55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS „ Wer die Freiheit aufgibt, um SICHERHEIT zu gewinnen, wird am ENDE beides verlieren. Benjamin Franklin „ Gründervater der Vereinigten Staaten von Amerika (1706–1790) 91
55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS Das Freiheitsprojekt: Von der Bedeutung Europas und den Lehren aus der Geschichte CHRISTOPHER CLARK Professor für Neuere Europäische Geschichte am St. Catharine´s College in Cambridge, Autor Christopher Clark ist Professor für Neuere Europäische Geschichte am St. Catharine´s College in Cambridge. In der breiten Öffentlichkeit sorgte sein Bestseller „Die Schlafwandler“ über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs für große Aufmerksamkeit. Clark legte anschaulich dar, dass wir bis dato leider zu wenig aus der Geschichte lernen. Sein Beitrag gipfelte in einem eindrücklichen Plädoyer für ein gemeinsames Europa. Die Europäische Union hält er als Friedensund Freiheitsprojekt für eine der wichtigsten Errungenschaften der jüngeren Geschichte. „Im März 2011 saß ich an einem Buch über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und war gerade dabei, ein Kapitel über den italienischen Angriff auf Libyen im Jahre 1911 zu schildern“, begann Christopher Clark seinen Vortrag und führte aus: „Ich hatte eben erst mit dem Schreiben dieses Kapitels begonnen, da kamen die Nachrichten von den Luftschlägen gegen Libyen. Und da sieht man: Es hat sich nicht so viel verändert zwischen 1911 und 2011.“ Die Städtenamen in den Schlagzeilen seien die gewesen, die schon 1911 in den Zeitungen standen: Tripolis, Bengasi, Sirte, Darna, Tobruk, Zawiya, Misrata usw. Die Übereinstimmungen seien frappierend gewesen. „Ein Witzbold hat einmal behauptet, die Geschichte wiederholt sich nicht, es sind die Historiker, die einander wiederholen“, sagte Clark. In diesem Fall könne man sicherlich nicht von einer Wiederholung sprechen. Angreifer im Jahr 2011 sei die NATO und nicht Italien gewesen und es sei auch nicht wie 1911 um Eroberung gegangen. Der Angriff habe zu einer fatalen Destabilisierung auf dem Balkan geführt und letzten Endes 1914 den Ersten Weltkrieg ausgelöst. 2011 seien so verheerende Folgen nicht zu befürchten gewesen, auch wenn die NATO-Intervention in Libyen mit dazu beigetragen habe, das Verhältnis zwischen Wladimir Putin und seinen Kollegen in den führenden westlichen Nationen drastisch zu verschlechtern. Putin selbst beziehe sich immer wieder auf diese Episode. Durch sie sei sein Vertrauen in den Westen verloren gegangen. Christopher Clark schlussfolgerte: „Analogien zwischen 2011 und 1911 waren also durchaus erkennbar, aber sie waren viel schwächer, viel partieller, als sie beim ersten Anblick erschienen.“ „Vor Anbruch der Moderne ist man davon ausgegangen, dass Geschichte typologisch verstanden werden müsse.“ Die Frage sei, welche Lehre man aus solchen „gelegentlichen Resonanzen“ ziehen könne. Vor Anbruch der Moderne sei man davon ausgegangen, dass Geschichte typologisch verstanden werden müsse. Man habe angenommen, dass sich bestimmte Grundmuster regelmäßig wiederholen. Dass die Geschichte die Lehrmeisterin des Lebens sei – „historia magistra vitae“ –, sei kaum infrage gestellt worden. 92