E_1936_Zeitung_Nr.076
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BERN, Freitag, 18. September <strong>1936</strong><br />
Automobil-Revue, II. Blatt— Nr. 76<br />
Frauenscliicksale der Weltgeschichte<br />
Lis G a m p e r :<br />
erzog in von ^/aäano<br />
IC t • I ^_t_l \<br />
Der Herzog ergreift seinen Dolch und eilt zu<br />
Violante. — Wirklich lag seine Gemahlin zu Bette,<br />
eben damit beschäftigt, Haushaltausgaben aufzuzeichnen<br />
(!). Marcello aber stand drei Schritte<br />
von ihr entfernt und erstattete der Gebieterin<br />
irgendeinen offiziellen Bericht. (Die Damen empfingen<br />
damals sowohl Besuche als Hausbeamte<br />
sehr häufig im Schlafraum — es war dies also<br />
durchaus keine gravierende Situation.) Ueberdies<br />
war auch eine Kammerfrau zugegen.<br />
Trotzdem stürzt sich der Herzog auf MarceUfc<br />
Capece. Er packt ihn an der Kehle, schleppt ihn<br />
ins Nebenzimmer, wo er dem jungen Manne —<br />
der bewehrt, wie er war, sehr wohl hätte Widerstand<br />
leisten können — Dolch und Degen abverlangt.<br />
Marcello entwaffnet sich — der Herzog<br />
schreit nach den Wachtleuten, und diese bringen<br />
dann den Gefangenen unverzüglich nach Torino.<br />
Doch dem Herzog war nicht ganz wohl bei<br />
dieser Sache. Er glaubte im tiefsten Herzen nicht<br />
an eine Untreue Violantes. Indessen gestattete<br />
ihm sein Herrenbewusstsein keinesfalls, diesen<br />
Missgriff zuzugeben und den armen Marcello zu r<br />
enthaften. Deshalb Hess der Carafa das Gerücht<br />
.verbreiten, der junge Edelmann hätte ihn -vergiften<br />
wollen... Trotzdem sickerte aber die andere -<br />
Version allmählich durch, die schliesslich auch vor<br />
den Kardinal kam. Der Kirchenfürst sendet seinem<br />
Bruder Botschaft «wann er, der Herzog, endlich<br />
gedenke, diese Schmach der Familie mit Blut reinzuwaschen?»<br />
— Derart zum äussersten getrieben,<br />
lässt der Herzog «die Gerechtigkeit walten»!<br />
Er bittet den Bruder Violantes, den Grafen von<br />
Alife, um Beistand und Rat; dieser kommt nach Sorino,<br />
und nun beginnt ein Trauerspiel von<br />
Sheakespearischem Ausmass.<br />
Um die «Wahrheit» zu erpressen, greift man<br />
natürlich zur Tortur. Man foltert den Türsteher,<br />
dann den Schlosshauptmann. Letzterer -ist ein<br />
treuer Freund von Marcello Capece — beide<br />
aber sind völlig unbescholtene Männer. Und erst<br />
als sie vor Qual kaum mehr wissen, was sie<br />
sagen, vernimmt man von ihren Lippen so etwas<br />
wie ein «Geständnis»...<br />
Dann, als es schon gegen den Morgen zuging,<br />
brachte man auch Marcello ins Foltergewölbe.<br />
— Nach Stunden ist von dem schönen und<br />
anmutigen Jüngling nicht viel mehr geblieben als<br />
ein armes, verstümmeltes Wesen, das man mit<br />
letzter Kraft bestätigen lässt, was der Herzog für<br />
gut fand, ihm als «Schuldbekenntnis» vorzulesen.<br />
Unterschreiben konnten Marcellos zerrissene<br />
Hände dieses Schriftstück nicht mehr.<br />
Jetzt, als die «Wahrheit» erpresst ist, stürzt sich<br />
der Herzog auf Marcello Capece und tötet ihn<br />
mit drei Dolchstichen. Diana Brancaccio, deren<br />
Nerven ihr gestattet hatten, all' das Grässliche<br />
mitanzusehen, zittert bei dieser Szene. Plötzlich<br />
wendet sich der rasende Herzog zu ihr: «Elendes<br />
Weib du, nur du hast mit deinen Intriguen Unglück<br />
und Schande über dieses Haus gebracht,<br />
so empfange jetzt deinen Lohn!» Blitzschnell<br />
greift Giovanni Carafa in die rote Haarflut Dianas,<br />
zieht ihren Kopf nach hinten und durchschneidet<br />
dem Mädchen die Kehle. Diana sinkt lautlos<br />
nieder.<br />
Paul IV. überschattet schon sein nahes Ende,<br />
als man ihm diese Tragödie meldet. Und der<br />
Papst hat nur eine Frage: «Was machte mein<br />
Neffe mit der Herzogin?» — Ja, was wurde aus<br />
Violante?<br />
Einstweilen geschieht nichts. Nichts — wenn<br />
man diese Seelenfolter, dieses Schweben zwischen<br />
Sein und Nichtsein ausser Betracht lässt. —<br />
Denn der Herzog liebte seine Gattin noch immer<br />
und hofft, sie irgendwie aus den Mordzähnen des<br />
altspanischen Moralkodexes (der vom 15. bis<br />
17, Jahrhundert die damalige Kulturwelt beherrschte<br />
und dem Manne ehrenhalber gebot,<br />
seine «schuldige» Frau zu töten!) herauszuretten.<br />
Ob freilich Herzogin Violante noch etwas für diesen<br />
Mann fühlte, bleibt mehr als fraglich!<br />
Ueber diesem Zaudern stirbt der Papst. Und<br />
da jetzt niemand voraussehen kann, wie der kommende<br />
Pontifex sich zur Familie Carafa stellen<br />
wird, so will man vorerst den Ausgang der Neuwahl<br />
abwarten. «<br />
Doch nun — ob wahr oder unwahr, das lässt<br />
sich heute nicht mehr ergründen — vernimmt der<br />
Herzog, dass seine zu Gallese in leichter Haft<br />
gehaltene Gemahlin mit seinen Erbfeinden, den<br />
Colonna, konspiriere, und dadurch auf Flucht<br />
hoffe! Jetzt drängen des Herzogs Brüder (der<br />
Marchese di Montebello und der Kardinal), sowie<br />
sonderbarerweise auch der Bruder Violantes, Graf<br />
Alife, auf endgültiges Handeln.<br />
Am 28. August 1556 — an dem Tage, wo das<br />
Konklave beginnt, das vier volle Monate währen<br />
sollte, und aus dem dann schliesslich Gian Angelo<br />
Medici als Papst Pius IV. zur höchsten<br />
Würde der Christenheit emporsteigt — an diesem<br />
Tage schickt der Herzog von Paliano zwei Kompagnien<br />
Söldner nach Gallese. Am 30. August<br />
treten dann der Graf von Alife, Violantes Bruder,^<br />
und ein naher Verwandter der Carafa ins Ge-J,<br />
mach der Herzogin und kündigen ihr an, dass sie?<br />
sterben müsse...<br />
Violante behält ihre Fassung und fragt die<br />
Herren. nur, ob sie einen gültigen Befehl ihres<br />
Gatten brächten. «Jawohl, Madonna», erwiderten<br />
sie — und Graf Alife zeigt Schrift und Siegel des<br />
Herzogs. Dann kommen zwei Kapuziner, um Violante<br />
vorzubereiten und ihre Beichte zu hören.<br />
Der eine dieser Fratres, offenbar ein Mann von<br />
Italienisch« Edeldamt der Renaissance.<br />
Herz, bittet inständig, man möge doch mit dem<br />
Vollzug des Urteils warten, bis die Herzogin ihr<br />
viertes Kind geboren habe, das Violante in drei<br />
Monaten bekommen soll! Der Bruder Violantes<br />
aber antwortet nur: «Ihr wisst, ich muss unverzüglich<br />
nach Rom zurück und will dort nicht wieder<br />
erscheinen mit diesem «Brandmal» (siel) auf der<br />
Stirne.»<br />
Die Herzogin aber beteuerte immer wieder<br />
ihre völlige, klare Unschuld. Doch vergebens! So<br />
nimmt sie denn in grosser Andacht die heilige<br />
Kommunion und bereitet sich zum Tode. Nun<br />
tritt der Graf von Alife, Violantes Bruder, wieder<br />
ein. Er hält eine dicke Schnur, und einen Haselstock.<br />
-*• Jetzt ist er bei Violante und wirft seiner<br />
Schwester ein Tuch übers Gesicht, das sie ruhig<br />
tief herunterzieht, um den Grafen nicht sehen zu<br />
müssen. Violantes Hände, die kaum etwas beben,<br />
halten ein Kruzifix. Alife schlingt die Schnur um<br />
den. Hals seiner Schwester — aber die Kordel<br />
reissf. (Wie gewöhnlich, fügt hier der Chronist<br />
bei...)<br />
Alife zaudert — Violante aber fragt ruhig:<br />
«Was willst du tun?» «Die Schnur taugt nicht —<br />
ich hole eine andere, um dich nicht leiden zu<br />
lassen», erwiderte Graf Alife. Von dieser Szene<br />
aufs tiefste entsetzt, wollen die beiden Klosterbrüder<br />
sich entfernen, doch Violante bittet inständig,<br />
ihr doch bis zum Ende beizustehen.<br />
Nun tritt der Graf wieder ein — und jetzt gelingt<br />
es ihm, Violante zu erdrosseln. Ihre letzten<br />
Worte waren: «Ich glaube Herr, ich glaube...»<br />
In der nächsten Nummer:<br />
Wo stehen die zwölf Leuchtwegweiser?<br />
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I.Preis Fr.200.- in bar<br />
Jede richtige Losung<br />
wird prämiert.<br />
Anderntags bestattet man die Hülle der Herzogin<br />
dann so ehrenvoll und prächtig als immer<br />
möglich im bescheidenen Kirchlein von Galife.<br />
Und die Sühne? Gottes Mühlen mahlen langsam,<br />
mahlen aber doch! — Monate vergehen<br />
über dem Tode Violantes; scheinbar kümmerte<br />
sich kein Mensch in Rom um das Geschehene,<br />
über das doch jedermann unterrichtet ist. Aber<br />
der neue Papst, Pius IV., und die mächtigen Colonna<br />
sind dem Hause der Carafa nicht wohl gesinnt<br />
und warten nur auf die Gelegenheit auf<br />
einen Anschlag gegen sie. Schliesslich ergibt sich<br />
diese aus dem Zusammenwirken verschiedener<br />
«Berechnungsfehler» im Carafa-Kreise, und so gelingt<br />
es, die Brüder wegen politischen Umtrieben,<br />
in einen Monsterprozess zu verwickeln. In dessen<br />
Verlauf erwirken ihre Feinde dann einen Haftbefehl<br />
gegen den Kardinal, gegen den Herzog<br />
von Paliano und den Marchese di Montebello.<br />
Auch Don Alife, Violantes harter Bruder, sowie<br />
jenen Verwandten, der beim gewaltsamen Tode<br />
der Herzogin assistierte, setzt man in der'Engelsburg<br />
gefangen.<br />
Politische Verbrechen konnten zum Aerger<br />
ihrer Feinde den Carafa nicht zur Last gelegt<br />
werden, da sie aber, koste es was es wolle, verschwinden<br />
sollten, so musste der Tod Violantes,<br />
Dianas und des armen Capece schliesslich zum<br />
Urteilsspruch genügen. Nach einem achtstündigen,<br />
aufs äusserste bewegten Konsistorium (geistlicher<br />
Rat)/bei dem sich verschiedene Kardinale eifrig<br />
für die Rettung wenigstens des Kirchenfürsten einsetzen,<br />
spricht Papst Pius sämtliche Angeklagten<br />
schuldig und verurteilt sie zum Tode durch Enthaupten.<br />
Und wieder ist es Karnevalszeit. Wenig Jahre<br />
sind verflossen, seitdem die überschäumende<br />
Lebenslust der Carafa sie zu jenem folgenschweren<br />
Gastmahl geleitet hat. Jetzt neigt sich das<br />
Drama ihres Hauses dem bitteren Ende zu...<br />
Die Hinrichtung ist auf den 5. März anno domini<br />
1561 festgesetzt. — Der Häscherhauptmann begibt<br />
sich gegen Abend im Auftrag des Papstes<br />
zuerst zum Kardinal (der niemals glaubte, dass<br />
man sich an ihn, den hohen Würdenträger wagen<br />
würde), um ihn schonend auf sein nahes Ende<br />
vorzubereiten.<br />
Carlo Carafa schläft seelenruhig, als man bei<br />
ihm eintritt. Er gibt diese Ruhe auch dann nicht auf,<br />
als ihm gesagt wird, er möge sich zum Sterben<br />
bereiten. Gelassen zieht nun der Kardinal sich<br />
unter Assistenz seines Kammerdieners an und<br />
wählt ein herrliches Wams aus violettem Samt, da<br />
man ihn des purpurnen Kardinalkleides, sowie seiner<br />
Würde als Kirchenfürst verlustig erklärt hat.<br />
Der Carafa lässt die Beichte abnehmen und rezi-