E_1930_Zeitung_Nr.040
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Bern, Dienstag 6. Mai <strong>1930</strong> III. Blatt der „Automobil-Revue" No. 40<br />
Der Mai ist<br />
gekommen.. •<br />
Er wirft die Gefühle der Menschen durcheinander<br />
und stimmt sentimental. Man möchte<br />
in diesen abendlich blauen Himmel hineinschreiten,<br />
singend — und zu beiden Seiten<br />
stehen die Bäume mit dem jungen Grün, das<br />
noch zart und rein ist... Sehnsüchte brechen<br />
auf und fluten. Alles ist süss und stimmungsvoll<br />
wie auf einem Oeldruck.<br />
Mit den Ersten Lerchentrillern putzen die<br />
Musikanten ihre Instrumente wieder, rüsten<br />
und proben, bald stehen die Blechmusiken<br />
•wieder hoch im Kurs, und ihre triumphierenden<br />
Tone werden wieder die Feste eröffnen;<br />
nach ihnen ziehen die Umzüge mit stolzen<br />
Fahnen durch die Gassen, unter ihren<br />
Klängen wird der Sommer eingeleitet, und<br />
die grosse Rummelpartie kann beginnen. Die<br />
Festhütten erwachen aus ihrem Winterschlaf,<br />
die ersten Pfähle werden eingeschlagen, der<br />
Turnverein und der Gesangverein rüsten zum<br />
Waldfest, der Paddler und der Schwimmer<br />
ziehen zum ersten Male wieder ihr Kostüm<br />
aus den Untergründen des Kastens, Bergschuhe<br />
und Pickel werden bereitgestellt, der<br />
Wagen fiebert, und die Sonne erinnert einem<br />
langsam wieder daran, dass die Saison der<br />
Schützen-, Turn- und Sängerfeste, des grossen<br />
Durstes und der leichten Kleider nahe<br />
ist.<br />
Der Asphalt sagt es dir in der Stadt. Er<br />
mischt sich mit dem Duft des weissen Flieders,<br />
der nun wieder blüht — diesmal hoffentlich<br />
ohne musikalische Begleitung! —<br />
und steigt in die Nase als Gruss der Stadt<br />
an den Frühling.<br />
*<br />
Der Mai ist der Monat des jungen Laubes<br />
und der lauen Nächte, der Frühlingsgedichte<br />
und der Liebesschwüre, des ersten Strohhutes<br />
und der Morgenausflüge. Es quillt und<br />
fliesst aus allen Gassen, die Stadt verlegt<br />
ihre Interessen nach dem freien Lande — sie<br />
ziehen hinaus am Sonntag, mit Kinderwagen<br />
und Sonnenschirm, mit dünnen Kleidern und<br />
Stock in der Hand und mit der Wurst im<br />
Papier. Sie gemessen die herrliche Luft, sie<br />
werfen sich ins hohe Gras und sehen in den<br />
blauen Himmel und beissen selig in ein<br />
Stück Brot und in die Wurst, die Kinder<br />
stürmen herum und schlagen sich vor lauter<br />
Liebe, und abends geht man mit staubigen<br />
Schuhen heim, dieweil die Sonne im Westen<br />
leise verglüht und gelbes Licht über die Mailandschaft<br />
fluten lässt...<br />
Die Kinos aber stehen leer, und Tom Mix<br />
und Pola Negri verziehen vergeblich ihr Gesicht<br />
und machen gute Miene zum bösen<br />
Spiel, es gibt einen Konkurrenten, der stärker<br />
ist, der jetzt Mode ist, und das ist der<br />
trunkene, blühende, sentimentale Mai...<br />
mb.<br />
Der eiserne Wagen<br />
Kriminal-Roman von Sven Elvestad.<br />
Fortsetzung aas dem Hauptblatt<br />
« Ja, ich weiss das, ich habe hier lange gestanden.<br />
»<br />
Als wir in den tiefen Schatten unterhalb<br />
der Felswand kamen, blieb der Detektiv stehen.<br />
Ein deutlicher Hohn klang aus seiner<br />
Stimme, als er fragte :<br />
«Finden Sie es im Grunde genommen<br />
nicht ganz auffallend, dass wir solche Geheimniskrämerei<br />
treiben ? »<br />
Die Frage verwirrte mich. Von meinem<br />
Standpunkt aus betrachtet, war dieses geheimnisvolle<br />
Verhalten durchaus erklärlich,<br />
ja notwendig, aber ich hatte allerdings nicht<br />
daran gedacht, dass auch Asbjörn Krag vielleicht<br />
Gründe haben mochte, so still aufzutreten,<br />
dass ihn kein Mensch sah. Er wollte<br />
mir den Namen des Mörders nennen, das<br />
war alles. Warum hatte er ihn mir nicht<br />
früher am Tage gesagt? Warum konnte er<br />
ihn mir nun nicht nennen, in diesem Augenblick?<br />
Erst jetzt wurde mir sein ganz seltsames<br />
Benehmen an diesem Abend klar, und<br />
ein Argwohn, der mich vor Schreck eiskalt<br />
werden Hess, überfiel mich : Wusste er, was<br />
ich im Sinne hatte ? Ermunterte er mich in<br />
aller Ruhe hierzu ? War er ein solcher Teufel,<br />
dass er auch hiermit rechnete?<br />
Studien über den <strong>Zeitung</strong>srand hinweg<br />
1<br />
Im Cafe<br />
Der alte Herr.<br />
Es scheint, dass er zu diesem Cafe gehört<br />
wie das unbestimmte dämmerige Licht, die<br />
kleinen runden Marmortischchen, die gleissenden<br />
Lampen. Er öffnet die Türe mit<br />
Selbstverständlichkeit, sehr langsam und<br />
sicher. Ein dicker Stock hängt an seinem<br />
linken Arm, mit der rechten Hand rudert<br />
Zwei Herzen und ein Gedanke.. Das ist «sie»,<br />
das junge Mädchen im Cafe, das gekommen ist,<br />
Tim sich ein wenig zu vergessen und um den schönen<br />
Tango zu liehen. «In einer kleinen Konditorei...»<br />
er durch die schmalen Gänge. Er bleibt<br />
stehen, schaut um sich, sein Blick läuft über<br />
die herumsitzenden plaudernden Gäste, über<br />
die Kleider hinweg, unter den Tischen hindurch,<br />
an den Wänden entlang. Er wendet<br />
sich und geht weiter. Sein Atem zieht hörbar.<br />
Wenn man ihm zusieht, so glaubt man,<br />
Enge auf der Brust zu spüren. Mühsam holt<br />
er den Atem aus seinem vollen Leib. Das<br />
gelbe Licht bestrählt sein Antlitz, es sieht<br />
beinahe jung aus. Wenn er es nur wüsste,<br />
wie schön er letzt ist! Nun läuft ein Zittern<br />
über seinen Mund, das sekundenlang aufbebt,<br />
und dann wächst es an zu einem breiten<br />
Lächeln — der Mund wird schmerzhaft grotesk<br />
verzogen — ein Laut entfährt ihm und<br />
er streckt seine rote schweissige Hand dem<br />
befrakten Herrn hin, der mit langen hängenden<br />
Händen umhergeht wie eine Marionette.<br />
Er nennt ihm einen freien Platz. So, so, sagt<br />
der alte Herr und nimmt den Stock in die<br />
rechte Hand und geht mit wiegenden Schritten<br />
davon. Und dann sitzt er ab, bestellt sich<br />
etwas, sieht den Kellner mit einem Ausdruck<br />
an, der seine Zufriedenheit ausdrücken soll<br />
und zündet sich ein Zigarre an. Er schiebt<br />
sie umständlich in den Mund, dreht sie und<br />
wendet sie, wirft dazwischen hinein einen<br />
Blick an den gegenüberstehenden Tisch, der<br />
von einer Dame besetzt ist, die tiefsinnig<br />
ihre Fingernägel studiert, dann lehnt er sich<br />
zurück, überdeckt die Enden der Sessellehnen<br />
mit seinen Händen und raucht dicke<br />
weissliche Wolken in den dämmerigen Nebel.<br />
Manchmal erschüttert etwas leise seinen<br />
Körper, dann zittert es Augenblicke lang<br />
durch den müden Körper. Die Augen laufen<br />
allen Menschen nach, die vorübergehen, sie<br />
haben keine Ruhe, klettern den Wänden entlang<br />
empor, schweifen die Gänge hindurch.<br />
Sie stehen in seltsamem Gegensatz zu dem<br />
ruhenden Körper, der schwer im Sessel liegt.<br />
Das junge Mädchen und der junge Herr.<br />
Und das ist die Romantik des Cafes...<br />
Da sitzt er, der junge Herr, von zweiundzwanzig<br />
Jahren, schlank und schön wie ein<br />
Liebling aus dem neuesten Harry Liedtke-<br />
Film, mit wundervoll glatten Haaren, mit<br />
einem Lächeln um den sauber rasierten<br />
Mund (der schwach vom Bier riecht, das vor<br />
ihm steht), mit weissen langen Fingern, die<br />
ineinander geflochten sind wie der Blumenkranz<br />
auf dem Haupt eines kleinen Mädchens,<br />
und so sitzt er und lässt die eleganten<br />
Damen und die stolzen Herren vorübergleiten,<br />
die Kellner und die schmucken Boys,<br />
und er hat es entdeckt, jenes schüchterne<br />
Fräulein dort hinten in jener Ecke, das dasitzt<br />
wie in einer Illustration, die man zur<br />
Konfirmation schenkt, das so naiv, so naiv<br />
und doch eben deshalb zum Verlieben nett<br />
aussieht.<br />
Ach ja, zwei Herzen und ein Gedanke,<br />
denkt sie und erinnert sich, dass zu Hause<br />
das Zimmer so kalt ist und der Chef so hart.<br />
Und sie spürt, wie es warm und seltsam in<br />
ihr wird. Wenn sie den Kopf ein wenig neigt<br />
und blinzelt, sieht er aus wie der Harry<br />
Liedtke, den sie vorgestern abend im Kino<br />
gesehen hat und um den sie einmal weinte,<br />
weil er so grosses Mitleid mit dem armen<br />
Mädchen hatte. Vielleicht hat er sogar ein<br />
Auto draussen, denkt sie. Dann wird er mich<br />
einladen, wir werden durch die helle Mond-<br />
Scheinnacht fahren, er wird lenken und ich<br />
Werde still sitzen, wie im Theater, dann wird<br />
er sagen: 0 wie ist die Welt so schön, und<br />
ich werde leise weinen, weil alles so dumm<br />
ist. Und dann kommen wir an Bauernhäusern<br />
vorbei, die in Blüten und Duft eingehüllt<br />
sind, die Wiesen schlafen, und dann wird er<br />
mich heimwärts führen und wie ein Ritter<br />
mir für meine Liebenswürdigkeit danken.<br />
Und er wird sehr nett und vornehm sein, und<br />
ich werde den warmen Herzschlag in seiner<br />
Hand spüren, die er mir zum Abschied<br />
reicht... Jetzt zündet er sich eine Zigarette<br />
an. Wie er nur die Räuchringe fertigbringt,<br />
das möchte ich wissen? Aber grosser Gott,<br />
vorhin hat er ein komisches Gesicht gemacht!<br />
Ach, warum kann ich nicht an seinem<br />
Tische sitzen...<br />
Wie sie nur gute und treue 'Augen hat,<br />
denkt er. Vielleicht ist es ein reiches Mäd-<br />
Alle diese Gedanken fuhren mir in einer<br />
Sekunde durch das Hirn. Ich murmelte eine<br />
undeutliche Antwort auf die Frage des Detektivs.<br />
«Ich habe es aufgegeben», sagte ich, «ganz<br />
aufgegeben, mich über Ihre Handlungsweise<br />
noch zu wundern.»<br />
« Aber warum tun Sie selbst so geheimnisvoll<br />
? Warum schlichen Sie wie ein Dieb in<br />
der Nacht umher ? ><br />
«Ich glaubte, es wäre nötig, mit Vorsicht<br />
aufzutreten. Der Mörder ist ja noch nicht erwischt.<br />
»<br />
Da lachte der Detektiv. Er wandte sein<br />
Gesicht ab und lachte; sein Lachen klang<br />
wiehernd und höhnisch; es schien mir aus<br />
der Finsternis selbst zu kommen.<br />
Da nahm er mich freundlich beim Arm und<br />
spazierte mit mir langsam den Weg entlang.<br />
Wir näherten uns rasch der Stelle, wo ein<br />
jäher Absturz lotrecht mehrere Hundert Fuss<br />
tief hinab zum Meere führte.<br />
«Armer Kerl», brummte er mitleidig. «Sie<br />
sind ja hypernervös und schreckhaft — Sie<br />
brauchen dringend Ruhe und Abwechslung.<br />
Beides sollen Sie haben, wenn diese Sache zu<br />
einem glücklichen Ende gebracht ist »<br />
«Möchten Sie sich nicht ein wenig beeilen<br />
? » fragte ich.<br />
Wir waren gerade auf der höchsten Stelle<br />
angelangt und starrten hinunter in den<br />
schwarzen, bodenlosen Schlund, der mit kaltem<br />
Hauche zu uns hinaufgähnte.<br />
:« Ja, nun sollen Sie hören, was ich zu erzählen<br />
habe », antwortete er, « aber ich muss<br />
erst einige Fragen an Sie richten. Vermögen<br />
Sie zu antworten ? »<br />
«Warum sollte ich nicht antworten können?»<br />
«Mir schien Ihre Stimme rauh und unsicher<br />
wie die eines Menschen, der dem Ertrinken<br />
nahe ist... aber das ist wohl wieder<br />
die Aufregung, vielleicht auch noch das Unbehagen,<br />
das im Begriff ist, Sie zu übermannen.<br />
Sie sind also heute abend in meinem<br />
Zimmer gewesen?»<br />
«Ja.»<br />
«Waren Sie nicht erstaunt, die Tür offen<br />
zu finden ? »<br />
« Ja, gewiss.»<br />
«Ich erkläre Ihnen jedoch, dass ich damit<br />
eine bestimmte Absicht verfolgte. ><br />
«Wie ich sehr wohl begriff. Sie pflegten<br />
sie ja sonst sorgsam zuzuschliessen.»<br />
Der Detektiv lachte wieder.<br />
«Ich bewundere Sie », sagte er, «ich höre,<br />
dass Sie dabei versuchen, mit besonderer<br />
Sorgfalt zu sprechen. Sie haben wirklich<br />
eine imponierende Geistesgegenwart. Können<br />
Sie mir vielleicht auch angeben, worin<br />
meine Absicht bestand ? ><br />
« Nein.»<br />
« Dann will ich es Ihnen sagen. Ich wollte,<br />
dass Sie mein Zimmer sehen sollten.»,<br />
«Ich ? »<br />
«Ah, nun klingt Ihre Stimme wieder ganz<br />
dumpf und rauh. Haben Sie denn meinen<br />
Schreibtisch nicht gesehen ?><br />
chen, das mich' armen Teufel schnell<br />
aller Klemme befreit. Wie schüchtern siet<br />
aussieht. Ob sie wohl auch weiss, wer Nietzsche<br />
ist? Oder ob sie Courths-Mahler Iiest3<br />
Ob sie Richard Tauber liebt? Ich würde so}<br />
gerne mit ihr plaudern, ein kleines Stünde<br />
chen. Fräulein, würde ichs agen, Sie sind<br />
sehr gut. Sie sind ein Engel. Warum trägem<br />
Zwei Herzen und ein Gedanke... Das ist «en»<br />
Schalk um den Mund, das eine Auge -weint, da«<br />
andere lacht. Wenn man ihn fragt, warum er dal<br />
ist, weiss er selbst nicht.<br />
Sie keine Flügel?... Und dann würde siej<br />
mir vielleicht erklären, dass sie gegenwärtig<br />
sehr durch die Freudschen Theorien beun<br />
Mehr hörten wir nicht, den Rest verschlang<br />
die Finsternis und der Abgrund.<br />
(Schhiss folgt.)<br />
j