E_1931_Zeitung_Nr.084
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16 <strong>1931</strong> - NO 84<br />
Im «Privatleben» ist sie ein zwar noch<br />
immer überwältigend hübsches, aber springlebendiges<br />
Mädel. Als Braut ist sie blasiert,<br />
weltklug, überlegen; auf Wunsch naiv und<br />
einfältig. Ganz nach dem Stil des Kleides,<br />
das sie trägt. «Wissen Sie, ich habe nur<br />
einen einzigen Wunsch,» erklärt sie mir<br />
schnippisch, «endlich einmal in einer ganz<br />
einfachen Register Office in einem abgelegenen<br />
Stadtviertel richtiggehend zu heiraten.<br />
Natürlich in einem gewöhnlichen Tweedkostüm,<br />
eine Blume in der Hand und ganz<br />
ohne Musikbegleitung. Den Hochzeitsmarsch<br />
kann ich ihnen auch verkehrt vorpfeifen. Ich<br />
hab' jetzt schon allerhand Routine. Und allen<br />
Pomp und Firlefanz drum herum habe ich<br />
gründlich satt. Ich geb's auf und gehe aufs<br />
Standesamt!» — Ich weiss nicht, ob dieser<br />
Entschluss heute schon durchgeführt, ob der<br />
ewige Brautstand zu Ende ist. Möglich, denn<br />
bei der Modeschau am heutigen Nachmittag<br />
trug ein anderer Mannequin den Dernier cri,<br />
der im Augenblick in Brautkleidern aktuell<br />
ist: weite Satinhosen...<br />
Tod im Dunkel<br />
Chronik eines Lebens.<br />
Von Egid Filek.<br />
Ein Kind der Strasse war er. Die Strasse<br />
hatte ihn erzogen, ihn und viele Tausende<br />
seiner Kaste, und was sie ihm ins Leben mitgab,<br />
war schlecht.<br />
Sie zwang ihn zu Vorsicht und heilsamem<br />
Misstrauen gegen fremde Menschen, fremde<br />
Hunde und fremdes Fuhrwerk. Der Tummelplatz<br />
seiner Knabenspiele war sie, ein lebendes<br />
Bilderbuch. Motorräder, Luxusautos und<br />
Lastwagen fuhren vorüber, — Leichenwagen<br />
und Strassenbahnzüge mit bellenden Glocken,<br />
Soldaten in Marschschritt, bummelnde Müssiggänger,<br />
arme, erwerbsgehetzte Männer<br />
und Frauen. Das zog tagtäglich vorbei, ein<br />
unendlich buntes Wandelbild; man gehörte<br />
zu dem Ganzen, spielte mit, wie in einem<br />
Film.<br />
Die Strasse f<br />
Wie kühl und erfrischend war sie an<br />
schwülen Sommerabenden, wenn der Westwind<br />
ging, während droben in den Zimmern<br />
der grauen, fünfstöckigen Häuser die Wände<br />
noch die Tagesglut ausstrahlten! Und im<br />
Winter konnte man auf der glitschigen<br />
Schneefläche schlittern und rodeln oder man<br />
ging den schwerbeladenen Kohlenwagen nach<br />
und sammelte die fallenden Stücke, die sich<br />
so grell abhoben von dem weissen Schnee.<br />
Und im Frühling lehnte er an den Mauern<br />
'der kahlen Zinskasernen und betrachtete das<br />
schmale Stück sternenfunkelnden Himmel,<br />
das sich droben hinzog wie ein schwarzblaues<br />
Band. Er lauschte dem girrenden Geflüster<br />
der Liebespaare, die Arm in Arm die Wände<br />
entlang schlichen, und sann dem Sinn der<br />
verliebten Worte nach, mit unklaren, schwülen<br />
Knabengedanken.<br />
Am merkwürdigsten war die Strasse im<br />
Spätherbst, wenn die Nebel über der Stadt<br />
hinkrochen und sie überzogen mit einer weissen,<br />
wallenden Decke; sie hüllten die öden,<br />
schmucklosen Häusermauern in ihre mitleidigen<br />
Schleier, und von der langen Doppelreihe<br />
der hellen Lampen waren nur die allernächsten<br />
sichtbar — aus geheimnisvollen<br />
brauenden Nebelmassen trat die Strasse heraus,<br />
war eine Strecke weit hell und tauchte<br />
dann wieder ins Dämmer des Novemberabends,<br />
in das graue, wogende Nichts.<br />
Und er stand da und starrte in den Nebel<br />
wie in ein rätselhaftes Schicksal.<br />
Aber einmal kam ein Tag, da war die<br />
Strasse schwarz von Menschen, die tobten<br />
und lärmten, und eine jener Wellen von Unzufriedenheit<br />
und Verzweiflung über die<br />
steigende Lebensnot, Arbeitslosigkeit undTeuerung<br />
ging über die Stadt hin, wie sie von Zeit zu<br />
Zeit alle Grossstädte überfluten. Die Welle<br />
brandete an die Mauern, schlug brüllend und<br />
zornig empor, warf den Schaum armen Volkes<br />
aus. Alle verloren sie die Besinnung:<br />
Männer, Weiber und Kinder. Sie zertrümmerten<br />
Fensterscheiben, brüllten Schimpfworte,<br />
höhnten, als sie die Kaufläden plünderten<br />
und Tische und Bänke draussen auf der<br />
Strasse verbrannten, die Polizei aus. Vor<br />
ihren Gummiknüppeln, Säbeln und Revolverschüssen<br />
flohen heulende und schreiende<br />
Menschenhaufen in die Seitengassen hinein.<br />
Der Unbekannte, ein halbwüchsiger, rotblonder<br />
Bengel, brüllte mit, ohne eigentlich zu<br />
wissen, warum. Er zerbrach Fenster, warf<br />
mit Steinen, und als ihn ein Polizist packen<br />
wollte, ging er mit seinem Messer auf den<br />
Feind los. Aber der Polizist bekam Hilfe —<br />
der Unbekannte wurde überwältigt und abgeführt.<br />
Es kam zur Gerichtsverhandlung. Der<br />
Wendepunkt in seinem Leben. In den gärenden<br />
Jahren des Reifens steht der Verstand<br />
der meisten Jugendlichen jenseits von Gut<br />
und Böse. Den Fremden hatte niemand geschützt.<br />
Und wenn auch der Richter nur bedingt<br />
verurteilte — der Makel blieb an ihm<br />
haften. Niemand mehr hatte Arbeit und Brot<br />
für ihn. Es gab so viele Tausende, die unbescholten<br />
waren und doch keines der Saugröhrchen<br />
am Gesellschaftskörper erfassen<br />
konnten, um daraus ihre Nahrung zu schlürfen.<br />
Er war ganz allein. Wieder war es die<br />
Strasse, die ihm hier und da kärglichen Verdienst<br />
gab. Er schaufelte im Winter Schnee, '<br />
riss vor Theatern und Kinos den Schlag der<br />
Autos auf, bekam da und dort kleine Entlohnungen<br />
für kleine Botengänge. Er schlüpfte<br />
zwischen den Maschen der Gesetze ; durch<br />
und Hess sich nicht mehr erwischen.. Er<br />
kannte die Bettlerbörse, die Zeichen an den<br />
Wohnungstüren, die dem Kundigen auf den<br />
ersten Blick sagten, was es zu holen gab. ;Er<br />
trank die Reste dünnen Tropfbiers aus den<br />
leeren Fässern, die vor den kleinen Gasthäusern<br />
der Vororte standen; er wusste, /wo<br />
die Nächstenliebe ein paar Bissen spendete<br />
zur Linderung augenblicklicher Not; er<br />
wartete stundenlang bei den kleinen Pförtchen<br />
der Klöster, wo man Suppe und Brot<br />
für die Hungernden hinausreichte. c , t-, ,,<br />
Aber es gab nur ein Abwärts, äu/^äiesejm<br />
Wege. Er bekam stechende Brustseiuaerztct, -<br />
beim Stiegensteigen ging sein -Atem immer" ;<br />
schwerer; er fieberte und hustete sich die i<br />
Nächte hindurch; niemand wollte ihn.mejir<br />
als Bettgeher aufnehmen. Oefter und öfter<br />
suchte er das Obdachlosenasyl auf. Da zogen- 1<br />
spätabends Herden von schweigenden, frierenden<br />
Menschen durch das finstere Tor,<br />
standen in der warmen Vorhalle, bis der Arzt<br />
kam, da und dort einem das Augenlid hob<br />
und sagte: «Passiert!» Rechts schwenkte»<br />
die Männer, links die Weiber in den Speise*<br />
saal; dort gab es Suppe, Milch, dünnes Gemüse,<br />
duftendes Brot. Dann ging es in den<br />
Schlafraum — eine Nacht sein Elend zu vergessen<br />
— eine ganze lange, gütige Nacht.<br />
Und bei Tagesanbruch wieder hinaus — auf<br />
die Strasse.<br />
Zuletzt habe ich ihn an einem Spätherbstabend<br />
gesehen, an der Peripherie der Stadt,'<br />
dort, wo die Laternen spärlich brennen und<br />
die Polizisten zu zweien gehen. Mit vm+<br />
sicheren Schritten tastete er sich an einer<br />
Hauswand entlang. «Stillgestanden!» rief der<br />
Polizist. Der Angerufene aber ging schneller<br />
und schneller, mit keuchendem Atem, und die<br />
roten Flecke auf seinen Wangen brannten<br />
stärker. Jetzt fiel er hin. Der Polizist zog ihn<br />
am Rockkragen hoch... Nein, das war kein<br />
Betrunkener! Er ging zum nächsten Haustor<br />
und schellte dem Portier. Der arme Teufel<br />
konnte doch nicht da liegenbleiben...<br />
Ich sehe ihn heute noch vor mir, mit seinem<br />
roten Halstuch, den Mund halb offen, wirre<br />
Haarsträhne um das verwitterte Gesicht mit<br />
den roten Bartstoppeln. Und vor ihm lag die<br />
•Strasse, seine Heimat, seine Kinderstube,<br />
vielleicht sein Totenlager. Sie trat heraus<br />
aus brauenden Nebeln, war eine Strecke hell,<br />
tauchte wieder ins Dämmer der Nacht, in ein<br />
graues, wogendes Nichts.<br />
Der Tagesfilm<br />
Der freundliche Herr Komiker.<br />
In Berlin gibt es eine « Lachbühne » seltsamer<br />
Art. Ein Mensch aus dem Proletarierviertel<br />
der Weltstadt erheiterte jeweils die<br />
Bewohner des Quartiers mit seinem wunderbaren-<br />
Humor. Die Sache redete sich in Berlin<br />
herum, sie wurde Sensation, und heute<br />
ist die armselige Bude des Komikers Erich<br />
Carow.ieden Abend von gebildeten und reichen-Leuten<br />
vollbesetzt. Aber nicht wegen<br />
der Kunst Carows, sondern seiner Menschenfreundlichkeit<br />
willen sei' das nachfolgende<br />
Geschichtchen aus der « B.-Z. > wörtlich<br />
widergegeben :<br />
Sehr vornehme Leute fahren nach Berlin<br />
NO, um Erich Carows Lachbühne zu gemessen.<br />
Sie müssen zeitig kommen, weil bei<br />
Carow das Naturrecht der Publikumsdemokratie<br />
gilt: Wer zuerst da ist, besetzt den<br />
besten- Platz. -<br />
Die vornehmen Leute kommen im Auto an.<br />
« Warten Sie, bis wir wiederkommen»,<br />
sagt der fürchterlich vornehme Herr zum<br />
Chauffeur, dreht sich zu Carows Portier<br />
und fragt: «Wann ist die Vorstellung zu<br />
Ende •? »<br />
< Um halb zwei. » Das ist richtig. Carow<br />
gibt seinem Publikum reichliche Portionen<br />
und das Beste, sich selbst in seiner grandiosesten<br />
Leistung, serviert er erst nach Mitternacht.<br />
« Ja, dann müssen Sie bis halb zwei warten<br />
y, sagt der schrecklich feine Herr mit<br />
einem humanen Unterton, für den sich der<br />
ChamfIeur,, bochgerechnet, ein ; Bier kaufen<br />
^Äber, rda erweist sich Erich Carow als<br />
-Menschenfreund und Pfiffikus. Der Portier<br />
hat den Auftrag, alle Chauffeure gratis in<br />
den Zuschauerraum einzulassen. Einige Tische<br />
sind allabendlich für die Chauffeure der<br />
furchtbar feinen Leute reserviert.<br />
Die Institution ist so klug wie menschenfreundlich<br />
und sie sollte nicht bloss für Carows<br />
Laqhbühne gelten. Allabendlich stehen<br />
vor Berliner Theatern einige Dutzend Autos<br />
stundenlang, die Chauffeure stehen oder<br />
wandern bei ihren Wagen oder sie sind<br />
durch Kälte und Langeweile gezwungen, in<br />
eine Kneipe zu treten. Unmöglich, drei Stunden<br />
bei einem Glas Bier zu sitzen.<br />
In den Theatern aber sind, im Parkett und<br />
auf den Galerien, gewöhnlich noch einige<br />
Plätze oder Reihen leer, auf denen die Chauffeure<br />
Platz fänden... ><br />
Bestimmt gibt es nicht nur in Erich Carows<br />
Lachbühne ein paar freie Plätze, die<br />
für die Chauffeure reserviert werden könnten.<br />
Jedes Theater, jedes Variete, jedes Kabarett<br />
in der Schweiz hätte mindestens ebensoviel<br />
Möglichkeit, sich den zu ewig langem<br />
Warten verdammten Chauffeuren gegenüber<br />
ein wenig freundlich zu erweisen. Sollte Carows<br />
Beispiel nicht auch in der Schweiz<br />
nachahmenswert sein ?<br />
Des Automobilisten « Wahrschau » !<br />
Seit Jahren schon suchen all die Vereine<br />
und Clubs, denen die Sicherheit des<br />
Verkehrs und die Verhütung von Unfällen<br />
auf der Strasse besonders am Herzen liegen,<br />
nach einem wirksamen Schlagwort, das sich<br />
leicht einprägt und sofort zum Begriff wird,<br />
wie etwa das eindringliche englische « Safety<br />
first » (« zuerst die Sicherheit! »). Auf dem<br />
nicht mehr ungewöhnlichen Weg über ein<br />
Preisausschreiben hat man nun unter vielen<br />
Vorschlägen in Deutschland das Wort<br />
« Wahrschau > ausgewählt.<br />
Es klingt so nibelungennaft deutsch, und<br />
wer es eine Viertelstunde lang gedruckt vor<br />
sich sieht, dem wird sicherlich die darin gesammelte<br />
Bedeutung von « Wahr dich » und<br />
« Schau um dich » aufgehen und er wird mit<br />
einigem guten Willen mit diesem Wort auch<br />
eine verkehrsnotwendige Vorstellung verbinden<br />
können. Ob aber der Raser der Landstrasse,<br />
dem der wohlmeinende Warnungsruf<br />
« Wahrschau » nachklingt, nicht viel eher<br />
an Polens Hauptstadt denkt ?<br />
Die Sprache der Schiffer wird stets blumiger<br />
sein können, als die des Autlers, denn<br />
das Wasser ist immer noch romantischgemütlicher<br />
als die moderne Landstrasse.<br />
« Wahr-schau — Steuerbord voraus ! » durch<br />
das Sprachrohr geheult,, klingt nun eben einmal<br />
besser und passender als eine heiteres<br />
« Wahrschau-S-Kurve », das im raschen<br />
Tempo verpufft.<br />
Jedenfalls wird es für den, der auf freundliche<br />
und milde Beurteilung seiner geistigen<br />
Fähigkeiten durch die Kameraden der Landstrasse<br />
hoffen will, geraten sein, mit dem Ruf<br />
€ Wahrschau» so lange zurückzuhalten, bis<br />
alle wissen, dass es sich dabei um ein neues,<br />
fulminantes und sofort wirksames Schlagwort<br />
handelt und nicht um eine aufreizende<br />
Mischung von ScheTz, Satire, Ironie und tieferer<br />
Bedeutung.<br />
Wettessen mit Knochensplittern.<br />
Ein eigenartiger Herr war der Emir von<br />
Buchara, über dessen Hofhaltung der bekannte<br />
Weltreisende Wilhelm Filchner interessante<br />
Einzelheiten berichtete. Komisch berührte<br />
im Palaste des Fürsten der Anblick<br />
eines kleinen Zimmers, das die Einrichtung<br />
eines Eisenbahnwagens hatte, und das der<br />
Emir sich genau hatte nachbilden lassen. So<br />
lange der Reiz der Neuheit ihn fesselte, soll<br />
er dort ganze Nächte zugebracht haben.<br />
Welch sonderbaren Vergnügungen der Emir<br />
nachging, zeigte die Tatsache, dass zeitweise<br />
Wettessen für seine Höflinge veranstaltet<br />
wurden, bei denen jeder eine Schüssel mit gebratenem<br />
Hammelfleisch und Reis, in dem<br />
kleine Knochensplitter versteckt sind, verzehren<br />
musste. Wer zuerst fertig war, erhielt<br />
einen Preis. Die Kunst, möglichst rasch zu<br />
essen, fand ihre Grenzen in der Vorsicht<br />
wegen der Knochensplitter, und so lag auch<br />
während Filchners Aufenthalt in Buchara<br />
wieder einer der Teilnehmer dieses Hofvergnügens,<br />
dem ein Splitter im Halse stecken<br />
geblieben war, krank im Hofspital darnieder.<br />
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ZÜRICH - BASEL - ST. GALLEN - CHUR - AARAU