E_1935_Zeitung_Nr.049
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Alles, was an Deck gehisst wird, tnuss tleich<br />
über Bord geworfen werden, um Platz für die<br />
nachkommende Ladung zu schaffen. Es geht<br />
jetzt nicht um Verlust und Schaden, sondern<br />
um die Rettung des Schiffes. Die Leute arbeiten<br />
inmitten des Rauches und der sprühenden<br />
Funken. Ab und zu lassen sie sich von<br />
den Feuerschläuchen abspritzen, um die glimmende<br />
Kleidung zu löschen. Eine Kiste nach<br />
der andern fliegt über Bord, Baumwollballen<br />
und Oelkuchen, was die Laderäume an Deck<br />
befördern.<br />
Endlich schiessen haushohe Flammen empor,<br />
das ganze Achterdeck ist von Feuer und<br />
Qualm eingehüllt. Wir können endlich mit den<br />
Schlauchleitungen an den Brandherd selbst<br />
gelangen. Dabei legt sich der Dampfer in der<br />
schweren Dünung von einer Seite unaufhaltsam<br />
auf die andere.<br />
Ein Steward kommt gelaufen. « Alle Offiziere<br />
auf die Brücke. » Was ist den jetzt wieder<br />
los? Wir überlassen die weitere Löschungsaktion<br />
dem Oberbootsmann und klettern<br />
über die achtern Treppen auf das Bootsdeck.<br />
« Meine Herren », empfängt uns der<br />
Alte, « die Hauptgefahr kommt jetzt von vorn<br />
und von unsern Passagieren! » Dabei zeigt er<br />
auf das von schreienden Gestalten wimmelnde<br />
Vorschiff. « Panik dort vorn und mittschiffs!<br />
Unsere Passagiere scheinen die Nerven verloren<br />
zu haben! »<br />
« Telephonieren Sie in die Radiokammer:<br />
Sofort SOS abgeben! », befiehlt der Kapitän.<br />
Wir können uns in dem Tumult kaum verständigen.<br />
«Verdammt! » ruft der Alte von der<br />
Brücke, « kann dieses elende Gekreisch nicht<br />
aufhören? Alarmglocken anstellen! »<br />
« Alarmglocken anstellen! » wiederhole ich<br />
pflichtgemäss und gebe den Befehl durchs<br />
Telephon weiter. Da stürzt eine Dame die<br />
Treppe zur Brücke herauf, mit aufgelöstem<br />
Haar, nur halb bekleidet.<br />
« Das Schiff sinkt, lassen Sie uns doch um<br />
Gotteswillen in die Boote! »<br />
« Aber, Madame », antwortet der Alte, « beruhigen<br />
Sie sich doch, wir haben nur etwas<br />
Schlagseite, weil wir den brennenden Raum<br />
unter Wasser gesetzt haben, es ist überhaupt<br />
keine Gefahr mehr! »<br />
Die Dame stürzt wieder hinab. Das Schiff<br />
legt sich immer mehr zur Seite. «Thayer,<br />
lassen Sie Schwimmwesten an die Kajütejipassaglere<br />
austeilen, die Stewards alle Bullaugen<br />
an Steuerbord schliessen, damit bei der<br />
Schlagseite kein Wasser eindringt; Sie. selbst<br />
gehen sofort an Deck und beruhigen die Passagiere!<br />
»<br />
Unten werde ich von den geängstigten<br />
Passagieren umringt. « Was ist los? Müssen<br />
wir in die Boote? Sinkt das Schiff schon?»<br />
Ich versuche, die Passagiere zu beruhigen;<br />
Toben, Geschrei, Pfeifen antwortet mir von<br />
allen Seiten. Machtlos stehe ich vor den, Rasenden.<br />
Sie sind nicht anders wie die wahnsinnigen<br />
Kulis. Ihre Kultur, ihre Erziehung<br />
fällt wie Tünche ab.<br />
Der Steward geht jetzt von Kabine zu Kabine<br />
und ruft überall die Passagiere an Deck.<br />
Vom Achterdeck laufen einige Matrosen nach<br />
oben, mit brennenden Kleidern, versengten<br />
Haaren. Ein dicker, älterer Herr sieht,sie:<br />
«Ich will nicht bei lebendigem Leib verbrennen»,<br />
schreit er, «ich will nicht sterben,^hören<br />
Sie, ich will nicht...! » * ,,/<br />
Es ist fast aussichtslos, in die rasende<br />
Menge Ordnung zu bringen.<br />
Die Knäuel kämpfen um die ruhig in ihren<br />
Davits hängenden Boote, sie stossen und<br />
drängen sich und reissen sich gegenseitig vom<br />
Bootsrand weg. Und sie verteilen sich nicht<br />
auf alle sechs Boote! Immer versuchen sie,<br />
alle ein und dasselbe Boot gleichzeitig zu<br />
stürmen. Ich gehe auf die Brücke und erbitte<br />
vom Alten Mannschaft zur Unterstützung.<br />
Wenn die Passagiere sich der Boote bemächtigen,<br />
ist alles verloren! Der Alte hört mir mit<br />
einem Ohr zu, « Setzen Sie Raum drei auch<br />
unter Wasser », ruft er ins Telephon, « und<br />
wenn der Kasten absaufen sollte, wir müssen<br />
es riskieren, anders können wir das Feuer<br />
nicht bewältigen! »<br />
Der Dampfer legt sich infolge des eingedrungenen<br />
Wassers immer mehr zur Seite.<br />
Ein holländischer Pflanzer fasst mich beim<br />
AUTOMOBIL-REVUE. <strong>1935</strong> -<br />
•RKT<br />
ÜDirM inFUFNSTR^<br />
Arm: « Helfen Sie mir, der Steward hat mich<br />
bestohlen, der Zahlmeister hat mich bestohlen...<br />
»"Ich schüttle den Wahnsinnigen ab.<br />
Von rückwärts wälzt sich jetzt ein Knäuel<br />
heran, stürzt sich gegen mich und die Matrosen.<br />
Der wahnsinnige Holländer stürzt wieder<br />
auf mich, zu: «Ein Auto, ich wünsche sofort<br />
ein Auto, ich versäume den Zug, verschaffen<br />
Sie mir sofort ein Auto! »<br />
Ein anderer schlägt ihm mit einem harten<br />
Gegenstand über den Kopf. Der Holländer<br />
bricht blutüberströmt zusammen. « Verdammter<br />
Narr, Du! » brüllt irgendwer. Ein Passagier<br />
aus Marseille, mit seiner Frau auf der<br />
Hochzeitsreise, drängt sich zu den Booten.<br />
« Zurück! » schreie ich ihn an, « wo ist Ihre<br />
Frau?» — «Meine Frau! Hahaha! Weiss<br />
nicht, lassen Sie los, oder...» — «So ein<br />
Schwein », ruft ein anderer, « seine Frau liegt<br />
unten und heult! »<br />
Inzwischen ist es ganz dunkel geworden.<br />
Ab und zu bricht noch eine Flamme aus der<br />
achtern Ladeluke und beleuchtet gespenstisch<br />
das Chaos auf dem Bootsdeck. Immer noch<br />
arbeiten die Matrosen im Qualm und Rauch,<br />
um die Ladung ins Meer zu werfen.<br />
« Das Schiff geht unter! » schreit jemand in<br />
der Dunkelheit.<br />
«Rette sich, wer kann!» rufen sie immer<br />
wieder hinten. Sie sind fast toll vor Angst, die<br />
Schlagseite wird immer drohender. Aber immer<br />
noch nicht hat mir der Kapitän Erlaubnis<br />
gegeben, die Boote zu besetzen. Er steht<br />
am Ende der Brücke, sieht bald über das<br />
Bootsdeck; bald nach vorn, dreht sich ruhig<br />
eine Zigarette und gibt mit klarer Stimme<br />
seine Kommandos. Beissender Qualm legt<br />
'sich jetzt über das Deck und benimmt uns den<br />
Atem. Ein Zeichen, dass das Feuer nicht mehr<br />
offen brennt, der nur schwelende, nicht mehr<br />
in Flammen brennende Tee hüllt jetzt den<br />
Dampfer in eine undurchsichtige Qualmwolke.<br />
Der eiserne Boden des ausgebrannten Achterdecks<br />
glüht immer noch, Dampf hüllt alles<br />
ein, wo- die mächtigen Wasserstrahlen aufschlagen.<br />
Ich kann vor Rauch und Hitze kaum<br />
mehr etwas erkennen, schliesse die Augen.<br />
Die rasenden Passagiere verstehen nicht, dass<br />
die Flammen schon erstickt sind, die Hauptgefahr<br />
vorüber sei. Wie wahnsinnig stürzen<br />
sie jetzt neuerdings auf die Boote. « Herunter<br />
mit den Booten! » brüllen sie, rutschen auf<br />
dem schiefliegenden Deck aus, kollern zur<br />
Reeling. Männer rufen nach ihren Frauen,<br />
, Frauen nach den Männern. « Mutter! », « Mary!<br />
» « Hailoh! » in allen Sprachen schreien<br />
sie. durcheinander.<br />
2Jec Sämann<br />
NO 49<br />
Von Kilian Kerst.<br />
Wie ist im Frühjahr ein Acker, der kracht,<br />
von Wärme gespalten, voll Drang.<br />
Der Pflug, der im Eisen die Sonne entfacht,<br />
brennt vor Lust nach dem Furchengang.<br />
Das zwitschernde Lied eines Vogels wirft<br />
Saat<br />
aus der Höh' die im Blauen taut.<br />
Und der Strahlengesang über Pass und Grat<br />
zückt taumelnd auf spriessendes Kraut.<br />
Was die Erde empfängt, ich raube meinTeit<br />
mit Augen und Füssen und Hand.<br />
Der Wind durchsummt mich als feuriger Pfeil<br />
und setzt mich im Fluge in Brand.<br />
Die Schollen atmen den Feuergeruch<br />
und schwelen in furchtbarem Qualm,<br />
Gerufen von unwiderstehlichem Spruch<br />
steigen Samen und schiessen zum Halm.<br />
Da, auf einmal, der Dampfer richtet sich<br />
wieder auf! Wie Verklärung geht es über alle<br />
Gesichter! Die Lenzpumpen haben den ausgebrannten<br />
Raum vier, der unter Wasser gesetzt<br />
wurde, wieder leergepumpt. Der Maschinentelegraph<br />
klingelt, das Schiff nimmt wieder<br />
Fahrt auf. Die elektrische Beleuchtung<br />
flammt auf und beleuchtet die erstaunten<br />
Gruppen.<br />
Leute, die eben noch miteinander bis aufs<br />
Messer um die Boote gekämpft hatten, fallen<br />
sich in die Arme und küssen sich, alles eilt<br />
auf das Deck unter der Brücke und bringt<br />
unserem Alten drei Hurras aus. Der Alte<br />
schenkt ihnen keinen einzigen Blick und dreht<br />
eine neue Zigarette. « Maschine ganze Kraft<br />
voraus! » befiehlt er.<br />
Abends sassen wir bei unseren wieder zahm<br />
gewordenen Passagieren im Rauchzimmer.<br />
« Wenn Sie mich nicht so fest gehalten hätten<br />
», sagte eine blonde Engländerin mit<br />
schwärmendem Augenaufschlag, wäre ich<br />
über Bord gesprungen! »<br />
Man sammelte jetzt für unsere brave Mannschaft.<br />
Nur der dicke Kaufmann aus Batavla<br />
traute noch immer nicht der Sachlage. Während<br />
alle andern vergnügt im Rauchsalon<br />
beim Sekt sassen und ihre Rettung feierten,<br />
sass er einsam oben auf dem Bootsdeck in<br />
einem Rettungsboot, zwei Schwimmgürtel um<br />
den Leib gebunden, und streckte wehmütig<br />
zum Schutz gegen den eben einsetzenden<br />
Tropenregen einen riesigen schwarzen Regenschirm<br />
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