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Stolpersteine_2017_lowRES

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Gunter Demnig bei der Vorbereitung des Gehwegs<br />

(notfalls mit Presslufthammer!) und dem Verlegen<br />

der <strong>Stolpersteine</strong>. Fotos: Walter Jung<br />

Bei der sich an die Gedenkfeier um 15.00 Uhr anschließenden Stolpersteinverlegung an<br />

den Stationen Gutleutstraße 5 (Bornhäuser), Styrumstraße 20 (Prager), Friedrichstraße 8<br />

(Bär), Kaiserstraße 15 (Kahn) und Bahnhofstraße 16a (Oppenheimer) war nicht nur<br />

Gunter Demnig bei der Verlegung der <strong>Stolpersteine</strong> zu beobachten. Die Schüler der Projektgruppe<br />

lasen an jeder Station die Inschriften der <strong>Stolpersteine</strong> vor und kamen auch<br />

ins persönliche Gespräch mit den Angehörigen, zu denen sie meist schon in der Biografien-Recherchephase<br />

Kontakt aufgenommen hatten. Die mitziehende Gruppe erlebte<br />

zudem an jeder Station weitere Programmpunkte - sei es musikalische Umrahmung,<br />

Worte der Hausbesitzer oder gar von diesen angebotene Getränke.<br />

Eine besondere Begegnung hatten Jenny Knaub-Lowenthal, Urenkelin von Fanny Bär,<br />

und die 96-jährige Edeltrude Schies. Diese kannte die ermordeten Verwandten noch<br />

sehr gut aus ihrer Kindheit. Bei einem anschließenden, gemeinsamen Kaffee im privaten<br />

Rahmen konnte Edeltrude Schies einen Seidenschal und ein silbernes Täschchen, die sie<br />

Anfang der 1930er Jahre von eben jenen Vorfahren geschenkt bekommen hatte, an die<br />

in den USA wohnende Jenny überreichen - ein wirklich bewegender Moment.<br />

Vor dem Gebäude Friedrichstr. 8, wo <strong>Stolpersteine</strong> für Fanny, Anselm und Sofie Bär verlegt wurden, von links:<br />

Florian Jung, Philipp Schlindwein, Marco Moschinski, Eduard Gross, Jenny Knaub-Lowenthal geb. Baer,<br />

Edeltrude Schies, Bill Knaub, Julian Schleicher. Foto: Walter Jung<br />

Nachbetrachtung<br />

Was bleibt von der Stolpersteinverlegung? Zum einen die <strong>Stolpersteine</strong><br />

für die elf Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung<br />

als stete Mahnung an deren Leid, eingelassen in die Gehwege<br />

vor ihren letzten freiwillig gewählten Wohnadressen.<br />

Zum zweiten die Erinnerungen an diesen auch an Emotionen<br />

dichten Tag, bei manchen Teilnehmern der Gedenkveranstaltung<br />

und auch – besonders wertvoll – bei den Schülerinnen und<br />

Schülern, die sich intensiv mit den Biografien befassten. Zum<br />

dritten konnten die 20 (!) Angehörigen aus den Opferfamilien,<br />

die aus den USA, Frankreich und der Schweiz angereist waren<br />

– wie sie uns später schrieben – mit dem guten Gefühl nach<br />

Hause fahren, dass man sich in jener Stadt, aus der ihre Vorfahren<br />

einst brutal vertrieben wurden, gern wieder ihrer erinnert.<br />

Vermutlich Wilhelm Prager.<br />

Eine seiner ehemaligen Schülerinnen<br />

meint, ihn auf diesem<br />

Bild wieder zu erkennen.<br />

Foto: Stadtarchiv Bruchsal<br />

Stellvertretend für die Reaktionen der Angehörigen wird hier der Brief von Nicole<br />

Franck abgedruckt, da sie und ihre ebenfalls anwesende Schwester Denise Dzialoszynski<br />

die einzigen Gäste waren, die direkt Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung<br />

wurden. Als Kinder lebten sie, zusammen mit ihren Eltern, jahrelang versteckt in Frankreich,<br />

von Ort zu Ort ziehend, stets in Angst vor Entdeckung – und mussten mit ansehen,<br />

wie ihre Tante und ihr Opa verhaftet wurden. Diese beiden wurden in den Lagern<br />

des Ostens ermordet.<br />

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, Straßburg, den 4. Juli 2016<br />

ich kann Ihnen erst jetzt nach einer Woche schreiben, um meiner Bewunderung und Anerkennung<br />

Ausdruck zu verleihen. Ich war bisher zu ergriffen, um ihnen schreiben zu können. Immer wieder<br />

erzähle ich in meinem Umfeld von diesem denkwürdigen Tag.<br />

Ich kann Ihnen versichern, dass es mir bis zu diesem Tag sehr schwer fiel Deutschland zu besuchen,<br />

aber mir wurde jetzt bewusst, welche Erinnerungsarbeit die neue Generation leistet und wie sie<br />

das, was sich ereignete, bedauert. Endlich kann auch ich beginnen, das Geschehene aufzuarbeiten.<br />

Sie haben diese Stolperstein-Initiative ergriffen und Sie trafen die kluge Entscheidung, nicht alle<br />

Steine auf einmal zu verlegen. Die bewegenden Feier, zu der Sie mich und meine Verwandten eingeladen<br />

hatten, ließ jedes der Opfer wieder lebendig werden. Den Schülern, die diese wunderbare<br />

Arbeit gemacht haben, wird ihr Tun eine Erkenntnis fürs Leben sein: „Jedes menschliche Dasein<br />

ist ein Wert an sich“.<br />

Wir kamen zahlreich, denn wir wollten, also meine Schwester an ihren Sohn und die zwei Enkel<br />

aus Straßburg und ich an meine Tochter und meine Enkelin, dieses geschichtliche Ereignis und die<br />

damit verbundene Erinnerung an unsere entferntere Verwandtschaft vermitteln. Alle waren sehr<br />

beeindruckt. Vielen Dank für das schöne Buch über Bruchsal und den sehr herzlichen Empfang.<br />

Bitte vermitteln Sie meine Glückwünsche dem ganzen Team, das an der Verwirklichung mit gearbeitet<br />

hat, insbesondere den Herren Jung und Schmitt.<br />

Mit unserem herzlichen Dank, Frau Oberbürgermeisterin, grüßen wir Sie hochachtungsvoll<br />

Nicole Franck<br />

Brief von N. Franck aus der Prager-Familie an Frau Petzold-Schick. Übersetzung: Bruno Wallisch<br />

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