E_1928_Zeitung_Nr.046
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Neue Schwarzwaldstrassen.<br />
0 Was die Presse ist und was sie sein<br />
sollte, darüber kann man sich in Freytags<br />
« Journalisten » ein immer noch nicht veraltetes<br />
Privatkolleg lesen lassen. Nie mehr<br />
aber als in der heutigen Zeit hat der Unfug<br />
überhandgenommen, dass über projektierte,<br />
noch völlig in der Luft schwebende Unternehmungen<br />
in einer Art und Weise referiert<br />
wird, dass der Leser sich vor die vollendete<br />
Tatsache versetzt glauben kann. Als Automobilist,<br />
der lediglich zu Vergnügungszwecken<br />
alljährlich nie weniger als 8000 km<br />
im Schwarzwald abzufahren pflegt, ist es mir<br />
aufgefallen, wie aus optimistischen Tageszeitungsberichten<br />
in der weitern Presse eine<br />
Strassenbautätigkeit für den Schwarzwald<br />
konstruiert wurde, die nicht bloss Verfrühtes,<br />
sondern kaum je zu Verwirklichendes längst<br />
hinter sich gebracht haben müsste.<br />
So sollte vor einiger Zeit eine direkte<br />
Strasse von Titisee nach dem Feldbergerhof<br />
unmittelbar vor ihrer Eröffnung stehen. Die<br />
«A.-R.» hat zu guter Stunde die Berichtigung<br />
gebracht, dass es sich nicht um etwas<br />
derartiges handeln kann. Glücklicherweise<br />
wird es auch nie jemand einfallen, vom Feldsee,<br />
der durch den prächtigen Karl Egon-<br />
Weg mit dem Feldbergerhof verbunden ist,<br />
durch eine Fahrstrasse zu ersetzen, da nicht<br />
bloss die technischen Schwierigkeiten zu<br />
gross sind, sondern eine Strasse das ganze<br />
Gebiet verschandeln würde, und von Titisee<br />
aus heute bereits zwei prächtige Fahrstrassen<br />
zum Feldbergsattel führen, von dem eine<br />
gute Fahrstrasse, verbreitert und mit guten<br />
neuen Einfahrtkurven versehen, den Feld-<br />
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Copyright <strong>1928</strong> by Georg Müller, Verlag, München.<br />
(Fortsetzung vom Hauptblatt.)<br />
Also geschah es Mike jetzt. Er verstand<br />
noch nicht, was ihm geschehen sei, er<br />
wusste nur, dass dieses Mädchen ganz einzig<br />
sei und dass er sie nicht aus seinem<br />
Leben entschwinden lassen durfte, ohne den<br />
Versuch zu machen, sie zu halten. Er fühlte<br />
sich so leicht und froh, dass er am liebsten<br />
gesungen hätte, nur seine Hände schienen<br />
ihm aussergewöhnlich gross und feucht. Er<br />
stand da, starrte sie an und suchte nach<br />
Worten.<br />
Sein Gemütszustand hatte in der Tat triftige<br />
Entschuldigungsgründe für sich. Nach dem<br />
Mädchen, das sich seinen Skalp so rasch angeeignet<br />
hatte, hätten sich unter hundert<br />
Männern neunundneunzig — falls sie sich<br />
nicht in Gesellschaft ihrer Gattinnen befänden,<br />
umgedreht, um ihren Anblick nochmals<br />
zu gemessen. Sie war zwar nicht gross,<br />
aber schlank und graziös. Ihr Haar hatte<br />
die Farbe des reifen Kornes, wenn die<br />
Sonne darauf scheint; ihre Augen waren<br />
grau wie das Meer an einem Herbsttag;<br />
ihre Nase war kurz und gerade und sah unabhängig<br />
aus. Ihr Mund — nun der war so,<br />
wie eben' ein Mund sein soll, zugleich fest<br />
bergerhof an die grosse Strasse anschliesst.<br />
Bei der Gelegenheit muss dem Sens unique-<br />
Ausbau der Hotelbesitzer vor dem Feldbergerhof<br />
alle Anerkennung gezollt werden. 0b<br />
man nun durchs Bärental gegen den «Zeiger»<br />
hinauffährt, oder die neue Strasse über Altglashütten<br />
benützt — für die schweizerischen<br />
Verhältnisse sind diese Strassenanlagen direkt<br />
vorbildlich.<br />
Wenn im Feldberggebiet etwas vermisst<br />
wird, so ist es höchstens eine direkte Fahrstrassenverbindung<br />
zwischen Menzenschwand<br />
und dem «Zeiger». Sie gehört zu denen,<br />
die in absehbarer Zeit sicher kommen werden.<br />
Im allgemeinen aber kann man sagen,<br />
dass in Europa keine Gebirgsgegend so wunderbar<br />
durch ein engmaschiges Strasseniietz<br />
erschlossen ist, wie der Schwarzwald. Daran<br />
ist nicht bloss die topographische Gestaltung<br />
schuld (nicht ein Kammgebirge wie die Vo<br />
gesen!), sondern die Holzindustrie, die sich<br />
unzählige Abfuhrwege geschaffen hat. Leider<br />
sind viele (wie z. B. die Strasse im Mettmatal<br />
oder die Strassen um Dreistegen herum)<br />
dem Automobil verschlossen, und auch<br />
von den grossen Strassenzügen, wie Albtal,<br />
Wehratal, unteres Murgtal, zwischen Hottingen<br />
und Murg, unterliegen solche, die zu den<br />
schönsten gehören, der Sperre. Auch hier<br />
wird die Zeit ganz sicher Wandel schaffen.<br />
Einstweilen noch befinden wir uns in einer<br />
Zeit, da der den intimen Reizen des Schwarzwaldes<br />
nachgehende Fahrer früher erlaubte<br />
kleine Strassen plötzlich gesperrt sieht. So<br />
ist offenbar vom Pächter des protzig ausgebauten<br />
Schlosses Bürglen (Hebel würde sich<br />
im Grabe umdrehen!) veranlasst worden,<br />
dass die Gemeinde Obereggenen die Zufahrl<br />
vom St. Johanns Breitehof nach Bürglen gesperrt<br />
hat. Solche Ueberraschungen habe<br />
ich in den letzten Jahren noch öfters erlebt.<br />
Anderseits wieder wird man angenehm überrascht<br />
durch die Anlegung von neuen Sträss-f<br />
chen, die in der Kriegs- und Nachkriegszeit<br />
gebaut wurden. Vor allem ist da zu nennen<br />
die mit tadellosen Kurven ausgestattete<br />
neue Strasse von Fischenberg nach dem^<br />
Stühle, die von dort nach dem Auerhahnwirtshaus<br />
an der Sirnitz hinunterführt und<br />
heute noch auch nicht einem halben Dutzend<br />
von Baslern bekannt sein dürfte, die doch<br />
sonst das Schwarzwaldgebiet sehr zu schätzen<br />
wissen. Dass man im Bestreben, von<br />
Raitbach im Wiesentale nach dem prächtig<br />
gelegenen Kurort Schweigmatt zu fahren, am<br />
Beginn durch die drei ominösen Punkte zurückgehalten<br />
wird, findet nun seine Kompensation<br />
durch den Bau einer neuen Strasse von<br />
der Gersbacher Seite her, ohne dass freilich<br />
dieser Ersatz befriedigen kann.<br />
und zart und voll heimlichen Humors. Wo<br />
Sommersprossen verbessernd und wirkungsvoll<br />
auftreten konnten, dort waren sie —<br />
unaufdringliche,' reizende Sommersprossen.<br />
Zum Beispiel, die eine entzückende auf der<br />
äussersten Nasenspitze ... Während Mike<br />
sie so stumm betrachtete, wogten allerlei unklare<br />
Gefühle unter seiner Weste auf und<br />
ab. Nie, noch nie hatte er ein solches Mädchen<br />
gesehen!<br />
,Was sie betraf, so sah sie einen grossen,<br />
mageren, sehnigen und abgebrannten jungen<br />
Mann in grauem Anzug vor sich. Er hatte<br />
ehrliche Augen, gute Zähne und lachte sie<br />
über das ganze Gesicht sehr verlegen an.<br />
Sie lächelte freundlich zurück.<br />
«Kleines Biest!», sagte sie.<br />
«Was?» fragte Mike erschrocken*<br />
«Das dort,» und sie nickte in der Richtung,<br />
wo man Mr. Weinberg, die Krawatte unter<br />
dem Ohr, in eiligem Rückzug von seinem<br />
Waterloo sah.<br />
«Hoffentlich wird er sich die Lektion<br />
merken. Ich kenne diese Sorte. Danke jedenfalls<br />
sehr für die schneidige Hilfe. Guten<br />
Morgen.» Sie nickte heiter und wandte<br />
sich zum Gehen. Nachdem Mike einen Augenblick<br />
wie gelähmt verharrt hatte, sprang<br />
er ihr nach und sprudelte hervor:<br />
«Ach bitte — warten Sie ein bisschen !<br />
Ich meine— in welcher Richtung gehen Sie?<br />
Kann ich Sie nicht wohin führen?»<br />
Sie schüttelte den Kopf.<br />
«0, nein, danke. Ich gehe nur zum Bahnhof.»<br />
Die<br />
Zufahrtsstrassen<br />
Führer für<br />
Eines auf jeden Fall muss man den Strassenbauern<br />
im Schwarzwald lassen: es gibt<br />
wohl auch auf den Nebenwegen nicht eine<br />
einzige Kurve, die ein normaler Wagen nicht<br />
im ersten Anhieb nehmen kann. Vorbildlich<br />
vielmehr sind zahlreiche Anlagen, bei denen<br />
die Kurven einseitig, also rennbahnähnlich,<br />
überhöht wurden. Wie weit man den Bedürfnissen<br />
des modernen, d. h. des Automobilverkehrs,<br />
entgegenkommen kann, dafür<br />
bildet ein Schulbeispiel die Prachtsstrasse<br />
vom Kurort Sand nach Baden-Baden.<br />
Wenn ich nochmals auf die sträflich optimistischen<br />
Prognosen im Schwarzwald zurückkommen<br />
darf, so haben gewiss viele Leser<br />
von der Anlegung der Viergipfel-Schwarzwaldstrasse<br />
Kandel-Feldberg-Belchen-Blauen<br />
gehört. So herrlich es klingt — die ältere<br />
Generation der Automobilfahrer wird die<br />
Ausführung kaum erleben. Abgesehen von<br />
Wunderschönes Ausflugsziel für Automobilisten.<br />
= = G u t e Küche und Keller<br />
Stets frische Forellen Tea-Room am See.<br />
«Nun, erlauben Sie mir wenigstens, dass<br />
ich Sie hinbringe. Es liegt mir am Weg, und<br />
Ihr kleiner Verehrer wartet wahrscheinlich<br />
vor dem Park mit einem Totschläger.»<br />
Sie zögerte — die Welt stand still!<br />
«Es ist sehr freundlich von Ihnen,» sagte<br />
sie endlich.<br />
Mike sprang nach dem Auto und freute<br />
sich innig, dass dessen sportliche Bauart<br />
seine Hilfe beim Einsteigen dringend erheischte.<br />
Nachdem diese allzu kurze Förmlichkeit<br />
erledigt war, wandte das rote Ungeheuer<br />
und glitt den Hügel gegen die Stadt<br />
hinab.<br />
Eine kurze Strecke fuhr Mike schweigend,<br />
dann sagte er:<br />
«Der Himmel verhüte, dass ich es wagen<br />
sollte, mich in Ihre Angelegenheiten zu mischen,<br />
aber ich habe so eine Idee, dass Sie<br />
vielleicht zum Bahnhof wollen, um einen<br />
Zug zu erreichen.»<br />
«Das ist wirklich scharfsinnig von Ihnen,»<br />
sagt© das blonde Mädchen, «denn ich will<br />
tatsächlich zum Bahnhof, um einen Zug zu<br />
erreichen.»<br />
«In diesem Fall — hallo, da ist unser kleiner<br />
Freund.» Mike griff hastig in die Tasche,<br />
zog einen Schilling hervor und warf ihn mit<br />
leichter Gebärde Herrn Weinberg zu, der<br />
übellaunig die Strasse daherzog. Die Münze<br />
traf den Don Juan am Ohr, er fuhr empor<br />
und blickte mit einem giftigen Ausdruck zu<br />
den Beiden hinüber. Der rote Wagen dröhnte<br />
vorüber und Herr Weinberg — hob den<br />
Schilling auf<br />
aus der ganzen Schweiz sind ersichtlich in<br />
Automobilfahrer, offizielle Ausgabe des T.<br />
«Warum haben Sie das getan?», fragte<br />
das Mädchen.<br />
«Aus Erkenntlichkeit für geleistete Dienste,»<br />
erklärte Mike gelassen.<br />
«Wovon sprachen wir gerade? Ach ja, ich<br />
wollte Sie eben aufmerksam machen, dass<br />
die Untergrundbahn an einem so schönen<br />
Tag nicht gerade sehr angenehm ist. Wollen<br />
Si© mir nicht erlauben, Sie an Ihr Ziel<br />
zu führen, wo immer es sein mag?»<br />
«Nach Highgate? Gewiss nicht.»<br />
Mike schien nachzudenken.<br />
«Die Aerzte sagen uns,» bemerkte er dann<br />
plötzlich, «dass frisch© Luft — wie man si©<br />
in einem Auto, das von einem gutmütigen<br />
Menschen mit massiger Geschwindigkeit geführt<br />
wird, geniesst — das best© Mittel gegen<br />
Kopfschmerzen ist. Und eines der billigsten,<br />
natürlich. Sie haben doch Kopfschmerzen<br />
?»<br />
«Nein.»<br />
«Merkwürdig,» sagte Mike und dachte<br />
wieder nach. «Nach Highgate, sagten Sie?<br />
Das ist wirklich seltsam, weil ich so ein©<br />
Vorliebe für Highgate habe. Es hat so ©inen<br />
altvaterischen Zauber mit seinen Trams und<br />
dergleichen. Ich bin eben von Kanada<br />
heimgekehrt und habe auf der ganzen Reis©<br />
an Highgate denken müssen. Möchten Sie<br />
mich nicht in dem Licht eines zurückgekehrten<br />
Verbannten betrachten, von dem eine<br />
besonders weisshaarige Grossmutter in High- 1<br />
gate lebt, die er jahrelang nicht gesehen<br />
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