MMM_Dokumentation_02_017
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55. <strong>MMM</strong>-KONGRESS<br />
Senator Hans-Joachim<br />
Tessner (Tessner- Gruppe/<br />
Roller, l.), der dem <strong>MMM</strong>-<br />
Club seit Jahrzehnten<br />
eng verbunden ist,<br />
und Heinrich Schulze<br />
(Fürsten-Reform)<br />
Wirtschaftskrise war eine der Voraussetzungen für<br />
den Aufstieg des Nationalsozialismus. Der Markt allein<br />
also gewährt keine Stabilität, er muss durch politische<br />
Anstrengung bewahrt werden“, führte Safranski aus.<br />
Ein weiterer bedeutsamer Aspekt der Gewaltenteilung<br />
liege in der Trennung von Politik und Religion, so<br />
Safranski. Für den Atheisten sei diese Trennung eine<br />
Selbstverständlichkeit. Für den Gläubigen sei es eigentlich<br />
eine Zumutung, die zivilen Gesetze als höherrangig<br />
zu akzeptieren als religiöse Gebote. Und doch muss<br />
der religiöse Mensch diese Zumutung ertragen lernen,<br />
ebenso wie Kritik oder Karikatur. Dass man wechselseitig<br />
entgegengesetzte Perspektiven hinnimmt, gehöre<br />
zur Kultur der Freiheit.<br />
„Das liberale Modell<br />
kann nur funktionieren,<br />
wenn die Menschen<br />
in der Lage sind,<br />
Selbstkontrolle<br />
auszuüben – innere<br />
Gewaltenteilung.“<br />
Bei einem Zusammenleben, das die Freiheit des Einzelnen<br />
bewahrt, müsse die Gewaltenteilung sogar<br />
ins Innere des Einzelnen verlegt werden. Das liberale<br />
Modell könne nur funktionieren, wenn die Menschen<br />
in der Lage sind, Selbstkontrolle auszuüben – innere<br />
Gewaltenteilung. Zur Veranschaulichung zitierte Safranski<br />
Sigmund Freud, der 1921 nach den Erfahrungen<br />
mit den „Tötungsorgien“ des Ersten Weltkriegs<br />
schrieb: „Unsere Seele ist keine friedvolle, sich selbstregulierende<br />
Einheit, sie ist eher mit einem modernen<br />
Staat vergleichbar, in dem ein vergnügungs- und<br />
zerstörungssüchtiger Pöbel von einer besonnenen<br />
überlegenen Klasse gewaltsam niedergehalten werden<br />
muss.“ Die Pointe dieser Überlegung sei, dass Freud<br />
in jedem von uns etwas Pöbelhaftes sieht, das wir in<br />
innerer Gewaltenteilung erst noch zivilisieren müssen,<br />
damit ein verträgliches Leben miteinander überhaupt<br />
möglich ist.<br />
Vorsichtiger Umgang mit dem Masseninstinkt<br />
Safranski warnte vor dem zivilisatorischen Verlust,<br />
den die sozialen Medien mit sich brächten. Sie stellten<br />
eine Ermunterung zur Enthemmung dar. Der digitale<br />
Stammtisch bleibe nicht unter sich, sondern habe eine<br />
potenziell riesige Öffentlichkeit. Enthemmung durch<br />
Anonymität sei immer gefährlich. Es gehe dabei vor allem<br />
um den Vorgang, wenn das eigene, sonst als winzig<br />
empfundene Ich mit anderen fusioniert und zu einem<br />
Massenkörper wird. Deshalb werde nach den schlimmen<br />
Erfahrungen mit politischen Massenhysterien im<br />
20. Jahrhundert die Masse als politische Größe inzwischen<br />
vorsichtig behandelt. Man gehe auch vorsichtig<br />
um mit plebiszitären Elementen, besonders in Deutschland,<br />
weil Hitler seine Politik bekanntlich auf Plebiszite<br />
gestützt habe. Es werden institutionelle, rechtliche<br />
und sonstige Vorkehrungen getroffen, damit Masseninstinkte<br />
nicht ungebremst in die Politik durchschlagen.<br />
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