E_1930_Zeitung_Nr.040
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40 — <strong>1930</strong> AUTOMOBIL-REVUE<br />
Italien triumphiert an der XXI. Targa Florio<br />
Aus dem gigantischen Kampf geht Varzi auf Alfa Romeo in blendendem Stil als Sieger hervor und stellt<br />
einen neuen Rundenrekord auf. — Chiron sichert Bugattl einen ehrenvollen zweiten Platz.<br />
Einleitung.<br />
Seit Wochen schon lag die Targa Florio,<br />
die 21. ihres Zeichens, in der Luft. Mit grösster<br />
Sorgfalt und Ausdauer trainierten rund<br />
zwei Dutzend Fahrer, die auserwählteste<br />
Elite des europäischen Automobilsportes, auf<br />
der kleinen Rundstrecke von Madonie. Es<br />
galt nicht nur die Maschinen für den unerhört<br />
scharfen Kampf, der in Aussicht stand,<br />
vorzubereiten, und die Führer in Form zu<br />
halten, sondern vorab auch die äusserst<br />
schwierige Rundstrecke in allen ihren Details<br />
zu studieren, weist sie doch bei nur 108 km<br />
Länge über 1000 Kurven aller Grade und<br />
Schärfen auf. Vier Fabriken waren in diesem<br />
Duell engagiert: Alfa Romeo, Bugatti,<br />
O. M. und Maserati. Illustre Kämpen wie<br />
Divo, Chiron, Williams, Varzi, Nuvolari,<br />
Campari, Ghersi, Borzacchini, Maserati, waren<br />
aufgeboten, um sich den Sieg gegenseitig<br />
möglichst schwer zu machen. Mit fieberhafter<br />
Intensität wurde in den einzelnen<br />
Camps gearbeitet- und dennoch drang kaum<br />
etwas an die Oeffentlichkeit. Selbst über die<br />
letzten Trainingsfahrten verlautete herzlich<br />
wenig und auch die Pressevertreter, welche<br />
sich schon Tage zuvor eingefunden hatten,<br />
mussten sich mit allgemeinen Meldungen begnügen.<br />
Nichtsdestoweniger galt Divo, der.<br />
letztjährige Sieger, als aussichtsreichster Favorit,<br />
wenn freilich die Chancen für Alfa Romeo<br />
in weiten Kreisen ebenso vorteilhaft<br />
kommentiert wurden.<br />
Die Targa Florio wurde auch dieses Jahr<br />
zu einem nationalen Ereignis ersten Ranges.<br />
Mit grösster Leidenschaft wurden im ganzen<br />
Lande die Aussichten der vier beteiligten<br />
Marken, unter welchen Alfa Romeo und Bugatti<br />
im Vordergrund standen, diskutiert. Mit<br />
unvermindertem Interesse folgte die Bevölkerung<br />
in der Nähe der Rundstrecke den Rennvorbereitungen.<br />
Ja, das Interesse ging so<br />
weit, dass "ob der Trainingsfahrten die Arbeit<br />
in Feld und Werkstatt vielfach eingestellte<br />
wurde und Jung und Alt während<br />
Stunden die Strecke belagerte, um die Favoriten<br />
durchfahren zu sehen.<br />
Eine unabsehbare Wallfahrt von Sportbegeisterten<br />
zu Fuss, per Wagen und im<br />
Auto setzte schon in den ersten Stunden des<br />
Sonntagmorgen ein und frühzeitig waren<br />
Tribünen, sowie die besten Aussichtspunkte<br />
auf der Strecke gänzlich überfüllt. Von den<br />
25 gemeldeten Konkurrenten meldeten sich<br />
17 am Start, wo schlag 9 Uhr morgens Rosa<br />
auf O. M. als Erster ins Rennen geschickt<br />
wird. In dreiminütigen Abständen folgen<br />
die übrigen Asse, jeweilen frenetisch von der<br />
in Begeisterung fiebernden Menge bejubelt.<br />
Schon die<br />
erste Runde<br />
kündete sich vielverheissend für die nationalen<br />
Fahrer und Marke; sie wurde zur eindrucksvollsten<br />
Parade für Alfa Romeo, die<br />
man je gesehen hat. Orkangleich und pfeilgeschwind<br />
saust Varzi an den Tribünen vorbei,<br />
nachdem er die erste Runde in der fabelhaft<br />
glänzenden Zeit von 1 Std. 21 Min. 21<br />
Sek. bezwungen hat. Damit ist der von Divo<br />
letztes Jahr aufgestellte Rekord von 74,36 km<br />
für das beste Stundenmittel überwältigend<br />
geschlagen, ergibt doch Varzis Zeit einen<br />
Stundendurchschnitt von 79,65 km. Kaum<br />
ist. Varzi den Augen entschwunden, so saust<br />
mit nur V/2 Minuten Abstand der Stallgenosse<br />
Nuvolarie vorüber, dem Campari auf den Fersen<br />
folgt. Erst an vierter Stelle folgt'Chiron<br />
in bestechendem Stil. Die ganze Tribüne<br />
nimmt dase Ergebnis dieser Eröffnungsrunde<br />
als ein sicheres Vorzeichen für den endgül-<br />
tigen Sieg von Alfa Romeo auf und ein Sturm<br />
der Begeisterung rast los, der kaum mehr<br />
einzudämmen ist.<br />
Die zweite Runde.<br />
Bereits haben sich Alfa Romeo und Bugatti<br />
vor den Fahrern der übrigen beiden<br />
Marken einen bedeutenden Vorsprung gesichert,<br />
der sich ständig vergrössert und vorab<br />
von den Maserati-Fahrern nicht mehr aufzuholen<br />
sein wird, da diese leider zu wiederholten<br />
Malen mit Motorschwierigkeiten zu<br />
kämpfen haben. Auf diese Weise klärt sich<br />
die Lage rasch ab und alle Anzeichen deuten<br />
untrüglich darauf hin, dass die 21. Targa Florio<br />
zu einem ausgesprochenen Zweikampf<br />
zwischen Alfa Romeo und Bugatti werden<br />
muss. Mittlerweile wird bekannt, dass sich<br />
Chiron, der sich wie ein Teufel ins Zeug legt,<br />
die Passage an Campari in tollkühner Fahrt<br />
erzwungen hat. Es gelingt ihm, in heroischem<br />
Kampfe auch noch Nuvolari hinter sich zu<br />
bringen, so dass er nach der zweiten Runde<br />
mit 4 Minuten Abstand als Zweiter hinter<br />
Varzi folgt. Nun scheint der als sicher angenommene<br />
Ausgang des Rennens gewaltig in<br />
Frage gestellt und die Spannung unter den<br />
Zuschauern steigert sich neuerdings ungeheuer.<br />
"(ÄIB<br />
Das Höhenprofil der Rennstrecke.<br />
Die dritte Runde<br />
wird einer Reihe von Fahrern, darunter auch<br />
dem anfänglichen Favoriten Divo, zum Verhängnis.<br />
In der Bergstrecke gegen Pallizzi<br />
hinauf streikt Divos Motor und zwingt ihn<br />
trotz verzweifelter Versuche, den Schaden zu<br />
beheben, zur Aufgabe des Rennens. Maggi,<br />
eine tüchtige Kraft der Alfa Romeo-Equipe,<br />
muss ebenfalls die Segel streichen. Unmittelbar<br />
vor Beendigung der dritten Runde folgt<br />
noch Arcangeli als Dritter im Bunde, der<br />
vom Pech verfolgt wird. Divos vorzeitiges<br />
Ausscheiden wird »durchwegs aufrichtig bedauert,<br />
wenn auch an seinen Endsieg selbst<br />
bei Vollendung des Rennens nicht mehr zu<br />
denken gewesen wäre. Auch in dieser Runde<br />
behauptet Varzi neuerdings seine Führung,<br />
doch hat sich Chiron endgültig an seine Fersen<br />
geheftet und folgt ihm hartnäckig, wie<br />
ein Schatten in einem Zeitabstand, der nur<br />
nach Sekunden zählt.<br />
Ebenso spannend wird<br />
die vierte Runde,<br />
die mit dem Aufgeben von Minoia (O.M.),<br />
eines der ältesten Targafahrer, anhebt. Dieser<br />
hatte die elfte Stelle inne, bis er wegen<br />
Reifendefekt aufgeben musste. Chiron holt<br />
mächtig auf und hat bei Pallizzi nur noch 30<br />
Sekunden Verspätung auf Varzi. Auch Conellii<br />
verbessert sich ständig. Williams muss<br />
anhalten und wird von Divo überholt. Doch<br />
ist dieser Fahrer, der die beiden letzten<br />
Targa gewann, diesmal sichtlich nervös und<br />
unsicher. Am Ende der vierten Runde war<br />
die Reihenfolge: 1 Varzi in 5:31:36, 2. Chiron<br />
5:31:36, 3. Nuvolari 5:38,36, 4. Campari<br />
5:39:14, 5. Conelli 5:40:16. Weiter folgen:<br />
Williams, Divo, Morandi, Ippolitto, Maserati,<br />
Borzaeehini.<br />
Die fünfte und letzte Rande<br />
hebt unter ungeheurer Spannung an. Chiron<br />
hat immer noch 30 Sekunden Verspätung,<br />
fährt aber wie rasend. Auch das Publikum<br />
rast auf seine Art. So geht es eine Zeitlang,<br />
dann verkündet der Lautsprecher, dass Ohiron<br />
bei Pailizzä anhalten musste. Nun bleibt<br />
die Strecke für Varzi frei, der unter dem<br />
Jubel der gewaltigen Menschenmenge als<br />
Erster das Zielband überfährt. Zwei Minuten<br />
später erscheint aber auch Chiron in rasender<br />
Fahrt. Kaum ausgestiegen, erklärt er<br />
gestikulierend, dass er kurz vor Pallizzi einen<br />
Defekt gehabt habe, der ihn um die letzten<br />
Chancen brachte. Er anerkennt aber<br />
auch die glänzende Leistung Varzis voller<br />
Bewunderung. Dann erscheint als Dritter<br />
Conelli, als Vierter Campari und zehn Minuten<br />
später auch Nuvolari.<br />
Ras Rennen um 7000 Kurven ist zu Ende.<br />
Der Sieg Varzis ist voll verdient. Schon nach<br />
der ersten Runde sah man, dass er in bester<br />
Form war und einfach siegen wollte, koste<br />
es was es wolle. Der neue Renntyp Alfa Ro-<br />
Varzi; der Sieger, wird im Triumph von seinen<br />
Freunden getragen.<br />
meo, den wir schon von Alessandria her<br />
kennen, hat damit seine Feuerprobe bestanden.<br />
Die Mailänder Fabrik darf auf ihre<br />
Schöpfung stolz sein.<br />
Bei seiner Ankunft wurde Varzi förmlich<br />
vom Wagen heruntergerissen und von seinen<br />
Verehrern auf die Schultern gehoben. Die<br />
gewaltige Menge jubelte und schwenkte<br />
kleine italienische Fähnchen. Am Abend<br />
brannten auf den Höhen Freudenfeuer. Dieser<br />
Sieg der italienischen Farben war eine<br />
Genugtuung 1 sondergleichen, eine Genugtuung,<br />
die ganz Italien heute erfüllt.<br />
De Resultate.<br />
Einzelresultate.<br />
Erste Runde: 1. Varzi, 1:21:21; 2. Nuvolari, 1:22:53;<br />
3. Campari, 1:23:18; 4. Chiron, 1:23:27.<br />
Zweite Runde: 1. Varzi, 2:42:48; 2. Chiron. 2:46:06;<br />
3. Nuvolari, 2:46:30; 4. Campari.<br />
Dritte Runde: 1. Varzi, 4:07:52; 2. Chiron. 4:09:45;<br />
3. Campari, 4:12:18; 4. N'uvolari, 4:12:30.<br />
Vierte Runde: 1. Varzi, 5:31:36; 2. Chiron, 5:31:36;<br />
3. Nuvolari, 5:38:36; 4. Campari, 5:39:14.<br />
Endklassement:<br />
1. Achille Varzi (Italien) auf Alfa Romeo, der<br />
die 540 km lange Strecke in 6 Std. 55 -Min. 16 S«k.<br />
zurücklegte; 2. Louis Chiron (Frankreich) auf Bugatti<br />
in 6:57:05; 3. Conelli (Frankreich) auf Bugatti<br />
in 7:03:13; 4. G. Campari (Italien) auf Alfa<br />
Romeo in 7:03:54; 5. Nuvolari (Italien) auf Alfa<br />
Romeo in 7:13:01; 6. Morandi (O.M.); 7. Williams<br />
(Bugatti); 8. Maserati (Maserati); 9. Ippolito (Alfa<br />
Romeo); 10. Borzacchini (Maserati).<br />
Ein Rückblick.<br />
Die Targa Florio wurde 1906 vom A. C.<br />
Sizilien auf Veranlassung des Sportlers Florio<br />
gegründet. Dieser dotierte das Rennen<br />
mit der nach ihm benannten Trophäe. Die<br />
Strecke mit ihren Rändern und ihren gewaltigen<br />
Steigungen bildet einen wahren Prüfstein<br />
für Fahrer und Maschine. Lange Zeit<br />
war die Durchschnittsgeschwindigkeit 65 Kilometer,<br />
dann stieg sie von Jahr zu Jahr<br />
ein wenig und erreicht jetzt 75 Kilometer,<br />
eine ganz ausserordentliche Leistung, die<br />
nur bei genauer Kenntnis der Strecke überhaupt<br />
erreicht werden kann. Von Mal zu Mal<br />
hat sich denn auch mit der einzigen Ausnahme<br />
von Divo, der zweimal nacheinander<br />
die Trophäe gewann, das Glück einem<br />
andern Fahrer zugewandt. Versuchen<br />
wir einmal, die letzten Rennen kurz zu charakterisieren:<br />
1921: Deutschland beteiligt sich, der Sieg<br />
fällt aber Masetti auf Fiat zu.<br />
1922: Das Rennen wird zu einem Duell<br />
zwischen Masetti, der diesmal einen Mercedeswagen<br />
fährt, und Goux auf Ballot. Masetti<br />
gewinnt schliesslich.<br />
1923: Duell zwischen Steyr und Alfa Romeo,<br />
endigt dank Sivocci mit dem Sieg der<br />
italienischen Marke.<br />
1924: Grosse internationale Beteiligung.<br />
Werner auf Mercedes siegt vor Masetti,<br />
Ascari und Boillot.<br />
1925: Keine deutsche Beteiligung. Die Italiener<br />
haben keine einheitliche, erstklassige<br />
Vertretung. Es stehen sich Bugatti und Peugeot<br />
gegenüber. Costantini entscheidet das<br />
Rennen zugunsten der Elsässer Marke.<br />
1926: Unbestreitbare Ueberlegenheit Bugattis<br />
mit seinem Rennwagen 2300 ccm und<br />
seinen Fahrern Costantini, Minoia und Goux,<br />
die die drei ersten Plätze belegen.<br />
1927: Neuer Sieg Bugattis, die zwei ersten<br />
Plätze werden von Materassi und Conelli<br />
belegt, die beide für die Molsheimer Marke<br />
fahren.<br />
1928: Duell zwischen Bugatti und Alfa<br />
Romeo um den ersten Platz, den schliesslich<br />
Divo 'vor Campari für die französische<br />
Marke sichert.<br />
1929: Nochmals triumphiert Bugatti über<br />
Alfa Romeo dank Albert Divo, der bei dieser<br />
Gelegenheit auch den 1926 von Costantini<br />
aufgestellten Rekord schlug.<br />
Weitere Bilder über die Targa Florio folgen<br />
in nächster Nummer.<br />
«•»<br />
*ht<br />
Das Bergrennen Kriens-Eigental, das im<br />
Nationalen Sportkalender dieses Jahres figurierte,<br />
ist laut Besehlüss der Generalversammlung<br />
der Sektion Luzern des A. C. S.<br />
für dieses Jahr abgesagt worden. Es findet<br />
dafür die schon bestbekante Luzerner Schönheitskonkirrrenz<br />
statt.<br />
-f.<br />
Circuit de TAisne. Auf der 21 km 134 m<br />
langen Rundstreck© wurde am 27. April ein<br />
stark besuchtes Rennen ausgefahren. Sieger<br />
wurde Auber auf Bugatti 1500 ccm. Am Vorabend<br />
verunglückte beim Training der Rennfahrer<br />
Liagre aus Lille tötlich, indem er beim<br />
Ausweichen vor einem Tourenwagen stürzte.<br />
-o-<br />
Zweimal zwölf Stunden in Brooklands.<br />
Am 9. und 10. Mai wird in Brooklands das<br />
diesjährig© Zweimal-12-Stunden-Rennen ausgefahren.<br />
Es wird, wie letztes Jahr, vom<br />
Junior Car Olub veranstaltet und dauert je<br />
Freitag und Samstag von 7.30 bis 19.30 Uhr.<br />
Es werden nur Sportwagen zugelassen. Eine<br />
Bestimmung des Reglementes will, dass der<br />
Start auf folgende Art erfolgen soll : Beim<br />
Startsignal müssen die Fahrer den Wagen<br />
besteigen und mit dem Anlasser in Gang setzen.<br />
An dem diesjährigen Anlass ist Alfa<br />
Romeo gut vertreten. Franco Cortese und<br />
Lurani werden einen 1500-ccm-Wagen dieser<br />
Marke fahren, Iwanowski und Eyston einen<br />
1750 ccm Alfa Romeo, während zwei<br />
englische Fahrer einen 1500-ccm-Typ lenken<br />
werden. Letztes Jahr wurde der Wettbewerb<br />
von Giulio Ramponi auf Alfa Romeo<br />
1500 ccm gewonnen. G. M.