bei allen Initiativen von vielen Bruchsalerinnen<br />

und Bruchsalern. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle, ohne die vieles<br />

nicht möglich gewesen wäre. Den Preis nahm ich auch für diese Freunde, Helfer und<br />

Unterstützer entgegen.<br />

Ebenfalls recht groß war der Widerstand gegen <strong>Stolpersteine</strong>, die an die Bruchsaler Holocaust-Opfer<br />

erinnern. Die Ablehnung wurde unter anderem damit begründet, es sei doch<br />

ein übergeordnetes<br />

Mahnmal geplant<br />

- das allerdings bis<br />

heute nicht realisiert<br />

wurde - oder<br />

mit leeren städtischen<br />

Kassen.<br />

Angeblich würde<br />

das Verlegen von<br />

<strong>Stolpersteine</strong>n ca.<br />

120.000 Euro kosten.<br />

Das war und<br />

ist natürlich totaler<br />

Quatsch.<br />

Von links: Michael Simonson (Leo-Baeck-Institut New York), Sabine Schott (Schwägerin),<br />

Ursula Schott (Ehefrau), Rolf Schmitt, Alessandro Liardo (Neffe) und dessen<br />

Freundin Louisa im Berliner Abgeordnetenhaus. Foto: Anke Kalkbrenner<br />

Mittlerweile hat sich aber einiges bewegt. Du nanntest schon den Otto-Oppenheimer-Platz<br />

und die <strong>Stolpersteine</strong>. Welche weiteren Aktivitäten hast Du trotz des – nennen wir es einmal<br />

hinhaltenden - Widerstandes noch ergriffen?<br />

Bei meinen ersten Recherchen im New Yorker Leo-Baeck-Institut grub ich das von Paul<br />

Schrag geschriebene Theaterstück „Die Geschichte vom Herrn Rat“ aus. Die familiären<br />

Wurzeln der Schrags sind in Obergrombach, heute noch ist die frühere Bruchsaler Malzfabrik<br />

Schrag ein Begriff. Die Badische Landesbühne griff dankenswerterweise meine<br />

Idee auf, dieses Theaterstück, das das Schicksal von Schrags Verwandten im Holocaust<br />

schildert, aufzuführen. Zur Premiere waren einige Nachfahren der Schrag-Familie in<br />

Bruchsal.<br />

Nicht geplant war die Herausgabe eines Buches zu Otto Oppenheimer. Doch die Fülle des<br />

zwischenzeitlich vorliegenden Materials machte es sinnvoll, mehr als nur die zunächst<br />

geplante 16-seitige Broschüre herauszugeben. Letztendlich entstand auf über 300 Seiten<br />

eine spannende Chronik der Familie Oppenheimer. Von den Anfängen der Michelfelder<br />

Tuchfabrik über den Bruchsaler Tuchgroßhandel der Oppenheimers bis zu dem „Monuments<br />

Man“ Harry Ettlinger in New Jersey.<br />

Du hast auch die Ehrentafel für Ludwig Marum initiiert. Wie kam es dazu?<br />

Die Ehrentafel für Ludwig Marum ist einem zufälligen Zusammentreffen zu verdanken.<br />

Wobei, es gibt keine Zufälle. Schiller schrieb mal: „Den Zufall gibt die Vorsehung – zum<br />

Zwecke muss ihn der Mensch gestalten“. Im Oktober 2013 besuchte ich eine Veranstaltung<br />

im Ratskeller. Ich setzte mich neben eine Dame, mit der ich ins Gespräch kam. So erfuhr<br />

ich, dass sie aus den USA war, das ich zwei Jahre zuvor besuchte. Sie fragte mich, wo ich<br />

überall war. Als ich erwähnte, dass ich in der Kleinstadt Simsbury in Connecticut war,<br />

stutzte sie und sagte: „Da wohne ich“. Meine Gesprächspartnerin war Dominique Avery,<br />

die Enkeltochter von Ludwig Marum. In Simsbury waren wir, um Jacob Oppenheimers<br />

34 35


Von links: Ralf Wieland (Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses),<br />

Rolf Schmitt, Karen Franklin (Arthur Obermayer-<br />

Stiftung). Foto: Landesarchiv Berlin/Thomas Platow<br />

Enkelsohn Walter Bernkopf zu besuchen.<br />

Ich versprach Dominique<br />

mich darum zu bemühen, dass auch<br />

in Bruchsal innerstädtisch ihres<br />

Großvaters gedacht wird. Marum<br />

wuchs in Bruchsal auf und ging hier<br />

zu Schule. Im Oktober 2014 wurde<br />

eine Erinnerungstafel für Ludwig<br />

Marum beim Schloss eingeweiht.<br />

Wie erlebtest Du die Preisverleihung<br />

in Berlin?<br />

Sagen wir mal so. Es war Stress.<br />

Aber positiver Stress. Am Morgen<br />

des Tages der Preisverleihung war<br />

eine Pressekonferenz, auf der ich<br />

mich Fragen der Journalisten stellen musste, gegen Mittag wurde die Abendveranstaltung<br />

geprobt und abends war die Feierstunde mit über 300 geladenen Gästen, darunter bekannte<br />

Politiker und andere Persönlichkeiten. Es war ein schöner Augenblick als ich den<br />

Preis verliehen bekam und ja, den Applaus genoss ich schon ein wenig.<br />

Danach waren wir noch gemeinsam in einer Alt-Berliner Kneipe.<br />

Dieser Abend übertraf die eh schon bewegende Feierstunde im Berliner Abgeordnetenhaus<br />

um Längen. Mit dabei waren unter anderem Michael Simonson vom New Yorker<br />

Leo-Baeck-Institut, zwei Enkelkinder von Ludwig Marum und deren Familien, Steffen<br />

Jacob, der ein Verwandter der Bruchsaler Schrag- und Fuchs-Familien ist, sowie Jeanette<br />

Rosenberg mit Ehemann. Jeanette ist die Tochter von Leo Rosenberg, der 1940 als 7-jähriger<br />

Bub nach Gurs deportiert wurde. Bewegend waren ihre Schilderungen über den<br />

beschwerlichen Lebensweg ihres Vaters.<br />

Es waren, vielleicht werde ich jetzt ein wenig pathetisch, drei magische Stunden mit Menschen,<br />

die ein Hauptthema verband: Bruchsal – und die Juden natürlich. Mein Neffe, ein<br />

ansonsten recht cooler 25-jähriger, der bei diesem Treffen mit dabei war, sagte später, er<br />

werde diesen beeindruckenden Abend nie vergessen, das war „Geschichtsunterricht pur“.<br />

Wie geht es jetzt weiter, was hast Du noch vor? In Deiner Rathaus-Rede erwähntest Du auch<br />

das Otto-Oppenheimer-Platz-Denkmal.<br />

Für mich wichtig ist, dass das Tahara-Haus beim Bruchsaler jüdischen Friedhof im Sinne<br />

der Nachfahren der früheren jüdischen Bruchsaler Gemeinde ausgestattet wird. Michael<br />

Tinz, die treibende Kraft hinter der Errichtung des Otto-Oppenheimer-Platz-Denkmals,<br />

ist leider vor wenigen Wochen verstorben. Doch seine Idee darf nicht zu den Akten gelegt<br />

werden. Dieses Denkmal ist wichtig, um an all die früheren jüdischen Bruchsaler Mitbürgerinnen<br />

und Mitbürger zu erinnern, die ermordet oder ihrer Heimat beraubt wurden.<br />

Mit einer Erinnerungs-Spur könnte an alle diese Menschen namentlich gedacht werden.<br />

Dem Bildhauer Wolfgang Thiel gelang ein großer Wurf. Das Schicksal von Otto<br />

Oppenheimer und dessen Familie ist auf dem Denkmal beispielhaft dargestellt. Thiel<br />

zitiert aus Werken des Kraichgauer Malers Karl Hubbuch, der ebenso wie Oppenheimer<br />

im 3. Reich drangsaliert wurde. Hubbuch erhielt im 3. Reich Berufsverbot und<br />

hielt sich als keramischer Maler bei der Karlsruher Majolika Manufaktur über Wasser<br />

- die Kacheln für das Platzdenkmal werden in der Karlsruher Majolika Manufaktur<br />

gefertigt.<br />

Und noch etwas finde ich wichtig. Bruchsal braucht wieder ein Forum, in dem alle<br />

Interessierten die Geschichte unserer Stadt aufarbeiten können. Dabei sollte man die<br />

Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, als die so genannte Historische Kommission<br />

als offizielles Organ der Stadtverwaltung von deren Führung politisch einseitig<br />

missbraucht wurde. Ich denke da eher an einen verwaltungsunabhängigen Arbeitskreis,<br />

der aber trotzdem eng mit der Stadtverwaltung, dem Stadtarchiv zum Beispiel,<br />

zusammen arbeitet.<br />

Was könnten die Themen dieses Geschichts-Forums sein?<br />

Ganz sicher die, die ich eben bereits genannt habe. Bestimmt auch der Umgang mit<br />

den wenigen historischen Baudenkmälern, die es noch gibt, das Alte Wasserwerk<br />

zum Beispiel. Oder: Wie gehen wir in Zukunft mit dem Feuerwehrhaus um, das in<br />

den 1950er Jahren ausgerechnet auf dem Gelände der bei den Novemberpogromen<br />

1938 bis auf die Grundmauern niedergebrannten Synagoge errichtet wurde – die<br />

Feuerwehr löschte den Brand nicht. Darf man das Feuerwehrhaus bei einer möglichen<br />

Neuplanung auf diesem hochwertigen innerstädtischen Areals einfach abreißen,<br />

ohne diese einmalige historische Fehlleistung zu dokumentieren? Sollen künftige Generationen<br />

nicht daraus lernen, um sensibler mit der Geschichte unserer Stadt umzugehen?<br />

Aber auch das große Thema der Freiheitsbewegungen in Bruchsal sollte<br />

thematisiert werden, beispielsweise die Benennung der Säle des Bürgerzentrums. Das<br />

ist ja aber eher Dein Thema. Oder die Frage, ob wirklich alle Quellen und Dokumente<br />

der NS-Zeit der Nachwelt erhalten und öffentlich gemacht wurden. Da gibt es einiges<br />

an Fragen zu stellen und zu beantworten.<br />

Du hast jetzt einige Male die Finger in die Wunden der Stadt Bruchsal gelegt, vorhin<br />

sagte ich „hinhaltender Widerstand“, den Du erfahren musstest. Wie ist Dein Verhältnis<br />

zu unserer Stadt?<br />

Ich mag Bruchsal. An dieser Stelle möchte ich Dich gerne zitieren. In Deinem Kabarett<br />

singst Du: „Bruchsal, ach wie bist Du so einmal, ach, was sag ich, so zweimal,<br />

tief ins Herz mir gebrannt … Wenn Du traurig bist, leide ich Schmerz“. Das bringt es<br />

schon auf den Punkt. Ich bin in Bruchsal groß geworden und meine Heimatstadt ist<br />

mir ans Herz gewachsen – und darum wichtig. Trotz alledem.<br />

Rolf, ich danke Dir für das Gespräch.<br />

36 37


Rückblick auf die zweite Bruchsaler<br />

Stolpersteinverlegung am 27.06.2016<br />

von Florian Jung<br />

Heike, Tobias und Vincent Scheuer und Christoph Lübbe umrahmen die Gedenkfeier musikalisch. Foto: M. Stock<br />

Am Montag, den 27. Juni 2016 begegneten sich bei der rund<br />

einstündigen Auftaktveranstaltung zur Stolpersteinverlegung<br />

drei Gruppen Menschen, die sich sonst nicht begegnet<br />

wären: Zum einen waren das die elf Opfer des Nationalsozialismus,<br />

die von einer Projektgruppe aus Achtklässlern in<br />

Wort und Bild vorgestellt und damit wieder in das Bewusstsein<br />

gerückt wurden. Zum zweiten waren das ihre Angehörigen,<br />

die aus nah und fern, teilweise gar aus den USA,<br />

angereist waren, um diesen Momenten des Gedenkens beizuwohnen.<br />

Und zum dritten ist das die Bruchsaler Bevölkerung,<br />

die sich, wie der volle Saal zeigte, offen und interessiert<br />

mit diesem dunklen und schmerzhaften Teil der Geschichte<br />

auseinandersetzen wollte.<br />

Deborah Boehm ist eine der<br />

Angehörigen, die bei der Gedenkfeier<br />

spricht. Foto: Martin Stock<br />

Bei der Verlegung in der Gutleutstaße 5 für Oskar Bornhäuser, von links: Thomas Adam, Dennis Wagner,<br />

Pfarrerin Elke Heckel-Bischof (spricht ein Gebet), Doris Bornhäuser, Helmgart Bornhäuser (am Cello), zwei<br />

Teilnehmer der Gedenkfeier, Finan Kluge, Ruth Bornhäuser, Hildegard Hofer geb. Bornhäuser. Foto: F. Jung<br />

Schüler der Projektgruppe des Justus-Knecht-Gymnasiums bei der Vorstellung der Opferbiografien im<br />

Vortragssaal des Augenzentrums Bruchsal, das sich unter dem Dach des historischen A-Baus des Bruchsaler<br />

Krankenhauses befindet. Foto: Walter Jung<br />

Von links: Frédéric Weill, Avigail Weill, Muriel Weill geb. Franck, Nicole Franck geb. Metzger, Deborah Boehm,<br />

Denise Dzialoszynski geb. Metzger, J Pam Weiner, Gaby Dzialoszynski (halb verdeckt), Oberbürgermeisterin<br />

Cornelia Petzold-Schick und Anna Dzialoszynski bei den frisch verlegten <strong>Stolpersteine</strong>n für Wilhelm, Charlotte<br />

und Mathilde Prager vor dem Haus Styrumstraße 20. Foto: Martin Stock<br />

38 39


Gunter Demnig bei der Vorbereitung des Gehwegs<br />

(notfalls mit Presslufthammer!) und dem Verlegen<br />

der <strong>Stolpersteine</strong>. Fotos: Walter Jung<br />

Bei der sich an die Gedenkfeier um 15.00 Uhr anschließenden Stolpersteinverlegung an<br />

den Stationen Gutleutstraße 5 (Bornhäuser), Styrumstraße 20 (Prager), Friedrichstraße 8<br />

(Bär), Kaiserstraße 15 (Kahn) und Bahnhofstraße 16a (Oppenheimer) war nicht nur<br />

Gunter Demnig bei der Verlegung der <strong>Stolpersteine</strong> zu beobachten. Die Schüler der Projektgruppe<br />

lasen an jeder Station die Inschriften der <strong>Stolpersteine</strong> vor und kamen auch<br />

ins persönliche Gespräch mit den Angehörigen, zu denen sie meist schon in der Biografien-Recherchephase<br />

Kontakt aufgenommen hatten. Die mitziehende Gruppe erlebte<br />

zudem an jeder Station weitere Programmpunkte - sei es musikalische Umrahmung,<br />

Worte der Hausbesitzer oder gar von diesen angebotene Getränke.<br />

Eine besondere Begegnung hatten Jenny Knaub-Lowenthal, Urenkelin von Fanny Bär,<br />

und die 96-jährige Edeltrude Schies. Diese kannte die ermordeten Verwandten noch<br />

sehr gut aus ihrer Kindheit. Bei einem anschließenden, gemeinsamen Kaffee im privaten<br />

Rahmen konnte Edeltrude Schies einen Seidenschal und ein silbernes Täschchen, die sie<br />

Anfang der 1930er Jahre von eben jenen Vorfahren geschenkt bekommen hatte, an die<br />

in den USA wohnende Jenny überreichen - ein wirklich bewegender Moment.<br />

Vor dem Gebäude Friedrichstr. 8, wo <strong>Stolpersteine</strong> für Fanny, Anselm und Sofie Bär verlegt wurden, von links:<br />

Florian Jung, Philipp Schlindwein, Marco Moschinski, Eduard Gross, Jenny Knaub-Lowenthal geb. Baer,<br />

Edeltrude Schies, Bill Knaub, Julian Schleicher. Foto: Walter Jung<br />

Nachbetrachtung<br />

Was bleibt von der Stolpersteinverlegung? Zum einen die <strong>Stolpersteine</strong><br />

für die elf Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung<br />

als stete Mahnung an deren Leid, eingelassen in die Gehwege<br />

vor ihren letzten freiwillig gewählten Wohnadressen.<br />

Zum zweiten die Erinnerungen an diesen auch an Emotionen<br />

dichten Tag, bei manchen Teilnehmern der Gedenkveranstaltung<br />

und auch – besonders wertvoll – bei den Schülerinnen und<br />

Schülern, die sich intensiv mit den Biografien befassten. Zum<br />

dritten konnten die 20 (!) Angehörigen aus den Opferfamilien,<br />

die aus den USA, Frankreich und der Schweiz angereist waren<br />

– wie sie uns später schrieben – mit dem guten Gefühl nach<br />

Hause fahren, dass man sich in jener Stadt, aus der ihre Vorfahren<br />

einst brutal vertrieben wurden, gern wieder ihrer erinnert.<br />

Vermutlich Wilhelm Prager.<br />

Eine seiner ehemaligen Schülerinnen<br />

meint, ihn auf diesem<br />

Bild wieder zu erkennen.<br />

Foto: Stadtarchiv Bruchsal<br />

Stellvertretend für die Reaktionen der Angehörigen wird hier der Brief von Nicole<br />

Franck abgedruckt, da sie und ihre ebenfalls anwesende Schwester Denise Dzialoszynski<br />

die einzigen Gäste waren, die direkt Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung<br />

wurden. Als Kinder lebten sie, zusammen mit ihren Eltern, jahrelang versteckt in Frankreich,<br />

von Ort zu Ort ziehend, stets in Angst vor Entdeckung – und mussten mit ansehen,<br />

wie ihre Tante und ihr Opa verhaftet wurden. Diese beiden wurden in den Lagern<br />

des Ostens ermordet.<br />

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, Straßburg, den 4. Juli 2016<br />

ich kann Ihnen erst jetzt nach einer Woche schreiben, um meiner Bewunderung und Anerkennung<br />

Ausdruck zu verleihen. Ich war bisher zu ergriffen, um ihnen schreiben zu können. Immer wieder<br />

erzähle ich in meinem Umfeld von diesem denkwürdigen Tag.<br />

Ich kann Ihnen versichern, dass es mir bis zu diesem Tag sehr schwer fiel Deutschland zu besuchen,<br />

aber mir wurde jetzt bewusst, welche Erinnerungsarbeit die neue Generation leistet und wie sie<br />

das, was sich ereignete, bedauert. Endlich kann auch ich beginnen, das Geschehene aufzuarbeiten.<br />

Sie haben diese Stolperstein-Initiative ergriffen und Sie trafen die kluge Entscheidung, nicht alle<br />

Steine auf einmal zu verlegen. Die bewegenden Feier, zu der Sie mich und meine Verwandten eingeladen<br />

hatten, ließ jedes der Opfer wieder lebendig werden. Den Schülern, die diese wunderbare<br />

Arbeit gemacht haben, wird ihr Tun eine Erkenntnis fürs Leben sein: „Jedes menschliche Dasein<br />

ist ein Wert an sich“.<br />

Wir kamen zahlreich, denn wir wollten, also meine Schwester an ihren Sohn und die zwei Enkel<br />

aus Straßburg und ich an meine Tochter und meine Enkelin, dieses geschichtliche Ereignis und die<br />

damit verbundene Erinnerung an unsere entferntere Verwandtschaft vermitteln. Alle waren sehr<br />

beeindruckt. Vielen Dank für das schöne Buch über Bruchsal und den sehr herzlichen Empfang.<br />

Bitte vermitteln Sie meine Glückwünsche dem ganzen Team, das an der Verwirklichung mit gearbeitet<br />

hat, insbesondere den Herren Jung und Schmitt.<br />

Mit unserem herzlichen Dank, Frau Oberbürgermeisterin, grüßen wir Sie hochachtungsvoll<br />

Nicole Franck<br />

Brief von N. Franck aus der Prager-Familie an Frau Petzold-Schick. Übersetzung: Bruno Wallisch<br />

40 41


75 Jahre Deportation nach Izbica<br />

von Rolf Schmitt<br />

Genau 75 Jahre vor der dritten Stolpersteinverlegung, am 26. April 1942, wurden aus<br />

Bruchsal die letzten jüdischen Mitbürger deportiert.<br />

„Dann wurden wir zum ersten Mal gewahr, dass unsere Sprache nicht über die Worte verfügt,<br />

um diesen Angriff, diese Zerstörung eines Menschen zu beschreiben… Wir hatten den<br />

Tiefpunkt erreicht. Es ist unmöglich, noch tiefer zu sinken... Es gibt nichts mehr, das uns<br />

gehört: Sie haben uns unsere Kleider genommen, unsere Schuhe, sogar unser Haar... Sie<br />

werden uns sogar unseren Namen wegnehmen...“ (Primo Levi)<br />

Von links: Randi Graves, Connor Graves<br />

(Enkel von Ruth Graves geb. Kahn), Valerie<br />

Kurz, Sarah Betz, Gerard Alexander<br />

(Enkel von Hedwig Alexander geb. Kahn).<br />

Foto: R. Schmitt<br />

<strong>Stolpersteine</strong> für Johanna und Bertha Kahn, Kaiserstr. 15.<br />

Gunter Demnig erhält Unterstützung durch Mitarbeiter des<br />

städtischen Bauhofs. Hannelore Haas geb. Ihle (re.) und Rosemarie<br />

Ihle (3. v. re.) wuchsen in dem Haus auf und sprechen<br />

einige Worte. Foto: R. Schmitt<br />

Zufällig nur fünf Wochen nach der Verlegung kam der 90-jährige<br />

Enkel von Bertha Kahn, Ricardo Emilio Kahn aus Buenos Aires zusammen<br />

mit zwei seiner Töchter nach Bruchsal, um endlich einmal<br />

die Heimatstadt seiner Eltern zu sehen. Fritz Kahn (1896-1959) war<br />

1919 nach Argentinien ausgewandert und holte 1922 seine evangelische<br />

Braut Clara Ansmann nach, weil beide Familien gegen diese<br />

Verbindung waren; der Kontakt nach Bruchsal brach gänzlich ab.<br />

Durch Vermittlung des Bruchsaler Standesamts konnte jetzt der<br />

Kontakt zu seinen Cousinen in den USA hergestellt werden!<br />

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Ricardo Emilio Kahn,<br />

2016. Foto: Patricia Kahn<br />

Vor dem Haus<br />

Bahnhofstr. 16a und<br />

den <strong>Stolpersteine</strong>n für<br />

Hedwig und Berta<br />

Oppenheimer, von<br />

links: Jörg Friedmann<br />

(Bürgerstiftung, halb<br />

verdeckt), Nicolas Konrad,<br />

Sascha Hermann,<br />

Muhammed Ali Dana,<br />

Gabriele Leger und<br />

Christa Hurst (Enkelinnen<br />

von Oppenheimers<br />

Hausangestellter Theresia<br />

Oster), Cornelia<br />

Petzold Schick, Florian<br />

Jung, Gunter Demnig.<br />

Foto: Rolf Schmitt<br />

Die Wannsee-Konferenz<br />

Von der NS-Führung war mit der „Endlösung der Judenfrage“ Reinhard Heydrich beauftragt,<br />

der Leiter des Reichssicherheitshauptamtes. Zur Vorstellung seiner Pläne lud er<br />

für den 20. Januar 1942 Staatssekretäre und hohe NSDAP- und SS-Funktionäre ins Speisezimmer<br />

einer Berliner Villa am Wannsee zu einer „Besprechung mit anschließendem<br />

Frühstück“ ein.<br />

Vorrangiges Ziel der Konferenz war, den Völkermord europaweit zu koordinieren und<br />

zu systematisieren. Der Völkermord war aber zum Zeitpunkt der Besprechung bereits<br />

in vollem Gange. Bis Januar 1942 wurden in Polen und der Sowjetunion schon über<br />

500.000 Juden erschossen oder in Gaswagen qualvoll vergast. Prinzipiellen Widerspruch<br />

gegen die Pläne gab es keinen, der Genozid wurde beschlossen.<br />

Die Gestapo<br />

Ausführende Organe für die Deportationen nach dem Osten waren die Dienststellen der<br />

Geheimen Staatspolizei (Gestapo). Diese erhielten in Baden und Württemberg bereits<br />

im März 1942 den Befehl, einen „Evakuierungstransport“ vorzubereiten, der Stuttgart<br />

im April 1942 verlassen solle mit Ziel Ghetto Izbica bei Lublin in Polen. Die Gestapo<br />

bediente sich in Baden geradezu satanisch der „Bezirksstelle der Reichsvereinigung der<br />

Juden in Deutschland“. Diese hatte die von der „Auswanderung“ betroffenen Opfer über<br />

die vorgesehene „Abreise“ zu unterrichten. Vor ihrer bevorstehenden „Abreise“ durften<br />

die „Fahrtteilnehmer“ von ihrem eventuell noch vorhandenen Hab und Gut weder<br />

etwas verkaufen, verschenken oder verleihen. Die Habseligkeiten wurden nach der Deportation<br />

gegen Barzahlung versteigert.<br />

Jüdische Mitbürger in Bruchsal<br />

Anders als der Titel „Bruchsal judenfrei! Die letzten Juden verlassen Bruchsal“ der Filmsequenz<br />

zur Deportation Bruchsaler Juden nach Gurs suggeriert, lebten im Frühjahr 1942<br />

noch jüdische oder von den Behörden als Juden angesehene Mitbürger in unserer Stadt.<br />

In Mischehe lebende jüdische Mitbürger waren von der Deportation nach Izbica aus-<br />

43


genommen. Diese waren in Bruchsal Gertrud Lehmann (1881-1952), Frieda (Fanny)<br />

Neuthard (1871-1950), Ida Stoeckhert (1887-1972) und die erst 1941/42 aus Heidelberg<br />

zugezogene Anna-Maria Röder.<br />

Auf der Deportationsliste der Gestapo standen diese drei Bruchsalerinnen: Die staatenlosen<br />

Paula Frogel (geb. 1884) und Rosa Rosenberg (geb. 1891) sowie die verwitwete<br />

Helene Oncken (geb. 1880). Letztere hatte durch die Auswanderung ihrer beiden evangelisch<br />

getauften Kinder den schützenden Status verloren. Rosa Rosenberg wurde im<br />

Oktober 1940 nicht nach Gurs deportiert, weil sie ihre kranke Schwester Nanette Lämmle<br />

pflegen musste, die allerdings am 10. April 1941 verstarb.<br />

Das Ghetto Izbica<br />

Im Ghetto Izbica herrschten völlig verwahrloste Zustände. Auf den Straßen lag der<br />

Schlamm knietief. Die Verpflegung war äußerst knapp, das mitgebrachte Gepäck wurde<br />

den Deportierten nicht ausgehändigt. Ein Zeitzeuge berichtete, es fehle an allem, „nur<br />

nicht an Ratten, Mäusen, Flöhen und Wanzen. Keine Abwasseranlage, in den Gassen<br />

reicht der Schmutz kniehoch. Vor allem fehlt es an jeglichen Lebensmitteln.“<br />

Mit großer Wahrscheinlichkeit wurden die Verschleppten schon wenige Wochen nach<br />

ihrer Ankunft in den nahegelegenen Vernichtungslagern Belcec und Majdanek ermordet.<br />

Dieser Deportationszug ist als reiner Todestransport zu bezeichnen. Von keinem<br />

der über 600 deportierten Menschen aus diesem Todeszug kam jemals mehr ein Lebenszeichen.<br />

Blick in das Ghetto Izbica. Foto: www.Bundesarchiv.de<br />

44


Die am 26.04.<strong>2017</strong> verlegten <strong>Stolpersteine</strong> wurden gespendet<br />

von: für: Ort:<br />

Ulrike Mältzer, Bruchsal Mathilde Weil Huttenstraße 26<br />

Dr. Monika Hankeln, Forst Dr. Siegfried Grzymisch Huttenstraße 2<br />

Dr. Monika Hankeln, Forst<br />

Carola Grzymisch<br />

Theo und Ellen Hager, Bruchsal Charlotte „Lina“ Mayer<br />

Klezmer Ensemble Shtetl Tov u. C. Yim Max Löb Friedrichstraße 53<br />

Klezmer Ensemble Shtetl Tov u. C. Yim Julie Löb<br />

Nicole Franck, Straßburg<br />

Edith Löb<br />

Harald Sienel, Bruchsal<br />

Heinz Löb<br />

Rolf und Christa Molitor, Bruchsal Friedrich Molitor Durlacher Straße 71<br />

BürgerStiftung Bruchsal Friedrich Sem Bär Schwimmbadstraße 17<br />

Klezmer Ensemble Shtetl Tov u. C. Yim Franziska Bär<br />

Klezmer Ensemble Shtetl Tov u. C. Yim Therese „Resi“ Bär<br />

Werner Wachter, Bruchsal Simon Marx Bismarckstraße 10<br />

Beate Schmitt, Bruchsal<br />

Rosalie Marx<br />

Stirumschule, Klasse 10a (2014/15) Betty „Liesel“ Marx<br />

Klasse 10a, Doris Bornhäuser u. a. Trude Marx<br />

Die BürgerStiftung Bruchsal hat die<br />

wichtige Aufgabe übernommen, auch<br />

künftig Mittel für weitere <strong>Stolpersteine</strong><br />

einzuwerben. Jeder Stein kostet 120 Euro –<br />

dieser Betrag kann jederzeit zweckgebunden<br />

an die BürgerStiftung Bruchsal<br />

gespendet werden und wird in vollem<br />

Umfang für dieses Projekt eingesetzt.<br />

Jeder Spender erhält eine Einladung<br />

zur nächsten Stolpersteinverlegung, daher<br />

bitte auch die postalische Adresse beim<br />

Verwendungszweck vermerken.<br />

Sparkasse Kraichgau, IBAN DE 7566 3500 3600 0777 7777<br />

Volksbank Bruchsal-Bretten, IBAN DE 5666 3912 0000 0080 0600<br />

Impressum<br />

Herausgeber: Stadtverwaltung Bruchsal<br />

Auflage: 500 Stück, 1. Auflage April <strong>2017</strong><br />

Redaktion: Florian Jung und Rolf Schmitt, Bruchsal<br />

Layout & Druck: KAROLUS Media, Bruchsal<br />

Die Rechte für die Beiträge liegen bei den jeweiligen Autoren.


Jenny Knaub-Lowenthal geb. Baer vor den <strong>Stolpersteine</strong>n<br />

für Fanny, Anselm und Sofie Bär in der Friedrichstraße 8,<br />

27.06.2016. Foto: Martin Stock

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