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E_1930_Zeitung_Nr.101

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eher Weise fahren auslandische Wagen von<br />

Meran und Landeck über Nauders durch<br />

das Münstertal und über den Ofenberg<br />

nach Zernez einerseits und über Pfunfs und<br />

Martinsbruck nach Schuls anderseits, weil<br />

die von keiner Bahn bedienten Talschaften<br />

Unterengadin unterhalb Schuls und Münstertal<br />

es so beschlossen haben. Die Gemeinde<br />

Brusio hat ihr Gebiet dem Lastautomobil<br />

ebenfalls geöffnet, und Wagen aus<br />

dem nahen Tirano und aus dem übrigen<br />

Veltlin passieren nach Belieben die Grenze,<br />

wie die mit Veltliner Trauben und Weinfässern<br />

befrachteten Autos der einheimischen<br />

Weinbergbesitzer und Weinhändler.<br />

Warum sollte den Medelsern das verwehrt<br />

sein, was den anderen von Gesetzes wegen<br />

gestattet ist?<br />

Der Bundesrat wird, wir wir in Nr. 100<br />

der «A.-R.» meldeten, demnächst den Entwurf<br />

zum Bundesgesetz über den Motorfahrzeug-<br />

und Fahrradverkehr fertigstellen und<br />

mit der dazugehörigen Botschaft an die Räte<br />

überweisen. Jedenfalls wird er die eidgenössischen<br />

Räte ersuchen, jetzt schon die Kommissionen<br />

für dieses Gesetz zu bestellen, so<br />

dass im Frühjahr mit der Beratung begonnen<br />

werden kann.<br />

Da wir öfters aus dem Leserkreis gefragt<br />

werden, in welchem Stadium die Arbeiten<br />

zum Automobilgesetz sich befänden und<br />

welche Rolle die verschiedenen Behörden<br />

und Kommissionen bei der Festlegung des<br />

endgültigen Gesetzestextes spielen, benützen<br />

wir diese Meldung, um einmal darzulegen,<br />

welchen Weg das Gesetz zu durchlaufen hat.<br />

Bei dem Entwürfe, der gedruckt vorliegt<br />

und der in der Presse besprochen worden<br />

ist, handelt es sich um den Vorentw.urf, den<br />

das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement<br />

ausgearbeitet hat. Das Departement hat<br />

dann eine Expertenkommission, über deren<br />

Verhandlungen wir in der «Automöbit-Revue»<br />

wiederholt berichtet haben, einberufen. Die<br />

Aufgabe dieser Expertenkommission bestand<br />

lediglich darin, dem' Departemente Gegenvorschläge<br />

zu machen. Das Departement<br />

hat nun seitdem die von der Expertenkommission<br />

eingereichten Ratschläge überprüft<br />

und verarbeitet und so weit berücksichtigt,<br />

als es ihm angemessen schien. Das<br />

Departement wird nun dem Gesamtbundesrate<br />

den revidierten Entwurf vorlegen, der<br />

ihn nach Ueberprüfung und Genehmigung<br />

mit einer Botschaft, d. h. mit einer begründeten<br />

Empfehlung, an die eigentliche gesetzgeberische<br />

Behörde, an die Bundesversammlung,<br />

überweisen wird. Inwieweit das Justizund<br />

Polizeidepartement seinen ursprünglichen<br />

Entwurf abgeändert hat, wird man erst erfahren,<br />

wenn die Botschaft veröffentlicht wird.<br />

Aus der Natur des Zweikammer-Systems<br />

ergibt sich, dass das Gesetz im Nationalrat<br />

und im Ständerat getrennt beraten-wird und<br />

idiex endgültige Fassung erst feststeht, wenn<br />

«die beiden Räte in ihrer Entschliessung<br />

übereinstimmen. Bei Beginn jeder Session<br />

wird zwischen den Präsidenten des Nationalrates<br />

und des Ständerates vereinbart; von<br />

welchem Rate das einzelne Geschäft zuerst<br />

zu behandeln ist. Man nennt das die Verteilung<br />

der Prioritäten. Wenn der Bundesrat,<br />

wie es wahrscheinlich geschehen wird,<br />

die Räte einladet, die Behandlung des Verkehrsgesetzes<br />

schon in der nächsten Sitzung<br />

in Angriff zu nehmen, so werden vor allem<br />

die Präsidenten der beiden Räte abmachen,<br />

welchem Rat die Priorität zufällt, d.h. welcher<br />

sich zuerst mit der Beratung des Gesetzes<br />

befassen wird.<br />

Die Gemeinde Disentis, wie Brusio, Chur,<br />

Davos, Ilanz und andere Gemeinden mehr,<br />

hat ihr Gebiet dem Lastauto auf Grund von<br />

Art. 17, 2, geöffnet. Die bezügliche Bestimmung<br />

lautet: «Einzelne Gemeinden können<br />

die Zulassung des Lastautomobils und des<br />

Motoromnibusses auf ihrem Gebiete und<br />

für den Verkehr innerhalb der Gemeinde<br />

gestatten. Der Kleine Rat erteilt in solchen<br />

Fällen die hierzu erforderliche Bewilligung<br />

unter Berücksichtigung der Allgemeinheit<br />

und der vom Kanton subventionierten Bahnen.*<br />

Wie man nun da im Falle Medels-Disentis,<br />

Zulassung des Lastautomobils, von einem<br />

krassen Mangel in der Praxis der Anwendung<br />

des Strassengesetzes sprechen kann,<br />

ist unklar. D.<br />

Die Ausarbeitung des Verkehrsgesetzes<br />

Wer hat eigentlich über sein Schicksal zu entscheiden ?<br />

Da die Hauptarbeit in den Räten selber<br />

nicht geleistet werden kann, so bestellen sie<br />

aus ihrer Mitte Spezialkommissionen, die<br />

sich eingehend mit der Durchberatung des<br />

Gesetzes befassen. Um diese Art von Kommissionen<br />

handelt es sich, wenn man uns<br />

meldet, dass man in der Wintersession die<br />

Kommissionen ernennen wird.<br />

Der Inhalt des endgültigen Bundesgesetzes<br />

wird dann durch übereinstimmenden Beschluss<br />

beider Abteilungen der Bundesversammlung<br />

festgestellt. Stimmt der Rat,<br />

der das Gesetz in zweiter Linie beraten hat,<br />

den Beschlüssen des ersten nicht vorbehaltlos<br />

zu, so geht das Geschäft an diesen zur<br />

Bereinigung der sogenannten Differenzen zurück.<br />

Kommt auch dann kein übereinstimmender<br />

Beschluss der Räte zustande, so<br />

wird das Geschäft von Rat zu Rat hin- und<br />

hergeschoben. Dieses Verfahren wird solange<br />

fortgesetzt, bis eine Einigung zwischen<br />

den beiden Räten erreicht ist oder bis diese<br />

beschliessen, auf ihren abweichenden Schlussnahmen<br />

zu beharren. Tritt dieser letztere<br />

Fall ein, so werden die Differenzen<br />

einer aus den vereinigten Kommissionen beider<br />

Räte gebildeten Konferenz unterbreitet,<br />

welche versucht, eine Verständigung herbeizuführen.<br />

Ist eine Einigung über alle Punkte<br />

zustandegekommen, so findet in jedem Rate<br />

noch eine Schlussabstimmung statt, nachdem<br />

der Text zuvor durch eine Redaktionskommission<br />

bereinigt worden ist. Jetzt endlich<br />

ist das Gesetz fertig.<br />

Fertig, aber nicht gesichert. Innert der<br />

Frist von 90 Tagen kann von 30 000 stimmberechtigten<br />

Schweizerbürgern oder von acht<br />

Kantonen das Begehren um eine Volksabstimmung<br />

gestellt werden. Dann kommt<br />

es zur öffentlichen Abstimmung und das Gesetz<br />

ist nur angenommen, wenn die Mehrheit<br />

der stimmenden Schweizerbürger sich<br />

dafür ausgesprochen hat. -1.<br />

Wie weit geht das Recht zum<br />

Stationieren?<br />

(Aus dem Bundesgericht.)<br />

Die stadtzürcherischen Vorschriften über<br />

die Strassen- und Verkehrspolizei vom<br />

4. Januar 1913 enthalten in Art. 25 folgende<br />

Bestimmung: «Fahrzeuge jeder Art<br />

dürfen auf der Strasse nur so lange stehen<br />

bleiben, als das billig bemessene Bedürfnis<br />

es erfordert, und nur derart, dass der freie<br />

Durchpass nicht behindert ist.» Art. 6 der<br />

Vorschriften Zürichs über die Verkehrspolizei<br />

vom 14. September 1927 enthält dieselbe<br />

Bestimmung. Für das Stationieren<br />

von Fahrzeugen in Zürich gilt ferner die<br />

Verordnung betr. Benützung des öffentlichen<br />

Grundes von 1911. Wegen TJeber-<br />

AUTOMOBIL-REVUt <strong>1930</strong> — N°101<br />

tretung dieser beiden Verordnungen wurde<br />

ein Taxi-Chauffeur der Firma Welti-Furrer<br />

vom Bezirksgericht und in oberer Instanz<br />

vom Obergericht mit 15 Fr. Busse bestraft,<br />

weil er einen sog. Hofwagen (nicht konzessionierte<br />

Motordroschke, mit welcher Mietfahrten<br />

ausgeführt werden dürfen) an der<br />

Leonhardstrasse von 10 Uhr 20 bis 12 Uhr<br />

mittags hatte stehen lassen, um einen telephonischen<br />

Auftrag seiner Firma zu weiteren<br />

Fahrten abzuwarten. Der Chauffeur<br />

reichte beim Bundesgericht staatsrechtlichen<br />

Rekurs wegen Willkür ein, ist aber<br />

damit einstimmig abgewiesen worden.<br />

Was vorerst die Bestrafung wegen Widerhandlung<br />

gegen Art. 25 der Vorschriften<br />

über die Strassen- und Verkehrspolizei betrifft,<br />

so hat das Obergericht im vorliegenden<br />

Falle das Vorliegen eines Bedürfnisses<br />

für das Stehenlassen des Wagens verneint;<br />

das Bestreben der Firma, beim Betriebe mit<br />

Hofwagen tunlichst längere Leerfahrten zu<br />

vermeiden, sei für diesen Betrieb keine Notwendigkeit<br />

und nicht auf die gleiche Stufe<br />

zu stellen mit dem Bedürfnisse des Arztes,<br />

seinen Wagen vor der Wohnung des zu besuchenden<br />

Kranken stehen zu lassen. Es<br />

ist zuzugeben, dass durch eine solche Auslegung<br />

die in Art. 23 gegebene Erlaubnis<br />

zum Stationieren erheblich eingeschränkt<br />

wird, aber willkürlich kann diese Einschränkung<br />

nicht genannt werden, denn sie<br />

Die wöchentlichen Frequenzausweise zu<br />

•den schweizerischen Alpenpostkursen, welche<br />

uns von der Oberpostdirektion regelmässig<br />

zur Veröffentlichung überlassen wurden,<br />

gaben uns verschiedentlich Anflass, in<br />

kürzeren Bemerkunigen die Abhängigkeit der<br />

Zahl der Postreisenden von den momentanen<br />

Umständen, d, h. der Witterung einer Saisonwoche<br />

oder anderen Faktoren darzustellen.<br />

Es ist selbstverständlich nicht möglich, einzig<br />

an Hand von Wochenausweisen, die zudem<br />

sich auf jene PostbiMette beschränken,<br />

die am den End- oder Zwischenstationen<br />

einer Postroute ausgegeben wurden, eine<br />

vollkommene Uebersicht zu bieten.<br />

Links: Graphische Darstellung<br />

der Frequenzen im Postreisenden-Verkehr<br />

von 1924-<strong>1930</strong>.<br />

lässt sich durch sachliche verkehrspolizeih--<br />

ehe Erwägungen wohl begründen. In der -<br />

Bestrafung wegen Uebertretung dieser Vor-,<br />

schrift liegt daher kein Willkürakt.<br />

Ebensowenig bedeutet die Auferlegung<br />

der Busse wegen Verletzung der Verord-><br />

nung betr. die Benützung des öffentlichen.<br />

Grundes eine Willkür. Wenn der Rekurr<br />

rent behauptet, Art. 11—18 dieser Verord 7<br />

nung zähle diejenigen Fälle erschöpfeüd<br />

auf, in denen die Benützung öffentlichen<br />

Grundes zu gewerblichen Zwecken von ei"<br />

ner Bewilligung abhängig sei, so wird dies<br />

durch Art. 23 derselben Verordnung widerlegt:<br />

«Soweit der öffentliche Grund zu a-n>dern,<br />

in der vorgenannten Bestimmung<br />

nicht genannten gewerblichen Zwecken<br />

beansprucht werden will, entscheidet über<br />

die Zulässigkeit einer solchen Beanspruchung<br />

und die zu erhebende Gebühr die Polizeiverwaltung<br />

nach Massgabe der für die<br />

übrigen Bewilligungen geltenden Grundsätze.»<br />

Die Anwendung dieser Bestimmung<br />

auf den vorliegenden Fall ist nicht Willkür»<br />

lieh, denn einerseits diente das Stehenlassen<br />

des Wagens gewerblichen Zwecken und sodann<br />

konnte angenommen werden, die damit<br />

verbundene Beanspruchung des öffen-ti.<br />

liehen Grundes übersteige den gewöhnlichen-<br />

Gemeingebrauch, denn die Verordnung unterwirft<br />

auch das Stehenlassen von Onin.iibussen<br />

bei Bahnhöfen einer Gebühr. Wp*<br />

Saisonverkehr der Alpenposten 1924—<strong>1930</strong><br />

turen, Bahnen usw. ausgegeben wurden. Sowohl<br />

für das Jahr 1929, als auch für 193p<br />

wurden 46 Linien in die Statistik einbezogen»<br />

so dass speziell für diese beiden Jahre ein<br />

genauerer Frequenzvergileich möglich ist.<br />

Personenverkehr auf allen Linien.<br />

Unsere erste Tabelle veranschaulicht die<br />

Personenfrequenz im Postreiseverkehr zwischen<br />

den Monaten Juli bis September<br />

für die Jahre 1924 bis <strong>1930</strong>. Dabei sind:<br />

alle Alpenpostlinien berücksichtigt, gleichgültig<br />

in welchem Jahre sie in Betrieh'<br />

gesetzt worden sind. Die Totalziffern der»<br />

Jahre 1926 und <strong>1930</strong> weisen gegenüber derrt<br />

Saisonverkehn der Alpenposten<br />

Sommer 4924- <strong>1930</strong> Ete<br />

Le ssrvice saisonnier des postes alpestres<br />

Alle befahrenen Linien<br />

Ensemble de tous les Services<br />

Befahrene Linien<br />

Lignes en exptoitation<br />

T 192* * <strong>1930</strong><br />

Nachstehend veröffentlichen wir eine statistische<br />

Erfassung der Frequenzen im Saisonverkehr<br />

der Alpenposten während der<br />

Sommermonate 1924—<strong>1930</strong>, auf den Angaben<br />

des Eidg. Statistischen Amtes (Wirtschaftliche<br />

und sozialstatistische Mitteilungen Nr.<br />

11) fussend. Im Gegensatz zu der Statistik,<br />

die auf Grund der Wochenausweise hergestellt<br />

werden kann, erfasst die nachstehende<br />

Zusammenstellung sämtliche Personentransporte<br />

der Alpenkurse, d.h. auch die Billette,<br />

welche durch Verkehrsbureaus, Reiseagenentsprechenden<br />

Vorjahre einen Rückschlag'<br />

auf. Der erste Einbruch im ansteigenden<br />

Verlauf der Kurve der Totalziffern, d.h. der<br />

Einbruch im Jahre 1926, steht mit der Wiedereröffnung<br />

der Furka-Oberalpbahn (Gletsch-<br />

Andermatt-Oberalp-Disentis) in Zusammenhang.<br />

Wir erinnern daran, dass zu jener Zeit<br />

ein reger Verkehr auf der Oberalppostroute<br />

bestand, der durch die Aufhebung des Oberalppostkurses<br />

auf die Oberalpbahn übergeleitet<br />

wurde. Aber auch die Frequenz der<br />

Furkaroute hat zu Gunsten der Furkabahn<br />

meine wird Feindschaft, Trägheit, Unbildung<br />

und Sehnsucht besiegen. Der Mensch<br />

braucht für seinen Leib Nahrung und<br />

Kleidung. Kein Zweifel, die Menschen,<br />

werden binnen kurzer Zeit Maschinen erfinden,<br />

um Getreide anzubauen, ohne zur<br />

groben Arbeit des Ackermannes zu greifen.<br />

Aber nun ist der Mensch satt. Sein<br />

Geist bedarf der Vervollkommnung. Er<br />

durcheilt die ganze Welt. Er hat kein<br />

Heimatland mehr. Seine Heimat ist überall.<br />

Er ist glücklich wie die Götter auf<br />

dem Olymp. Dieser Stoss Papier, Francois,<br />

ist die Bürgschaft der wahren Wohlfahrt!»<br />

Aber Barre hat einen schwierigen Charakter.<br />

Nachdem er den Freund beglückwünscht<br />

und anstandshalber eine Minute<br />

geschwiegen hat, beginnt er von neuem zu<br />

streiten:<br />

«Nein, nicht das Hess unsere Herzen im<br />

Jahre dreiundneunzig schlagen. Wir<br />

träumten von einer herrlichen Schlichtheit<br />

der Sitten. Warum sollen die Menschen<br />

irgendwohin rasen? Die alten Griechen<br />

kannten keine solchen selbstfahrenden<br />

Wagen; waren sie etwa unglücklich!<br />

Die Maschinen werden den Menschen neue<br />

Unterdrückung bringen. Sie schnüren nur<br />

den Neid und den Wetteifer. Mir ist die<br />

von dir abfällig beurteilte Arbeit des<br />

Ackersmannes viel lieber! Sie ist der<br />

Wahrheit und der Brüderlichkeit weit<br />

näher!»<br />

Barre hat anscheinend vergessen, dass<br />

er nur ein kleiner Beamter des Direktoriums<br />

ist. Er vermeint, wieder im Klub<br />

der Stadt Chaumont zu sein. Beredsam<br />

fährt er fort:<br />

«Wir, die ehrlichen Jakobiner, wir sind<br />

gegen diese Maschinen! Philippe, ich liebe<br />

dich, aber Wahrheit geht über Freundschaft.<br />

Wir sind gegen deine Erfindung.<br />

Du beeilst dich vergeblich, dir ein Patent<br />

zu verschaffen. Die Revolution ist in Gefahr,<br />

aber sie ist noch nicht vernichtet.<br />

Siegen wir, so werden wir diese Motoren<br />

zerstören. Statt ihrer werden wir die<br />

Haine des Jean-Jacques anpflanzen...»<br />

Da erwidert Lebon, fröhlich lächelnd:<br />

«Nun ja, ihr versteht das nicht — dieser<br />

Bonaparte wird es verstehen. Oder ein<br />

anderer. Kurzum —- die Zukunft.»<br />

«Aber die Revolution?»<br />

«Ja, die Revolution ist es gewesen, die<br />

mir die Sehnsucht nach allgemeiner<br />

Wohlfahrt und eine neue Unruhe eingab.<br />

Ihre Seele ist hier — in diesen Zeichnungen.»<br />

Barre widersprach nicht mehr. Er liebte<br />

Lebon und befürchtete, sich mit ihm zu<br />

entzweien. Seufzend ging er in ein Kaffeehaus,<br />

um dort eine Kanne Wein zu trinken<br />

und sich mit den Stammgästen sattsam<br />

über die schlimmen Ränke des Bürgers<br />

Sieyes zu unterhalten. Am nächsten<br />

Morgen kontrollierte er in aller Ruhe<br />

seine Gewichte. Er erinnerte sich nicht<br />

einmal jenes scharfsinnig erdachten, mit<br />

Gas getriebenen Motors.<br />

Philippe Lebon indes begab sieh, nachdem<br />

er von seinem Hut feierlich die<br />

Stäubehen heruntergeblasen hatte, in die<br />

stickige Kanzlei, wo Federkiele freudlos<br />

kratzten und wo die Schreiber mit halblauter<br />

Stimme die Ankunft des Generals<br />

Bonaparte erörterten, um sich dort ein<br />

Patent auf seine Erfindung ausfertigen<br />

zu lassen. Er hörte weder das Kratzen der<br />

Federn noch das Geraune. Der grimmige<br />

Motor dröhnte und pfiff: es war seine Ma<br />

schine, die ins neue Jahrhundert raste.<br />

Philippe Lebon reichte seine Erfindung<br />

am 6. Vendömiaire des Jahres VIII oder,<br />

nach der alten Zeitrechnung, am 28. Sep-<br />

tember 1799 ein. Er hatte ein Gas erfunden,<br />

das für einen Motor mit innerer Verbrennung<br />

bestimmt war. So ertönten —<br />

neunzig Jahre vor dem Auftauchen neuer,<br />

noch nie gesehener Wagen in den Strassen<br />

von Paris — im Schosse der Menschheit<br />

die ersten verdächtigen Stösse.<br />

«Liebchen, was für ein herrliches Parfüm!»<br />

«Nicht wahr? Das ist eine Neuheit: ,Fin<br />

de siecle'.»<br />

«Verzeihung, Frau Gilbert, die Fasson<br />

gefällt mir wohl, aber diese Puffen hier<br />

scheinen doch allzu extravagant zu sein.»<br />

«Was Sie sagen, Frau Drouot! Haben<br />

Sie denn nicht die letzte Ausgabe des<br />

.Modejournals' geseheni... Jetzt lassen:<br />

sich alle solche Puffen machen, sogar die<br />

Gräfin Montbeliard. Das ist ,Fin du<br />

siecle'...»<br />

«Sonderbare Tänze sind das jetzt. Bald<br />

wie ein Walzer, bald wie ein Galopp bafd,<br />

verzeihen Sie, wie ein vulgärer Cancan.»<br />

«Nein, das ist ein neuer Tanz: ,Fin de<br />

siecle'.»<br />

(Fortsetzung im cAutler-Feierabend».)

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