MMM_Dokumentation_02_017
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55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
FÜR DIE TOP-ENTSCHEIDER<br />
DER KONSUMGÜTERWIRTSCHAFT<br />
12.–14. FEBRUAR 2<strong>017</strong>, MÜNCHEN<br />
DOKUMENTATION
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
FÜR DIE TOP-ENTSCHEIDER<br />
DER KONSUMGÜTERWIRTSCHAFT<br />
12.–14. FEBRUAR 2<strong>017</strong>, MÜNCHEN<br />
DOKUMENTATION
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
INHALT<br />
4<br />
Begrüßung und Eröffnung<br />
des 55. <strong>MMM</strong>-Kongresses<br />
Simone Krah, <strong>MMM</strong>-Präsidentin<br />
8<br />
„Chancen, Herausforderungen<br />
und Grenzen der Freiheit: ein Blick auf<br />
Deutschland, Europa und die USA“<br />
Thomas Roth, Journalist,<br />
bis 11/2016 Moderator der „Tagesthemen“<br />
12<br />
„Freiheit und soziale Marktwirtschaft:<br />
Warum wir stärker in die Zukunft<br />
investieren müssen“<br />
Prof. Marcel Fratzscher, Ph. D.,<br />
Präsident des Deutschen Instituts für<br />
Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)<br />
16<br />
„Der Geist der Freiheit: Vom Wert<br />
selbstbestimmten Handelns“<br />
Prof. Dr. Rüdiger Safranski, Philosoph,<br />
Literaturwissenschaftler, Schriftsteller<br />
20<br />
„Die Kraft der Freiheit:<br />
Über die Gestal tung des Wandels und die<br />
Verantwortung von Politik und Wirtschaft“<br />
Dr. Amel Karboul, Unternehmerin, Autorin, Politikerin<br />
und Aufsichtsrätin, ehemalige Ministerin für Tourismus der<br />
tunesischen Übergangsregierung<br />
24<br />
„Vom Revier in die Welt: Ein Unternehmer<br />
zwischen Fleischmarkt und Sportmarke“<br />
Clemens Tönnies, Vorstandsvorsitzender<br />
Unternehmensgruppe Tönnies,<br />
Aufsichtsrats vorsitzender FC Schalke 04<br />
28<br />
„Merlot für die Wall Street:<br />
Wie ein Familienbetrieb<br />
(mit deutscher Herkunft) New York erobert“<br />
Roman Roth, Winzer und Partner,<br />
Wölffer Estate Vineyard<br />
2
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
30<br />
„Taten statt Worte:<br />
Die nachhaltige Verantwortung<br />
von Coop“<br />
Hansueli Loosli, Präsident des Verwaltungsrates<br />
der Schweizer Coop-Gruppe Genossenschaft sowie der<br />
Swisscom AG, der Bell AG, der Transgourmet Holding AG<br />
und der Coop Mineralöl AG<br />
34<br />
„Agil und antifragil:<br />
Unternehmer tum und Freiheitsstreben<br />
in innovativen Handlungsfeldern“<br />
Christoph Werner, Mitglied der<br />
Geschäftsführung dm-drogerie markt<br />
78<br />
„Build the future!<br />
Nachhaltig handeln, Sinn stiften“<br />
Dr. Auma Obama, Mitglied im Weltzukunftsrat<br />
(World Future Council) sowie Gründerin und Vorsitzende<br />
der Auma Obama Foundation – Sauti Kuu<br />
82<br />
„Das Ende der Freiheit,<br />
langweilen zu dürfen“<br />
Prof. Jean-Remy von Matt,<br />
Gründer und Vorstand Jung von Matt AG<br />
84<br />
„Freiheit, die ich meine:<br />
Die McDonald’s-Vision<br />
und das Restaurant der Zukunft“<br />
Holger Beeck, Vorstandsvorsitzender<br />
und Präsident McDonald’s Deutschland Inc.<br />
88<br />
„Creative Freedom:<br />
Wie Unternehmen Innovationsgeist<br />
leben und fördern“<br />
Dr. Frederik G. Pferdt,<br />
Chief Innovation Evangelist, Google Inc.,<br />
Adjunct Professor, d.school, Stanford University<br />
92<br />
„Freiheitsprojekt Europa –<br />
zurück in die Zukunft:<br />
Lernen wir aus der Geschichte?“<br />
Prof. Christopher Clark, Professor für<br />
Neuere Europäische Geschichte am<br />
St. Catharine’s College, University of Cambridge,<br />
Autor des Bestsellers „Die Schlafwandler“<br />
3
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
„Wir wollen<br />
ein Zeichen<br />
setzen –<br />
für die<br />
Freiheit.“<br />
SIMONE KRAH<br />
<strong>MMM</strong>-Präsidentin<br />
Guten Morgen, liebe Mitglieder,<br />
liebe <strong>MMM</strong>-Freunde,<br />
sehr verehrte Damen und Herren,<br />
die eben im Film gezeigten Bilder haben es eindrucksvoll<br />
verdeutlicht – wir haben ein bewegtes<br />
2016 hinter und ein Jahr 2<strong>017</strong> vor uns, das wie selten<br />
zuvor mit großen Herausforderungen und Unwägbarkeiten<br />
aufwartet. Wie es politisch auf der Welt<br />
weitergeht, ist unklar. Globalisierung und Digitalisierung<br />
haben Wohlstand, Wachstum und viel Positives<br />
gebracht, aber auch neue Probleme geschaffen, für<br />
die man Lösungen finden muss. Die Menschen sind<br />
verunsichert, das ist überall spürbar.<br />
In diesem Zusammenhang war der gestrige Tag ein<br />
gutes Signal. Ich meine hier ausnahmsweise nicht<br />
unser abendliches Miteinander bei Eataly, wo wir<br />
dem Dolce Vita frönen durften und sich viele von<br />
Ihnen ganz offensichtlich freuten, wieder in München<br />
zusammenzukommen.<br />
Vielmehr beziehe ich mich auf die Wahl des neuen<br />
Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, die<br />
gestern im ersten Wahlgang und in großer Eintracht<br />
durch die Bundesversammlung erfolgt ist. Das war<br />
– jenseits der Frage, ob Herr Steinmeier das richtige<br />
Parteibuch hat oder eben nicht – ein wichtiges Signal.<br />
Zumal der neue Bundespräsident, wie ich finde,<br />
sehr kluge Worte in seiner Dankesrede gefunden<br />
hat. Er hat klargemacht, was ihm wichtig ist: die Gesellschaft<br />
zu versöhnen und aufrecht für zwei Dinge<br />
zu streiten: Demokratie und Freiheit.<br />
Und damit sind wir beim Thema des diesjährigen<br />
<strong>MMM</strong>-Kongresses, zu dem ich Sie ganz herzlich im<br />
Namen meiner Präsidiumskollegen Michael Durach,<br />
Karl Stefan Preuß, Stephan DuCharme, Utho Creusen,<br />
Erich Harsch, Markus Kaser und Mariann<br />
Wenck heim begrüßen möchte. Sie sehen, bei uns<br />
hat sich einiges getan.<br />
Mancher hier im Saal ist das erste Mal bei einem<br />
<strong>MMM</strong>-Kongress – dem großen Branchentreffen –<br />
dabei, andere schon über 50 Jahre: Schön, dass Sie<br />
alle da sind! Ein herzliches Willkommen gilt natürlich<br />
auch unserem Ehrenpräsidenten Gerd Kaiser und<br />
unseren Beiräten Prof. Hüther, Prof. Nassehi und<br />
David Bosshart.<br />
Die Freiheit, der wir uns die beiden kommenden Tage<br />
widmen wollen, ist ein hoher, für viele gar der höchste<br />
Wert.<br />
Das Thema ruft große Emotionen hervor – wie wir<br />
gerade täglich erleben. Die Menschen gehen für<br />
die Freiheit auf die Straße, Freiheit ist für viele das<br />
höchste Glück. Andere missbrauchen aber auch den<br />
Raum, den ein freiheitliches System ihnen gibt.<br />
Ich habe lange überlegt, wie man sinnvoll in einen<br />
Kongress zum Thema Freiheit einleiten kann, wenn<br />
zwei Dinge zusammenkommen:<br />
A. Zum einen befassen wir uns mit einem Begriff, für<br />
den die Welt bis heute keine gute Definition gefunden<br />
hat. Meistens wird Freiheit mit dem freien<br />
4
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Berühmtes Gemälde:<br />
„La liberté guidant le peuple –<br />
Die Freiheit führt das Volk“ von Eugène<br />
Delacroix aus dem Herbst 1830.<br />
Willen gleichgesetzt, also der Möglichkeit, sich<br />
ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Optionen<br />
entscheiden zu können. Dabei ist die Freiheit viel<br />
umfassender: Es gibt die persönliche Freiheit, die<br />
politische Freiheit und in unseren Kreisen natürlich<br />
die unternehmerische Freiheit. Es gibt die<br />
Freiheit von etwas und die Freiheit, etwas zu tun.<br />
Soweit zum Facettenreichtum des Begriffes.<br />
B. Zum anderen sprechen heute und morgen so viele<br />
kluge Persönlichkeiten aus unterschiedlichsten<br />
Blickwinkeln zur Freiheit, dass jede zu weit<br />
führende Äußerung vermessen wäre.<br />
Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, kurz auf<br />
drei Aspekte einzugehen, die mir wichtig erscheinen.<br />
Diese werden symbolisiert 1. durch ein Wappen, 2.<br />
durch einen Mann mit Zigarre und 3. durch eine halbnackte<br />
Frau.<br />
Und mit Letzterer möchte ich auch beginnen. Doch<br />
bevor Sie Bildzeitungsniveau oder gar reißerische<br />
Marketingmethoden dahinter vermuten, lassen Sie<br />
mich ergänzen: Es handelt sich um eines der berühmtesten<br />
Gemälde zum Thema mit dem Titel „Die<br />
Freiheit führt das Volk“, eines der Prachtstücke des<br />
Louvre, das ich heranziehen möchte, um die Brücke<br />
zu den heutigen Herausforderungen zu schlagen.<br />
Das Meisterwerk beschreibt eine Szene aus dem<br />
Herbst 1830. Was war damals geschehen? König<br />
Karl X. wollte die Uhr zurückdrehen. Er stärkte den<br />
Adel, beschloss, das Parlament aufzulösen, das<br />
Wahlrecht einzuschränken und die Presse zu zensieren.<br />
Tendenzen, die uns – blickt man auf die<br />
Ereignisse der letzten Monate – bestens vertraut<br />
sind. Wenige Jahrzehnte nach der Französischen<br />
Revolution sollten deren Errungenschaften zunichte<br />
gemacht werden. Das löste einen Aufstand im Parlament<br />
und auf den Straßen aus. Barrikaden wurden<br />
gebaut, in Paris kam es zu blutigen Kämpfen. Die<br />
sogenannte „Juli revolution“ dauerte drei Tage.<br />
„Freiheit ist für viele das<br />
höchste Glück.“<br />
Das Bild zeigt die ganze Kraft der Freiheit und die<br />
Begeisterung der Menschen für sie. Die Dame symbolisiert<br />
das Schönheitsideal der damaligen Zeit.<br />
Sie ist begehrenswert wie die Freiheit selbst. Dabei<br />
tritt sie in dem Bild doch nur als Idee auf, welche die<br />
Menschen leitet und motiviert. Und das ist bis heute<br />
so geblieben.<br />
Doch wir müssen wachsam sein. Denn wir sind aktuell<br />
an einem Punkt angelangt, wo Errungenschaften<br />
der freiheitlichen Welt infrage gestellt werden. Eine<br />
Entwicklung, die gerade werteorientierte und unternehmerisch<br />
denkende Menschen nicht kalt lassen<br />
darf. Deshalb lassen Sie es mich an dieser Stelle<br />
ganz klar sagen: Wir wollen mit diesem Kongress<br />
ein Zeichen setzen und ein Statement abgeben<br />
– für die Freiheit.<br />
5
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Ludwig Erhard, der Vater der sozialen<br />
Marktwirtschaft, versöhnte die<br />
Wirtschaftsordnung mit der Freiheit.<br />
Rechts: Das Wappen von Stanford<br />
mit dem kraftvollen Satz „Die Luft der<br />
Freiheit weht“.<br />
Und damit komme ich zu meinem zweiten Punkt<br />
und einem Mann, der optisch vielleicht nicht ganz so<br />
reizvoll wie die eben gezeigte Dame ist, aus ökonomischer<br />
Perspektive aber umso mehr: Ludwig Erhard,<br />
dessen Buch „Wohlstand für alle“ vor 60 Jahren erschienen<br />
ist.<br />
Er, der Vater des Wirtschaftswunders und der sozialen<br />
Marktwirtschaft, schaffte es, unsere Wirtschaftsordnung<br />
mit der Freiheit zu versöhnen.<br />
Für ihn war die Marktwirtschaft immer eine der Gesellschaft<br />
verpflichtete Marktwirtschaft, nicht nur<br />
ein System, das auf das freie Spiel der Kräfte setzt.<br />
Erhard wusste: Unternehmertum braucht Freiheit,<br />
Wohlstand entsteht nur durch Freiheit. Aber er<br />
machte auch deutlich, dass Verantwortung und Freiheit<br />
immer Hand in Hand gehen müssen.<br />
Eines seiner bekannten Zitate lautet: „Eine Freiheit,<br />
die nicht um das Ganze weiß, eine Freiheit, die sich<br />
nur an individuellen, egoistischen Interessen ausrichtet<br />
und dafür womöglich auch noch staatlichen<br />
Schutz und Duldung fordert, wird zu einem Zerrbild<br />
des höchsten Wertes.“<br />
Die Pfeiler der sozialen Marktwirtschaft haben in<br />
den vergangenen Jahren Risse bekommen – Marcel<br />
Fratzscher wird darauf später noch eingehen.<br />
Hierfür gibt es viele Gründe, das Fehlverhalten in<br />
manchen Management-Etagen ist einer davon.<br />
Sie kennen die Beispiele, die alle eines gemeinsam<br />
haben – sie missachten das Grundprinzip unseres<br />
Wirtschaftssystems: die Verbindung aus Handeln<br />
und Verantwortung, aus Risiko und Haftung.<br />
„Erhard wusste:<br />
Unternehmertum<br />
braucht Freiheit,<br />
Wohlstand entsteht nur<br />
durch Freiheit.“<br />
Hier täte es manchem gut, einen Blick auf die<br />
<strong>MMM</strong>-Mitgliedsunternehmen zu werfen, der überwiegende<br />
Teil davon in Familienhand: Denn Sie,<br />
verehrte Mitglieder, wissen, was es heißt, Tag für<br />
Tag Freiheit in Verantwortung zu leben – für Ihre<br />
Firma, Ihre Mitarbeiter, Ihre Geschäftspartner und<br />
Ihre Kunden.<br />
In diesem Sinne gilt es, die soziale Marktwirtschaft<br />
wiederzubeleben, sie weiterzuentwickeln und sie für<br />
die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sattelfest<br />
zu machen.<br />
Und damit komme ich zum dritten Punkt meiner<br />
Ausführungen und möchte Ihnen etwas zeigen, was<br />
ich selbst erst kürzlich entdeckt habe: Es ist das<br />
Wappen von Stanford, der amerikanischen Eliteuniversität,<br />
das ich rein zufällig näher betrachtet habe,<br />
weil unser Beirat Prof. Hüther jüngst eine Gastprofessur<br />
dort wahrgenommen hat.<br />
6
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Das <strong>MMM</strong>-Präsidium freute sich über den Zuspruch (v. l.): Karl Stefan Preuß, Erich Harsch, Markus Kaser,<br />
Mariann Wenckheim, Simone Krah, Prof. Dr. Utho Creusen, Stephan DuCharme und Michael Durach.<br />
Und wenn Sie hier genau schauen, entdecken Sie<br />
etwas, das überrascht: das Motto der Hochschule,<br />
das auch noch in deutscher Sprache verfasst wurde:<br />
„Die Luft der Freiheit weht.“ Ein Satz von großer Kraft<br />
und Wirkung, der auf den deutschen Humanisten<br />
Ulrich von Hutten (1488–1523) zurückgeht und der<br />
von David Starr Jordan, dem ersten Präsidenten der<br />
Stanford University, eingeführt wurde.<br />
Stanford bringt es mit diesem einen Satz auf den<br />
Punkt. Es braucht die Freiheit, um neue Ideen zu generieren,<br />
Bestleistungen zu bringen, Innovation zu<br />
schaffen. Das gilt für eine Eliteuniversität genauso<br />
wie für unsere Branche, den Händler und den Produzenten,<br />
die mit ihren Leistungen auf der Fläche und<br />
mit ihren Produkten die Kunden jeden Tag aufs Neue<br />
begeistern möchten.<br />
„Die Luft der Freiheit weht …“ Ich würde mich freuen,<br />
wenn von diesem Geist die kommenden Tage etwas<br />
spürbar und erlebbar wird. Und wir uns miteinander<br />
den Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit<br />
stellen, wir Ideen teilen, Erfolgskonzepte diskutieren<br />
und Zukunft denken.<br />
Und erlauben Sie mir, an dieser Stelle noch ein<br />
großes Dankeschön auszusprechen an Sie, verehrte<br />
Mitglieder. Sie sind die tragenden Säulen unseres<br />
Clubs, für viele von Ihnen ist <strong>MMM</strong> eine Herzensangelegenheit,<br />
Sie empfehlen uns weiter, und auch der<br />
ein oder andere Referent, den wir heute und morgen<br />
hören, geht auf Ihre Vorschläge zurück. Bringen Sie<br />
sich weiter ein, so meine Bitte, wir haben immer ein<br />
offenes Ohr für Ihre Vorschläge. Und beteiligen Sie<br />
sich auch hier im Plenum an der Diskussion mit den<br />
Referenten, für die wir Ihnen wieder unsere <strong>MMM</strong>-<br />
App zur Verfügung stellen.<br />
Nur in Freiheit! Es war selten dringender als heute,<br />
dieses Thema in den Fokus zu rücken. Wir sind gespannt<br />
auf die Gedanken und Impulse unserer Referenten.<br />
Lassen Sie uns in diesem Sinne in den <strong>MMM</strong>-Kongress<br />
einsteigen und freuen Sie sich auf Thomas<br />
Roth, einen der profiliertesten Journalisten unseres<br />
Landes, der uns die Chancen, Herausforderungen<br />
und Grenzen der Freiheit näherbringt und dabei auf<br />
Deutschland, Europa und die USA blickt.<br />
„Nur in Freiheit!<br />
Es war selten<br />
dringender als heute,<br />
dieses Thema in<br />
den Fokus zu rücken.“<br />
Lieber Herr Roth, ich nehme mir die Freiheit und räume<br />
das Podium für Sie. Der 55. <strong>MMM</strong>-Kongress ist<br />
eröffnet.<br />
7
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
„Es ist Zeit,<br />
dass wir<br />
uns aus den<br />
Ohrensesseln<br />
erheben.“<br />
THOMAS ROTH<br />
Journalist und ehemaliger<br />
„Tages themen“-Moderator<br />
In seinem Eröffnungsvortrag beleuchtete der<br />
Journalist und ehemalige Tagesthemen-Moderator<br />
Thomas Roth die Frage nach den Herausforderungen,<br />
Chancen und Grenzen der Freiheit mit<br />
Blick auf Deutschland, Europa und die USA. Sein<br />
Fazit: Das freiheitliche System ist unter Druck<br />
geraten. „Es steht viel auf dem Spiel“, so Roth.<br />
Die Zivilgesellschaft und insbesondere auch die<br />
Wirtschaft seien gefordert.<br />
Den Einstieg in seinen Vortrag bot Thomas Roth die<br />
aktuelle Entwicklung in den USA. Roth erinnerte daran,<br />
dass der heutige Präsident der USA – Donald Trump<br />
– in seiner TV-Show „The Apprentice“ unliebsame Kandidaten<br />
mit den Worten „You are fired“ aus der Sendung<br />
warf. Dass eben dieser Mann jetzt im Weißen Haus angekommen<br />
sei und die Macht habe, auf ähnliche Art mit<br />
Richtern, Staatsoberhäuptern, Journalisten umzugehen,<br />
sei nicht absehbar gewesen. „Ich bin versucht, zu<br />
sagen, man reibt sich schlicht und einfach die Augen“,<br />
schilderte Roth die Situation.<br />
Er selbst sei nicht zuletzt durch seine langjährige Korrespondententätigkeit<br />
geprägt worden, von den USA,<br />
dem Land der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten.<br />
„If you can dream it, you can do it“ – diese positive<br />
Einstellung, Zukunft zu gestalten, habe ihn stets<br />
beeindruckt.<br />
Nun stelle sich die Frage, ob die amerikanischen Freiheitswerte<br />
der ersten freiheitlich-demokratischen Verfassung<br />
dieser Welt dem Trump’schen Ego wohl standhalten<br />
werden. Wie können Freiheit und Toleranz einer<br />
offenen Gesellschaft garantiert und gehalten werden?<br />
Bereits der Wahlkampf sei „extrem schmutzig“ gewesen,<br />
befeuert von narzisstisch getriebener Rigorosität,<br />
so Roth. Und es scheine, dass Trump seine Art im Zuge<br />
der Präsidentschaft nicht ändern werde.<br />
Der renommierte Journalist verwies auf die Gefahren<br />
einer autoritären Herrschaft, die auf Abschottung<br />
setzt. Es drohe die Gefahr, dass aus Handelskriegen<br />
reale Kriege würden. Und dann sei das Ende der Freiheit<br />
gekommen. „Ich hoffe nicht, dass wir das werden<br />
erleben müssen. Aber ich bin nicht mehr sicher“, zeigte<br />
sich Roth besorgt.<br />
Der TV-Journalist ging im Folgenden auf Erlebnisse Anfang<br />
der 90er Jahre ein – stets das Leitthema der Freiheit<br />
im Blick: „Ich habe das Glück gehabt, als Journalist<br />
noch jenen Moment zu erleben, wo man die Freiheit mit<br />
Händen greifen kann.“ In den dramatischen Tagen des<br />
Putschversuchs gegen Gorbatschow hätten sich junge<br />
Menschen mutig gegen die einrollenden Panzer der<br />
„kommunistischen Betonköpfe“ gestellt. „Nach über<br />
siebzig Jahren Kommunismus war der Wunsch nach<br />
Freiheit bei den Moskauern zu groß. Und sie haben diesen<br />
Putsch aufgehalten in jener Nacht.“<br />
„Es geht um die Freiheit der offenen<br />
Gesellschaft“<br />
Bereits Jahrzehnte zuvor, im September 1946, habe<br />
der britische Premier Winston Churchill in seiner berühmten<br />
Rede vor Studierenden in Zürich den Wert<br />
der Freiheit hervorgehoben. Noch unter dem Eindruck<br />
der Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs beschrieb er<br />
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55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Intensives Gespräch<br />
unter vier Augen: Harm<br />
Humburg (Ferrero, l.) und<br />
Thomas Bruch (Globus),<br />
der <strong>MMM</strong> eng verbunden<br />
ist und 18 Jahre im<br />
Präsidium die Clubarbeit<br />
mitgestaltet hat.<br />
„zitternde menschliche Wesen, gequält, hungrig, abgehärmt<br />
und verzweifelt, die auf die Ruinen ihrer Städte<br />
starren“. Die Antwort auf den Untergang der Freiheit sei<br />
die Vision der Vereinigten Staaten von Europa gewesen.<br />
Die Länder Europas sollten sich zusammenschließen,<br />
anstatt sich – befeuert von Nationalismen – gegenseitig<br />
umzubringen. „Let Europe arise“, habe Churchill<br />
betont. Thomas Roth übertrug die Lehren daraus auf<br />
die heutige Situation: „Wir brauchen die Erinnerung<br />
an das Entstehen von Freiheit aus den Trümmern. Und<br />
ich glaube, wir brauchen auch die Einfachheit dieser<br />
Sprache, die eine solche Vision, wenn sie von Freiheit<br />
spricht, entfalten kann.“<br />
Roth mahnte, die historische Lektion nicht zu vergessen:<br />
„Trotz dieser Vergangenheit und eigentlich nötigen<br />
Erinnerung werden auch bei uns die Rufe der großen<br />
Vereinfacher am rechtsextremen Ende des politischen<br />
Spektrums wieder laut und verfangen bei nicht wenigen.<br />
Bis vor Kurzem haben wir geglaubt, das hätte<br />
sich historisch erledigt. Das könnte ein Irrtum gewesen<br />
sein. Wir müssen das sehr ernst nehmen. Denn immer,<br />
wenn die großen Vereinfacher auftreten und rufen,<br />
dann geht es am Ende um die Freiheit in einer offenen<br />
Gesellschaft oder um ihr Ende.“<br />
Monster der Manipulation bedrohen Freiheit<br />
Im Folgenden befasste sich Thomas Roth mit der digitalen<br />
Revolution als Quelle tiefgreifender gesellschaftlicher<br />
Veränderungen. Diese haben – im Positiven wie<br />
im Negativen – Auswirkungen auf die Freiheit des<br />
Einzelnen und in der Gesellschaft. Als Erstes nannte<br />
er die Veränderungen am Arbeitsplatz am Beispiel der<br />
journalistischen Arbeit: Brauchte man früher für die<br />
Berichterstattung noch große Ausrüstung, könne man<br />
heute bereits mit zwei zusammengekoppelten Satellitentelefonen<br />
Fernsehbilder senden. Das erweitere<br />
die Möglichkeiten von Berichterstattung. Doch diese<br />
Entwicklung habe auch eine Kehrseite, sie stehe nämlich<br />
auch denen zur Verfügung, die kein Interesse an<br />
Freiheit und Aufklärung haben, sondern an Manipulation<br />
und Propaganda. Zum emanzipatorischen Element<br />
von Transparenz und Vernetzung, wie beispielsweise<br />
im Arabischen Frühling zu beobachten, kämen auch<br />
„Monster der Manipulation und der Bedrohung“.<br />
„Umdenken erfordert<br />
emotionale Intelligenz.“<br />
Roth hob ein Paradox der Freiheit hervor: „Nachdenken<br />
über Freiheit heißt auch, zu erkennen, dass Freiheit da<br />
gefährlich und gefährdet zugleich ist, wo sie in ihrer<br />
Freiheit nicht begrenzt wird.“ Das Thema habe die Publizistin<br />
Carolin Emcke, kürzlich mit dem Friedenspreis<br />
des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, in ihrem<br />
letzten Buch aufgegriffen. Roth zitierte Emcke: „Hätte<br />
mich vor einigen Jahren jemand gefragt, ob ich mir<br />
vorstellen könnte, dass jemals wieder so gesprochen<br />
werden könnte in unserer Gesellschaft, ich hätte es für<br />
ausgeschlossen gehalten. Dass der öffentliche Diskurs<br />
jemals wieder so verrohen könnte, dass so entgrenzt<br />
gegen Menschen gehetzt werden könnte, das war für<br />
mich unvorstellbar.“<br />
9
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Klaus Dohle (l.) und Gert Schambach (beide Dohle<br />
Handelsgruppe) schätzen den Austausch bei <strong>MMM</strong>.<br />
Fressnapf-Chef Alfred Glander (l.) mit Dr. Adalbert<br />
Lechner (Lindt & Sprüngli).<br />
Falschmeldungen sind schleichendes Gift<br />
für die Demokratie<br />
Die nächste Stufe, fast noch gefährlicher als der hasserfüllte<br />
Diskurs im Internet, sei die gezielte Manipulation<br />
und Propaganda mithilfe gefälschter Nachrichten.<br />
Diese Art der Falschmeldungen sei, so Roth, schleichendes<br />
Gift und eine Gefahr für die Demokratie. Roth<br />
zog die Einschätzung des Medienrechtlers Professor<br />
Rolf Schwartmann von der Technischen Hochschule<br />
in Köln hinzu. Dessen Argumentationslinie lautet: Wir<br />
können das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nur erhalten,<br />
wenn dessen Grenzen auch in den sozialen Medien<br />
gewahrt bleiben. Das geschieht aber nicht mehr. Die<br />
Demokratie läuft deshalb Gefahr, sich von innen zu zersetzen.<br />
Wenn Falschmeldungen Wahlentscheidungen<br />
beeinflussen, dann wird eine Wahl nicht mehr auf Basis<br />
von Fakten entschieden und ist damit rechtswidrig.<br />
„Das Aufwachen der<br />
Zivilgesellschaft ist<br />
vielleicht einer der<br />
wichtigsten Vorgänge in<br />
den letzten Monaten.“<br />
Eine weitere Bedrohung sieht Roth in Hackerangriffen<br />
auf die digitale Infrastruktur staatlicher Institutionen.<br />
Diese Entwicklungen seien eine Bedrohung der Freiheit<br />
von innen heraus und könnten eine Manipulation der<br />
Meinung von außen werden. Das Netz sei heute global<br />
organisiert, eine Beschränkung daher schwer möglich.<br />
Die daraus resultierende Entgrenzung politischer Kultur<br />
könne Krisen auslösen, und zwar nicht nur in Amerika,<br />
sondern weltweit – „ein beunruhigender Gedanke!“<br />
Ohne die Führungsrolle der USA werde der Westen, wie<br />
man ihn bisher kannte, nicht überdauern.<br />
Politik und Wirtschaft müssen gemeinsam<br />
stark auftreten<br />
Thomas Roth unterstrich, dass man dem Druck auf die<br />
Freiheit und den Demagogen nicht nachgeben dürfe.<br />
Ein geeintes Europa sei eine Antwort auf die aktuellen<br />
Herausforderungen. Darüber hinaus seien die Zivilgesellschaft<br />
und auch die Wirtschaft gefragt, Farbe zu<br />
bekennen und sich den Bedrohungen der Freiheit entgegenzustellen.<br />
Es sei bemerkenswert, dass ausgerechnet die Sätze<br />
des konservativen US-Präsidenten Ronald Reagan heute<br />
aktueller denn je seien, der gesagt hat: „Freedom<br />
is never more than one generation away from<br />
extinction. We didn’t pass it to our children in<br />
the bloodstream. It must be fought for, it must<br />
be protected, and handed over to them to do the<br />
same.” Freiheit sei nicht selbstverständlich, sie müsse<br />
im Sinne der nachfolgenden Generationen beschützt<br />
und verteidigt werden. Roth abschließend: „Es ist Zeit,<br />
dass wir uns tatsächlich aus dem beobachtenden Ohrensessel<br />
erheben und uns deutlich hör- und sichtbar<br />
einmischen in Deutschland, in Europa, aber auch in den<br />
Beziehungen zu den USA. Es steht viel auf dem Spiel.“<br />
10
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
OBEN: Vordenker im Gespräch (v. l.): Peter<br />
Pohlmann (Poco), dm-Gründer Prof. Götz W.<br />
Werner und der neue <strong>MMM</strong>-Beirat Dr. David<br />
Bosshart (GDI).<br />
MITTE: Guter Dinge: Die Melitta-Manager<br />
Dr. Frank Strege (l.) und Frank Wiezorrek (r.) mit<br />
Klaus Mehler (Deutscher Fachverlag, 2. v. l.) und<br />
Markus Buntz, Vorstandsvorsitzender Bünting.<br />
UNTEN: <strong>MMM</strong>-Stammgäste: Martina Reisch (l.),<br />
Vorstand Ware der REWE Dortmund, und Thomas<br />
Nonn, Bereichsvorstand REWE Group.<br />
11
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
„Die soziale<br />
Marktwirtschaft<br />
muss wieder<br />
inklusiver<br />
werden.“<br />
PROF. MARCEL FRATZSCHER<br />
Präsident des Deutschen Instituts für<br />
Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW)<br />
Prof. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen<br />
Instituts für Wirtschaftsforschung in<br />
Berlin (DIW), nahm sich in seinem Vortrag der<br />
ökonomischen Seite des Freiheitsbegriffs an. Er<br />
verwies darauf, dass Rechtsruck, Extremismus<br />
und Populismus ihre Ursache in einem sozialen<br />
Konflikt, bedingt durch wachsende Ungleichheit,<br />
haben. Die soziale Marktwirtschaft funktioniere<br />
nicht mehr. Fratzscher sprach sich für eine inklusive<br />
soziale Marktwirtschaft aus, die nicht auf<br />
mehr Umverteilung, sondern auf mehr Chancen<br />
für die Menschen setzt – u. a. durch Investitionen<br />
in die Bildung, Steuergerechtigkeit sowie<br />
Stärkung der Vorsorge.<br />
Für Fratzscher sind der Rechtsruck und der wachsende<br />
Extremismus in den USA bedingt durch einen sozialen<br />
Konflikt. Fratzscher: „Die unteren 40 Prozent in den<br />
USA besitzen 0,3 Prozent. In Deutschland ist es sehr,<br />
sehr ähnlich. Die unteren 40 Prozent in Deutschland<br />
haben praktisch kein Nettovermögen.“<br />
Sechzig Millionen Amerikaner haben, so Fratzscher,<br />
Donald Trump nicht deshalb gewählt, weil sie sexistisch,<br />
rassistisch und fremdenfeindlich sind. Der<br />
Grund für seinen Erfolg sei vielmehr eine tiefe Enttäuschung<br />
darüber, dass der American Dream, der über<br />
Jahrzehnte das Grundmanifest der Amerikaner war,<br />
nicht mehr existiere. Das Versprechen des amerikanischen<br />
Traums – also mit der eigenen Hände Arbeit<br />
für sich sorgen zu können, sich etwas erarbeiten zu<br />
können, Chancen zu eröffnen –, diese Freiheit existiere<br />
nicht mehr. Und ein ganz wichtiges Element dieses<br />
amerikanischen Traums sei es, führte Fratzscher weiter<br />
aus, die Regierung draußen zu lassen, die Unabhängigkeit,<br />
die Freiheit zu haben, das zu tun und das<br />
zu lassen, was man selber will.<br />
„Die unteren 40 Prozent<br />
in Deutschland<br />
haben praktisch kein<br />
Nettovermögen.“<br />
Der Sozialstaat ist eine Illusion<br />
Fratzscher wies darauf hin, dass aus einer wirtschaftlichen<br />
Perspektive eine ungleiche Verteilung per se<br />
weder gut noch schlecht sei. Es stelle sich die Frage,<br />
was diese Verteilungsungleichheit erklärt. Ist es ein<br />
gut funktionierender Markt, in dem alle ihre Chancen<br />
und Fähigkeiten einbringen können? Oder fehlen die<br />
Freiheit, die Möglichkeit einer immer größeren Gruppe<br />
der Gesellschaft, sich einzubringen und für sich und<br />
ihre Familie sorgen zu können? Deshalb müsse man die<br />
unteren 40 Prozent betrachten; hier liege das Problem,<br />
dass immer mehr Menschen abgehängt werden.<br />
Eine Vielzahl von Indikatoren zeige, dass 40 Prozent<br />
der Amerikaner mit dem geringsten Einkommen heute<br />
eine geringere Kaufkraft, geringere Realeinkommen<br />
haben als noch vor 30, 40 Jahren. Sind diese Zahlen<br />
auf Deutschland übertragbar? Viele Menschen seien<br />
der Auffassung, dass wir in Deutschland noch keine<br />
amerikanischen Verhältnisse haben, dass die soziale<br />
12
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Marktwirtschaft in Kombination mit dem sozialen<br />
Sicherungssystem für eine soziale Gesellschaft sorge.<br />
„Das ist eine Illusion“, führte Fratzscher aus, denn<br />
auch in Deutschland sinke die Chancengleichheit<br />
nachweislich.<br />
Chancengleichheit für alle, am Wettbewerb<br />
des Marktes teilzunehmen<br />
Das Kernproblem liege im Zerfall der sozialen Marktwirtschaft.<br />
Immer weniger Menschen in Deutschland<br />
könnten mit der eigenen Hände Arbeit für sich sorgen.<br />
Es gehe nicht um Umverteilung, sondern um Freiheit<br />
und Eigenverantwortung. Jeder Mensch müsse eine<br />
faire Chance haben, am Wettbewerb des Marktes<br />
teilzunehmen. „In Deutschland sehen wir, dass diese<br />
Chancengleichheit – und das ist für mich der Kern –<br />
in den letzten Jahrzehnten abgenommen hat“, führte<br />
Fratzscher aus.<br />
Einer der Gründe dafür, dass die soziale Marktwirtschaft<br />
nicht mehr greife, sei der Rückgang der sozialen<br />
Mobilität. Eine Person mit hohem Einkommen habe<br />
gute Chancen, in der Gruppe der Gutverdiener zu verbleiben.<br />
Und Menschen, die arm sind, würden mit hoher<br />
Wahrscheinlichkeit arm bleiben. Diese Entwicklung sei<br />
über Generationen hinweg sichtbar.<br />
Ein weitere Schlüsselrolle habe Bildung; die Aufwärtsmobilität<br />
in der Bildung sei frappierend gering. Heißt:<br />
Zu wenige junge Menschen hätten einen höheren Bildungsabschluss<br />
als ihre Eltern. Zudem studierten in<br />
Deutschland im internationalen Vergleich immer noch<br />
relativ betrachtet wenige. Vor diesem Hintergrund sei<br />
es schwierig, unabhängig von der sozialen Herkunft<br />
Chancen zu erarbeiten und aufzusteigen.<br />
Technologischer Wandel und gebrochener<br />
Gesellschaftsvertrag<br />
Die Ungleichverteilung von Chancen und Einkommen in<br />
der Wirtschaft seien ein weiteres, drittes Schlüsselthema<br />
im Problemfeld Chancengleichheit. Der Unterschied<br />
in Stundenlöhnen zwischen Männern und Frauen liege<br />
in Deutschland bei knapp 22 Prozent. Dies sei vor allem<br />
auch deshalb bemerkenswert, weil die Frauen insgesamt<br />
bessere Bildungsabschlüsse hätten. Hier entstehe<br />
auf dem Arbeitsmarkt eine riesige Lücke.<br />
„Der technologische<br />
Wandel wird viele<br />
Jobs einfach<br />
überflüssig machen,<br />
ersetzen.“<br />
Und die ganze Thematik mangelnder Chancengerechtigkeit<br />
werde sich durch die Digitalisierung noch verschärfen.<br />
80 Prozent der Arbeitnehmer ohne Abitur<br />
in Deutschland müssten über die nächsten zwanzig<br />
bis dreißig Jahre um ihren Job fürchten. „Der technologische<br />
Wandel wird viele Jobs einfach überflüssig<br />
machen, ersetzen. Dieser Wandel wird sich nicht nur<br />
fortsetzen, sondern er wird sich auch beschleunigen“,<br />
so die Prognose Fratzschers.<br />
13
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Engagiert, professionell,<br />
sympathisch: die<br />
Moderation des <strong>MMM</strong>-<br />
Präsidiums mitglieds<br />
Prof. Dr. Utho Creusen,<br />
der an beiden Kongresstagen<br />
durchs Programm<br />
führte.<br />
Offenheit für Andersartigkeit als Gewinn<br />
für die Wirtschaft<br />
Wie man aus dieser Negativschleife rauskommt, schilderte<br />
der Ökonom im letzten Drittel seines Vortrags<br />
den <strong>MMM</strong>-Gästen. Eine Lösung sieht er in den drei<br />
„T“: Technologie, Talente und Toleranz. „Es ist wichtig,<br />
die Technologie so zu nutzen, dass sie den Menschen<br />
hilft, Freiheiten zu schaffen, Chancen zu eröffnen“, so<br />
Fratzscher.<br />
Und damit das auch funktioniere, brauche Deutschland<br />
die genannten Talente – also die Möglichkeit,<br />
dass Menschen ihre Fähigkeiten entwickeln können.<br />
„Es ist wichtig,<br />
die Technologie so zu<br />
nutzen, dass sie den<br />
Menschen hilft,<br />
Freiheiten zu schaffen,<br />
Chancen zu eröffnen.“<br />
Marcel Fratzscher plädierte dafür, dass die soziale<br />
Marktwirtschaft wieder inklusiver wird. Fünf Bereiche<br />
seien zentral. Seine Thesen:<br />
1. Bildung: Hier muss investiert werden, um Menschen<br />
wieder mehr Freiheit und damit auch mehr Möglichkeiten<br />
zu geben. Dabei gilt es, schon bei der frühkindlichen<br />
Bildung anzusetzen.<br />
2. Steuergerechtigkeit herstellen<br />
3. Familienpolitik: Hier soll der eingeschlagene Weg<br />
fortgesetzt werden. Gerade bei den Frauen liegt<br />
nach den Worten des Ökonomen das größte ungehobene<br />
wirtschaftliche Potenzial in Deutschland.<br />
4. Arbeitsmarktreform: Es gilt, dem Fachkräftemangel<br />
zu begegnen und Flüchtlinge in den<br />
Arbeitsmarkt zu integrieren.<br />
5. Vorsorge stärken: Jeder muss in die Lage versetzt<br />
werden, eigenverantwortlich für das Alter<br />
vorzusorgen.<br />
Talente heißt laut Fratzscher auch, Menschen aus dem<br />
Ausland „anzulocken“. Wir müssten in Deutschland offener<br />
werden und Menschen mit unterschiedlicher Perspektive,<br />
mit unterschiedlicher Denkweise willkommen<br />
heißen und integrieren. Und das erfordere als Drittes:<br />
Toleranz, Offenheit für diese Andersartigkeit.<br />
14
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Branchenübergreifender<br />
Dialog: Dr. Hubertine<br />
Underberg-Ruder (Underberg,<br />
l.) und Schuhhändler<br />
Dr. Matthias Händle<br />
(CEO HR Group)<br />
Mit über 700 Gästen<br />
erneut ausgebucht:<br />
der 55. <strong>MMM</strong>-Kongress<br />
15
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
„Ökonomische<br />
Macht muss durch<br />
politische Gewalt<br />
ausbalanciert<br />
werden.“<br />
PROF. DR.<br />
RÜDIGER SAFRANSKI<br />
Philosoph, Schriftsteller,<br />
Literaturwissenschaftler<br />
Professor Dr. Rüdiger Safranski näherte sich auf<br />
dem 55. <strong>MMM</strong>-Kongress dem Freiheitsbegriff aus<br />
philosophischer Perspektive. Der Philosoph, Literaturwissenschaftler<br />
und Schriftsteller machte<br />
gleich zu Beginn deutlich: „Freiheit braucht Regeln,<br />
Einschränkungen, damit sie sich entfalten<br />
kann. Dies ist paradox.“<br />
Wie diese Einschränkungen aussehen, unter welchen<br />
Maßgaben sie akzeptabel sein können und wann sie<br />
die Demokratie gefährden – all dies waren Aspekte<br />
seiner Betrachtungen. Safranski erinnerte daran, dass<br />
Joachim Gauck in seiner letzten Rede als Bundespräsident<br />
gemahnt habe, dass Demokratie nicht nur<br />
konsumiert werden dürfe. Vielmehr müsse man sich<br />
stets ins Bewusstsein rufen, wie kostbar Demokratie<br />
ist und dass sie nur lebt, wenn man auch bereit ist,<br />
sie zu verteidigen.<br />
„Freiheit<br />
braucht Regeln,<br />
Einschränkungen,<br />
damit sie sich<br />
entfalten kann.<br />
Dies ist paradox.“<br />
Safranski ging zu Beginn auf die Frage ein, von welchen<br />
Grundideen die Freiheit bestimmt ist. Er fokussierte<br />
seinen Vortrag auf den maßgeblich nur in der<br />
europäischen Tradition verwurzelten Gedanken des<br />
Individualismus. Verschiedenheit sei – in dieser Denkweise<br />
– etwas Gutes. Es komme darauf an, sie zu begünstigen<br />
und zu entwickeln. „Mit anderen Worten: Der<br />
Sinn von Kultur, Staat und gesellschaftlichem Leben ist<br />
nicht das kollektive Gebilde als Selbstzweck, sondern<br />
die möglichst reiche und verschiedene Entwicklung<br />
der Individuen, aus denen es sich zusammensetzt. Es<br />
handelt sich also um das Prinzip des Schutzes und der<br />
Förderung des Individualismus.“<br />
Aus diesem Prinzip entsprängen die meisten normativen<br />
Ideen, welche die aufgeklärte europäische Moderne<br />
ausmachen. Dazu gehören laut Safranski Meinungsund<br />
Gewissensfreiheit, Toleranz, Gerechtigkeit und<br />
Recht auf körperliche Unversehrtheit.<br />
Liberalismus lenkt durch den Wettbewerb<br />
Das Prinzip des Individualismus ist dabei keines, das<br />
nach Aussagen des Philosophen für alle Kulturen gilt.<br />
Vielmehr sei es eine Besonderheit der europäischen<br />
bzw. abendländischen Tradition. Eine unverwechselbare<br />
Person zu werden bedeute, die eigene Freiheit als<br />
Entwicklungsmöglichkeit zu entdecken und Gebrauch<br />
davon zu machen. Kein Menschenbild sei vorgeschrieben,<br />
nur sozialverträglich sollte es sein.<br />
„Nun wäre es ja schön, wenn die Individuen friedlich<br />
nebeneinander und miteinander ihre Eigentümlichkeit<br />
entwickeln und ihren je eigenen Zwecken folgen. Aber<br />
so ist es nicht. Man müsste sehr lebensfremd sein,<br />
wenn man nicht das Entsetzliche sehen wollte, das<br />
sich Menschen antun können“, entwickelte Safranski<br />
16
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Im Mittelpunkt: Richard<br />
Lohmiller sen. (2. v. l.) und<br />
Günter Fergen (3. v. l.),<br />
Schwarz Gruppe.<br />
seine Überlegungen weiter. Das liberale Denken, das<br />
im 18. Jahrhundert aufkam, habe zu diesem dunklen<br />
Aspekt der menschlichen Realität eine originelle Idee<br />
entwickelt: den Liberalismus. Er setze auf die Wirkung<br />
des Wettbewerbs von unterschiedlichen Interessen, die<br />
sich wechselseitig begrenzen und sich im Wettbewerb<br />
gegenseitig zu Produktivität und schöpferischer Initiative<br />
anstacheln.<br />
„Durch<br />
Demokratie allein<br />
ist die Freiheit<br />
noch nicht gesichert.“<br />
Zivilisierende Kraft von Wettbewerb<br />
und Konkurrenz<br />
Diese Überlegung gelte im liberalen Denken nicht nur<br />
für das Ökonomische, sondern auch für die Politik. Das<br />
habe auch schon der Philosoph Immanuel Kant erkannt:<br />
„Dank sei also der Natur für die Unvertragsamkeit, für<br />
die missgünstig wetteifernde Eitelkeit, für die nicht zu<br />
befriedigende Begierde zum Haben. Ohne sie würden<br />
alle vortrefflichen Naturanlagen in der Menschheit<br />
ewig unterentwickelt schlummern. Der Mensch will Eintracht,<br />
aber die Natur weiß besser, was für seine Gattung<br />
gut ist; sie will Zwietracht. Er will gemächlich und<br />
vergnügt leben; die Natur aber will, er soll aus der Lässigkeit<br />
und untätigen Genügsamkeit hinaus sich in Arbeit<br />
und Mühseligkeit stürzen, um dagegen dann auch<br />
Mittel herauszufinden, sich daraus emporzuarbeiten“.<br />
Safranski brachte es auf den Punkt: „Wir konkurrieren<br />
uns empor.“ Der altehrwürdige Liberalismus der europäischen<br />
Tradition denke sich keine neuen Menschen<br />
aus. Vielmehr nehme er den Menschen an, wie er ist<br />
und setze auf die produktive und zugleich zivilisierende<br />
Kraft von Wettbewerb und Konkurrenz.<br />
Zur liberalen Tradition gehört Safranski zufolge darüber<br />
hinaus ein weiterer, mit der Wettbewerbsidee<br />
zusammenhängender Gedanke: das Prinzip der Gewaltenteilung.<br />
Zum ersten Mal im 18. Jahrhundert von<br />
Montesquieu explizit formuliert, ist es uns vertraut als<br />
die Teilung der Gewalten in Exekutive, Legislative und<br />
Judikative. Es ist zu verstehen als ein Prinzip gegen das<br />
Durchregieren. Denn: Durch Demokratie allein sei die<br />
Freiheit noch nicht gesichert. Die Entwicklung einer<br />
Demokratie zur Diktatur laufe über die Aufhebung der<br />
Gewaltenteilung. Diese knüpfe an die Idee der Konkurrenz<br />
an. Sie sei nichts anderes als geregelte Machtkonkurrenz,<br />
um zu verhindern, dass eine Macht ein<br />
Monopol erringt.<br />
Staat, Wirtschaft, Religion voneinander<br />
trennen<br />
Dieses Prinzip der Gewaltenteilung müsse auch im<br />
Interesse der Freiheitsbewahrung Anwendung finden.<br />
„Man könnte die Konkurrenz zwischen Staat und Markt<br />
– und damit die freiheitsförderliche Machtbalance –<br />
zerstören, indem man entweder die Politik oder die<br />
Ökonomie allmächtig werden lässt. Beides ist ruinös.<br />
Die Geschichte des 20. Jahrhunderts hat beispielsweise<br />
gezeigt, dass ungesteuerte Märkte mit ihren<br />
Krisenzyklen katastrophale Folgen haben können. Die<br />
17
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Senator Hans-Joachim<br />
Tessner (Tessner- Gruppe/<br />
Roller, l.), der dem <strong>MMM</strong>-<br />
Club seit Jahrzehnten<br />
eng verbunden ist,<br />
und Heinrich Schulze<br />
(Fürsten-Reform)<br />
Wirtschaftskrise war eine der Voraussetzungen für<br />
den Aufstieg des Nationalsozialismus. Der Markt allein<br />
also gewährt keine Stabilität, er muss durch politische<br />
Anstrengung bewahrt werden“, führte Safranski aus.<br />
Ein weiterer bedeutsamer Aspekt der Gewaltenteilung<br />
liege in der Trennung von Politik und Religion, so<br />
Safranski. Für den Atheisten sei diese Trennung eine<br />
Selbstverständlichkeit. Für den Gläubigen sei es eigentlich<br />
eine Zumutung, die zivilen Gesetze als höherrangig<br />
zu akzeptieren als religiöse Gebote. Und doch muss<br />
der religiöse Mensch diese Zumutung ertragen lernen,<br />
ebenso wie Kritik oder Karikatur. Dass man wechselseitig<br />
entgegengesetzte Perspektiven hinnimmt, gehöre<br />
zur Kultur der Freiheit.<br />
„Das liberale Modell<br />
kann nur funktionieren,<br />
wenn die Menschen<br />
in der Lage sind,<br />
Selbstkontrolle<br />
auszuüben – innere<br />
Gewaltenteilung.“<br />
Bei einem Zusammenleben, das die Freiheit des Einzelnen<br />
bewahrt, müsse die Gewaltenteilung sogar<br />
ins Innere des Einzelnen verlegt werden. Das liberale<br />
Modell könne nur funktionieren, wenn die Menschen<br />
in der Lage sind, Selbstkontrolle auszuüben – innere<br />
Gewaltenteilung. Zur Veranschaulichung zitierte Safranski<br />
Sigmund Freud, der 1921 nach den Erfahrungen<br />
mit den „Tötungsorgien“ des Ersten Weltkriegs<br />
schrieb: „Unsere Seele ist keine friedvolle, sich selbstregulierende<br />
Einheit, sie ist eher mit einem modernen<br />
Staat vergleichbar, in dem ein vergnügungs- und<br />
zerstörungssüchtiger Pöbel von einer besonnenen<br />
überlegenen Klasse gewaltsam niedergehalten werden<br />
muss.“ Die Pointe dieser Überlegung sei, dass Freud<br />
in jedem von uns etwas Pöbelhaftes sieht, das wir in<br />
innerer Gewaltenteilung erst noch zivilisieren müssen,<br />
damit ein verträgliches Leben miteinander überhaupt<br />
möglich ist.<br />
Vorsichtiger Umgang mit dem Masseninstinkt<br />
Safranski warnte vor dem zivilisatorischen Verlust,<br />
den die sozialen Medien mit sich brächten. Sie stellten<br />
eine Ermunterung zur Enthemmung dar. Der digitale<br />
Stammtisch bleibe nicht unter sich, sondern habe eine<br />
potenziell riesige Öffentlichkeit. Enthemmung durch<br />
Anonymität sei immer gefährlich. Es gehe dabei vor allem<br />
um den Vorgang, wenn das eigene, sonst als winzig<br />
empfundene Ich mit anderen fusioniert und zu einem<br />
Massenkörper wird. Deshalb werde nach den schlimmen<br />
Erfahrungen mit politischen Massenhysterien im<br />
20. Jahrhundert die Masse als politische Größe inzwischen<br />
vorsichtig behandelt. Man gehe auch vorsichtig<br />
um mit plebiszitären Elementen, besonders in Deutschland,<br />
weil Hitler seine Politik bekanntlich auf Plebiszite<br />
gestützt habe. Es werden institutionelle, rechtliche<br />
und sonstige Vorkehrungen getroffen, damit Masseninstinkte<br />
nicht ungebremst in die Politik durchschlagen.<br />
18
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
JUM-Mitglieder aus<br />
Handel und Industrie<br />
(v. l.): Kai Kleist (Storck),<br />
Daniel Meyer (Icewind)<br />
und Friedrich Flach<br />
(Geschäftsführer Flach<br />
Rhein-Main).<br />
„Mit jedem<br />
Gebrauchsding um uns<br />
herum, das wir mit<br />
einem Computer<br />
ausstatten, knüpfen<br />
wir das Netz der<br />
Kontrolle enger.“<br />
Ein zweites Thema im Zusammenhang mit der Wahrung<br />
von Freiheit bringe der technische Fortschritt<br />
mit sich: Ursprünglich habe sich das digitale Zeitalter<br />
angekündigt mit einem Versprechen auf mehr Demokratie<br />
und mehr Freiheit. Man glaubte, die politische<br />
Machtsphäre würde dadurch transparent gemacht<br />
werden können, also eine verstärkte Kontrolle von<br />
unten nach oben. Wie sich aber inzwischen herausgestellt<br />
habe, funktioniere die Kontrolle noch besser von<br />
oben nach unten. Nicht der gläserne Politiker, sondern<br />
der gläserne Bürger sei im Zeitalter von Big Data das<br />
Thema. Und das alles geschehe zumeist freiwillig, der<br />
Bürger als Konsument gebe von sich aus seine Daten<br />
ab. Mit jedem Gebrauchsding um uns herum, das wir mit<br />
einem Computer ausstatten, knüpften wir das Netz der<br />
Kontrolle enger. So eng, dass mithilfe von Algorithmen<br />
die betreffende Person in ihrem künftigen Verhalten<br />
ausgerechnet und auf dieser Basis potenziell auch<br />
gesteuert werden könne. „Die globale Konsumentensteuerung,<br />
von der manche träumen, gefährdet unsere<br />
Freiheit“, mahnte Safranski eindringlich.<br />
Die Geister beherrschen, die wir rufen<br />
Safranski schloss seine Überlegungen mit der Rückkehr<br />
zur Gewaltenteilung. Es sei nicht auszudenken, wenn<br />
die Kontrolle über persönliche Daten in die falschen<br />
politischen Hände käme. Deshalb brauche es die Gewaltenteilung,<br />
auch mit Blick auf die digitale Welt. „Wir<br />
dürfen nicht alle Transaktionen und Kommunikationen<br />
dem digitalen Monopol überlassen. Dadurch würden wir<br />
auf ungeheure Weise angreifbar. Stellen Sie sich nur<br />
ein Atomkraftwerk, ein Krankenhaus, ein Bankensystem<br />
vor, das ausschließlich digital gesteuert ist, ohne<br />
Ausstiegsmöglichkeiten, ohne analoges Auffangsystem<br />
– wir wären im Krisenfall verloren. Auch hier steht<br />
die Freiheit auf dem Spiel. Wir sollten nach Kräften<br />
das Schicksal des Zauberlehrlings vermeiden, dieses<br />
goetheschen Zauberlehrlings, der die Geister, die er<br />
rief, nicht mehr beherrschen konnte.“<br />
19
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Die Kraft<br />
der Freiheit<br />
DR. AMEL KARBOUL<br />
Unternehmerin, Autorin, Politikerin,<br />
Aufsichtsrätin, ehemalige Ministerin<br />
für Tourismus der tunesischen<br />
Übergangsregierung<br />
Dr. Amel Karboul, Unternehmerin, Autorin, Politikerin,<br />
Aufsichtsrätin, hat als ehemalige Ministerin<br />
für Tourismus der tunesischen Übergangsregierung<br />
die Kraft der Freiheit live erlebt. Auf dem<br />
<strong>MMM</strong>-Kongress sprach sie über die Gestaltung<br />
des Wandels und die Verantwortung von Politik<br />
und Wirtschaft.<br />
Amel Karboul startete ihren Vortrag vor den <strong>MMM</strong>-Gästen<br />
mit dem Bild der Coffin-Corner (dt. Sargecke) und<br />
nahm damit Bezug auf eine weit verbreitete Reaktion<br />
von Managern, auf den wachsenden Druck mit noch<br />
mehr Controlling, noch mehr Planung, noch mehr Optimierung<br />
zu reagieren. Doch dies sei genau der falsche<br />
Weg, denn die permanente Optimierung führe zur Einengung<br />
von Handlungsspielräumen. So wie bei Flugzeugen,<br />
die hoch oben in der sogenannten Coffin-Corner<br />
fliegen, wo Mindest- und Maximalgeschwindigkeit nahe<br />
beieinanderliegen. Hoch effizient und hoch gefährlich!<br />
Jedes unvorhergesehene Ereignis kann einen Highflyer<br />
zum Absturz bringen. Karboul führte den Zuhörern vor<br />
Augen, wie schnell in der Wirtschaft Unternehmen<br />
wie Blackberry, Kodak oder Nokia fast oder ganz vom<br />
Markt verschwänden, in einem unternehmerischen<br />
Coffin-Corner untergegangen sind.<br />
Ein weiterer Fehler in vielen Management-Etagen,<br />
aber auch in der Politik, sei das weit verbreitete Railway-Denken,<br />
das keinerlei Freiheiten und Flexibilität zulasse.<br />
Der jüngste Wahlkampf in den USA habe gezeigt,<br />
wie schnell sich Rahmenbedingungen ändern könnten.<br />
Wer vor einem solchen Hintergrund an seiner starren<br />
Sichtweise festhalte und seine Ziele und Vorgehensweisen<br />
nicht anpassen könne, der werde schnell von<br />
den Ereignissen überrollt. Schon John Lennon habe erkannt:<br />
„Life is what happens to you while you are busy<br />
making other plans.”<br />
Auch Arroganz und Ignoranz seien Ursachen des<br />
Railway-Denkens. Karboul führte in diesem Kontext<br />
ein tunesisches IT-Unternehmen an. Dieser hochkompetente<br />
Betrieb habe in Deutschland zunächst nicht<br />
Fuß fassen können. Erst nachdem er eine marode<br />
belgische IT-Firma gekauft hatte und somit als europäischer<br />
Anbieter auftreten konnte, wurden ihm Türen<br />
in Deutschland geöffnet. Karboul verwies darauf, dass<br />
die deutsche und europäische Wirtschaft Gefahr laufe,<br />
lukrative Geschäfte mit dem Mittleren Osten und<br />
Afrika zu verpassen. Der Grund: das „negative Narrativ“.<br />
Während China beispielsweise in Afrika vor allem Möglichkeiten<br />
sehe, dächte Europa in erster Linie an Krieg,<br />
Armut und Probleme.<br />
„Jedes<br />
unvorher gesehene<br />
Ereignis kann einen<br />
Highflyer zum<br />
Absturz bringen.“<br />
Neue Lösungen für neue Probleme finden<br />
Dieser stete Drang, gerade in Deutschland, alles<br />
planen und optimieren zu müssen, widerspreche der<br />
aktuellen Entwicklung. Denn die Realität sei letztlich<br />
20
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Der Granatapfel. Er<br />
hat viele gleichwertige,<br />
chaotisch angeordnete<br />
Kerne und steht deshalb<br />
als Symbol für ein breites<br />
Denken in Alternativen.<br />
unberechenbar, ganz besonders im hochtechnisierten<br />
und hochvernetzten 21. Jahrhundert. Deshalb könne<br />
man dauerhaft nicht – gerade auch in der Wirtschaftswelt<br />
– mit den gleichen Methoden agieren wie<br />
in der Vergangenheit. Der technologische Fortschritt<br />
mit seiner Dynamik verändere vieles: „Es hat 38 Jahre<br />
gedauert, bis 50 Millionen Menschen ein Radio hatten.<br />
Es hat genau vier Jahre gedauert, bis die gleiche Anzahl<br />
Menschen Internet hatte“, so die Unternehmerin.<br />
Es gelte, das Railway-Denken zu durchbrechen. Sie<br />
selbst habe es getan, als sie den Anruf bekam, in<br />
Folge des Arabischen Frühlings Mitglied der Übergangsregierung<br />
in Tunesien zu werden. Sie hatte zwei<br />
Stunden Zeit, sich zu entscheiden. Alle, mit denen sie<br />
gesprochen habe, hätten abgeraten. Doch man muss,<br />
so Karboul, das Railway-Denken durchbrechen. Es sei<br />
ihr nicht leicht gefallen: Ihr Unternehmen habe sich<br />
gerade in einer guten Phase befunden, ihre Kinder<br />
seien noch klein gewesen. Doch sie habe sich für den<br />
Job der Tourismusministerin entschieden, weil sie das<br />
Gefühl hatte, gerade in diesem Moment der Freiheit<br />
Verantwortung übernehmen zu müssen.<br />
Im Zuge dieser Entscheidung habe sie das „Granatapfel-Denken“<br />
praktiziert. Der Granatapfel hat viele<br />
gleichwertige, chaotisch angeordnete Kerne und steht<br />
deshalb als Symbol für ein breites Denken in Alternativen.<br />
Wirksames Engagement der Zivilgesellschaft<br />
Freiheit und gesellschaftliches Engagement gehören<br />
für Amel Karboul nach eigenen Worten untrennbar zusammen.<br />
Früher habe Freiheit für sie bedeutet, sich<br />
nicht um Politik kümmern zu müssen. In Deutschland<br />
und den USA habe man Institutionen vertraut, gearbeitet,<br />
Hobbys gepflegt, ohne sich engagieren zu<br />
müssen. Doch die derzeitigen Entwicklungen ließen<br />
ein gelassenes Beobachten nicht mehr zu. Vielmehr<br />
verpflichte die Freiheit dazu, sich einzumischen.<br />
„Die Realität ist letztlich<br />
unberechenbar,<br />
ganz besonders im<br />
hochtechnisierten und<br />
hochvernetzten<br />
21. Jahrhundert.“<br />
Und das persönliche Engagement sei wirkungsvoll, wie<br />
sie erneut mit einem Beispiel aus Tunesien unterstrich.<br />
Während der Ausarbeitung der neuen Verfassung gab<br />
es zwei Formulierungsvorschläge: a), dass sich „Männer<br />
und Frauen komplementär ergänzen“ oder b) dass<br />
„Männer und Frauen gleich sind“. Daraufhin hätten im<br />
Sommer, mitten im Ramadan, zehntausende Frauen –<br />
von der Professorin bis zur Reinigungskraft – jeden Tag<br />
demonstriert, bis die Gleichheit in der Verfassung stand.<br />
21
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Der Arabische Frühling:<br />
Amel Karboul hat die<br />
Kraft der Freiheit in<br />
Tunesien miterlebt.<br />
Amel Karboul will sich auch künftig weiter engagieren<br />
und damit Freiheit in Verantwortung leben, wie sie unterstrich.<br />
Deshalb habe sie nach dem Ende ihrer Tätigkeit<br />
in der Übergangsregierung und nach der friedlichen<br />
und erfolgreichen Wahl beschlossen, sich um die gefährdeten<br />
jungen Menschen zu kümmern.<br />
„Wir haben ein<br />
großes Projekt gestartet<br />
zum Thema<br />
Deradikalisierung<br />
von jungen Menschen.“<br />
Heute ist sie u. a. Geschäftsführerin einer NGO, deren<br />
Thema die inklusive und nachhaltige Gestaltung der<br />
Gesellschaft und Wirtschaft in Nordafrika ist: „Wir<br />
kümmern uns um Themen wie Bildung. Wir haben ein<br />
großes Projekt gestartet zum Thema Deradikalisierung<br />
von jungen Menschen. Wir arbeiten viel in der Terrorismusprävention.“<br />
Diese neue Aufgabe sei eine ganz neue<br />
Erfahrung. Und es sei nicht immer leicht, Termine zu<br />
bekommen. Jetzt müsse sie sich in der Schlange einreihen,<br />
während früher als Vorstandsvorsitzende oder als<br />
Ministerin andere bei ihr um Termine gebeten hätten.<br />
Aber vielleicht mache gerade auch dies die Kraft der<br />
Freiheit aus: die Verantwortung, gerade dann weiterzumachen,<br />
wenn es schwer ist.<br />
BUCHTIPP:<br />
Dr. Amel Karboul: Coffin Corner –<br />
Warum auch die besten Unternehmen<br />
abstürzen können,<br />
Midas Management Verlag AG,<br />
ISBN-13: 978-3-907-10068-4<br />
22
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Freiheit bedeutet<br />
Verantwortlichkeit.<br />
Das ist der Grund,<br />
warum die meisten Menschen<br />
sich vor ihr fürchten.<br />
George Bernhard Shaw<br />
Irischer Dramatiker, Politiker und Nobelpreisträger für Literatur (1856–1950)<br />
23
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Ein Erfolgsbeispiel<br />
unternehmerischer<br />
Freiheit<br />
CLEMENS TÖNNIES<br />
Vorstandsvorsitzender der<br />
Unternehmensgruppe Tönnies,<br />
Aufsichtsratsvorsitzender<br />
des FC Schalke 04<br />
Clemens Tönnies, Vorstandsvorsitzender der Unternehmensgruppe<br />
Tönnies und Aufsichtsratsvorsitzender<br />
des FC Schalke 04, ist ein Paradebeispiel<br />
dafür, wie Unternehmertum und Freiheit miteinander<br />
verbunden sind. „Vom Revier in die Welt“ –<br />
unter diesem Titel präsentierte Tönnies in einem<br />
sehr authentischen Beitrag die Erfolgsgeschichte<br />
seines Unternehmens und ging darüber hinaus<br />
darauf ein, warum Schalke für ihn ein ganz besonderer<br />
Fußballverein ist.<br />
Drei Grundsätze habe ihm sein Vater, ein Metzger, der<br />
immer selbst geschlachtet habe, mit auf den Weg gegeben,<br />
so Tönnies zum Auftakt: „Erstens: Eine Zusage, ein<br />
Handschlag ist ein Vertrag. Zweitens: Wenn du ein Tier<br />
schlachtest, dann musst du das so human wie möglich<br />
machen. Und drittens: Du darfst nur das verkaufen, was<br />
du mit Appetit selbst isst.“ Doch der Familienbetrieb<br />
des Vaters habe dem wachsenden Konkurrenzdruck<br />
der Supermärkte nicht standhalten können. So kam<br />
es, dass Bernd und Clemens Tönnies 1971 ein neues<br />
Unternehmen gründeten, das auf die Bedürfnisse der<br />
sich arbeitsteilig aufstellenden Branche ausgerichtet<br />
war. Der Plan: Wurstwaren für SB-Theken zu produzieren.<br />
Tönnies zeichnete das rasante Wachstum des<br />
Unternehmens nach, vom Start mit einem Renault 4<br />
als Lieferfahrzeug über die Errichtung eines eigenen<br />
Betriebs in Herzebrock mit erheblicher Ausweitung des<br />
Geschäftsbetriebs bis hin zum heutigen Status quo.<br />
Unter dem Oberbegriff »Biologische Einheit« plante<br />
und etablierte Tönnies das Konzept der durchgehenden,<br />
ununterbrochenen Produktionskette in der Qualitätsfleischgewinnung.<br />
1992 wurde das einzigartige Konzept<br />
als »Inline-Produktion« am Standort Rheda-Wiedenbrück<br />
in Betrieb genommen, dem heutigen Hauptsitz<br />
der Unternehmensgruppe.<br />
Landwirte als Partner<br />
Weltweit arbeiten aktuell 12.500 Mitarbeiter für die<br />
Gruppe; der Umsatz beträgt 6,3 Milliarden Euro. Mehr als<br />
50 Prozent der Produktion exportiert die Tönnies-Gruppe<br />
in Nicht-EU-Länder. Es gehe dabei nicht um den Export<br />
von Fleisch, sondern um Spezialitäten, die in einem<br />
Zielmarkt gefragt seien, erläuterte Tönnies: Dazu zählten<br />
bspw. Ribs für den US-amerikanischen Markt oder<br />
Schweinefüße, -köpfe und anderes für China.<br />
Für die Verbraucher<br />
immer wichtiger<br />
wird die Frage des<br />
Tierwohls:<br />
Woher kommt das<br />
Fleisch?<br />
Für die Verbraucher immer wichtiger werde die Frage<br />
des Tierwohls: Woher kommt das Fleisch? Unter<br />
welchen Bedingungen sind die Tiere aufgewachsen?<br />
Man lege höchsten Wert darauf, dass in den rund<br />
17.000 landwirtschaftlichen Betrieben, die Tönnies<br />
beliefern, sorgfältig mit den Tieren umgegangen wird.<br />
Heute sei alles miteinander verzahnt, der Landwirt viel<br />
mehr Partner als früher.<br />
24
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Diskutierten Zukunftsfragen:<br />
Jens Thoms<br />
(Nestlé, l.) und Globus-<br />
Geschäftsführerin Petra<br />
Schäfer.<br />
Heute seien die Unternehmen so eng verzahnt, dass<br />
man miteinander über diesen Erfahrungsaustausch<br />
viel erreicht habe. Über die App fTRACE könnten<br />
die Verbraucher heute nachvollziehen, woher das<br />
gekaufte Fleisch stammt. Jährlich 25.000 Besucher<br />
informierten sich im Werk über die guten Produktionsstandards.<br />
Dazu gehöre beispielsweise auch die<br />
Optimierung der biochemischen Abläufe nach dem<br />
Schlachten. Durch den Einsatz verschiedener Temperaturstufen<br />
und eines neuen Kühlturms sorge man<br />
dafür, dass das Fleisch saftig und zart bleibe.<br />
Lust auf Fleisch versus Sparsamkeit<br />
Die Markt- und Rahmenbedingungen sowie das Konsumverhalten<br />
der Verbraucher haben sich verändert,<br />
erläuterte Clemens Tönnies im Folgenden. Derzeit<br />
erlebe das Rindfleisch eine Renaissance, 53 Prozent<br />
der Deutschen würden auf die Frage, was sie<br />
am liebsten essen, „Fleisch“ antworten. Gleichzeitig<br />
sehen 48 Prozent Einsparpotenzial bei Lebensmitteln.<br />
Das System sei überreizt, es gebe Handlungsbedarf<br />
und es sei an der Zeit, gemeinsam mit der Politik nach<br />
Lösungen für dieses Dilemma zu suchen. Ziel sei es,<br />
führte Tönnies aus, dass alle Hersteller und Händler<br />
sich einigen, eine tiergerechte Haltung bezahlbar<br />
zu machen. Es gehe darum, dass die Produktion in<br />
Deutschland und für die Beteiligten rentabel bleibe,<br />
um gute Produktionsbedingungen für Fleisch und Geflügel<br />
zu schaffen. Eine Verlagerung der Produktion<br />
ins Ausland mit viel schlechteren Bedingungen müsse<br />
verhindert werden. Eine klare Kommunikation sei gefragt,<br />
um ideologischen Fleischgegnern antworten zu<br />
können. Die Produzenten müssten zu ihrem Umgang<br />
und der Haltung der Tiere stehen und das auch öffentlich<br />
darlegen können.<br />
Gelebte Verantwortung<br />
Für ein Unternehmen wie Tönnies sei es eine Selbstverständlichkeit,<br />
in Verantwortung voranzugehen,<br />
unterstrich der Inhaber. Zu diesem Zweck sei die<br />
Tönnies-Forschung gegründet worden, die eine Vorreiterrolle<br />
bei der wissenschaftlichen Verbesserung<br />
des Tierwohls einnehme.<br />
„Eine klare<br />
Kommunikation<br />
ist gefragt,<br />
um ideologischen<br />
Fleischgegnern<br />
antworten zu können.“<br />
Auch das Wohl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,<br />
von denen rund 40 Prozent Werkvertragsarbeitnehmer<br />
seien, liege der Tönnies-Unternehmensgruppe<br />
besonders am Herzen: „Ordentlich mit den Menschen<br />
umzugehen, das ist unsere Pflicht“, so Clemens<br />
Tönnies mit Nachdruck. Hierzu habe man gemeinsam<br />
mit anderen Herstellern den Mindestlohn eingeführt,<br />
Betriebskindergärten und Sportangebote für die<br />
Mitarbeiter eingerichtet und in Zusammenarbeit mit<br />
Betriebsrat, Sozialamt und Kirchen Mängel in den<br />
Unterkünften abgestellt.<br />
25
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Generationenübergreifender<br />
Dialog (v. l.):<br />
Sebastian und Uli<br />
Budnik (REWE Homberg<br />
und Budnik), Frank<br />
Detemple, Startup-<br />
Experte Sebastian Diehl,<br />
Philipp Rieländer (Lüning<br />
Gruppe) und David<br />
Schilling (Brohler<br />
Mineralbrunnen).<br />
Auf Schalke<br />
Und damit leitete Tönnies zu seinem zweiten großen<br />
Betätigungsfeld über: dem FC Schalke 04. Er, Clemens,<br />
habe seinem Bruder Bernd 1994 auf dem Sterbebett<br />
versprochen, sich um Firma, Familie und den Verein FC<br />
Schalke 04 zu kümmern.<br />
Bei seinem Antreten 1994 habe er vorgeschlagen, einen<br />
Aufsichtsrat einzuführen, der dann den Präsidenten<br />
bestimmt. Der Aufsichtsrat sollte auf der Jahreshauptversammlung<br />
von den Mitgliedern gewählt werden. Dies<br />
sei der Startpunkt für das neue Schalke gewesen. Der<br />
FC Schalke sei heute exzellent aufgestellt mit absoluten<br />
Fachleuten im Management und im Marketing.<br />
Schalke sei ein Verein mit ganz besonderer Fankultur,<br />
unterstrich Tönnies. Heute habe der Verein über<br />
140.000 Mitglieder, 150.000 Fanclub-Mitglieder und<br />
1.500 Fanclubs weltweit.<br />
Auch wenn der sportliche Erfolg stets im Fokus steht,<br />
sei die wirtschaftliche Seite essenziell. Schalke habe<br />
die Schuldenlast in den letzten Jahren massiv abbauen<br />
können. Die Finanzpolitik sei auf Konsolidierung ausgerichtet.<br />
2014/15 konnte mit 215,3 Mio. Euro der zweithöchste<br />
Umsatz der Vereinsgeschichte erzielt werden.<br />
Mit 83,5 Mio. Euro aus Sponsoring und Merchandising<br />
erwirtschafte der Bereich Marketing mehr als einem<br />
Drittel des Gesamtumsatzes.<br />
spiele der FC Schalke 04 darüber hinaus als großer Arbeitgeber<br />
in der durch den Strukturwandel gebeutelten<br />
Region. Der Stamm fester Mitarbeiter umfasse 620 inklusive<br />
Aushilfen und wachse an Spieltagen auf bis zu<br />
1.200 oder sogar 1.400 an – vom Parkwächter bis zum<br />
Hilfskoch.<br />
„Schalke ist ein<br />
Verein mit ganz<br />
besonderer Fankultur.“<br />
Mit Blick auf die Zukunft sei es nötig, so Tönnies, die<br />
Einnahmeseite der Vereine zu erhöhen, um mit den<br />
anderen europäischen Ligen mithalten zu können. Verantwortung<br />
werde bei Schalke auf allen Ebenen gelebt,<br />
das war eine der Kernbotschaften von Clemens Tönnies.<br />
Dies schließe die Spieler ein. Es sei wichtig, ihnen<br />
eine möglichst gute Bildung mit auf den Weg zu geben.<br />
Deshalb habe Schalke u. a. mit der Universität St. Gallen<br />
ein Kooperationsprojekt zur Manager-Ausbildung ins<br />
Leben gerufen.<br />
Beim Blick auf die Zahlen vergesse man bei Schalke<br />
aber auch nie die soziale Verantwortung: Deswegen seien<br />
die Eintrittspreise im Stehplatzbereich im unteren<br />
Drittel der Liga angesiedelt. Eine sozial wichtige Rolle<br />
26
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
OBEN: Was machen die Rohstoffmärkte?<br />
Andreas Nickenig (Griesson –<br />
de Beukelaer, r.) im Austausch mit<br />
Jochen Spethmann (Ostfriesische Tee<br />
Gesellschaft, l.). In der Mitte: Stanislaus<br />
Syryca (Molkerei Gropper).<br />
MITTE, v. l.: Der ehemalige Perfetto-<br />
Geschäfts führer Karl-Heinz Dautzen berg<br />
mit dem Vorstandsvorsitzen den der<br />
SPAR Österreich, Dr. Gerhard Drexel,<br />
und Johannes Holzleitner (ebenfalls<br />
SPAR Österreich).<br />
UNTEN: Nestlé-Manager Christoph<br />
Ahlborn (l.) und Damian Seibert<br />
(Coca-Cola).<br />
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55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
„Positive Energie<br />
kann sich nur<br />
in Freiheit<br />
entwickeln.“<br />
ROMAN ROTH<br />
Winzer, Partner bei<br />
Wölffer Estate Vineyard<br />
„Merlot für die Wall Street: Wie ein Familienbetrieb<br />
(mit deutscher Herkunft) New York erobert“,<br />
lautete der Titel des Vortrags von Roman Roth.<br />
Der Winzer und Partner bei Wölffer Estate Vineyard<br />
sprach in München über seine Idee von Freiheit<br />
und über die Möglichkeiten, den American<br />
Dream zu leben.<br />
Der Wein schmeckt „wie abgefüllte Pornografie“<br />
schrieb die „New York Times“ über den 1997er-Merlot<br />
des Weinguts Wölffer Estate in den Hamptons. Wie<br />
man es schafft, die Öffentlichkeit und seine Kunden<br />
derart zu begeistern, davon sprach Roman Roth, der<br />
nach Winzereistationen in Deutschland, Kalifornien und<br />
Australien seit Anfang der 90er Jahre auf Long Island<br />
bei New York tätig ist.<br />
„Meine Eltern hatten eine Wein- und Getränkehandlung,<br />
eine Küferei. Ich bin also mit der Flasche aufgewachsen.<br />
Mit zarten 16 Jahren, 1982, traf ich die Entscheidung,<br />
dass das Weinmachen was für mich ist“,<br />
schildert er seine frühe Prägung, die ihn schließlich an<br />
die US-amerikanische Ostküste führte. Auf Long Island<br />
Wein anzubauen, dafür benötige man ein großes Maß<br />
innerer Freiheit, führte Roth aus, da diesem Anbaugebiet<br />
häufig große Vorurteile und Klischeevorstellungen<br />
entgegengebracht werden – auch wenn es rund<br />
400 Weinkellereien im Staat New York gibt.<br />
Wölffer startete 1992 auf Long Island. Diese wunderbare<br />
Gegend sei ein Treffpunkt für New Yorker, von Businessleuten<br />
bis zu Künstlern. In den Hamptons trifft man<br />
sich, es sei eine Gegend vergleichbar einer Kombination<br />
aus Sylt und der Côte d’Azur. Umgeben vom Atlantik<br />
herrsche ein maritimes Klima – sonnig, mit milden<br />
Wintern, spätem Frühling und einem ebenfalls späten<br />
Herbst, dem Indian Summer. „Das heißt, dass auch die<br />
Rotweine schön reifen können“, erläuterte Roth.<br />
Spitzenqualität für anspruchsvolle Kundschaft<br />
Gründer der Kellerei war Christian Wölffer. Aus Hamburg<br />
stammend sei er über Südamerika und Kanada nach<br />
Long Island gekommen. Sein besonderer Geschäftssinn<br />
und die Bereitschaft, Risiken einzugehen, trafen auf<br />
Lebensfreude und Entschlusskraft. „1992, in meinem<br />
ersten Jahr, machten wir 36.000 Flaschen Wein. Aktuell<br />
sind es im Durchschnitt jährlich 720.000 Flaschen. Wir<br />
sind eine Boutiquekellerei, die nur auf Qualität baut. An<br />
der Ostküste kann man nur mit einem Spitzenprodukt<br />
erfolgreich konkurrieren, nicht mit Quantität“, fasste<br />
Roth das Konzept von Wölffer zusammen.<br />
Freiheit habe für den Erfolg eine große Rolle gespielt.<br />
Als einer der Pioniere habe man seinen eigenen Pfad<br />
wählen und einen eigenen Stil finden können. „Wir<br />
waren nicht vorbelastet von Tradition und Vergangenheit,<br />
es gab keine Richtungen oder strengen Gesetze.<br />
Weil wir so eine junge Weinregion waren, war es egal,<br />
welchen Weg man einschlug oder welchen Wein man<br />
machte, es war immer etwas Neues. Man hatte keine<br />
lokale Konkurrenz durch alteingesessene etablierte<br />
Weingüter, sondern man musste sofort und auf höchstem<br />
Niveau mit den besten Weinen der Welt konkurrieren.<br />
Und diese internationale Konkurrenz spürt man<br />
besonders in New York“, erzählte Roth.<br />
28
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
„Summer in a bottle“:<br />
Der Rosé ist der zweitmeistgesuchte<br />
Wein auf<br />
der populären Webseite<br />
„wine-searcher.com“.<br />
Den Sommer in die Flasche bannen<br />
Der Anspruch der New Yorker habe es anfänglich sehr<br />
schwer gemacht, sei aber gleichzeitig ein guter Antrieb<br />
gewesen. Man habe auch die Freiheit gehabt, mal einen<br />
Fehler zu machen, etwas Neues zu probieren und seine<br />
Erfahrungen zu erweitern. Die Motivation war hoch.<br />
„Die Freiheit, Wege zu gehen, die die Konkurrenz nicht<br />
gehen will oder nur imitieren kann, war immer einer der<br />
wichtigsten Teile unseres Erfolgs“, schloss Roth den<br />
ersten Teil seiner Ausführungen.<br />
„Wir sind eine<br />
Boutiquekellerei, die<br />
nur auf Qualität baut.“<br />
Anschließend stellte er einige Produkte und Geschäftsideen<br />
des Wölffer Estate Vineyards im Einzelnen vor. Ein<br />
Dauerbrenner sei der Rosé des Hauses, der zur Kundschaft<br />
und zur Landschaft passe. Der erste trockene<br />
Rosé habe mittlerweile den Spitznamen „Summer in a<br />
bottle“ und sei zweitmeistgesuchter Wein auf der populären<br />
Webseite „wine-searcher.com“. Ein besonderer<br />
Chardonnay von Wölffer habe es nicht nur auf den Tisch<br />
politischer Bankette im Weißen Haus geschafft, sondern<br />
auch auf die Weinkarten von Spitzenrestaurants.<br />
Nach dem Champagner-Verfahren baut die Kellerei einen<br />
Sekt bester Qualität aus. Ein Sparkling Cider – weiß<br />
und rosé – ziehe als Neuinterpretation des Apfelweins<br />
vor allem die junge Kundschaft an. Und in Jubiläumsjahren<br />
gebe es einen speziellen Amarone-Wein aus<br />
getrockneten Trauben.<br />
Branding als Erfolgsfaktor bei den<br />
jungen Kunden<br />
Roth berichtete auch von ergänzenden Geschäftsideen,<br />
wie beispielsweise der Käserei mit Milch von Nachbarkühen<br />
auf Long Island – ein Volltreffer in Zeiten, in<br />
denen regionale Produkte wieder gefragt seien. Dazu<br />
kamen Spirituosen, insbesondere Gin, Essig, Gastronomie-Konzepte<br />
etc.<br />
Mitbestimmend für den Unternehmenserfolg sei der<br />
Aufbau eines professionellen Brandings durch die<br />
nachrückende jüngere Generation. Tolle Verpackungen,<br />
Social-Media-Auftritte und die konsequente<br />
Vermarktung eines Stils, eines Lifestyles, seien zentral<br />
für den Erfolg der hochwertigen Produkte. Das Premiumversprechen<br />
bleibe jedoch ungebrochen: „Wir sind<br />
hauptsächlich bestrebt, konsistent die höchstmögliche<br />
Qualität zu produzieren“, betonte Roth.<br />
Abschließend fasste er zusammen: „Positive Energie<br />
kann sich nur in Freiheit entwickeln. Freude und<br />
Passion und die Vermittlung dieser Einstellung an die<br />
Kunden, das ist der Schlüssel. Wenn man diese Energie<br />
mit Stil und einem Lebensgefühl kombiniert, macht<br />
das Arbeiten und das Leben Spaß, was wiederum die<br />
Kunden begeistert.“<br />
29
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Taten statt<br />
Worte<br />
HANSUELI LOOSLI<br />
Präsident des Verwaltungsrates<br />
der Schweizer Coop-Gruppe<br />
Genossenschaft, Swisscom AG,<br />
Bell AG, Transgourmet Holding AG,<br />
Coop Mineraloel AG<br />
Hansueli Loosli ist Präsident des Verwaltungsrates<br />
der Schweizer Coop-Gruppe Genossenschaft<br />
sowie der Swisscom AG, der Bell AG, der Transgourmet<br />
Holding AG und der Coop Mineraloel AG.<br />
Er zeigte auf, wie die Coop Nachhaltigkeit lebt und<br />
diese Schritt für Schritt in ihren Geschäftsfeldern<br />
implementiert hat.<br />
Was hat Nachhaltigkeit mit Freiheit zu tun? Mit dieser<br />
Frage eröffnete Loosli seine Ausführungen. Seine Antwort:<br />
„Nachhaltigkeit ist nicht nur im idealen Sinne ein<br />
Handlungsprinzip. Sie ist weit mehr als das. Sie ist aber<br />
vor allem ein Konzept der Freiheit. Denn was treibt uns<br />
zum nachhaltigen Handeln und Wirtschaften an? Es ist<br />
das Ziel – mindestens für uns –, kommenden Generationen<br />
so viele Optionen wie nur möglich offenzuhalten.“<br />
Indem man natürliche Ressourcen übermäßig nutze<br />
oder die Biodiversität einschränke, beschneide man den<br />
Handlungsspielraum zukünftiger Generationen ganz<br />
entscheidend. Freiheit sei nicht möglich ohne Nachhaltigkeit.<br />
Und nachhaltiges Wirtschaften wiederum<br />
bedeute, Verantwortung zu übernehmen. Es gehe um<br />
die Verantwortung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
und deren Arbeitsplätze, es gehe aber auch um die Verantwortung<br />
für Kapital und die Zukunftsfähigkeit des<br />
Unternehmens.<br />
Bevor er die drei Säulen der Nachhaltigkeit aus der<br />
Sicht der Coop Schweiz vorstellte, ging Loosli auf die<br />
Besonderheiten einer Genossenschaft ein und präsentierte<br />
die aktuelle Situation des Unternehmens. „Eine<br />
Genossenschaft strategisch auszurichten, ist nicht<br />
dasselbe, wie eine Aktiengesellschaft strategisch zu<br />
führen. Ich fühle mich zuerst den Konsumentinnen und<br />
Konsumenten verpflichtet. Wir haben keine Shareholder“,<br />
erläuterte er. Kundinnen und Kunden wollten weit<br />
mehr, nämlich nicht nur günstige, sondern nachhaltig<br />
produzierte Lebensmittel. „Wir als Coop-Unternehmer<br />
haben die Freiheit, zu entscheiden, ob wir auf die Kundenbedürfnisse<br />
halbherzig mit Marketing-Gags reagieren<br />
oder ob wir uns wirklich langfristig ausrichten und<br />
damit etwas bewegen für Mensch, Tier und Umwelt.“<br />
Coop habe bewusst auf schnelle Gewinne verzichtet<br />
und dafür nachhaltigen Erfolg geerntet.<br />
„Coop hat bewusst<br />
auf schnelle Gewinne<br />
verzichtet und<br />
dafür nachhaltigen<br />
Erfolg geerntet.“<br />
2,5 Millionen Eigentümer<br />
„Nachhaltigkeit ist tief in der Unternehmenskultur verwurzelt.<br />
Sie ist Teil unserer Firmen-DNA. Bereits 1989<br />
haben wir die erste Nachhaltigkeitsmarke eingeführt.<br />
Vier Jahre später haben wir mit unserer Eigenmarke<br />
Naturaplan die Bioprodukte aus der Nische geholt.<br />
Dem Biolandbau Schweiz haben wir damit zu einem<br />
entscheidenden Durchbruch verholfen. Wir haben mit<br />
zahlreichen Innovationen innerhalb unserer Sortimente<br />
Maßstäbe gesetzt“, schilderte Loosli das frühe Bekenntnis<br />
der Coop zu sinnstiftendem Wirtschaften.<br />
30
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Erläutert die Nachhaltigkeitsstrategie<br />
der Coop im Detail:<br />
Hansueli Loosli (r.) im<br />
Gespräch mit Wurst-<br />
Produzentin Astrid<br />
Schmitz (GS Schmitz).<br />
Die Fokussierung auf Nachhaltigkeit habe eine lange<br />
Tradition in der seit 150 Jahren existierenden Konsumentengenossenschaft.<br />
Sie habe als kleiner Konsumentenverein<br />
begonnen und gehöre mittlerweile insgesamt<br />
2,5 Millionen Kundinnen und Kunden. „Heute sind<br />
wir ein international aktives Unternehmen, das in den<br />
Geschäftsfeldern Einzelhandel und Produktion/Großhandel<br />
in elf Ländern tätig ist. Die Genossenschaftsstatuten<br />
von damals legten schon fest, dass Coop ihre<br />
Wettbewerbsfähigkeit auf der Basis von marktwirtschaftlichen,<br />
ökologischen und ethischen Grundsätzen<br />
nachhaltig sichern muss“, erläuterte Loosli.<br />
Um der Verpflichtung zum nachhaltigen Wirtschaften<br />
nachzukommen, müsse die Coop auf einem sicheren<br />
Fundament stehen. Dieses habe man ab 1999 gelegt,<br />
als die Zentrale und 14 regionale Genossenschaften<br />
zusammengelegt wurden. Die Selbstentmachtung der<br />
regionalen Genossenschaften sei keine Selbstverständlichkeit<br />
gewesen. Aber man habe zu der Zeit<br />
vor drei großen Herausforderungen gestanden: der<br />
Annäherung an die EU, die einen enormen Preisverfall<br />
mit sich brachte, dem Einstieg ausländischer Marktkonkurrenten<br />
in der Schweiz und dem Aufkommen<br />
des Online-Handels. Die strategische Neuaufstellung<br />
habe für die Führung die Freiheit geschaffen, diesen<br />
Herausforderungen zu begegnen.<br />
Coop baut Kompetenzen in Gastronomie aus<br />
Eine weitere Maßnahme im Zuge der Neuformierung<br />
des Unternehmens sei der Verkauf von Unternehmensteilen<br />
wie der eigenen Bank, Versicherung und Produktionsunternehmen.<br />
Man habe das Immobilienportfolio<br />
angepasst und sich fortan auf den Handel Food und<br />
Non-Food konzentriert. Die Kosteneinsparungen und<br />
Umsatzsteigerungen seien für Akquisitionen eingesetzt<br />
worden.<br />
„Ein strategischer Meilenstein war dann 2005, als wir<br />
mit Transgourmet begonnen haben, uns international<br />
im Großhandel zu betätigen. Und ich bin überzeugt,<br />
die Gastronomie und die Versorgung von Alters- und<br />
Pflegeheimen sowie von Personalrestaurants ist ein<br />
Markt mit ganz großem Wachstumspotenzial“, erläuterte<br />
Loosli. Deshalb habe die Coop in den letzten<br />
Monaten und Jahren die Kompetenzen in diesem Bereich<br />
nochmals deutlich ausgebaut. Heute, 15 Jahre<br />
nach der Neuformierung zur Jahrtausendwende, biete<br />
Coop allein in der Schweiz über zwanzig verschiedene<br />
Verkaufsformate an.<br />
Handlungsschwerpunkte mit Hebelwirkung<br />
„Wir sind deshalb erfolgreich geworden, weil es eben<br />
keine übergeordnete separate Nachhaltigkeitsstrategie<br />
gibt. Der Wille zur nachhaltigen Unternehmensführung,<br />
die Begeisterung und die Leidenschaft für dieses<br />
Thema auf höchster Ebene müssen für jeden Mitarbeiter<br />
und jede Mitarbeiterin spürbar sein, und zwar nicht<br />
eben nur einmal im Jahr, sondern im Alltag“, so Loosli.<br />
Anhand dreier Themenbereiche – Säulen – aus der<br />
Unternehmensführung verdeutlichte er diesen Ansatz.<br />
Die erste Säule sei die nachhaltige Sortimentsgestaltung.<br />
Einerseits gehe es darum, die Konsumentenbedürfnisse<br />
zu verstehen, andererseits sei es wichtig,<br />
den Fokus immer auf die Glaubwürdigkeit zu richten.<br />
31
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Warentransport: Die<br />
Coop setzt auf umweltverträgliche<br />
Lösungen.<br />
Dafür müsse man gegebenenfalls auch einmal bereit<br />
sein, auf Umsatz zu verzichten. Coop gehe als Pionier<br />
in mehrfacher Hinsicht voran. So habe sich das Unternehmen<br />
erfolgreich für die Zulassung von Insekten als<br />
Lebensmittel in der Schweiz eingesetzt. Ab Frühjahr<br />
2<strong>017</strong> werde Coop als erster Anbieter in der Schweiz –<br />
vielleicht sogar europaweit – Produkte auf Insektenbasis<br />
verkaufen. Denn Insekten – so Loosli – lassen sich<br />
sehr nachhaltig züchten. Sie brauchen wenig Wasser<br />
und Futter und produzieren im Vergleich sehr wenige<br />
Treibhausgase.<br />
„Bis 2<strong>02</strong>3<br />
will Coop<br />
CO 2 -neutral sein.“<br />
„Auch Themen wie der Biolandbau, die artgerechte Tierhaltung<br />
oder der Fair-Trade-Ansatz haben ganz klein<br />
angefangen und waren damals kein Massenbedürfnis.<br />
Doch wir haben die Vision und unser Geschäftsmodell<br />
schon vor langer Zeit so zusammengebracht, um<br />
nachhaltige Produkte in der Schweiz aus der Nische zu<br />
holen“, berichtete Loosli.<br />
Ressourcen- und Klimaschutz<br />
Der schonende Umgang mit Ressourcen und der Klimaschutz<br />
bilden die zweite Säule der Nachhaltigkeitsstrategie<br />
bei Coop. Bis 2<strong>02</strong>3 will Coop CO 2<br />
-neutral<br />
sein. Dafür ergreife man alle technisch möglichen und<br />
finanziell zweckmäßigen Maßnahmen. Und den Anteil<br />
erneuerbarer Energieträger habe das Unternehmen<br />
bereits auf siebzig Prozent angehoben. „Wir sind mit<br />
dieser Vision auf Kurs“, führte Loosli aus.<br />
Ein Großteil des CO 2<br />
-Ausstoßes entstehe im Warentransport.<br />
Deshalb habe Coop 2010 ein Transportlogistikunternehmen<br />
namens railCare gekauft. Es fördert<br />
Güter schweizweit mit eigenen Zügen in Kombination<br />
mit LKW. Der längste Transportweg erfolge auf der<br />
Schiene. Das reduziere den vor- und nachgelagerten<br />
Transport auf der Straße sehr stark, spare CO 2<br />
und<br />
Zeit, da die LKW nicht im Stau stünden. Durch die Belieferung<br />
sämtlicher Verkaufsstellen in der Stadt Genf<br />
via railCare konnte Coop 40 LKW aus dem Verkehr<br />
ziehen. Und seit 2014 setzt das Unternehmen zudem<br />
Elektro-LKW ein, die nur noch ein Drittel der Energie<br />
eines Diesel-LKW verbrauchen. Diese kommen bei der<br />
Belieferung der Supermärkte und bei der Transgourmet<br />
für Großstadtbelieferungen zum Einsatz. Konventionelle<br />
LKW werden zu einem Drittel mit Biodiesel<br />
betankt. Das mache drei Millionen Liter jährlich aus.<br />
„Wir investieren in ein visionäres Mobilitätssystem“,<br />
sagte Loosli.<br />
Soziales Engagement<br />
Als dritte Säule der Coop-Nachhaltigkeitsstrategie<br />
sprach Loosli über Personalpolitik und die Unterstützung<br />
sozialer Projekte. Das Unternehmen biete 3.000 Lehrstellen<br />
in 30 Berufen. Für Aus- und Weiterbildung investiere<br />
es jährlich 50 Millionen Franken. Wichtig für<br />
Motivation und Produktivität der Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter seien die Lohnerhöhungen von mehr als<br />
30 Prozent im Laufe der vergangenen 15 Jahre.<br />
32
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Diskutierten über die<br />
Handels-Beiträge:<br />
Stefan Schult (l.),<br />
Geschäfts führer<br />
Hela Gewürzwerk, und<br />
Christian Klebl, Soldan<br />
Holding + Bonbonspezialitäten.<br />
Im Rahmen der Coop-Partnerschaft für Berggebiete<br />
setze sich das Unternehmen für bessere Arbeits- und<br />
Lebensbedingungen in der Schweizer Bergbevölkerung<br />
ein und sichere damit eine Existenzgrundlage. Jeder<br />
Spendenfranken werde zu hundert Prozent weitergeleitet,<br />
weil Coop keine Administrativkosten verrechne.<br />
Seit 2003 existiert darüber hinaus ein Fonds für Nachhaltigkeit.<br />
„Wir investieren mit diesem Fonds zwanzig<br />
Millionen pro Jahr in rund 80 Projekte. Wir unterstützen<br />
damit drei große Schwerpunkte, zum Beispiel Innovationsprojekte.<br />
Das heißt konkret, dass wir die Forschung<br />
zu nachhaltigen Produktionsmethoden oder Produkten<br />
unterstützen und auf diese Art auch Pionierarbeit fördern“,<br />
erläuterte Loosli.<br />
„Für Aus- und<br />
Weiterbildung investiert<br />
Coop jährlich<br />
50 Millionen Franken.“<br />
Ganz aktuell habe Coop einen zentralen Meilenstein<br />
seiner Logistikstrategie realisiert und das größte Bauvorhaben<br />
der Coop-Geschichte vollendet. Es besteht<br />
aus der größten Bäckerei der Schweiz, einer neuen,<br />
nun nationalen Verteilzentrale für Tiefkühlprodukte<br />
sowie einer regionalen Verteilzentrale. „Wir produzieren<br />
in Schafisheim 60.000 Tonnen Brot und Backwaren.<br />
Wir haben in dieses Projekt 700 Millionen Franken<br />
investiert und haben damit auch etwas für den<br />
Wirtschaftsstandort getan. Aber jetzt komme ich zur<br />
Effizienz: Nach drei Jahren Anlaufzeit wird uns dieser<br />
neue Logistikstandort 60 bis 70 Millionen Franken Effizienzsteigerung<br />
bringen.“ Mit diesem Resümee schloss<br />
Loosli seine Ausführungen: „Denn eines ist klar, ohne<br />
Wirtschaftlichkeit gibt es keine Nachhaltigkeit und eine<br />
Freiheit erst recht nicht.“<br />
Ohne Wirtschaftlichkeit keine Nachhaltigkeit<br />
Abschließend gab Loosli einen Einblick in strategische<br />
Ziele des Unternehmens. So wolle Coop die<br />
Leader-Position im Convenience-Bereich ausbauen.<br />
Ebenfalls expandieren soll der Online-Bereich. Durch<br />
eine konsequente Cross-Channel-Strategie könne der<br />
Kunde verschiedene Absatzkanäle für Bestellung und<br />
Auslieferung nutzen. Die beste Auslieferstation für<br />
Unterhaltungselektronik sei bei Coop beispielsweise<br />
eine Tankstelle.<br />
33
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
„Freiheit bedeutet,<br />
sich einbringen<br />
zu können.“<br />
CHRISTOPH WERNER<br />
Mitglied der Geschäftsführung<br />
von dm-drogerie markt<br />
Christoph Werner, seit 2010 Mitglied der Geschäftsführung<br />
von dm-drogerie markt, sprach<br />
auf dem 55. <strong>MMM</strong>-Kongress über Unternehmertum<br />
und Freiheit in innovativen Handlungsfeldern.<br />
In seinem von Tiefgang und Gedankenreichtum<br />
geprägten Beitrag machte er deutlich: Es braucht<br />
die Freiheit, damit Unternehmen und ihre Mitarbeiter<br />
die komplexen Herausforderungen der<br />
heutigen Zeit meistern und sich stetig verbessern<br />
können.<br />
Nicht so sehr sein Unternehmen wolle er in den Vordergrund<br />
seiner Ausführungen stellen, kündigte Werner<br />
an, vielmehr wolle er mit seinen Zuhörern hinter die<br />
Kulissen schauen und fragen: „Was beschäftigt uns<br />
eigentlich, wenn wir in der Wirtschaft tätig sind?“ Im<br />
Falle des neu gewählten US-Präsidenten Donald Trump<br />
sei auffällig, dass er als Politiker so agiere wie zuvor<br />
als Unternehmer, der Menschen in seiner Show mit den<br />
Worten „You’re fired“ weggeschickt habe.<br />
Den Gedanken der auf einen „Lenker“ fokussierten<br />
Unternehmenskultur spann Werner weiter am aktuellen<br />
Beispiel der Volkswagen AG. VW sei ein großes<br />
Unternehmen in Deutschland und gleichzeitig auch ein<br />
Unternehmen, in dem Eigentümer, Politik und andere<br />
Interessengruppen wie die Gewerkschaften starken<br />
Einfluss ausübten. Vor dem Abgasskandal sei VW ein<br />
bewundertes Unternehmen gewesen. Jeden Euro seines<br />
Einkommens sei der Vorstandsvorsitzende Martin<br />
Winterkorn wert, habe der Betriebsratsvorsitzende<br />
damals noch verkündet.<br />
Nach dem Abgasskandal habe sich dieses Bild massiv<br />
gewandelt, unterstrich der dm-Geschäftsführer und<br />
zitierte in diesem Kontext aus einem Bericht der Süddeutschen<br />
Zeitung vom Januar 2<strong>017</strong>: „Der Druck gehört<br />
zu VW wie die berühmte Currywurst in der Werkskantine.<br />
Im November 2006 ist Scheitern für die Ingenieure<br />
daher keine Option, die beschlossene Alternative aber<br />
verwirrt und verstört sie ebenso. Ein bisschen betrügen,<br />
sich nicht erwischen lassen. Was genau wird von ihnen<br />
eigentlich erwartet? Gehör finden die Zweifler nicht.<br />
„Ein bisschen betrügen,<br />
sich nicht erwischen<br />
lassen. Was genau<br />
wird von ihnen<br />
eigentlich erwartet?“<br />
Mehrere Beteiligte erzählen später den US-Ermittlern,<br />
man habe sie nicht ernst genommen und stattdessen<br />
als Bedenkenträger gerügt oder ihnen geraten, über<br />
derart brisante Dinge lieber nicht so viel zu reden. Sie<br />
hätten sogar um ihren Job fürchten müssen.“ Und<br />
weiter: „ … Augen zu und durch. Als Entwickler bietet<br />
man ja eh nur Lösungen an, über deren Nutzung<br />
andere entscheiden. Dieselbe Hierarchie, an der man<br />
sich die Zähne ausbeißt, kann auch sehr bequem sein.<br />
Wir haben gesagt, was zu sagen war. Die Verantwortung<br />
trägt stets der nächste Vorgesetzte. Alibi per<br />
Organigramm.“<br />
34
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Händler und<br />
Industriepartner:<br />
Edeka-Händler Karsten<br />
Pabst (Hieber, l.) und Rolf<br />
Kreuchauf (Vertriebsdirektor<br />
Lindt & Sprüngli)<br />
Diese Analyse ist laut Werner bemerkenswert, denn es<br />
sei bei Volkswagen eine Situation entstanden, „in der<br />
autokratische Strukturen die Menschen entmündigen“.<br />
Die Menschen hätten sich in der Entmündigung eingerichtet<br />
und dann das getan, was gewollt wird. Hier sei ein<br />
Teufelskreis entstanden, der in der schwierigen Situation,<br />
in der sich Volkswagen derzeit befindet, gipfelte.<br />
Meisterprinzip stellt eine Person in den Fokus<br />
Einer solchen Entwicklung zugrunde liege das so genannte<br />
Meisterprinzip – die Idee, dass Wissen und die<br />
Entscheidungsgewalt bei einer einzelnen Person liege,<br />
führte Christoph Werner aus. Die übrigen folgten und<br />
täten das, was diese Person sagt. Und wer sich dem<br />
widersetze, der müsse halt gehen. Dieses Prinzip finde<br />
sich auch in der Politik. Der Absolutismus ruhe auf den<br />
gleichen Fundamenten. Ludwig XIV., der selbsterklärte<br />
Sonnenkönig, habe sich in der Rolle gesehen, über allem<br />
zu stehen und dafür zu sorgen, dass die Dinge gedeihen<br />
und wachsen können. Er habe sich durchaus als erster<br />
Diener seines Staates gesehen. Bei heutigen Unternehmenslenkern<br />
und -patriarchen wie zum Beispiel Piëch,<br />
Winterkorn, Ackermann oder auch Brandstätter von<br />
Playmobil habe man vergleichbare Haltungen beobachten<br />
können.<br />
Der dm-Geschäftsführer verwies in diesem Kontext darauf,<br />
wie sprachliche Gewohnheiten uns prägen. Viele<br />
überkommene Ideen über Manager und ihre Aufgaben<br />
seien u. a. in den Formulierungen der Wirtschaftsberichterstattung<br />
zu finden. So sei jüngst die Deutsche<br />
Bahn nach dem Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden<br />
Rüdiger Gruber als „führungsloses Unternehmen“<br />
bezeichnet worden. Dabei sei das Unternehmen keinesfalls<br />
führungslos, die Züge würden noch immer<br />
fahren. Die gewählte Formulierung sei, so Werner, eine<br />
Zumutung den Menschen gegenüber, die sich jeden Tag<br />
anstrengen, beste Dienstleistungen für die Kunden zu<br />
erbringen. Und er ergänzte: „Interessant ist auch die<br />
Begrifflichkeit, dass jemand Herr über eine Anzahl von<br />
Menschen ist. Das sind also die Gedankenfiguren, die<br />
uns doch noch sehr bewegen und die scheinbar auch<br />
unseren Blick auf die Dinge prägen.“<br />
Unbeweglichkeit ist der Preis für<br />
Branchenkonsolidierung<br />
Autokratische Strukturen geraten aber an ihre Grenzen,<br />
so Werner, wenn das Umfeld, in welchem sie<br />
agieren, in Bewegung kommt und dadurch nicht mehr<br />
berechenbar sei.<br />
„Die Menschen haben<br />
sich in der Entmündigung<br />
eingerichtet<br />
und dann das getan,<br />
was gewollt wird.“<br />
Der Lebensmittelhandel als Branche, mit der alle Anwesenden<br />
vertraut seien, und auch der Zweig, in dem<br />
dm-drogerie markt aktiv ist, seien im Prinzip „eigentlich<br />
gar nicht so kompliziert“, so Werner. Für den Erfolg<br />
brauche der Händler günstige Einkaufspreise und niedrige<br />
Prozesskosten. Deswegen sehe man im deutschen<br />
35
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Auf einer Wellenlänge:<br />
Stephan Füsti-Molnár<br />
(l.), General Manager<br />
Germany Henkel Waschund<br />
Reinigungsmittel,<br />
und dm-Geschäftsführer<br />
Christoph Werner, der mit<br />
seinem inhaltsstarken<br />
Kongress-Beitrag auf<br />
positive Resonanz stieß.<br />
Lebensmitteleinzelhandel eine große Konzentration.<br />
Es gebe eine enorme Konsolidierung und damit einen<br />
enormen Zuwachs der Unternehmensgrößen mit Umsätzen<br />
im Milliardenbereich. Diese Größe versetze die<br />
Handelsunternehmen in die Lage, Dinge durchzusetzen.<br />
Die Größe habe aber auch ihren Preis: zunehmende<br />
Unbeweglichkeit der Organisation und Veränderungsresistenz.<br />
Antifragil: Unter Stress zu besseren<br />
Ergebnissen kommen<br />
Die Unternehmen müssten diese Flexibilität und<br />
Handlungsfähigkeit aber gerade jetzt kultivieren,<br />
wo die Gewitterwolken der Veränderung aufziehen –<br />
durch die auch im Handel einsetzende Digitalisierung.<br />
Was bedeutet der Online-Handel? Wie müssen sich<br />
große Unternehmen wie dm darauf einstellen?, stellte<br />
Christoph Werner seine Fragen in den Raum. Die Einkaufsfrequenz<br />
in den Innenstädten nehme bereits ab.<br />
Erfolgreiche Händler wie Butlers verschwänden vom<br />
Markt. Die zentrale Frage laute daher: „Mit welcher<br />
Vorgehensweise können wir die Veränderungswilligkeit<br />
und auch die Initiativkraft in Unternehmen aktivieren?<br />
Welche Konzepte haben wir dafür?“<br />
Hilfreiche Antworten biete das Buch „Antifragilität“<br />
von Nassim Taleb, der auch das Buch „Der Schwarze<br />
Schwan“ verfasst hat. Was Antifragilität konkret<br />
bedeutet, machte Christoph Werner anhand eines<br />
Beispiels deutlich: Weingläser zerbrechen bei unsachgemäßem<br />
Transport. Sie sind fragil. Ein Metallblock<br />
hingegen bleibt auch, wenn er Stress ausgesetzt<br />
ist, unverändert – aufgrund seiner Robustheit. Anti-<br />
fragilität sei mehr als Resilienz oder Robustheit. Das<br />
Resiliente, das Widerstandsfähige widerstehe Schocks<br />
und bleibe gleich; das Antifragile werde besser.<br />
Individuell und dezentral wirken<br />
„Wie muss ein Unternehmen aussehen, damit es unter<br />
Stress besser wird?“ Genau diese Frage muss uns<br />
beschäftigen: Wie müssen Organisationen aufgestellt<br />
sein, damit sie unter dem Stress der Dynamik in dem<br />
Umfeld, in dem sie wirksam sind, besser und nicht<br />
schlechter werden?“ Hier komme der Unterschied zwischen<br />
agil und antifragil zum Tragen: „ Agil kann man<br />
sein, indem man die Dinge schnell verändert. Agilität<br />
können Sie auch noch in gewisser Weise anweisen, aber<br />
Antifragilität können Sie nicht mehr anweisen. Letzten<br />
Endes geht es ja um Lernfähigkeit“, erläuterte Werner<br />
und fuhr fort: „Wenn das Meisterprinzip aus dem<br />
Zentrum gewirkt hat, dann muss das neue Prinzip der<br />
Antifragilität eigentlich aus der Peripherie wirken.<br />
„Was bedeutet der<br />
Online-Handel?<br />
Wie müssen sich große<br />
Unternehmen wie dm<br />
darauf einstellen?“<br />
Es muss auf die Fähigkeit der Einzelnen in der Organisation<br />
setzen, mitzudenken, die Dinge voranzutreiben,<br />
das Wesentliche erkennen zu können. Wenn das<br />
Meisterprinzip die Dinge vorgeben möchte, setzt das<br />
36
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
REWE-Verantwortliche<br />
im Gespräch (v. l.):<br />
Vorstandsmitglied<br />
Manfred Esser mit den<br />
Bereichsvorständen<br />
Christoph Matschke und<br />
Michael Jäger.<br />
neue auf die Kraft, die im Einzelnen schlummert. Der<br />
Einzelne in der Organisation ist jetzt nicht nur der Erfüllungsgehilfe,<br />
sondern ein Aktivposten in einem durch<br />
Veränderungsstress geprägten Umfeld.“<br />
Dafür sei Freiraum nötig, damit sich der Einzelne ausdrücken<br />
und einbringen kann. Es gebe zwei Aspekte von<br />
Freiheit, der eine sei der Aspekt „Freiheit von etwas“,<br />
der andere „Freiheit für etwas“. Letzterer sei der wichtige:<br />
Denn Freiheit beziehe sich auf die Möglichkeit,<br />
sich einbringen zu können. Sie verlange allerdings auch,<br />
dass man sich einbringen wolle. „Freiheit ist kein Ziel<br />
an sich, Freiheit ist ein Zustand, der erst ist, wenn er<br />
wird. Lassen wir Freiheit zu. Es wird auf die einzelnen<br />
Menschen ankommen, die sich bei dm-drogerie markt<br />
einbringen wollen. Um die werben wir permanent, um<br />
die bemühen wir uns. Wir wissen aber, dass Freiheit<br />
notwendig sein wird, damit das zum Ausdruck kommen<br />
kann, was Menschen in unserer Arbeitsgemeinschaft<br />
letzten Endes stark machen wird“, schloss Werner seine<br />
Ausführungen.<br />
37
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
GET-TOGETHER<br />
Kommunikative Atmosphäre bei exzellenten<br />
Speisen und Getränken: Die <strong>MMM</strong>-Teilnehmer schätzen<br />
das Miteinander im besonderen Ambiente von<br />
38
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
39
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
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55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
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55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
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55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
GALA-ABEND<br />
Festlich: Der Gala-Abend ist traditionell der<br />
gesellschaftliche Höhepunkt des <strong>MMM</strong>-Kongresses,<br />
der im 55. Jahr in Folge in München stattfand.<br />
60
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
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55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
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55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
77
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
„Build the future!“<br />
Nachhaltig<br />
handeln,<br />
Sinn stiften<br />
DR. AUMA OBAMA<br />
Stiftung Sauti Kuu<br />
(dt.: Starke Stimmen)<br />
Dr. Auma Obama präsentierte in einem eindrucksvollen<br />
Beitrag das Wirken ihrer Stiftung Sauti Kuu<br />
(dt.: Starke Stimmen). Unter dem Titel „Build the<br />
future!“ betonte sie mit Blick auf die aktuelle Entwicklungspolitik<br />
der westlichen Welt, dass diese in<br />
die Sackgasse führe. Es gelte, den Menschen in<br />
den so unterschiedlichen afrikanischen Ländern<br />
auf Augenhöhe zu begegnen, die Eigenverantwortung<br />
zu stärken.<br />
„Was bedeuten für mich Freiheit und Selbstbestimmung?“<br />
Mit dieser zentralen Frage stieg Auma Obama<br />
in ihren Vortrag ein. Persönlich sei sie ihrem Wunsch<br />
nach Freiheit gefolgt, als sie mit 19 Jahren von zuhause<br />
geflüchtet sei. Ihr Vater hatte ihr Leben vorgeplant. Kulturell<br />
bedingt sei von ihr erwartet worden, dass sie sich<br />
als Mädchen, als Frau dem Familienoberhaupt beuge,<br />
doch sie selbst habe sich als Individuum gesehen. „Über<br />
die Selbstbestimmung kommt die Freiheit. Das habe ich<br />
gelernt in der Zeit“, erzählte sie.<br />
Für ein selbstbestimmtes Leben brauche das Individuum<br />
eine Stimme. Sie sei mit der Erfahrung groß geworden,<br />
dass ihre – weibliche – Stimme nicht gehört werde.<br />
Zudem sei sie auch so erzogen worden, hinter den<br />
Brüdern zurückzustehen. Deshalb sei sie ein stilles Kind<br />
gewesen. Erst im Studium in Deutschland habe sie ihre<br />
Stimme gefunden. An der Universität habe ihre Stimme<br />
plötzlich gezählt, im akademischen Sinne war sie einfach<br />
ein Mensch. Und die deutsche Diskussionskultur<br />
habe ihr Übriges getan. „Über meine Stimme konnte ich<br />
mich dann bestimmen und habe eine Freiheit gefunden,<br />
die mich zu dem gemacht hat, was ich heute bin, wie ich<br />
hier vor Ihnen stehe“, sagte sie und leitete damit zur<br />
Arbeit ihrer Stiftung Sauti Kuu über.<br />
Selbstbestimmt gegen die Opfermentalität<br />
Den jungen Menschen zu starken Stimmen zu verhelfen,<br />
sei das Ziel der Stiftung, unterstrich die Schwester des<br />
ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama: „Wir versuchen,<br />
jungen Leuten – Kindern, Jugendlichen und ihren<br />
Familien – zu helfen, sich selbst zu bestimmen. Sie sollen<br />
zu einer Freiheit gelangen, die es ihnen erlaubt, aus<br />
der Armut herauszukommen, sich neu zu definieren und<br />
unabhängig zu werden“, erläuterte Obama. Der Gegensatz<br />
von Freiheit sei Abhängigkeit oder Gefangenschaft.<br />
Die Stiftung versuche, ihnen Selbstbewusstsein und<br />
Mut zu geben, damit sie zu dieser Art der Freiheit gelangen.<br />
Eine Freiheit, die bedeutet, nicht Opfer zu sein.<br />
„Wir versuchen,<br />
jungen Leuten –<br />
Kindern, Jugendlichen<br />
und ihren Familien –<br />
zu helfen, sich selbst zu<br />
bestimmen.“<br />
Denn die Opfermentalität sei ein großes Problem in Afrika,<br />
führte Obama weiter aus. Viele Menschen hielten<br />
sich für Opfer, die sich nicht selbst aus ihrer Misere heraushelfen<br />
könnten. Der Westen sehe Afrika noch heute<br />
vornehmlich als armes Land, nicht als Kontinent. Durch<br />
78
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Austausch: Storck-<br />
Geschäftsführer Sascha<br />
Gervers (l.) und Markenexperte<br />
Martin Pahnke.<br />
das Bild von Afrika, das nur Elend, Leid und Not kenne,<br />
definiere der Westen Afrika noch immer als Opfer. Die<br />
Antwort darauf sei, getrieben von schlechtem Gewissen:<br />
die klassische Entwicklungshilfe. Doch die, so Obama,<br />
biete keine Freiheit, sondern im Gegenteil Abhängigkeit.<br />
„Wir bestimmen nicht selbst, was mit uns passiert. Wir<br />
definieren uns nicht selber, wir entscheiden nicht und<br />
wir haben keinen Impuls, um etwas zu ändern an unserer<br />
Situation. Und die Arbeit, die ich mache, ist der Versuch,<br />
diese Opfermentalität loszuwerden.“<br />
Menschen als Partner in der<br />
Wertschöpfungskette<br />
Um das beschriebene Problem zu lösen, gelte es zunächst,<br />
der Opfermentalität in Afrika zu begegnen.<br />
Der erste Schritt dabei sei, Armut neu zu definieren:<br />
In Afrika gelte als arm, wer kein fließendes Wasser hat<br />
und keinen Strom. In Nordeuropa aber gebe es Menschen,<br />
die teures Geld für Urlaub in einer Hütte ohne<br />
Strom und fließendes Wasser ausgäben. „Die Definition<br />
von Armut müssen wir selber neu erfinden, eine eigene<br />
Identität bestimmen, was wir sind, wer wir sind. Wenn<br />
ich kein fließendes Wasser und keinen Strom habe, aber<br />
Land habe, dann bin ich nicht arm. Und das übersehen<br />
wir auf dem Kontinent.“<br />
Obamas zweite These: Man müsse Entwicklungshilfe<br />
neu definieren. Denn, so ihre Erläuterung: „Entwicklungshilfe<br />
ist keine Hilfe, da mit bloßer Hilfe Abhängigkeiten<br />
geschaffen werden. Mit Hilfe kreiert man<br />
Passivität.“ Im Rahmen eines moderneren Konzepts<br />
von Entwicklungszusammenarbeit seien die potenziellen<br />
Empfänger von Hilfe selbst verantwortlich für das,<br />
was mit ihnen passiert. Es müsse eine neue Sicht auf<br />
die Entwicklungszusammenarbeit geben. Der Fokus<br />
müsse auf die Wirtschaftlichkeit gerichtet werden,<br />
um den Menschen am Ende finanzielle Unabhängigkeit<br />
zu ermöglichen. Sie müssten Teil einer Wertschöpfungskette<br />
werden. Auma Obama: „Philanthropie ist<br />
nicht das Richtige. Es gibt einen Unterschied zwischen<br />
akuter Konflikt- und Katastrophenhilfe einerseits und<br />
nachhaltiger Entwicklungszusammenarbeit andererseits.“<br />
Nothilfe brauche man nach einem Tsunami,<br />
einer Hungersnot oder einem Erdbeben. Nothilfe könne<br />
aber nicht planvolle, nachhaltige wirtschaftliche<br />
Entwicklung ersetzen.<br />
„Philanthropie ist nicht<br />
das Richtige.“<br />
Kinder und Jugendliche stark machen<br />
„Was machen wir bei Sauti Kuu? Wir kümmern uns um<br />
Kinder und Jugendliche zwischen vier und 25 Jahren.<br />
Wir hören zu, wir reden mit ihnen und wir provozieren<br />
sie. Bezogen auf die Frage der Entwicklungshilfe: Wir<br />
geben ihnen keinen Fisch, wir zeigen ihnen nicht, wie<br />
sie fischen. Wir fragen sie, ob sie Fisch essen. In dem<br />
Moment, in dem dieses Gespräch stattfindet, fangen<br />
wir an, wirklich was zu ändern in ihrem Leben, was zu<br />
ändern an ihrer Einstellung, ihren Wertvorstellungen<br />
und ihrem Verständnis von sich selbst. Sie müssen ihre<br />
eigene Stimme finden. Sie müssen ihr Leben selbst<br />
bestimmen. Nur so können sie zu Freiheit gelangen“,<br />
erläuterte Obama das Konzept ihrer Arbeit.<br />
79
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Mopro-Experten:<br />
Günter Brandmeier<br />
(Sachsenmilch, l.) und<br />
Christian Ehrmann,<br />
Vorstandsvorsitzender<br />
der Ehrmann AG.<br />
Die Menschen lernten, auch mal Nein zu sagen und<br />
ihren Plan vom Leben zu verfolgen. Solange man einen<br />
Plan B habe, sei man frei. Die Kinder und Jugendlichen<br />
lernten ihre Potenziale kennen. „Wir sagen ihnen: ‚You<br />
are your future’, Du bist deine Zukunft.“<br />
Im Kontext der Stiftungsarbeit sei es wichtig, berufliche<br />
Möglichkeiten aufzuzeigen. Derzeit baue die Stiftung<br />
ein Zentrum, in dem handwerkliche Fähigkeiten in<br />
einer Werkstatt vermittelt werden. Jeder wolle in einem<br />
Büro arbeiten. Landarbeit oder Arbeit mit den Händen<br />
sei, so die allgemeine Auffassung, etwas für Versager.<br />
Eine Bestrafung in der Schule sei es, die Kinder zum<br />
Ackerbau zu schicken. Deshalb sei es wichtig, Arbeit<br />
mit den Händen wieder attraktiv zu machen. „Genauso<br />
wie in Europa braucht man bei uns die Handwerker.<br />
„Es gibt keine<br />
absolute Freiheit,<br />
weil wir alle<br />
verantwortlich sind<br />
füreinander, ob wir es<br />
wollen oder nicht.“<br />
Globale Verantwortung für ein<br />
nachhaltiges Miteinander<br />
Auf dem afrikanischen Kontinent schaue man immer<br />
nach Westen und orientiere sich daran. Dies gelte es<br />
zu ändern. Es gehe um die Frage: Wie funktionieren wir<br />
miteinander, um zu Freiheit zu gelangen? Angesichts<br />
der aktuellen Katastrophen, von Flucht und Migration<br />
stecke die Freiheit in der Krise. „Die Definition von Freiheit<br />
hat sich geändert. Freiheit müsste eigentlich ein<br />
grundlegendes Menschen- und Bürgerrecht sein. Doch<br />
Freiheit ist bedingt. Es gibt keine absolute Freiheit, weil<br />
wir alle verantwortlich sind füreinander, ob wir es wollen<br />
oder nicht“, so die eindringlichen Worte Obamas.<br />
Grundsätzlich seien alle Menschen gemeinsam für die<br />
Welt verantwortlich. Philanthropie helfe mit Blick auf<br />
Afrika nicht ausreichend weiter. Nachhaltige Hilfe zur<br />
Selbsthilfe sei gefragt.<br />
Aber das Ansehen ist sehr gering und deswegen ist die<br />
Arbeitsethik in diesem Zusammenhang sehr schlecht.<br />
Wir arbeiten daran, dass die jungen Leute wissen, Bildung<br />
ist mehr, als nur mit dem Kopf zu arbeiten“, führte<br />
Obama aus.<br />
80
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Bester Dinge:<br />
OBEN (v. l.): Wolfgang Wehner<br />
(Groma), Friedrich Enders<br />
(Enders), Karlheinz Reidelbach,<br />
Klaus Franz und Korbinian<br />
Lechner (alle Höhenrainer<br />
Delikatessen).<br />
MITTE: Stammgäste: Markus<br />
und Evi Brandl (l., vinzenzmurr)<br />
sowie Stephan Paulke<br />
(Vorstandsvorsitzender Basic,<br />
l.) und Felix Muxel (Gruppe<br />
Nymphenburg).<br />
UNTEN: REWE-Manager<br />
Jochen Baab (M.), Geschäftsführer<br />
Ware Discount, im<br />
intensiven Austausch.<br />
81
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
„Das Ende<br />
der Freiheit,<br />
langweilen<br />
zu dürfen.“<br />
PROF. JEAN-REMY<br />
VON MATT<br />
Mitbegründer der Agentur<br />
Jung von Matt<br />
Jean-Remy von Matt gilt als der profilierteste<br />
Werber Deutschlands. In seinem Vortrag auf dem<br />
<strong>MMM</strong>-Kongress erläuterte er dem Auditorium in<br />
einem kurzweiligen Beitrag, welche Möglichkeiten<br />
und welche neuen Freiheiten die digitale Revolution<br />
für die Kommunikation eröffnet und was gute<br />
Kommunikation heute ausmacht. Für Marken gebe<br />
es auf diesem Feld drei Optionen: „Unterhalten,<br />
unterstützen, untergehen“, unterstrich der gebürtige<br />
Belgier und Mitbegründer der Agentur Jung<br />
von Matt.<br />
„Nichts ist tödlicher als Langeweile“, so die Auftaktthese<br />
von Jean-Remy von Matt. Zeit sei heute für viele<br />
das kostbarste Gut. Deshalb könnten Werber heute<br />
nur die Aufmerksamkeit des Verbrauchers gewinnen,<br />
wenn sie sein Interesse weckten, ihm etwas gäben.<br />
Die digitale Revolution habe den Mediennutzer zu einem<br />
freien Menschen gemacht. Genüsslich könne er<br />
sich sein Menü zusammenstellen und herauspicken,<br />
was ihm gefällt, was ihn interessiert. Genauso könne<br />
er löschen oder wegwischen, was ihn langweilt. Doch<br />
nicht nur den Kunden, auch den Marketing-Fachleuten<br />
habe die digitale Revolution neue Freiheiten eröffnet.<br />
Mit innovativen Technologien biete sie neue Chancen,<br />
Kaufprozesse vorzubereiten und Kundenbeziehungen zu<br />
vertiefen. „Eine Freiheit hat sie uns allerdings für immer<br />
genommen, nämlich die Freiheit, langweilen zu dürfen“,<br />
untermauerte von Matt den Titel seines Vortrags.<br />
Von Gutenberg zu Zuckerberg<br />
Als Angela Merkel vor Jahren das Internet als Neuland<br />
bezeichnet hat, habe sich die Netzgemeinde hysterisch<br />
entrüstet. Doch die Kanzlerin hatte damals wie heute<br />
recht, betonte der Werbeprofi, denn das Internet erfülle<br />
alle Kriterien eines neu zu entdeckenden Landes.<br />
„Neuland“ sei Internet deshalb, weil Medien, Industrie,<br />
Werbung, Politik, vor allem auch Gesetzgebung noch<br />
nach dem idealen Weg suchten. Nichts sei konsolidiert<br />
und vieles noch nicht vorhersehbar.<br />
Die Zeitachse in der Geschichte der Kommunikation habe<br />
zwei Peaks: Einen vor fünfhundert Jahren, als Gutenberg<br />
mit seiner Erfindung des Buchdrucks geistige Inhalte<br />
zum Massenartikel gemacht habe, und einen, als Facebook-Gründer<br />
Mark Zuckerberg – stellvertretend für<br />
das soziale Internet – Inhalte omnipräsent und interaktiv<br />
zugänglich gemacht habe. „Diese zwei Innovationspeaks<br />
haben Kommunikation revolutioniert.“ Die Erfindungen<br />
dazwischen – Telefon, Radio und Fernsehen – hätten<br />
eine weit weniger disruptive Wirkung gehabt.<br />
Drei Investment-Tipps<br />
Im Folgenden riet von Matt zu drei aus seiner Sicht<br />
wichtigen Investitionen:<br />
1. „Investieren Sie in Ihren Kunden, denn er ist jetzt<br />
nicht mehr nur Käufer, er ist ein Medium geworden,<br />
ein wichtiger Multiplikator. Machen Sie ihn zu einem<br />
Markenbotschafter, denn ein Heer von Markenbotschaftern<br />
wirkt nicht nur wie ein zweiter Außendienst,<br />
sondern auch wie ein Schutzwall beim Shitstorm, weil<br />
dieses Heer Ihre Marke verteidigen wird.“<br />
2. „Investieren Sie in Ihre Marke, denn nichts reduziert die<br />
Komplexität in einer undurchsichtigen Welt effizienter<br />
82
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Stets bei <strong>MMM</strong>-<br />
Kongressen vor Ort:<br />
Franz-Friedrich Müller<br />
(Markant, l.) zusammen<br />
mit Stephan Füsti-Molnár<br />
und Marc Aurel Boersch<br />
(r.), Nestlé Niederlande.<br />
als eine starke Marke. Und gerade im Online-Handel,<br />
wo eine Ware nicht direkt geprüft werden kann, ist die<br />
wichtigste Grundfunktion einer Marke, die Qualitätsgarantie,<br />
wichtiger denn je.“<br />
3. „Investieren Sie in Ihre Inhalte, in Kreativität, in<br />
Nutzwert, in Ideen, denn die neue harte Währung<br />
der Kommunikation heißt: Teilen. Und geteilt werden<br />
selbstverständlich nur teilwürdige Inhalte. Denken Sie<br />
auch daran, dass jeder geteilte Inhalt eine Empfehlung<br />
von jemandem ist, dem man freiwillig folgt, also ein besonders<br />
glaubwürdiges Testimonial.“<br />
Um sich in der digitalen Welt heute durchzusetzen, seien<br />
nicht nur Investitionen in attraktive Inhalte notwendig,<br />
sondern auch zunehmend Investitionen in deren<br />
gezielte Verbreitung.<br />
Zwischen<br />
Relevanz<br />
und Firlefanz<br />
Frage man danach, was im Internet Erfolg habe und<br />
Zugriffe generiere, tauche immer wieder das Zauberwort<br />
„Relevanz“ auf. Jean-Remy von Matt stellte in<br />
diesem Kontext fest, dass die meistgeteilten Inhalte in<br />
der Regel nicht relevant im Sinne von bedeutsam seien.<br />
Relevanz gehe davon aus, dass der Mensch vornehmlich<br />
rational gesteuert werde. Die emotionale Seite werde<br />
dabei oft vergessen. Und deshalb brauche es neben<br />
der Relevanz auch den „Firlefanz“, die emotionale<br />
Ansprache, „damit uns der Verbraucher überhaupt zuhört“.<br />
Jede Marketing-Botschaft müsse einen Mehrwert<br />
bieten. Dieser könne rational oder emotional sein.<br />
Unterstützen, unterhalten, untergehen<br />
„Drei Türen stehen heute der Marketing-Kommunikation<br />
offen“, führte von Matt weiter aus, und unterlegte<br />
seine Thesen mit Beispielen (EDEKA-Kampagne<br />
#heimkommen, Kampagne des Erotik-Versenders eis.<br />
de und die Kampagne der Berliner Verkehrsbetriebe<br />
BVG) der eigenen Agentur-Arbeit.<br />
Auf der ersten Tür stehe „Unterstützen“ geschrieben,<br />
das heißt, Verbrauchern nützliche Inhalte bieten. Dies<br />
könne in Form von hilfreichen Apps sein, von Tutorials<br />
oder in Form von Kaufentscheidungshilfen, beispielsweise<br />
einem Car Configurator. Auf der zweiten Tür stehe<br />
„Unterhalten“ – dies könne in vielfältiger Form, etwa<br />
im Rahmen von Spielen oder Videos, geschehen. Und<br />
die dritte Tür? Auf ihr stehe das Wort „Untergehen“, sie<br />
führe ins Nichts, denn alles, was nicht unterhalte oder<br />
unterstütze, sei in der Ära der freien Mediennutzung<br />
zum Untergang verdammt.<br />
„Denken Sie immer an diese drei Türen, wenn Sie Kommunikation<br />
planen, und vergessen Sie nicht: Die dritte<br />
steht immer offen“, so von Matt, der abschließend<br />
hinzufügte: Für die ersten zwei Türen brauche man<br />
Schlüssel in Form von Kreativen, die wissen, wie man<br />
Wirkung erzielt. Aber noch viel wichtiger sei eine Marketing-Leitung<br />
im eigenen Unternehmen, „die weiß, wie<br />
man mit diesen Kreativen, die alle eine Meise haben,<br />
umgehen kann“.<br />
83
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
„Das<br />
demokratischste<br />
Restaurant<br />
der Welt.“<br />
HOLGER BEECK<br />
Vorstandsvorsitzender und Präsident<br />
von McDonald’s Deutschland Inc.<br />
Holger Beeck, Vorstandsvorsitzender und Präsident<br />
von McDonald’s Deutschland Inc., sprach über<br />
seine persönlichen Erfahrungen mit der Freiheit,<br />
den Freiheitsbegriff bei McDonald’s sowie Wandel<br />
und Neuorientierung im „Restaurant der Zukunft“.<br />
„Gebt mir eure Müden, eure Armen<br />
Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren,<br />
Die bemitleidenswerten Abgelehnten<br />
eurer gedrängten Küsten;<br />
Schickt sie mir, die Heimatlosen,<br />
vom Sturme Getriebenen,<br />
Hoch halt’ ich mein Licht am gold’nen Tore!<br />
Sende sie, die Heimatlosen,<br />
vom Sturm Gestoßenen zu mir.<br />
Hoch halte ich meine Fackel am goldenen Tor.“<br />
„Viele von Ihnen kennen diese Zeilen“, leitete Holger Beeck<br />
seinen Vortrag ein. „Sie stammen von Emma Lazarus und<br />
finden sich auf einer Bronze-Inschrift am Fuße der New<br />
Yorker Freiheitsstatue.“ Für ihn seien dies Worte mit einer<br />
sehr tiefen und sehr persönlichen Bedeutung.<br />
„McDonald’s als<br />
Synonym für Freiheit,<br />
für den American<br />
Way of Life,<br />
für die unbegrenzten<br />
Möglichkeiten.“<br />
Dass er in der DDR aufgewachsen sei, habe ihn und<br />
seinen Lebensweg entscheidend geprägt. Der Wunsch<br />
nach Freiheit habe in passiven Widerstand gemündet<br />
und ihn als sogenannten staatenlosen Flüchtling nach<br />
West-Deutschland gebracht. „Raus im April 1984.<br />
Meine Frau mit dem zweiten Kind im neunten Monat<br />
schwanger – das erste fünf Jahre alt. Was anfangen<br />
mit der so lang ersehnten großen Freiheit?“ Auf der<br />
Suche nach Arbeit sei er auf eine Stellenanzeige von<br />
McDonald’s aufmerksam geworden.<br />
Die Frage nach seiner Herkunft und die bisherige<br />
Ausbildung seien nur Einstieg ins Gespräch gewesen.<br />
Wichtiger seien Fragen gewesen wie: Wo willst<br />
du hin? Was willst du werden? Was kann dein Beitrag<br />
sein? Bist du gerne mit Menschen zusammen? So sei<br />
McDonald’s Chancengeber für seinen Neuanfang geworden:<br />
McDonald’s als Synonym für Freiheit, für den<br />
American Way of Life, für die unbegrenzten Möglichkeiten.<br />
Genau so habe er das Unternehmen erlebt und<br />
darauf sei er auch heute noch sehr stolz. Holger Beeck:<br />
„Unsere Werte, unser Markenversprechen, unser gesamtes<br />
Geschäftsmodell leitet sich von dieser Freiheit<br />
ab.“ Und diese Freiheit, die kleine Freiheiten im Alltag<br />
bedeuteten, erkläre auch die Erfolgsgeschichte.<br />
McDonald’s habe die Deutschen von den damals fast<br />
alternativlosen Bockwürsten, Brathähnchen, Salzkartoffeln<br />
und vor allen Dingen den strengen Tischsitten<br />
befreit. McDonald’s habe Familien einen Ort gegeben,<br />
an dem Kinder kleckern und lachen dürfen und nicht<br />
funktionieren müssen.<br />
84
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Spirituosen-Experten,<br />
die sich verstehen:<br />
Christian Fehling (Gräflich<br />
von Hadenberg`sche<br />
Kornbrennerei, l.)<br />
und Wilfried Mocken<br />
(Underberg).<br />
Aufstiegschancen und Entfaltungsfreiheit<br />
Wenige andere große Unternehmen, am ehesten noch<br />
Start-ups, seien so „durchlässig“ wie McDonald’s. Der<br />
Weg bis ganz nach oben sei hart, aber nicht unmöglich.<br />
Herkunft sei dabei nicht entscheidend, sondern die Haltung<br />
zum Leben und der unbändige Wille zum Erfolg.<br />
Und, so Holger Beeck: Aufstieg und Entfaltungsfreiheit<br />
seien bei McDonald’s für Frauen nicht nur möglich, sondern<br />
die Regel. 52 Prozent der Mitarbeiter seien Frauen,<br />
viele davon in Führungspositionen: 46 Prozent in den<br />
Restaurants der Company als Restaurant-Managerinnen<br />
sowie 30 Prozent in der Verwaltung.<br />
McDonald’s liefere damit den Beweis für die Einlösung<br />
eines großen Versprechens: Leistung lohnt sich!<br />
Auch das Franchise-System stehe für Freiheit:<br />
McDonald’s sei quasi ein Inkubator für unternehmerische<br />
Freiheit. Als Franchise-Geber unterstütze<br />
es Menschen auf ihrem Weg zu unternehmerischer<br />
Gestaltungsfreiheit und gebe ihnen Hilfestellung zur<br />
Selbstverwirklichung, auch für Seiteneinsteiger, die<br />
nicht unbedingt aus der Gastronomie kommen. Ulrich<br />
Hiemer zum Beispiel, Franchise-Nehmer in Bayern, sei<br />
vor McDonald’s erfolgreicher Eishockey-Profi gewesen.<br />
„Und nicht zu vergessen Henry Maske, der inzwischen<br />
zehn McDonald’s Restaurants in Nordrhein-Westfalen<br />
betreibt.“<br />
Fundament aus Werten und Verantwortung<br />
Das Fundament für diese Freiheit sei unter anderem<br />
„Responsible Leadership“. „Das war ein langer und<br />
schmerzhafter Lernprozess“, berichtete Beeck. Seit<br />
Günter Wallraffs Buch „Ganz unten“ in den 80er Jahren<br />
habe sich sehr viel bewegt und verändert. „Wir haben<br />
unseren Kritikern die Hand gereicht und das Gespräch<br />
gesucht. Mit Günter Wallraff, mit Greenpeace, mit der<br />
Politik und vielen anderen. Heute stehen wir im ständigen<br />
Austausch mit unseren Anspruchsgruppen und<br />
sprechen über Themen wie Tierwohl, Ernährung, Regionalität<br />
– und vieles mehr.“<br />
„Aufstieg und<br />
Entfaltungsfreiheit sind<br />
bei McDonald’s für<br />
Frauen nicht nur möglich,<br />
sondern die Regel.“<br />
McDonald’s habe den Bundesverband der Systemgastronomie<br />
mitgegründet und handele mit der Gewerkschaft<br />
NGG seit vielen Jahren regelmäßig den Tarifvertrag aus.<br />
Früher sei das Unternehmen der Lieblingsgegner der<br />
Gewerkschaft gewesen. Heute sei es immer öfter das<br />
Unternehmen, das die Gewerkschaft den Mitbewerbern<br />
als leuchtendes Beispiel präsentiert.<br />
Nachhaltigkeit und Wertschöpfung<br />
Stichwort Regionalität: Mehr als 60 Prozent der Rohwaren<br />
kommen aus Deutschland, führte Holger Beeck aus.<br />
Beim Rindfleisch seien es sogar deutlich über 90 Prozent.<br />
Dies sei aufgrund der jahrzehntelangen engen<br />
Partnerschaften mit namhaften Lieferanten wie Hochland,<br />
Lieken, Agrarfrost, Bonduelle oder auch Develey<br />
85
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Austausch über das<br />
McDonald´s-Modell<br />
(v. l.): Thomas Keuter<br />
(Arla), Marc Oliver<br />
Dittrich (Homann Feinkost)<br />
und Frank Uszko,<br />
Managing Director,<br />
Molkerei Alois Müller.<br />
möglich. Mehr als 30 Prozent der Waren seien aus der<br />
EU, und müsse McDonald’s außerhalb Europas einkaufen,<br />
beispielsweise Kaffee, dann setze die Company<br />
auf etablierte Gütesiegel, um die Einhaltung wichtiger<br />
ökologischer und sozialer Standards zu gewährleisten.<br />
Stichwort Energieverbrauch: Seit 2014 würden alle Restaurants<br />
in Deutschland zu 100 Prozent mit Ökostrom<br />
betrieben. Die CO 2 -Emmissionen seien seit 2011 um<br />
67 Prozent gesunken.<br />
„McDonald’s –<br />
das demokratischste<br />
Restaurant<br />
der Welt“<br />
Der Leitspruch „Wenig behaupten. Viel beweisen“<br />
spiegele das McDonald’s-Verständnis von unternehmerischer<br />
Verantwortung und sei Richtschnur für<br />
transparente Kommunikation. Jedes Unternehmen<br />
brauche eine Kultur der Freiheit, um erfolgreich zu<br />
bleiben. Beispielsweise die Freiheit, Fehler offen anzusprechen,<br />
oder die Freiheit, Entscheidungen in Frage<br />
zu stellen, um den Kurs zu korrigieren. Genau das habe<br />
auch McDonald’s tun müssen.<br />
Zwischen den beiden Polen „Freiheit“ und „Standards“<br />
oszilliere vermutlich die ganze Systemgastronomie.<br />
In den zurückliegenden Jahren habe das Pendel bei<br />
McDonald’s etwas zu stark in Richtung System geschwungen.<br />
Das Unternehmen sei zu selbstbezogen<br />
gewesen, habe zu sehr am Althergebrachten festgehalten<br />
und habe zu wenig auf gesellschaftliche Trends<br />
und veränderte Wünsche der Gäste geachtet.<br />
Daraus habe McDonald’s Lehren gezogen und einen<br />
Wandlungsprozess in Gang gesetzt: zurück zu mehr<br />
Gästeorientierung, zu mehr interner Flexibilität und zu<br />
mehr Wahlfreiheit für die Gäste.<br />
Wer sich wandeln wolle, verlasse gewohntes Terrain<br />
und mache auch Fehler. Die neu etablierte Fehlerkultur<br />
habe die Möglichkeit gegeben, Dinge auszuprobieren<br />
und wieder zu verwerfen, wenn sie am Markt nicht<br />
funktionierten.<br />
Restaurant der Zukunft<br />
Zukünftig gehe McDonald’s noch stärker als früher auf<br />
das Bedürfnis der Gäste ein und biete „Produkte der<br />
Zukunft“ wie z. B. den Big Tasty Bacon und „Service<br />
der Zukunft“ mit verschiedenen Bezahloptionen sowie<br />
einen Lieferservice, der in vielen Großstädten in<br />
Deutschland umgesetzt werden soll.<br />
Nach Beecks Einschätzung ist McDonald’s das demokratischste<br />
Restaurant der Welt. Jung und Alt, Groß<br />
und Klein, Arm und Reich, dick und dünn, schwarz und<br />
weiß, Arbeiter, Direktor und Politiker – jeder sei herzlich<br />
willkommen.<br />
Glaubwürdigkeit stärken<br />
Und Beeck erläuterte weiter, dass Freiheit auch Wandel<br />
zu mehr Transparenz, Offenheit und Glaubwürdigkeit<br />
86
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Gut aufgelegt (v. l.):<br />
Peter Esser (Deutscher<br />
Fachverlag), Dr. Gotthard<br />
Kirchner (R & R Icecream)<br />
und Dr. Walter Müller<br />
(WAWI).<br />
bedeute. Sowohl in der Arbeitgeberkommunikation als<br />
auch im Dialog mit den Gästen sei McDonald’s neue<br />
Wege gegangen und habe Maßstäbe gesetzt. Freiheit<br />
definiere sich auch immer über die Freiheit der Andersdenkenden.<br />
Auf Facebook oder eigenen Plattformen<br />
stellt sich das Unternehmen den Fragen von Gästen<br />
und will Mythen entkräften, die über die Produkte im<br />
Netz kursieren.<br />
Diesen Ansatz greife das Unternehmen auch in der<br />
aktuellen Qualitätskampagne auf, die schonungslos<br />
und mit einem Augenzwinkern „Die Wahrheit über<br />
McDonald’s“ erzähle und Mythen und Vorurteile aufgreife.<br />
„Freiheit definiert<br />
sich auch immer<br />
über die Freiheit der<br />
Andersdenkenden.“<br />
In den vergangenen 18 Monaten habe McDonald’s<br />
Deutschland mehr Flüchtlinge eingestellt als alle<br />
Dax-30-Unternehmen zusammen und 20.000 Sprachkurse<br />
der Bundesagentur für Arbeit finanziert. Die<br />
Franchise-Nehmer bemühten sich zudem mit einer<br />
Vielzahl von lokalen Aktivitäten um die Integration von<br />
Flüchtlingen in die Gesellschaft.<br />
„In unseren Restaurants arbeiten heute Menschen<br />
aus 125 Nationen weitestgehend friedlich zusammen.<br />
Ich selbst sehe McDonald’s Deutschland nach wie vor<br />
und gerade jetzt, wo es am nötigsten erscheint, als<br />
ein starkes Symbol für ein erstrebenswertes Leben in<br />
Sicherheit und in Freiheit. Im besten Falle schließt sich<br />
dann der Kreis. So wie bei mir. Dann wird aus einem,<br />
der Freiheit suchte, am Ende selbst ein Chancengeber.“<br />
Chancengeber und Brötchengeber<br />
McDonald’s sei ein Chancengeber für Menschen, die<br />
ihren Lebensunterhalt weitgehend selbst verdienen<br />
wollen, die in Teilzeit wieder den Einstieg ins Berufsleben<br />
suchten oder sehr flexible Arbeitszeiten brauchten.<br />
Auch für die Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen<br />
mussten, wolle das Unternehmen als Ort der Freiheit<br />
und als Chancengeber verstanden werden.<br />
87
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
„Creative<br />
Freedom“ –<br />
wie man den<br />
Innovationsgeist im<br />
Unternehmen weckt<br />
DR. FREDERIK<br />
G. PFERDT<br />
Chief Innovation Evangelist<br />
bei Google Inc.<br />
Dr. Frederik G. Pferdt, Chief Innovation Evangelist<br />
bei Google Inc., veranschaulichte in seinem Vortrag<br />
„Creative Freedom – wie Unternehmen Innovationsgeist<br />
leben und fördern“ die Bedeutung<br />
einer gelebten Innovationskultur im Unternehmen.<br />
Es gelte, Mitarbeitern Freiräume für Ideen und deren<br />
Umsetzung zu schaffen.<br />
„Menschen verbinden, Ideen teilen, Zukunft denken<br />
und fühlen“, zitierte Frederik G. Pferdt zu Beginn die<br />
<strong>MMM</strong>-Mission und sagte: „Ich möchte Ihnen helfen,<br />
Ihre Mission Realität werden zu lassen, sich zu verbinden,<br />
Ideen zu teilen, Zukunft zu denken und auch zu<br />
fühlen. Ich möchte Sie heute einladen, ein Experiment<br />
zu wagen, diese Zukunft aktiv mitzugestalten, denn<br />
nur so können Sie auch entscheiden, wie diese Zukunft<br />
tatsächlich aussieht.“<br />
„Wir benötigen<br />
neue Antworten,<br />
innovative Antworten.“<br />
Technologie bringe uns in die Zukunft, wie diese aber<br />
aussieht, entscheide allein die Kreativität. Technologische<br />
Entwicklungen bewegten sich nicht auf einem<br />
linearen, sondern exponenziellen Pfad. Deshalb sei der<br />
Wandel so rasant. „Unsere Kinder werden schon bald<br />
die Smartphones im Museum oder auf einem Flohmarkt<br />
betrachten und uns fragen: ‚Musstet ihr diese wirklich<br />
jeden Abend für mehrere Stunden aufladen’?“<br />
Gemessen an fast allen Parametern sei die Welt heute<br />
besser als vor 50, 30, oder vor zehn Jahren. Die Lebenserwartung<br />
sei gestiegen, es gäbe mehr Demokratien,<br />
mehr Kinder hätten Zugang zu Bildung, Krankheiten<br />
könnten besser behandelt werden. Dies sei, so Pferdt,<br />
auch dank der rasanten technologischen Entwicklung<br />
und des besseren Zugangs der Menschen zu Informationen<br />
der Fall.<br />
Die Entwicklungen der Vergangenheit bedeuteten jedoch<br />
nicht, dass auch in Zukunft rasanter Fortschritt,<br />
um Probleme zu lösen, zu erwarten sei: „Wir benötigen<br />
neue Antworten, innovative Antworten. Wir müssen<br />
uns also selbst die Erlaubnis erteilen, etwas Neues zu<br />
versuchen. Ja, wenn Sie möchten, neues Denken zu<br />
erlauben“, stellte Pferdt fest.<br />
Auch Unfertiges und Nicht-Perfektes teilen<br />
Pferdt band in seinen Vortrag die Aufgabe für das Publikum<br />
ein, den Tischnachbarn zu skizzieren und diese<br />
Skizze zu teilen bzw. der porträtierten Person auszuhändigen.<br />
Ja, diese Bilder seien unfertig. Doch mit<br />
Blick auf die Entwicklung von Unternehmen gelte es,<br />
auch hier unfertige, ja „radikale“ Ideen mit anderen zu<br />
teilen, um Erfolg zu haben. Niemand solle Angst haben,<br />
sich lächerlich zu machen. Jeder Mensch habe kreatives<br />
Potenzial und es sei bedauerlich, dass radikal neue<br />
Ideen nicht geteilt würden, weil, so erläuterte Pferdt,<br />
„wir die kindliche Herangehensweise, diesen Stolz, etwas<br />
zu zeigen, das unfertig und nicht perfekt ist, leider<br />
verloren haben.“<br />
88
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Gut gelaunt:<br />
Savencia-Deutschland-<br />
Chef Aymeric de la<br />
Fouchardière (M.) im<br />
Gespräch.<br />
„Was wäre, wenn …“ – dies seien die Fragen, die bei<br />
Google zentrale Bedeutung haben. Zum Beispiel: „Was<br />
wäre, wenn wir Internet für alle und zu jeder Zeit zugänglich<br />
und nutzbar machten? Was wäre, wenn Distanz<br />
keine Barriere darstellte, um unsere Erde zu erkunden?“<br />
Fragen mit „Was wäre, wenn“ besäßen eine unglaubliche<br />
Kraft, denn sie setzten Kreativität frei, zeigten vielleicht<br />
auch etwas Unfertiges. Aber vor allem, so ist Pferdt<br />
überzeugt, „sie geben uns Erlaubnis“. Sie drückten eine<br />
gesunde Missachtung des Unmöglichen aus. Fragen<br />
zu stellen oder etwas infrage zu stellen sei ungeheuer<br />
wichtig. Erwachsene stellten bis zu vier Fragen pro Tag,<br />
Kinder bis zu 180, so der persönliche Eindruck von Frederik<br />
G. Pferdt. „Für mich als Führungskraft ist es wichtig,<br />
nicht mit Antworten zu führen, sondern mit Fragen zu inspirieren.“<br />
Ein weiterer zentraler Punkt sei Transparenz:<br />
„Wir denken, wenn innerhalb des Unternehmens sämtliche<br />
Informationen vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an<br />
für jeden Mitarbeiter zugänglich sind, schafft das nicht<br />
nur die Möglichkeit zur Zusammenarbeit, sondern es<br />
schafft vor allem eins – Vertrauen.“<br />
„Ja, und“ statt „Ja, aber“<br />
Man könne beobachten, dass es bei radikalen Ideen<br />
häufig reflexartige Reaktionen gebe, warum etwas nicht<br />
geht. Diese „Ja, aber“-Mentaltität müsse durch eine „Ja,<br />
und“-Mentalität ersetzt werden, die Mitarbeiter ermutigt,<br />
statt ihre Ideen im Keim zu ersticken. „Für Sie als<br />
Führungskräfte ist es wichtig, ein Signal auszusenden,<br />
um den Mitarbeitern die Freiheit zu geben, genau diese<br />
Idee in die Realität umzusetzen. „Und ich garantiere<br />
Ihnen, nach vier Wochen, vielleicht auch nach sechs Monaten<br />
oder einem Jahr, kommt genau die gleiche Person<br />
wieder an Ihre Tür. Und es gibt nur zwei Möglichkeiten:<br />
Die erste ist, sie entschuldigt sich, weil die Idee nicht<br />
funktioniert hat.“ Und die einzige Antwort darauf müsse<br />
lauten: „Fantastisch, was hast du daraus gelernt?“ Oder<br />
die Person käme an die Tür und sagte: „Es hat funktioniert.<br />
Ich habe es geschafft.“ Auch hier lautete die<br />
Antwort: „Fantastisch, was hast du dabei gelernt?“<br />
„Erwachsene stellen bis<br />
zu vier Fragen pro Tag,<br />
Kinder bis zu 180.“<br />
Eine Ja-und-Denkweise schaffe eine optimistische<br />
Kultur, und Optimismus sei ein wichtiger Wegbereiter<br />
für Innovation. Auch wenn ein Vorschlag oder eine<br />
Idee nicht umgesetzt werde, sei es ein gutes Gefühl,<br />
wenn der Beitrag wertgeschätzt werde. Die Menschen<br />
fühlten sich ermutigt. Es gehe darum, diese Art des<br />
Denkens zu fördern, denn die Geschichte zeige, dass<br />
Unternehmen, die kein neues Denken erlauben, von der<br />
Bildfläche verschwinden. Pferdt: „Wir wollen schnell<br />
großartige Ideen haben, gleich verstehen, was funktioniert<br />
und was nicht. Wir wollen nicht scheitern, wir<br />
wollen lernen. Und durch Experimentieren kann man<br />
Antworten auf sehr viele Fragen finden, die am Anfang<br />
einer Idee stehen.“<br />
In den vergangenen drei Jahren habe Google 280 Teams<br />
untersucht, um festzustellen, was ein erfolgreiches,<br />
innovatives Team von einem nicht erfolgreichen, nicht<br />
89
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Aufgabe, den Tischnachbarn<br />
bildlich zu<br />
skizzieren: Die Präsidiumsmitglieder<br />
Mariann<br />
Wenckheim (20.20 Ltd., l.)<br />
und Markus Kaser<br />
(INTER SPAR Österreich)<br />
haben offensichtlich<br />
Freude bei der Aufgabe.<br />
innovativen Team unterscheidet. Dabei hätten sie nur<br />
einen Faktor gefunden, der den Unterschied mache. Es<br />
sei „sociological safety“, psychologische und emotionale<br />
Sicherheit, die den Menschen erlaube, nicht nur<br />
Neues zu denken, sondern auch Fehler zu machen und<br />
dabei das Gefühl zu haben, dass sie in einer sicheren<br />
Umgebung seien, weil die Position, Beförderung, das<br />
Gehalt, die Karriere nicht auf dem Spiel stehe. „Wenn<br />
Sie möchten, dass Ihre Teams Neues nicht nur denken,<br />
sondern konkret ausprobieren und beginnen, zu experimentieren,<br />
geben Sie ihnen genau diese psychologische<br />
und emotionale Sicherheit, dass sie Risiken eingehen<br />
können und dass Fehler machen okay ist“, erläuterte<br />
der Innovations-Experte.<br />
Nutzer im Fokus haben und Forschergeist<br />
behalten<br />
Doch alles laufe ins Leere, wenn Unternehmen ihre<br />
Kunden aus dem Blickfeld verlieren. Sich in einen anderen<br />
hineinzuversetzen und zu ergründen, welche<br />
Bedürfnisse er habe, welche Produkte und Lösungen<br />
er brauche, sei essenziell.<br />
Pferdt erzählte, dass er niemals denselben Weg zweimal<br />
fahre, nie zweimal in dasselbe Hotel oder Restaurant<br />
gehe. Für ihn sei das ein wichtiges Prinzip, um sich<br />
auf Neues einlassen zu können. Diesen Forschergeist<br />
würden viele Unternehmen im Laufe der Jahre verlieren.<br />
Es könne passieren, dass man einfach an dem festhalte,<br />
was funktioniert und bekannt sei. Das Problem dabei<br />
sei, dass viele Gewohnheiten auf Erfolgen der Vergangenheit<br />
basierten. Und das, was in der Vergangenheit<br />
funktioniert habe, funktioniere unter Umständen in<br />
der Zukunft nicht länger. Seine Empfehlung: „Wenn Sie<br />
nach der nächstgrößeren Idee suchen oder vielleicht<br />
Ihre Unternehmenskultur innovativer gestalten wollen,<br />
müssen Sie mit Gewohntem brechen. Sie müssen ein<br />
Erforscher sein. Und Erforscher benötigen zwei Dinge,<br />
eines davon ist kreative Freiheit.“ Eine Option sei die<br />
Extrazeit während des Arbeitstages. Google nutze die<br />
„Zwanzig-Prozent-Zeit“: Ein Tag pro Woche, an dem sich<br />
die Mitarbeiter persönlichen Projekten widmen können.<br />
„Im Jahr 2015 haben dabei 14.500 Google-Mitarbeiter<br />
aus über 70 Büros an 800 Projekten teilgenommen. Da<br />
war alles dabei von ehrenamtlicher Arbeit an lokalen<br />
Schulen über Programmierung für humanitäre Zwecke<br />
bis hin zur Unterstützung von Kriegsveteranen bei der<br />
Erstellung ihrer Lebensläufe.“ Die zweite Sache, die ein<br />
Erforscher brauche, sei physische Freiheit, einen speziellen<br />
Raum, in dem man der Kreativität freien Lauf<br />
lassen könne.<br />
Pferdts Rat zum Ende des Vortrags: „Es kann passieren,<br />
dass Ihnen Leute in Ihrem Unternehmen sagen:<br />
‚Wir können das nicht. Wir können das nicht tun, weil …<br />
Weil wir ein verarbeitendes Unternehmen sind, weil wir<br />
starken Regulierungen unterworfen sind, weil wir nicht<br />
im Silicon Valley sind.‘ Die Suche nach Ausreden bringt<br />
nicht voran. Also finden Sie nur einen Grund, um eine<br />
freiheitliche, innovative Kultur zu schaffen und neues<br />
Denken zum Standard zu machen, und gehen Sie dann<br />
Schritt für Schritt weiter. Wenn Sie Menschen Freiheiten<br />
geben, dann werden sie Sie positiv überraschen.“<br />
90
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
„<br />
Wer die<br />
Freiheit<br />
aufgibt,<br />
um<br />
SICHERHEIT<br />
zu gewinnen,<br />
wird am<br />
ENDE<br />
beides verlieren.<br />
Benjamin Franklin<br />
„<br />
Gründervater der Vereinigten Staaten von Amerika (1706–1790)<br />
91
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Das Freiheitsprojekt:<br />
Von der Bedeutung<br />
Europas und den Lehren<br />
aus der Geschichte<br />
CHRISTOPHER CLARK<br />
Professor für Neuere Europäische<br />
Geschichte am St. Catharine´s<br />
College in Cambridge, Autor<br />
Christopher Clark ist Professor für Neuere Europäische<br />
Geschichte am St. Catharine´s College<br />
in Cambridge. In der breiten Öffentlichkeit<br />
sorgte sein Bestseller „Die Schlafwandler“ über<br />
den Ausbruch des Ersten Weltkriegs für große<br />
Aufmerksamkeit. Clark legte anschaulich dar,<br />
dass wir bis dato leider zu wenig aus der Geschichte<br />
lernen. Sein Beitrag gipfelte in einem<br />
eindrücklichen Plädoyer für ein gemeinsames<br />
Europa. Die Europäische Union hält er als Friedensund<br />
Freiheitsprojekt für eine der wichtigsten<br />
Errungenschaften der jüngeren Geschichte.<br />
„Im März 2011 saß ich an einem Buch über den Ausbruch<br />
des Ersten Weltkriegs und war gerade dabei,<br />
ein Kapitel über den italienischen Angriff auf Libyen<br />
im Jahre 1911 zu schildern“, begann Christopher Clark<br />
seinen Vortrag und führte aus: „Ich hatte eben erst mit<br />
dem Schreiben dieses Kapitels begonnen, da kamen<br />
die Nachrichten von den Luftschlägen gegen Libyen.<br />
Und da sieht man: Es hat sich nicht so viel verändert<br />
zwischen 1911 und 2011.“<br />
Die Städtenamen in den Schlagzeilen seien die gewesen,<br />
die schon 1911 in den Zeitungen standen: Tripolis,<br />
Bengasi, Sirte, Darna, Tobruk, Zawiya, Misrata usw. Die<br />
Übereinstimmungen seien frappierend gewesen. „Ein<br />
Witzbold hat einmal behauptet, die Geschichte wiederholt<br />
sich nicht, es sind die Historiker, die einander<br />
wiederholen“, sagte Clark. In diesem Fall könne man sicherlich<br />
nicht von einer Wiederholung sprechen. Angreifer<br />
im Jahr 2011 sei die NATO und nicht Italien gewesen<br />
und es sei auch nicht wie 1911 um Eroberung gegangen.<br />
Der Angriff habe zu einer fatalen Destabilisierung auf<br />
dem Balkan geführt und letzten Endes 1914 den Ersten<br />
Weltkrieg ausgelöst. 2011 seien so verheerende Folgen<br />
nicht zu befürchten gewesen, auch wenn die NATO-Intervention<br />
in Libyen mit dazu beigetragen habe, das<br />
Verhältnis zwischen Wladimir Putin und seinen Kollegen<br />
in den führenden westlichen Nationen drastisch zu<br />
verschlechtern. Putin selbst beziehe sich immer wieder<br />
auf diese Episode. Durch sie sei sein Vertrauen in den<br />
Westen verloren gegangen. Christopher Clark schlussfolgerte:<br />
„Analogien zwischen 2011 und 1911 waren also<br />
durchaus erkennbar, aber sie waren viel schwächer, viel<br />
partieller, als sie beim ersten Anblick erschienen.“<br />
„Vor Anbruch der<br />
Moderne ist man<br />
davon ausgegangen,<br />
dass Geschichte<br />
typologisch verstanden<br />
werden müsse.“<br />
Die Frage sei, welche Lehre man aus solchen „gelegentlichen<br />
Resonanzen“ ziehen könne. Vor Anbruch der Moderne<br />
sei man davon ausgegangen, dass Geschichte<br />
typologisch verstanden werden müsse. Man habe angenommen,<br />
dass sich bestimmte Grundmuster regelmäßig<br />
wiederholen. Dass die Geschichte die Lehrmeisterin<br />
des Lebens sei – „historia magistra vitae“ –, sei<br />
kaum infrage gestellt worden.<br />
92
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
dm ist bei <strong>MMM</strong>-<br />
Kongressen traditionell<br />
gut vertreten: hier<br />
Martin Engelmann, Vorsitzender<br />
der Geschäftsführung<br />
dm Österreich<br />
(l.), und Markus Trojansky,<br />
Geschäftsführer Expansion<br />
bei dm Deutschland.<br />
„Niccolò Machiavelli, dessen Meisterwerk ‚Der Fürst’<br />
im Jahre 1513 erschien, zögerte nicht, seine Argumente<br />
zur gegenwärtigen Politik im anbrechenden<br />
16. Jahrhundert mit Anekdoten und Beispielen aus<br />
der griechischen und römischen Antike zu illustrieren“,<br />
führte Clark aus.<br />
Einfache Parallelen gibt es nicht<br />
Heute betrachteten wir das anders: „Die Vergangenheit<br />
erscheint uns nicht mehr als eine Kontinuität,<br />
sondern als gebrochen, aufgeteilt in Epochen. Wir<br />
sprechen über das Mittelalter, die Renaissance, frühe<br />
Neuzeit. Es ist ja sogar ein Wesensmerkmal der Moderne,<br />
dass wir Geschichte als einen Prozess eines<br />
alles umfassenden Wandels betrachten“, erklärte<br />
Clark. Indem wir in diesem Sinne modern geworden<br />
seien, hätten wir uns der Vergangenheit entfremdet<br />
und die Fähigkeit der Geschichte, Lehrmeisterin zu<br />
sein, grundsätzlich infrage gestellt. Ein Kollege in<br />
Cambridge habe gesagt, wäre die Geschichte wirklich<br />
so lehrreich, dann würden die Historiker wegen ihrer<br />
prophetischen Weisheit in jeder Gesellschaft gefeierte<br />
Menschen sein. „Was natürlich nicht unbedingt der<br />
Fall ist. Leider“, so Clark mit einem Augenzwinkern.<br />
Die begründete Skepsis der Historiker schrecke Politiker<br />
allerdings nicht davon ab, ihre eigenen historischen<br />
Analogien zu ziehen. In der englischen Brexit-Kampagne<br />
des Jahres 2016 hätten historische Vergleiche eine<br />
zentrale Rolle gespielt. Manchmal habe man mit „halbversunkenen<br />
Erinnerungen“ aus dem Zweiten Weltkrieg<br />
gearbeitet, wie z. B. „The German iron fist“: Die eiserne<br />
Faust Deutschlands zerschmettert Europa.<br />
Es habe auch explizite Analogien gegeben. So hätten<br />
Brexit-Befürworter Großbritanniens Sieg über<br />
Napoleon 1815 zum Beweis genommen, dass das Land<br />
auch heute allein und ohne EU erfolgreich sein könne.<br />
Tatsächlich habe Großbritannien Napoleon aber nicht<br />
alleine bekämpft. In der Schlacht bei Waterloo zum<br />
Beispiel seien neben den britischen Truppen Zehntausende<br />
Männer aus der deutschen Legion des britischen<br />
Königs aufmarschiert.<br />
„Der vergleichende<br />
Blick in die<br />
Vergangenheit scheint<br />
für Politiker unwiderstehlich<br />
zu sein.“<br />
Besonders „perfide“ sei die von Boris Johnson wiederholt<br />
gemachte Gleichsetzung der EU mit dem Großraum<br />
Europa Adolf Hitlers gewesen. Hier sei es allerdings<br />
nicht um einen authentischen historischen Vergleich<br />
gegangen, „sondern um die mutwillige Aktualisierung<br />
emotionsgeladener Bilder aus der Vergangenheit für<br />
die Zwecke einer verantwortungslosen Verleumdungspropaganda“.<br />
Johnson wisse dies auch. Er habe vor<br />
Kurzem die Abgeordneten des britischen Unterhauses<br />
sogar davor gewarnt, den amerikanischen Präsidenten<br />
Donald Trump mit Hitler gleichzusetzen. Wer diesen<br />
Vergleich ziehe, würde die ungeheuren Schrecken jener<br />
Jahre trivialisieren.<br />
93
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Michael Durach (l.),<br />
Develey-Geschäftsführer<br />
und <strong>MMM</strong>-Vizepräsident,<br />
und sein Marketingleiter<br />
Volker Leonhardi (r.)<br />
nehmen die Geschäftsführer<br />
des Start-ups Just<br />
Spices, Bela Seebach<br />
(2. v. l.) und Florian Falk,<br />
in die Mitte.<br />
Der vergleichende Blick in die Vergangenheit scheine<br />
für Politiker unwiderstehlich zu sein. So habe Dmitri<br />
Rogosin im Jahr 2008 während des Krieges zwischen<br />
Russland und Georgien um Südossetien Parallelen<br />
zur Julikrise von 1914 gezogen. Was, so habe Rogosin<br />
argumentiert, wenn es Georgien gelingen würde, die<br />
Unterstützung der NATO zu erhalten? Dann könne das<br />
zu einer ähnlichen Eskalation wie dem Ersten Weltkrieg<br />
führen. Rogosin habe mithilfe eines schrägen Vergleichs<br />
versucht, einen historischen Bezug zur Gegenwart<br />
herzustellen. Clark: „Keine Spur von einem redlichen<br />
Ansatz zu einer geschichtlich begründeten Prognose,<br />
sein historischer Vergleich war im Grunde genommen<br />
nichts mehr als eine Warnung an den Westen, sich aus<br />
dem Konflikt herauszuhalten.“ Das Schreckgespenst<br />
des Ersten Weltkriegs sei eine hilfreiche Mahnung, wie<br />
furchtbar die Folgen seien, wenn die Politik versagt,<br />
wenn Gespräche abgebrochen würden und kein Kompromiss<br />
mehr möglich sei.<br />
Mangelnde Kommunikation führt in die Krise<br />
Im April 1980 habe sich der damalige Bundeskanzler<br />
Helmut Schmidt drastisch über die Gefährlichkeit der<br />
internationalen Lage geäußert und eine Welt geschildert,<br />
die am Rande eines verheerenden Atomkrieges<br />
zu stehen schien. Hintergrund: Die Sowjetunion war<br />
Weihnachten 1979 in Afghanistan einmarschiert, danach<br />
seien die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen<br />
eingefroren gewesen. Dann, im April 1980, waren<br />
wegen der Krise um die Teheraner Botschaftsgeiseln<br />
auch die diplomatischen Beziehungen der USA zum<br />
Iran abgebrochen und die NATO-Verbündeten seien inoffiziell<br />
von Washington informiert worden, man würde<br />
jetzt zu militärischen Mitteln greifen. Helmut Schmidt<br />
dachte, so Christopher Clark, bei seiner Einschätzung<br />
an die Entwicklungen, die zum Ersten Weltkrieg geführt<br />
haben: „Er verglich die aktuelle Krise mit der Situation<br />
vom Juli 1914. Keine der damaligen fünf großen europäischen<br />
Mächte habe den Krieg wirklich gewollt, sagte<br />
Schmidt, aber jedes Land – ich zitiere – ‚hat natürlich<br />
seine Interessen vertreten, auch seine Prestigeinteressen,<br />
und keines der Länder hat sich damals ausreichend<br />
in die Interessenlage der anderen versetzt und auch mit<br />
den Augen der anderen die Lage betrachtet’.“<br />
Der Kern des Problems habe für Schmidt in einem Mangel<br />
an offener Kommunikation zwischen Washington<br />
und Moskau gelegen. Ohne eine Krisenbewältigung mit<br />
kühler, abwägender Vernunft, habe Schmidt gesagt,<br />
könnten sich die verschiedenen globalen Krisenherde<br />
leicht miteinander verzahnen, miteinander verbinden<br />
und einen Dritten Weltkrieg auslösen.<br />
Der Text von Schmidts Rede sei an Deutsche Botschaften<br />
in aller Welt verschickt worden. Der Spiegel vom<br />
21. April 1980 habe stahlhelmtragende Soldaten unter<br />
der in altdeutscher Schrift gesetzten Überschrift ‚Wie<br />
im August 1914?’ gezeigt. Helmut Schmidt sei es darum<br />
gegangen, die Krisenfälligkeit des Systems zu thematisieren<br />
und mahnend auf die Notwendigkeit einer<br />
Friedenssicherungs- und Kriegsvermeidungsstrategie<br />
jenseits der nationalen Interessen hinzuweisen.<br />
„Und das ist meines Erachtens die bessere Art, Lehren<br />
aus der Geschichte zu ziehen“, resümierte Christopher<br />
Clark. Schmidts systematischer Vergleich sei gewinn-<br />
94
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
V. l.: Burgis-Geschäftsführer<br />
Timo Burger,<br />
Hans-Wilhelm Schröder<br />
(DreiMeister) und Wilfried<br />
Schmidt (Dubai FZCo).<br />
Die bedrohliche Gesamtlage in Europa und der Welt<br />
stelle das Friedensprojekt EU vor neue Herausforderungen<br />
und vor neue Aufgaben. Aufgaben, denen es<br />
zurzeit nur bedingt gewachsen erscheine: Die europäische<br />
Identität sei geschwächt, durch die Finanzkrise<br />
sei das Auseinanderklaffen der Lebensstandards und<br />
der Erwartungshorizonte beschleunigt worden. Die<br />
Griechenlandkrise habe zudem ein grelles Licht auf die<br />
Fehlkonstruktion einer Währungsunion ohne politische<br />
Bodenhaftung geworfen. Der Philosoph Jürgen Habermas<br />
habe mit Recht auf die Gefahren einer Situation<br />
hingewiesen, in der man die Volksvertreter eines eurobringend<br />
gewesen, weil er nicht moralisierend auf die Untaten<br />
vermeintlicher Bösewichte fokussiert gewesen sei,<br />
sondern das ganze Spannungsgeflecht der Mächte ins<br />
Blickfeld integriert habe. Dagegen führten stark moralisierende<br />
Eins-zu-eins-Analogien wie „das moderne China<br />
gleicht Kaiser-Deutschland“, „Saddam Hussein gleicht<br />
Adolf Hitler“, „Wladimir Putin gleicht Adolf Hitler“ fast<br />
immer in die Irre, weil sie die Komplexität der Gegenwart<br />
und der Vergangenheit einfach ausblendeten.<br />
Das Licht der Geschichte erhellt die Zukunft<br />
Doch auch wenn wir aus der Geschichte weder universale<br />
Gesetze noch spezifische Lehren ableiten könnten,<br />
heiße das nicht, dass wir der Geschichte, geschweige<br />
denn der Vergangenheit, einfach den Rücken zuwenden<br />
könnten oder sollten. „Wir beziehen unsere Weisheit,<br />
insofern wir sie überhaupt besitzen, doch aus der Vergangenheit,<br />
weil wir keine andere Wahl haben, wir sind<br />
der Zukunft gegenüber blind“, sagte Clark und zitierte<br />
den englischen Dichter Samuel Taylor Coleridge: „Das<br />
Licht, welches unsere Erfahrung abgibt, ist eine Hecklaterne,<br />
die lediglich die Wellen hinter unserem Boot<br />
beleuchtet.“<br />
Welches Licht diese Hecklaterne auf die Zukunft des<br />
Freiheitsprojekts Europa werfe, stellte Clark als Frage<br />
in den Raum. Zunächst müsse man feststellen, dass<br />
es beinahe provokativ erscheine, gerade heute von der<br />
Zukunft Europas als Projekt zu sprechen. Das Wort<br />
Projekt sei in der europäischen Aufklärung entstanden<br />
und impliziere eine fortschrittliche, planende, vernunftorientierte,<br />
vorwärtsdenkende Weltauffassung, die<br />
heute vielerorts radikal angefeindet werde.<br />
In Russland und in der Türkei – beides strategisch<br />
enorm wichtige Nachbarn, sogenannte illiberale Demokratien,<br />
seien eigentlich autoritäre Ein-Mann-Regimes<br />
entstanden. In manchen Staaten würden die Institutionen<br />
der freien Zivilgesellschaft konsequent angegriffen<br />
und unterminiert. Innerhalb und außerhalb der EU desavouiere<br />
man die Werte dieser Staatengemeinschaft<br />
und greife sie systematisch an.<br />
„Die bedrohliche<br />
Gesamtlage in Europa<br />
und der Welt stellt<br />
das Friedensprojekt<br />
EU vor neue Herausforderungen<br />
und vor<br />
neue Aufgaben.“<br />
95
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Das erste Mal in<br />
München dabei:<br />
Gerhard Hackl (M.) und<br />
Michael Schietz (r., beide<br />
Vivatis, Österreich) im<br />
Austausch mit dem langjährigen<br />
Mitglied Manfred<br />
Hübschmann (Walter Rau<br />
Lebensmittelwerke, l.)<br />
päischen Staates nicht als Politiker, sondern lediglich<br />
als Gläubiger behandele. Vor diesem Hintergrund müsse<br />
die neuerliche Flüchtlingskrise als existenzielle Bedrohung<br />
wahrgenommen werden. Sie stelle die EU vor ein<br />
an sich äußerst komplexes Problem. Eine gemeinsame<br />
Krisenbewältigung sei erschwert worden. Gleichzeitig<br />
würden rechtspopulistische Gruppierungen mit Brennstoff<br />
versorgt, der die Angst vor Überfremdung und<br />
sozialem Abstieg schürte. Die Lage sei ernst.<br />
„Die Multikrise<br />
unserer Zeit verlangt<br />
eine schnelle,<br />
gewandte, flexible<br />
und pragmatische<br />
Politik.“<br />
„Der Blick der Populisten auf die<br />
Vergangenheit zeigt ein Fantasiebild.“<br />
Der große französische Philosoph Alexis de Tocqueville<br />
habe gesagt: „Wenn die Vergangenheit die Zukunft<br />
nicht mehr beleuchtet, läuft unser Geist im Schatten.“<br />
So dunkel sei es aber noch nicht. Und die Argumente<br />
der Gegner der Union seien nicht so neu, wie sie vielleicht<br />
erscheinen. Der Hass, den sie gegen Ausländer,<br />
Flüchtlinge, Kosmopoliten, Eliten, Experten usw.<br />
schürten, sei bekannt. Und auch nicht ihre politische<br />
Vision, denn Europa habe schon einmal den kontinentalen<br />
Wettbewerb der Nationalstaaten versucht.<br />
Zwei Weltkriege und sechzig Millionen Tote habe es im<br />
20. Jahrhundert gebraucht, um jene Staatenordnung<br />
endlich zu überwinden. „Manchmal habe ich das Gefühl,<br />
eine alte, uns vertraute europäische Zukunft wird durch<br />
imaginäre nationale Vergangenheiten ersetzt oder soll<br />
durch sie ersetzt werden.“<br />
„Der Blick der Populisten auf die Vergangenheit zeigt<br />
uns fast immer ein Fantasiebild, eine aus der Rückschau<br />
vergoldete Epoche, in der alle mit dem Sozialstaat<br />
zufrieden waren, es keine Bürokratie gab, man<br />
sein Schicksal fest in der Hand hatte und wir angeblich<br />
unter uns waren. Diese Epoche hat es jedoch nie<br />
gegeben“, sagte Clark. Dennoch dürfe die EU nicht<br />
stur so weitermachen wie bisher, sonst sei es in der<br />
Tat bald vorüber mit der Union.<br />
Die Multikrise unserer Zeit verlange eine schnelle,<br />
gewandte, flexible und pragmatische Politik. Eine<br />
Politik, die bereit sei, Impulse aus allen Richtungen<br />
aufzunehmen, solange sie mit den Grundwerten der<br />
Union vereinbar seien. Wer von der angeblichen Vernichtung<br />
des deutschen Volkes oder von der Unterwanderung<br />
deutschen Volkstums spreche, wie die<br />
Demonstranten der PEGIDA, verwende eine rassistische<br />
Sprache, die in einer modernen Demokratie<br />
keinen Platz habe. Aber die dahintersteckenden<br />
Argumente über Gemeinschaftskohäsion müssten<br />
gehört werden. Nicht, weil sie richtig seien, sondern<br />
weil sie authentische Gefühle aussprächen und erweckten,<br />
denen in einer Demokratie doch ein gewisses<br />
Gewicht zukomme.<br />
96
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Im intensiven<br />
Pausen dialog:<br />
Haribo-Geschäfts führer<br />
Thomas Starz (r.)<br />
Die EU müsse wirtschaftlich wettbewerbsfähig bleiben,<br />
aber es habe keinen Sinn, eine wettbewerbsorientierte<br />
Politik so weit zu treiben, dass das Fortbestehen des<br />
Standorts EU durch innere Unruhen und Separatismus<br />
infrage gestellt werde. Im Auseinanderklaffen der sozialen<br />
und wirtschaftlichen Interessen sieht Clark nach eigenem<br />
Bekunden die Frage von Leben und Tod für die EU.<br />
„Die Europäische<br />
Union bleibt<br />
nach wie vor ein<br />
unverzichtbares<br />
politisches Projekt.“<br />
Menschenrechte. Der Stabilisierungsfaktor, der von der<br />
EU ausgeht, hat dazu beigetragen, den Großteil Europas<br />
von einem Kontinent des Krieges in einen Kontinent<br />
des Friedens zu verwandeln.“ Das seien die gezogenen<br />
Lehren der Geschichte und Errungenschaften, an denen<br />
wir festhalten und arbeiten müssten, wenn das<br />
Freiheitsprojekt Europa die Herausforderungen der<br />
Gegenwart und der Zukunft bewältigen soll.<br />
„Warum scheiterten die europäischen Revolutionen<br />
vom Jahre 1848? Vor allem deswegen, weil die Liberalen<br />
und die Radikalen sich nicht über die soziale Frage<br />
einigen konnten.“ Die soziale Frage habe die Front<br />
der Revolution gespalten, nicht vereinigt. Die letzte<br />
vollständig demokratische Regierung der Weimarer<br />
Republik im Jahre 1930 sei zerfallen, so Clark, weil die<br />
Rechtsliberalen und die Sozialdemokraten sich über die<br />
Frage stritten, wie man eine Arbeitslosenversicherung<br />
finanzieren sollte. Die Europäische Union bleibe nach<br />
wie vor ein unverzichtbares politisches Projekt.<br />
2012 habe die EU den Friedensnobelpreis erhalten.<br />
In England hätten das viele belächelt. Er, Clark, aber<br />
nicht. Er zitierte: „Für ihren erfolgreichen Kampf für<br />
Frieden und Aussöhnung und für Demokratie und<br />
97
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
GRAPHIC<br />
RECORDING<br />
Als Graphic Recording bezeichnet man die<br />
Live-Visualisierung – im Falle von <strong>MMM</strong> –<br />
von Vortragsinhalten auf großen<br />
Wandbildern parallel zum Geschehen.<br />
Für alle Teilnehmer gut sichtbar wurden das Gesagte<br />
der Referenten, die Ideen und Inhalte, vor Ort im<br />
Tagungssaal gezeichnet und komplexe Themen in eine<br />
symbolhafte und einfache Bilderwelt übersetzt.<br />
98
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
99
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
100
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
101
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
1<strong>02</strong>
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
103
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
REFERENTEN<br />
& MODERATOREN<br />
SIMONE KRAH<br />
ist seit 2004 Geschäftsführerin und seit 2013 Präsidentin des <strong>MMM</strong>-Clubs.<br />
Sie studierte Politik und Geschichte und erwarb ihren Magister-Abschluss<br />
1999 an der Universität in Bonn. Nach einem Arbeitsaufenthalt in den USA,<br />
wo sie in einem Ministerium der Clinton-Administration tätig war, absolvierte<br />
sie die klassische journalistische Ausbildung. Von 2001 bis 2004 arbeitete<br />
Simone Krah in der Hessischen Staatskanzlei, der Regierungszentrale<br />
des Bundeslandes Hessen.<br />
PROF. DR. UTHO CREUSEN<br />
ist seit mehr als 30 Jahren im deutschen Handel tätig, 1979 bis 2001 bei<br />
OBI, zuletzt als Vorsitzender der Geschäftsführung OBI Franchise Center<br />
GmbH und Mitglied des Vorstandes der OBI AG. 20<strong>02</strong> bis 2008 war er<br />
Mitglied der Geschäftsführung der Media-Saturn-Holding GmbH. Heute ist<br />
er Senior Advisor für mehrere internationale Handelsunternehmen, Mitglied<br />
von Verwaltungs- und Aufsichtsräten bedeutender Unternehmen in Handel<br />
und Industrie. Seit 1998 ist er Honorarprofessor und lehrt an internationalen<br />
Hochschulen. Utho Creusen gehört dem <strong>MMM</strong>-Präsidium seit 2008 an<br />
und ist Mentor der <strong>MMM</strong>-Junioren (JUM).<br />
THOMAS ROTH<br />
ist einer der namhaftesten deutschen Journalisten und einem breiten<br />
Publikum als Moderator der „Tagesthemen“ bekannt (08/2013-11/2016).<br />
Von 1988 bis 1991 arbeitete er als ARD-Korrespondent und Studioleiter<br />
in Johannesburg, anschließend im ARD-Studio in Moskau. 1995 wurde er<br />
Hörfunkdirektor des WDR, bevor er 1998 für vier Jahre als Studioleiter<br />
nach Moskau zurückkehrte. Von 20<strong>02</strong> bis 2007 übernahm Thomas Roth<br />
den Posten des Moderators und Chefredakteurs im ARD-Hauptstadtstudio<br />
in Berlin. Nach einem weiteren Aufenthalt in Moskau führte ihn sein<br />
Weg von Dezember 2008 bis zum Sommer 2013 nach New York, wo er das<br />
dortige ARD-Studio leitete. Für seine Berichterstattung wurde Thomas<br />
Roth mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Friedrich-Joseph-Haass-<br />
Preis für besondere Verdienste um die deutsch-russische Verständigung.<br />
104
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
PROF. MARCEL FRATZSCHER, PH. D.<br />
ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW<br />
Berlin), Professor für Makroökonomie und Finanzen an der Humboldt-<br />
Universität Berlin und Mitglied des Beirats des Bundesministeriums für<br />
Wirtschaft. Als unabhängiges Institut mit mehr als 300 Mitarbeitern zählt<br />
das DIW Berlin zu den führenden Wirtschaftsforschungsinstituten und<br />
Denkfabriken in Europa. 2014 erschien sein Buch „Die Deutschland-Illusion<br />
– warum wir unsere Wirtschaft überschätzen und Europa brauchen“. Sein<br />
aktuelles Buch trägt den Titel „Verteilungskampf – warum Deutschland<br />
immer ungleicher wird“. Von 2001 bis 2012 war Marcel Fratzscher für die<br />
Europäische Zentralbank (EZB) tätig.<br />
PROF. DR. RÜDIGER SAFRANSKI<br />
gilt als der bedeutendste Biograph der Großen der deutschen Geistesgeschichte.<br />
Mit seinen Monographien und Biographien über Arthur<br />
Schopenhauer, Martin Heidegger und Friedrich Nietzsche, die in<br />
insgesamt 26 Sprachen übersetzt wurden, gelingt es ihm, die Philosophen<br />
einem breiten Publikum verständlich zu machen. Von 20<strong>02</strong> bis<br />
2012 moderierte er gemeinsam mit Peter Sloterdijk das „ Philosophische<br />
Quartett“ im ZDF. Seit September 2012 nimmt Rüdiger Safranski<br />
regelmäßig an der Sendung „Literaturclub“ des Schweizer Fernsehens<br />
teil. Seit 2012 lehrt er als Honorarprofessor am Fachbereich Philosophie<br />
und Geisteswissen schaften an der Freien Universität Berlin. Professor<br />
Safranski wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Preis der Leipziger<br />
Buchmesse sowie dem Thomas-Mann-Preis.<br />
DR. AMEL KARBOUL<br />
ist eine tunesische Unternehmerin, Autorin, Politikerin und Aufsichtsrätin.<br />
Von Januar 2014 bis Februar 2015 war sie Ministerin für Tourismus der<br />
tunesischen Übergangsregierung unter Ministerpräsident Mehdi Jomaâ.<br />
„Sie lebt im Zwischenraum – zwischen den Kulturen, den Religionen, den<br />
Lebensentwürfen der Moderne. Das macht ihren Blick so wertvoll“ (brand<br />
eins). Seit 2015 ist Amel Karboul Generalsekretärin des Maghreb Economic<br />
Forum (MEF Think Tank) und seit 2016 Mitglied der International Commission<br />
on Financing Global Education Opportunities. Amel Karboul wuchs in<br />
Tunesien auf und wurde in Europa und in den USA ausgebildet. 1991 kam<br />
sie mit einem DAAD- Stipendium nach Deutschland, lernte in Heidelberg<br />
Deutsch, studierte ab 1992 Maschinenbau und schloss als Jahrgangsbeste<br />
ab. Neben Funktionen in der Wirtschaft, u. a. bei Daimler- Chrysler und der<br />
Boston Consulting Group, war sie u. a. von 2006 bis 2014 Gastprofessorin<br />
der ZfU International Business School (Schweiz). 2007 gründete sie das<br />
Beratungsunternehmen „Change, Leadership & Partners“ und fungiert seit<br />
2015 als Aufsichtsratsvorsitzende.<br />
105
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
CLEMENS TÖNNIES<br />
ist Vorstandsvorsitzender der Unternehmensgruppe Tönnies. Rund<br />
12.500 Mitarbeiter sind an unterschiedlichen Produktionsstandorten<br />
für das Unternehmen tätig. 1956 wurde Clemens Tönnies als Sohn einer<br />
Metzger familie im ostwestfälischen Rheda geboren. Bereits im Alter von<br />
15 Jahren begleitete er 1971 die Gründung eines Großhandels für Fleischund<br />
Wurstwaren zusammen mit seinem älteren Bruder Bernd und stieg<br />
1980 als Gesellschafter in das Unternehmen ein. Die Brüder entwickelten<br />
das Unter nehmen rasch zu einem der größten Fleischproduzenten in ganz<br />
Europa. Seit dem Tod seines Bruders 1994 führt Clemens Tönnies die Firma<br />
allein und hält sie konsequent auf Expansionskurs. Nahezu alle großen<br />
deutschen Lebensmittelketten vertreiben heute Fleischprodukte von<br />
Tönnies, das Unternehmen beliefert weltweit 2.000 verschiedene Kunden.<br />
Bundesweit profiliert sich der Unternehmer auch durch sein Engagement<br />
beim FC Schalke 04. Seit 1995 gehört er dem Schalker Aufsichtsrat an,<br />
2001 wurde er zu dessen Vorsitzendem gewählt.<br />
ROMAN ROTH<br />
Er gilt als erfolgreichster Winzer an der Ostküste der USA und ist<br />
Mitinhaber der Wölffer Estate Vineyards in den Hamptons. Roman Roth<br />
stammt ursprünglich aus der Nähe von Rottweil im Schwarzwald. Nach<br />
Stationen als Auszubildender bei einer Winzergenossenschaft, Auslandserfahrungen<br />
in Kalifornien und Australien, einer Anstellung als Winzer<br />
im Badischen und dem Abschluss an der Hochschule für Önologie und<br />
Weinbau 1992 in Weinsberg heuerte er noch im selben Jahr bei Christian<br />
Wölffer in Sagaponack, New York, an. Durch seine Arbeit im Keller von<br />
Wölffer Estate hat Roth seither den Stil der Weine der Region Long<br />
Island geprägt. Sein „The Grapes of Roth“ Merlot (#64) wurde unter die<br />
TOP 100 Weine 2015 des „Wine Spectator“ gewählt.<br />
HANSUELI LOOSLI<br />
Seinen beruflichen Werdegang startete er mit einer kaufmännischen Lehre<br />
beim Schweizer Einzelhandelsunternehmen Volg. Nach Stationen bei der<br />
ABB Schweiz AG sowie Mövenpick und Waro stieß er 1992 als Direktor<br />
Waren beschaffung zu Coop und übernahm zeitgleich zwischen 1992 und<br />
1996 den Vorsitz der Geschäftsleitung der Coop Zürich. 1997 wurde Loosli<br />
zum Vorsitzenden der Geschäftsleitung Coop-Gruppe und damit zum jüngsten<br />
Coop-Chef überhaupt ernannt. 2011 wurde er in den Verwaltungsrat der<br />
Coop-Gruppe Genossenschaft gewählt und zum Präsidenten ernannt.<br />
Seit 2009 ist er Mitglied des Verwaltungsrats und seit 2011 Präsident des<br />
Verwaltungsrats der Swisscom AG. Er ist Präsident des Verwaltungsrats<br />
der Bell AG, der Transgourmet Holding AG sowie der Coop Mineraloel AG. Für<br />
seine Leistungen wurde er u. a. mit dem Unternehmerpreis „SwissAward“<br />
(2003) sowie als Schweizer „Unternehmer des Jahres“ (2010) ausgezeichnet.<br />
106
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
CHRISTOPH WERNER<br />
ist seit Dezember 2010 bei dm-drogerie markt in Karlsruhe als Mitglied der<br />
Geschäftsführung verantwortlich für das Ressort Marketing + Beschaffung<br />
und Regionsverantwortlicher für 245 Filialen in Hessen und Nieder sachsen.<br />
Von 1992 bis 1995 studierte Christoph Werner Betriebswirtschaftslehre<br />
an der Dualen Hochschule in Karlsruhe und sammelte bei Tegut in Fulda<br />
im Rahmen des Dualen Studiums Erfahrungen im Handel. Einblicke in die<br />
Arbeit der Konsumgüterhersteller ermöglichten ihm verschiedene Positionen<br />
in Vertrieb und Marketing bei L’Oréal Paris sowie bei GlaxoSmithKline<br />
Consumer Healthcare (USA) sowie bei GlaxoSmithKline Consumer Healthcare<br />
(Frankreich), wo er die Marketingleitung Mundpflege übernahm.<br />
Darüber hinaus erwarb Christoph Werner in den Jahren 2006/2007 seinen<br />
International Executive MBA an der Katz Graduate School of Business in<br />
Pittsburgh (USA).<br />
DR. AUMA OBAMA<br />
Ihr Name ist weltweit bekannt – weil Dr. Auma Obama als Schwester des<br />
ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama einer namhaften Familie angehört.<br />
Darüber hinaus hat sich Dr. Obama als Germa nistin, Soziologin und<br />
Publizistin einen Namen gemacht. In Kenia aufgewachsen ging sie als junge<br />
Erwachsene nach Deutschland. Hier studierte sie u. a. an der Universität<br />
Heidelberg und an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin<br />
und promovierte 1996 in Bayreuth. Im Anschluss zog sie nach England und<br />
arbeitete dort für das „Children’s Services Department“. Es folgte der Umzug<br />
in ihr Heimatland Kenia, wo sie mehrere Jahre für die Hilfsorganisation<br />
CARE International tätig war. Dr. Obama ist Mitglied im Weltzukunftsrat<br />
(World Future Council) sowie Gründerin und Vorsitzende der Auma Obama<br />
Foundation – Sauti Kuu (Kisuaheli für „starke Stimmen“), die sich dafür<br />
einsetzt, benachteiligten Kindern und Jugendlichen eine Stimme zu geben.<br />
Die Stiftung hilft jungen Menschen, ihr Schicksal und die gemeinsame<br />
Zukunft aktiv zu gestalten. Auma Obama ist Gewinnerin des Deutschen<br />
Redner preises 2015.<br />
PROF. JEAN-REMY VON MATT<br />
Wer hat’s erfunden? Der Schweizer! Seine Slogans kennt jeder. Jean-Remy<br />
von Matt, gebürtiger Belgier mit schweizerischem Pass und profiliertester<br />
Werber Deutschlands, hat seit vierzig Jahren ein untrügliches Gespür für<br />
Sätze, die ins Blut gehen. Zusammen mit Holger Jung gründete er 1991 die<br />
Agentur Jung von Matt in Hamburg. Seit 25 Jahren gibt es – sowohl was<br />
Auszeichnungen für Kreativität als auch für Effizienz angeht – keine erfolgreichere<br />
Agenturgruppe im deutschsprachigen Raum. Seit 2003 ist<br />
Jean-Remy von Matt Professor für Werbung an der Hochschule Wismar.<br />
107
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
HOLGER BEECK<br />
ist seit Dezember 2013 Vorstandsvorsitzender und Präsident McDonald’s<br />
Deutschland Inc. Als Assistant Manager startete Holger Beeck 1984 seine<br />
Karriere bei McDonald‘s und übernahm nach nur drei Jahren die Leitung<br />
eines Mönchengladbacher Restaurants. Die folgenden Jahre führten ihn<br />
durch die verschiedensten Bereiche der Mc-Family. Von November 2005 bis<br />
Ende 2007 verantwortete er als Vice President Development unter anderem<br />
die umfassende Modernisierung der Restaurants sowie die Umsetzung des<br />
neuen McCafé-Konzepts. Unter seiner Leitung wurden knapp 700 Restaurants<br />
mit neuen Designs ausgestattet und rund 400 McCafés eröffnet.<br />
2008 folgte die Ernennung zum Vorstand Operations, 2009 übernahm<br />
Holger Beeck die Position des Chief Operating Officers und stellvertretenden<br />
Vorstandsvorsitzenden.<br />
DR. FREDERIK G. PFERDT<br />
ist Chief Innovation Evangelist bei Google Inc. und Adjunct Professor an der<br />
d.school der Stanford Universität. Seine große Leidenschaft besteht darin, die<br />
kreative Leistungsfähigkeit eines jeden dahingehend zu entwickeln, innovativ<br />
zu denken und zu handeln; er ist der festen Überzeugung, dass Kreativität<br />
in uns allen existiert. Dr. Pferdt ist Gründer von Googles Kreativlabor „The<br />
Garage“ und Schöpfer des „Creative Skills for Innovation Laboratory“ (CSI:Lab),<br />
das Erfindergeist fördert und Hunderte neuer Ideen jährlich mit Teams von<br />
YouTube, Chrome über People Operations bis [X] hervorbringt. An der Stanford-Universität<br />
lehrt er zum Thema Innovation, Kreativität und Design und<br />
ermutigt Studierende, radikale Innovationen zu entwickeln, die das Potenzial<br />
haben, die Welt zu verbessern. Als Gastdozent an der Singularity-Universität<br />
hilft er Führungskräften, exponentiell zu denken und eine bessere Zukunft zu<br />
erfinden. Sein zukunfts weisender Ansatz zum Thema Innovations kultur wurde<br />
in über 50 relevanten Reportagen und Interviews veröffentlicht. Aktuell ist er<br />
Innovationsberater der UN.<br />
PROF. CHRISTOPHER CLARK<br />
ist Professor für Neuere Europäische Geschichte am St. Catharine’s<br />
College in Cambridge. Sein Interesse gilt besonders der deutschen und<br />
kontinentaleuropäischen Geschichte im 18. Jahrhundert. In der breiten<br />
Öffentlichkeit hat vor allem sein Bestseller „Die Schlafwandler“ über den<br />
Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der 2013 in deutscher Übersetzung<br />
erschien, für große Aufmerksamkeit gesorgt. Für seine Arbeit wurde<br />
Clark unter anderem mit dem Wolfson Prize und dem Preis des Historischen<br />
Kollegs auszeichnet. Er ist Mitglied der Preußischen Historischen<br />
Kommission, des German Historical Institute London und der Otto-von-<br />
Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh. 2010 wurde er zudem zum Fellow der<br />
British Academy ernannt. Einem breiteren Publikum ist Clark zudem dank<br />
seiner ZDF-Dokumenta tionen bekannt.<br />
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55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Ludwig Erhard<br />
1949–1963 Bundesminister für Wirtschaft,<br />
1963–1966 Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland<br />
(1897–1977)<br />
109
<strong>MMM</strong>-CLUB<br />
DER CLUB<br />
<strong>MMM</strong> ist aufgrund seiner Struktur und Idee einzigartig: Der Club besteht<br />
seit 1962. Ihm gehören mehr als 580 Unternehmer und Unternehmen (mit<br />
Delegierten weit über 1.000 Mitglieder) an, darunter die führenden Persönlichkeiten<br />
der Konsumgüterwirtschaft im deutschsprachigen Raum.<br />
<strong>MMM</strong> beschäftigt sich traditionell mit den Rahmenbedingungen, in denen Wirtschaft<br />
funktioniert, und versteht sich als Protagonist eines werteorientierten, langfristig<br />
ausgerichteten Unternehmertums.<br />
Den ersten <strong>MMM</strong>-Kongress gab es 1963, seitdem findet er traditionell zu Beginn<br />
des Jahres in München statt. Er zählt zu den bedeutenden Ereignissen der Branche<br />
und ist für seine große Handelspräsenz bekannt. Die Lebensmittel Zeitung schreibt:<br />
„Die Themen sind stets gut und branchennah gewählt, niemals fehlt der Blick für<br />
das große Ganze.“<br />
Mehr zur Arbeit von <strong>MMM</strong>, weiteren Veranstaltungsformaten und zu den Mitgliedschaftsmodellen<br />
erfahren Sie im Internet unter www.mmm-club.de .<br />
„WERTVOLLES<br />
GESTALTEN“<br />
ist die Vision des <strong>MMM</strong>-Clubs.<br />
110
<strong>MMM</strong>-CLUB<br />
Verantwortlich für den 55. <strong>MMM</strong>-Kongress<br />
Das Präsidium des <strong>MMM</strong>-Clubs<br />
Präsidentin<br />
Simone Krah, <strong>MMM</strong>-Club e. V.<br />
Vizepräsidenten<br />
Michael Durach, Develey Senf & Feinkost GmbH<br />
Karl Stefan Preuß, Karl Preuß GmbH & Co.,<br />
Aufsichtsrat EDEKA Zentrale AG<br />
Ordentliche Präsidiumsmitglieder<br />
Prof. Dr. Utho Creusen, Positive Leadership<br />
Stephan DuCharme, X5 Retail Group (RU)<br />
Erich Harsch, dm-drogerie markt<br />
Markus Kaser, INTERSPAR Österreich<br />
Mariann Wenckheim, 20.20 Ltd., London (UK)<br />
Ehrenpräsidenten<br />
Gerd Kaiser<br />
Theo Werdin († 2014)<br />
Der Beirat<br />
Dr. David Bosshart, GDI Gottlieb Duttweiler Institut (CH)<br />
Prof. Dr. Michael Hüther, Institut der deutschen Wirtschaft Köln e. V.<br />
Prof. Dr. Armin Nassehi, Institut für Soziologie,<br />
Ludwig-Maximilians-Universität München<br />
Redaktion<br />
<strong>MMM</strong>-Club e. V., Arthen Kommunikation GmbH<br />
Fotos<br />
Matthias Richter, Friedrichsdorf/Ts.<br />
S. 5: Shutterstock (Oleg Golovnev), New York<br />
S. 6: picture-alliance/dpa, Frankfurt<br />
Grafische Gestaltung<br />
grundmanngestaltung im Auftrag der<br />
Arthen Kommunikation GmbH, Karlsruhe<br />
Gesamtherstellung<br />
ADM – Agentur für Druckmedien GmbH, Isny/Ntb.<br />
111
<strong>MMM</strong>-CLUB<br />
Die Freiheit<br />
IST WIE DAS MEER:<br />
Die einzelnen Wogen<br />
vermögen nicht viel,<br />
ABER DIE KRAFT<br />
der Brandung<br />
ist unwiderstehlich.<br />
Václav Havel<br />
Freiheitskämpfer, ehemaliger tschechischer Präsident (1936–2011)<br />
112
<strong>MMM</strong>-Club e.V.<br />
Im Westpark 15<br />
D-35435 Wettenberg<br />
T +49 (0) 641 97442-222<br />
F +49 (0) 641 97442-224<br />
info@mmm-club.de<br />
www.mmm-club.de