MMM_Dokumentation_02_017
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55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Der Granatapfel. Er<br />
hat viele gleichwertige,<br />
chaotisch angeordnete<br />
Kerne und steht deshalb<br />
als Symbol für ein breites<br />
Denken in Alternativen.<br />
unberechenbar, ganz besonders im hochtechnisierten<br />
und hochvernetzten 21. Jahrhundert. Deshalb könne<br />
man dauerhaft nicht – gerade auch in der Wirtschaftswelt<br />
– mit den gleichen Methoden agieren wie<br />
in der Vergangenheit. Der technologische Fortschritt<br />
mit seiner Dynamik verändere vieles: „Es hat 38 Jahre<br />
gedauert, bis 50 Millionen Menschen ein Radio hatten.<br />
Es hat genau vier Jahre gedauert, bis die gleiche Anzahl<br />
Menschen Internet hatte“, so die Unternehmerin.<br />
Es gelte, das Railway-Denken zu durchbrechen. Sie<br />
selbst habe es getan, als sie den Anruf bekam, in<br />
Folge des Arabischen Frühlings Mitglied der Übergangsregierung<br />
in Tunesien zu werden. Sie hatte zwei<br />
Stunden Zeit, sich zu entscheiden. Alle, mit denen sie<br />
gesprochen habe, hätten abgeraten. Doch man muss,<br />
so Karboul, das Railway-Denken durchbrechen. Es sei<br />
ihr nicht leicht gefallen: Ihr Unternehmen habe sich<br />
gerade in einer guten Phase befunden, ihre Kinder<br />
seien noch klein gewesen. Doch sie habe sich für den<br />
Job der Tourismusministerin entschieden, weil sie das<br />
Gefühl hatte, gerade in diesem Moment der Freiheit<br />
Verantwortung übernehmen zu müssen.<br />
Im Zuge dieser Entscheidung habe sie das „Granatapfel-Denken“<br />
praktiziert. Der Granatapfel hat viele<br />
gleichwertige, chaotisch angeordnete Kerne und steht<br />
deshalb als Symbol für ein breites Denken in Alternativen.<br />
Wirksames Engagement der Zivilgesellschaft<br />
Freiheit und gesellschaftliches Engagement gehören<br />
für Amel Karboul nach eigenen Worten untrennbar zusammen.<br />
Früher habe Freiheit für sie bedeutet, sich<br />
nicht um Politik kümmern zu müssen. In Deutschland<br />
und den USA habe man Institutionen vertraut, gearbeitet,<br />
Hobbys gepflegt, ohne sich engagieren zu<br />
müssen. Doch die derzeitigen Entwicklungen ließen<br />
ein gelassenes Beobachten nicht mehr zu. Vielmehr<br />
verpflichte die Freiheit dazu, sich einzumischen.<br />
„Die Realität ist letztlich<br />
unberechenbar,<br />
ganz besonders im<br />
hochtechnisierten und<br />
hochvernetzten<br />
21. Jahrhundert.“<br />
Und das persönliche Engagement sei wirkungsvoll, wie<br />
sie erneut mit einem Beispiel aus Tunesien unterstrich.<br />
Während der Ausarbeitung der neuen Verfassung gab<br />
es zwei Formulierungsvorschläge: a), dass sich „Männer<br />
und Frauen komplementär ergänzen“ oder b) dass<br />
„Männer und Frauen gleich sind“. Daraufhin hätten im<br />
Sommer, mitten im Ramadan, zehntausende Frauen –<br />
von der Professorin bis zur Reinigungskraft – jeden Tag<br />
demonstriert, bis die Gleichheit in der Verfassung stand.<br />
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