buch aktuell Winter 2017/2018

Kinder­/Jugendbuch
Als die Nazis kamen ...
Anlässlich des 70. Jahrestages der Erstveröffentlichung hat das vielfach ausgezeichnete
Trickfilmduo Ari Folman und David Polonsky das „Tagebuch der Anne Frank“ mit einfühlsamen,
unmittelbaren Bildern als Graphic Diary umgesetzt.
Anne Franks Tagebuch, weltbekannt und geliebt, liegt jetzt in
einer völlig neuen Fassung vor: eine einzigartige Kombination
aus dem Originaltext und lebendigen, fiktiven Dialogen,
eindrücklich und einfühlsam illustriert von den mehrfach
ausgezeichneten Trickfilmzeichnern Ari Folman und David Polonsky.
Beide bekannt für ihr Meisterwerk „Waltz with Bashir“, das u. a. für
den Oscar nominiert war. So lebendig Anne Frank über das Leben im
Hinterhaus, die Angst entdeckt zu werden, aber auch über ihre Gefühle
als Heranwachsende schreibt, so unmittelbar, fast filmisch sind
die Illustrationen. Die Zeichner erzählen vom Making­of:
Das Tagebuch ist ein Dokument und kein Roman. Wie gehen Sie
mit dem Originaldokument um?
David: Wir versuchen, dieses Dokument zum Leben zu bringen
und die Qualität zu zeigen, die in ihm steckt. Wir versuchen nicht,
mit Annes Stimme zu sprechen, das können wir gar nicht. Was wir
aber tun können, ist, ihre Herangehensweise zu übernehmen, die
charakteristisch ist dadurch, dass sie Humor und genaue Beobachtung
unter den schrecklichsten Umständen einsetzt, die man sich
nur vorstellen kann. Das Beste,
was wir tun können, ist,
diesen Geist weiterzutragen.
Was können Bilder besser als
Text, was sind die zusätzlichen
Möglichkeiten dieser Technik?
Ari:
Da wir nicht den ganzen
Text in das Graphic Diary übernehmen
können, obwohl wir
eine Menge von den Briefen
an Kitty in voller Länge nut­
zen, müssen wir subjektive
Entscheidungen darüber treffen,
was wir aus dem Text
auswählen, was wir für die
Illustrationen verwenden
wollen, was folglich wichtig
wird. Wir müssen die
Teile verwenden, die gut
sind, um eine grafische
Geschichte zu erzählen. Wir halten
uns sehr genau an den Ton des Tagebuchs,
wir folgen der Chronologie
und fügen auch ganze Textseiten
von Annes Aufzeichnungen ein,
ohne sie zu verändern, vor allem
um ihre tiefgründigen Gedanken
zugänglich zu machen – ich hätte es
als falsch empfunden, sie in Illustrationen
umzuwandeln. Sie müssen
rein bleiben, sie sind unberührbar.
Haben Sie über die verschiedenen
Leser nachgedacht, als Sie an
dem Graphic Diary arbeiteten?
Ari: Ich dachte ununterbrochen an die Leserschaft, an Kinder, die es
lesen würden, ob sie es verstehen würden oder nicht. Ich beriet mich
mit David über viele dieser Aspekte. Zum Beispiel: Stalingrad. Für uns
ist das ein bekanntes Thema, wir wissen, wie wichtig diese Schlacht
als Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs war. Heutige 13­ oder 14­jährige
Jugendliche wissen es wahrscheinlich nicht. Müssen wir es also
erklären oder können wir auf die Eltern oder Lehrer zählen, die es
schon erklären werden? Oder wenn wir sagen, dass die Züge nach
Osten fahren, ist das nur eine Metapher, oder sollten wir eine Karte
einfügen, auf der man sieht, dass die Lager, in denen es geschah, tatsächlich
im Osten lagen?
Das Tagebuch hat eine erzieherische Dimension in Bezug auf die
Geschichte und den Holocaust. Ist das auch Teil Ihrer Aufgabe?
Ari: Ja, das ist auch dabei, aber nicht an erster Stelle. Es ist das Ergebnis
des Originaltagebuchs. Wenn wir unsere Arbeit gut gemacht
haben, wird das Graphic Diary selbstverständlich auch etwas über die
Geschichte lehren, nicht nur über diese Familie, sondern darüber, wie
der Holocaust an sich funktioniert hat.
Anne Frank
Das Tagebuch der Anne Frank – Graphic Diary
umgesetzt von Ari Folman und David Polonsky
S. FISCHER, 160 Seiten, geb., 20,­ € (D), 20,60 € (A)
ISBN 978­3­10­397253­5
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