MMM_Dokumentation_02_017
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55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Michael Durach (l.),<br />
Develey-Geschäftsführer<br />
und <strong>MMM</strong>-Vizepräsident,<br />
und sein Marketingleiter<br />
Volker Leonhardi (r.)<br />
nehmen die Geschäftsführer<br />
des Start-ups Just<br />
Spices, Bela Seebach<br />
(2. v. l.) und Florian Falk,<br />
in die Mitte.<br />
Der vergleichende Blick in die Vergangenheit scheine<br />
für Politiker unwiderstehlich zu sein. So habe Dmitri<br />
Rogosin im Jahr 2008 während des Krieges zwischen<br />
Russland und Georgien um Südossetien Parallelen<br />
zur Julikrise von 1914 gezogen. Was, so habe Rogosin<br />
argumentiert, wenn es Georgien gelingen würde, die<br />
Unterstützung der NATO zu erhalten? Dann könne das<br />
zu einer ähnlichen Eskalation wie dem Ersten Weltkrieg<br />
führen. Rogosin habe mithilfe eines schrägen Vergleichs<br />
versucht, einen historischen Bezug zur Gegenwart<br />
herzustellen. Clark: „Keine Spur von einem redlichen<br />
Ansatz zu einer geschichtlich begründeten Prognose,<br />
sein historischer Vergleich war im Grunde genommen<br />
nichts mehr als eine Warnung an den Westen, sich aus<br />
dem Konflikt herauszuhalten.“ Das Schreckgespenst<br />
des Ersten Weltkriegs sei eine hilfreiche Mahnung, wie<br />
furchtbar die Folgen seien, wenn die Politik versagt,<br />
wenn Gespräche abgebrochen würden und kein Kompromiss<br />
mehr möglich sei.<br />
Mangelnde Kommunikation führt in die Krise<br />
Im April 1980 habe sich der damalige Bundeskanzler<br />
Helmut Schmidt drastisch über die Gefährlichkeit der<br />
internationalen Lage geäußert und eine Welt geschildert,<br />
die am Rande eines verheerenden Atomkrieges<br />
zu stehen schien. Hintergrund: Die Sowjetunion war<br />
Weihnachten 1979 in Afghanistan einmarschiert, danach<br />
seien die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen<br />
eingefroren gewesen. Dann, im April 1980, waren<br />
wegen der Krise um die Teheraner Botschaftsgeiseln<br />
auch die diplomatischen Beziehungen der USA zum<br />
Iran abgebrochen und die NATO-Verbündeten seien inoffiziell<br />
von Washington informiert worden, man würde<br />
jetzt zu militärischen Mitteln greifen. Helmut Schmidt<br />
dachte, so Christopher Clark, bei seiner Einschätzung<br />
an die Entwicklungen, die zum Ersten Weltkrieg geführt<br />
haben: „Er verglich die aktuelle Krise mit der Situation<br />
vom Juli 1914. Keine der damaligen fünf großen europäischen<br />
Mächte habe den Krieg wirklich gewollt, sagte<br />
Schmidt, aber jedes Land – ich zitiere – ‚hat natürlich<br />
seine Interessen vertreten, auch seine Prestigeinteressen,<br />
und keines der Länder hat sich damals ausreichend<br />
in die Interessenlage der anderen versetzt und auch mit<br />
den Augen der anderen die Lage betrachtet’.“<br />
Der Kern des Problems habe für Schmidt in einem Mangel<br />
an offener Kommunikation zwischen Washington<br />
und Moskau gelegen. Ohne eine Krisenbewältigung mit<br />
kühler, abwägender Vernunft, habe Schmidt gesagt,<br />
könnten sich die verschiedenen globalen Krisenherde<br />
leicht miteinander verzahnen, miteinander verbinden<br />
und einen Dritten Weltkrieg auslösen.<br />
Der Text von Schmidts Rede sei an Deutsche Botschaften<br />
in aller Welt verschickt worden. Der Spiegel vom<br />
21. April 1980 habe stahlhelmtragende Soldaten unter<br />
der in altdeutscher Schrift gesetzten Überschrift ‚Wie<br />
im August 1914?’ gezeigt. Helmut Schmidt sei es darum<br />
gegangen, die Krisenfälligkeit des Systems zu thematisieren<br />
und mahnend auf die Notwendigkeit einer<br />
Friedenssicherungs- und Kriegsvermeidungsstrategie<br />
jenseits der nationalen Interessen hinzuweisen.<br />
„Und das ist meines Erachtens die bessere Art, Lehren<br />
aus der Geschichte zu ziehen“, resümierte Christopher<br />
Clark. Schmidts systematischer Vergleich sei gewinn-<br />
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