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Stolpersteine_2017_lowRES

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Wiedergutmachungsakte berichtete die Tochter Resi Bär, dass<br />

die Wohnung ihrer Eltern komplett demoliert wurde. Ihr Sofa<br />

z.B. wurde komplett zertreten und mit den Kissen wurde auf der<br />

Straße Fußball gespielt. Nachdem Franziska fast zwei Jahre in<br />

Gurs gelebt hatte, überstellte man sie am 06.08.1942 nach Drancy.<br />

Dann wurde sie am 10.08.1942 von Drancy nach Auschwitz<br />

deportiert, weshalb kein klares Todesdatum vorliegt.<br />

Franziska Bär, um 1935. Foto: S. Grosz<br />

Liebes, gutes Röslein! 5. Dez. 1940<br />

Kind kannst Du glauben, dass es Deiner Mutter schwer fällt an Dich zu schreiben, obgleich es mir<br />

größtes Bedürfnis ist? Unser ganzes Leben ist derart verwandelt, dass wir uns kaum mehr zurecht<br />

finden können. Nur eines von allem ist noch geblieben, die Liebe zu Dir und zu unserem Vaterle<br />

und sie ist unser ganzer Halt. Du weißt jetzt sicher von unserem traurigen Schicksal und ich will<br />

Dir nicht das Herz schwer machen und Dir Näheres erzählen. Die Hauptsache ist wir sind noch<br />

gesund und haben trotz allem den Willen es zu bleiben. Das Härteste ist, dass Vater und ich getrennt<br />

sind und wir uns sehr wenig sehen können, dabei sehen wir uns noch mehr als viele Andere,<br />

da Vater „chef de baraque“ ist und 1 mal in der Woche 1 Stunde Ausgang hat. Du siehst auch hier<br />

müht sich Vater für Andere und ist dadurch seelisch gottlob obenauf. Onkel Hugo ist bei ihm im<br />

Lager und es geht ihm gesundheitlich besser als zu erwarten war. Tante Frida und Tante Rosl sind<br />

im nächsten Ilot, aber wir sprechen uns öfters am Draht. Tante Frida war anfangs gar nicht wohl,<br />

aber sie hat sich gut erholt, trotz primitivster Ernährung und vielem Frieren während der kalten<br />

Nächte. Gute Menschen, vor allem Richards, haben uns mit dem Nötigsten Warmen versorgt, denn<br />

Du kannst Dir denken, wir hatten 1<br />

Stunde Zeit zum Packen, ehe wir alles<br />

im Stich lassen mussten. Es war<br />

unsagbar hart und ich war ganz<br />

fassungslos. Bevor wir die Wohnung<br />

verlassen mussten kam noch<br />

ein Brief und im Rausgehen nahm<br />

noch Dein letztes Bildchen von Dir<br />

von der Wand, sonst haben wir kein<br />

Bild und kein Erinnerungszeichen<br />

von unseren Lieben bei uns.<br />

Erster Brief aus Gurs von Franziska Bär an ihre Tochter am<br />

05.12.1940. Foto: Stephen Grosz<br />

Biografie von Therese „Resi“ Bär (1921-2015)<br />

von Evangelos Karakas, Klasse 8t<br />

Therese Bär wurde am 14.12.1921 in Karlsruhe geboren, sie war das einzige Kind von<br />

Franziska und Fritz Bär. Ab dem 12.04.1932 besuchte sie die Sexta an der Mädchenrealschule<br />

Bruchsal, welche eine Vorgängerschule des Justus-Knecht-Gymansiums ist. Am<br />

03.11.1936 verließ sie die Schule aufgrund von Rassismus. Nach Auskunft des späteren<br />

Direktor Schwab war sie eine gute bis durchschnittliche Schülerin. Eine Freundin ihrer<br />

Mutter, Mina Moser geb. Odenheimer, meinte, dass die Eltern wollten, dass Therese stu-<br />

diert, da sie sehr sprachbegabt war und sich für die Weltgeschichte<br />

interessierte. Außerdem besuchte Thereses frühere<br />

Lehrerin, Frau Erika Gauckler, sie im Jahr 1956 in London<br />

und bestätigte dies. Am 10.11.1936 oder ein paar Tage davor<br />

verließ Resi Bruchsal und kam in England bei einer Familie<br />

namens Kahn in Bournemouth unter. Fritz Bär hatte in<br />

der Zeitung von einer Privatschule in England erfahren, die<br />

noch Schülerinnen suchte. Der erhaltene Briefwechsel zeigt,<br />

wie schwer es den Eltern fiel, ihr geliebtes, einziges Kind in<br />

die Fremde ziehen zu lassen. In den Sommerferien kam sie<br />

immer nach Hause, weil sie Heimweh hatte. 1938 verbot ihr<br />

Vater ihre Besuche aufgrund des Novemberpogroms. 1938<br />

erhielt sie dann das Schulzertifikat B der Universität Oxford.<br />

Walter Bär (Cousin) und Resi<br />

Bär, März 1928. Foto: E. Baer<br />

Darauf machte sie einen Einjahreskurs zur Krankenschwester, ihr Diplom bekam sie im<br />

Februar 1940. Ihr erlernter Beruf war Kindergärtnerin an dem „Hants and Dorset Nursery<br />

Training College“. In ihrem Abschlusszeugnis stand, dass sie immer sehr freundlich zu<br />

Kindern war. Vor der Geburt ihrer Kinder und nach 1961 arbeitete sie als Buchhändlerin.<br />

1944 heiratete sie den Ingenieur Emile Grosz in London. 1948 nahm sie die englische<br />

Staatsangehörigkeit an. Sie hatte zwei Söhne, Peter (1949-2009) und Stephen (geb. 1953),<br />

der heute mit seiner Familie in London lebt. In den 1950ern war Emile Grosz Ingenieur<br />

und Direktor der Creighton & Partners, Ltd. London. Die Gesellschaft bezeichnete sich<br />

als „Consulting Engineers and Maschine Designers“. Die Familie konnte sich schon bald<br />

ein Eigenheim leisten. Nach dem frühen Tod von Emile 1961 nahm sie in ihrem Haus in<br />

Golders Green auch Übernachtungsgäste auf. Theater und Oper besuchte sie sehr gerne.<br />

1950 gab Resi einen Entschädigungszahlungsantrag in Deutschland ab, in dem sie schrieb:<br />

„Bezahlen lässt sich ja der Verlust meiner Eltern und die aus der Tragödie meines jungen<br />

Schicksals erwachsenen seelischen Erschütterungen niemals.“ Trotzdem blieb Resi Grosz<br />

ihrer Heimatstadt Bruchsal zeitlebens treu, wie die Bilderfolge am Schlossgartenteich eindrucksvoll<br />

zeigt. Selbst ihren 80. Geburtstag wollte sie in Bruchsal feiern. Am 09.01.2015<br />

starb Therese mit 93 Jahren in Brighton, GB.<br />

Resi Grosz geb. Bär am Brunnen im Bruchsaler Schlossgarten: 1926, 1949, 1986, 2002. Fotos: Stephen Grosz<br />

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