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MACH 2<br />
Der Start einer Concorde war ein Fest für die Sinne. Sie besaß die Power eines<br />
Militärjets und war gleichzeitig grazil wie ein Schwan. Jeder Flug war etwas<br />
ganz Besonderes. Unten: Die Instrumente eines modernen Cockpits sind schon<br />
eine ganze Weile Produkte des digitalen Zeitalters, aber wenn man „Mach 2+“<br />
auf einer Anzeige liest, läuft einem doch ein Schauer über den Rücken<br />
denn die Flugzeit von New York nach London beträgt wie<br />
schon seit langem siebeneinhalb Stunden. Die Concorde<br />
brauchte für die gleiche Strecke nur dreieinhalb. Zwar kann<br />
man in der Business Class und First Class in großräumigen Jets<br />
bequemer reisen, aber eben nicht schneller.<br />
Das in Denver ansässige Start-up-Unternehmen Boom<br />
Technology will dort anknüpfen, wo die Concorde aufhörte.<br />
Mit einem Etat von 33 Millionen Dollar will es noch vor Ende<br />
<strong>2017</strong> ein Demonstrationsmodell mit dem kryptischen Namen<br />
XB-1 im Flug testen. Boom plant den Bau eines Überschallflugzeugs<br />
für 40 und mehr Passagiere. Dieses soll eine<br />
Geschwindigkeit von 1.450 Meilen (2.334 km) pro Stunde<br />
erreichen und die Flugzeit für die Strecke New York – London<br />
auf Concorde-Standard (3 ½ Stunden) verkürzen. Aber<br />
während ein Ticket für einen Flug auf der anglo-französischen<br />
Ikone bis zu $ 20.000 kosten konnte, soll man angeblich für<br />
einen Hin- und Rückflug auf der neuen Überschallmaschine nur<br />
$ 5.000 zahlen. Das sagt jedenfalls Blake Scholl, Gründer und<br />
CEO von Boom.<br />
Scholl ist kein typischer Pionier der Luftfahrt. Er hat früher<br />
bei Amazon.com gearbeitet und war dort als Programmierer<br />
reich geworden. Außerdem besaß er einen Pilotenschein für<br />
Privatjets und den Drang des Start-up-Unternehmers, einen<br />
bestimmten Bereich gründlich aufzumischen. Bald war er zu<br />
der Ansicht gekommen, dass erschwingliche Überschallflüge<br />
technisch möglich und wirtschaftlich lohnend sein würden.<br />
„Ich fing damit an, weil ich selbst nie mit Concorde geflogen<br />
war. Ich habe dann auf neue Überschallflieger gewartet,<br />
aber die kamen einfach nicht. Also musste ich es selbst<br />
machen.“ Die großen Geldgeber – vor allem die vom Silicon<br />
Valley – meldeten sich bald, aber einer aus der Ferne stellte<br />
alle in den Schatten.<br />
Richard Branson, der Besitzer der Virgin-Group, hatte<br />
selbst ein eigenes Raumfahrtunternehmen – Virgin Galactic –<br />
gegründet. Er war so beeindruckt von Scholls Plänen, dass er<br />
eine Option für den Kauf von zehn Überschalljets erwarb.<br />
„Ich war schon immer an Innovation der Luftfahrt und der<br />
Entwicklung von superschnellen kommerziellen Flügen interessiert.<br />
Deshalb habe ich mich sofort entschlossen, mit<br />
Boom zusammenzuarbeiten. Das war ganz natürlich, weil<br />
Virgin Galactic ja ähnliche Ziele verfolgt.“<br />
Blake Scholl hatte also ein Projekt und auch die Finanzierung<br />
dazu, aber er brauchte Fachleute, um den Prototypen des<br />
XB-1 zu bauen. Also versammelte er ein aus elf Leuten bestehendes<br />
Team mit erwiesener Raumfahrt- und Flugzeug bau-<br />
Erfahrung. Sie kamen von NASA, Pratt and Whitney, General<br />
Electric, Lockheed Martin und SpaceX. Sechs Männer haben<br />
Pilotenscheine; andere hatten speziell am Design und Bau leistungsstarker<br />
Flugzeuge und Düsentriebwerke mitgearbeitet.<br />
Einer der Gründe, warum jetzt die Zeit für einen Neustart<br />
von Überschallflügen reif ist, liegt in der Technologie. Es ist zehn<br />
Jahre her, seit man die Concorde aus dem Verkehr zog, und die<br />
Mängel, die dazu führten, mussten erst erkannt und behoben<br />
werden. So verwendet man heute Kohlefaser-Verbundwerkstoffe<br />
für die Außenhaut des Flugzeugs, die bei der Concorde<br />
aus schwererem Aluminium bestand. Und bei der Concorde<br />
gab es noch keine moderne Computersimulation, die heute das<br />
Design wesentlich beschleunigt, da man nicht mehr auf teure<br />
Testflüge im Windtunnel angewiesen ist. Außerdem wäre ein<br />
heutiger Überschalljet ruhiger – dank effizienterer Zellen und<br />
der Tatsache, dass die Triebwerke zur Erreichung der<br />
Überschallgeschwindigkeit keine Nachbrenner mehr benötigen.<br />
Laut Scholl und Team gibt es bereits serienmäßige Turbofan-<br />
Triebwerke, die entsprechend modifiziert werden können.<br />
Scholl hat einen ehrgeizigen Zeitplan für einen ersten kommerziellen<br />
Überschall-Flug. Der soll 20 Jahre nach dem letzten<br />
Linienflug der Concorde stattfinden. Wenn es nach ihm ginge,<br />
sollte es möglich sein, in fünf Stunden von Los Angeles nach<br />
Sydney zu fliegen statt wie bisher in 15. Für Scholl, den Visionär,<br />
ist selbst dieses hoch gegriffene Ziel noch nicht hoch genug.<br />
Aber es ist eigentlich ganz einfach: „Ich möchte in einer<br />
Welt leben, in der man überall in fünf Stunden für $ 100 hinkommt.<br />
Das wird noch ein paar Jahrzehnte dauern, aber wir<br />
werden es schaffen.“ Das wäre nun wirklich Überschall pur.<br />
FOTOS: PETER MARLOW / MAGNUM PHOTOS / AGENTUR FOCUS, DDP IMAGES, PR (2)<br />
68 THE JAGUAR