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E_1936_Zeitung_Nr.076

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das böse Automobil verdammen. Wo soll ich<br />

da immer zügige Argumente hernehmen,<br />

wenn ohnehin so wenige vorhanden sind?<br />

Gut, damit hast Du recht. Man wird Dir<br />

verzeihen. Letzten Endes muss der Zweck<br />

die Mittel heiligen. Aber Du hast in Deinem<br />

Artikel nicht einmal, sondern sogar zweimal<br />

Deine Vorgesetzten biossgestellt. Das ist<br />

unbedingt zu viel. Da muss ihnen die Galle<br />

überlaufen. Es ist ja vollkommen in Ordnung,<br />

dass Du tüchtig über das Automobil herfällst<br />

und den Autobetrieb als teuer und<br />

wenig leistungsfähig, als einen Parasiten am<br />

Wirtschaftskörper hinstellst Das macht<br />

immer Eindruck. Aber warum musst Du gerade<br />

die Surbtallinie als Beispiel dafür heranziehen<br />

und von den 140,000 Franken Verlust<br />

reden? Hörst Du nicht den bekannten<br />

schweizerischen Sturm der Entrüstung durch<br />

das Land brausen? Siehst Du nicht das Kochen<br />

der empörten Volksseele? Was, da hat<br />

seinerzeit das Parlament den Bau einer<br />

Eisenbahn durch das Surbtal beschlossen<br />

und statt das Volk mit dieser vollkommenen<br />

und glänzend rentierenden Verkehrseinrichtung<br />

zu beglücken, richtet die Generaldirektion<br />

einen lausigen Automobilbetrieb ein und<br />

wirft dafür noch jährlich 140,000 gute<br />

Schweizerfranken zum Fenster hinaus! Weg<br />

mit diesen Ignoranten. Kreuzigt die Schuldigen!<br />

Nun wissen wir vom Bau ja wohl, dass bei<br />

den Bundesbahnen Berechnungen über die<br />

Kosten des Bahnbetriebes im Surbtal vorliegen<br />

und dieser jährlich einen Verlust von<br />

über 300,000 Franken bringen würde. Die<br />

Ersparnis mit dem Autobetrieb, der übrigens<br />

und unter uns gesagt vorzüglich funktioniert,<br />

ist also ganz kokett. Aber das Volk hat das<br />

schon längst vergessen und klagt Deine<br />

Vorgesetzten an. Junge, Junge, pass doch<br />

ein bisschen auf.<br />

Du hast es übrigens gar nicht nötig, Dich<br />

in dieser Weise in die Nesseln zu setzen. Es<br />

gibt ja andere, wunderbare und zügige Argumente<br />

gegen das Auto. Denk doch an den<br />

berühmten und mit Recht überall beliebten<br />

Kuchen mit den Rosinen. In dieser schlechten<br />

Zeit begeistert sich das Volk für das herrliche<br />

Bild des fetten Verkehrskuchens, um<br />

den die Automobilisten wie die Raben sitzen<br />

und die Rosinen herauspicken. Genau lOOmal<br />

hat der Bundesrat mit vollem Erfolg diesen<br />

Kuchen schon aufgetischt, lO.OOOmal ist er<br />

in der Presse serviert worden und lOO.OOOmal<br />

ist sein Duft den Lesern der Bundesbahnbroschüren<br />

in die Nase gestiegen. Ein berühmter<br />

Herr Professor aus Kiew soll deswegen<br />

sogar seinen Wohnsitz dauernd in die<br />

Schweiz verlegt haben. Also bleib beim<br />

Kuchen, serviere ihn weiter und befreie Dich<br />

von der Prätention, gescheiter als Deine Vorgesetzten<br />

sein zu wollen.<br />

Auto<br />

Es gibt zwar immer Besserwisser, die sagen,<br />

die Sache mit dem Kuchen sei faul, da<br />

seien nicht nur Rosinen drin. Die Bundesbahnen<br />

seien mit schwerem Geld gezwungen<br />

gewesen, sich die Zementtransporte zurückzuerobern.<br />

Selbst um die billigsten Transporte,<br />

um die Kohlenfuhren, seien sie mit<br />

Sondertarifen zu kämpfen genötigt. Die Sesa<br />

führe sogar einen richtiggehenden Guerillakrieg<br />

um jeden Schweinetransport. Ich muss<br />

schon sagen, Zement, Kohle und Schweine<br />

haben mit Rosinen wenig zu tun. Sie stören<br />

das Bild. Mit den Kampftarifen um das Getreide<br />

ist die Sache anders, denn: kein Mehl,<br />

kein Kuchen! Auch der Druck auf die Käseexporteure<br />

zu Gunsten der Eisenbahnen hat<br />

nichts zu bedeuten. Der Kuchen kann ja auch<br />

ein Käsekuchen sein. Bleib also trotz diesen<br />

Bedenken beim Kuchen und seinen allerdings<br />

etwas anrüchigen Rosinen. Du schlägst da-<br />

Der motorisierte Amerikaner.<br />

to Jahre 1935 hat im Durchschnitt jeder<br />

amerikanische Staatsbürger 4800 km im Motorfahrzeug<br />

zurückgelegt gegen nur 240 km<br />

zurückgelegter Transport strecke auf der<br />

Schiene. Die Bedeutung des Automobils im<br />

binnenamerikanischen Personenverkehr übertrifft<br />

heute somit diejenige der Eisenbahn um<br />

das Zwanzigfache.<br />

Neuer Abbau der italienischen Benzinpreise.<br />

Mit Wirkung ab 10. September ist in Italien<br />

der Benzinpreis neuerdings herabgesetzt<br />

worden. Die Preisreduktionen variieren zwischen<br />

6—16 Centesimi pro Liter, wodurch<br />

der Preisunterschied zwischen den einzelnen<br />

Provinzen auf eine Höchstspanne von 13 Centesimi<br />

verringert wird. Zusammen mit der<br />

am 21. Juli erfolgten Benzinpreisreduktion<br />

stellt sich die Gesamtermässigung auf 88—90<br />

Centesimi pro Liter. 71 Centesimi entfallen<br />

auf die Herabsetzung der Verkaufssteuer und<br />

der Rest auf die Verringerung des eigentlichen<br />

Preises. Für Mailand ergibt sich ein<br />

Literpreis von nunmehr 2,90 gegen 3,04 Lire<br />

wie bis heute.<br />

Auch ein Mittel zur Hebung der Fahrdisziplin.<br />

Die japanische Polizei ist auf die ebenso<br />

wirkungsvolle wie originelle Idee verfallen,<br />

Taxichauffeuren, die während drei Monaten<br />

ihr «Sündenregister* rein zu halten vermocht<br />

haben, die Befugnis zur Anbringung einer<br />

gelben Flagge an ihrem Wagen zu gewähren.<br />

Sie kann nach sechs unfallfreien Monaten<br />

durch eine blaue und nach einem unfallfreien<br />

Jahr' durch eine purpurfarbene ersetzt<br />

werden. Dabei mag es der «Haggenfreien»<br />

Konkurrenz passieren, dass sie vor Neid grün<br />

wird, denn die Vermutung liegt nicht weitab,<br />

dass sich die Gunst der Kundschaft wohl eher<br />

den mit einer Flagge ausgezeichneten Wagen<br />

zuwenden wird.<br />

mit keinen Vorgesetzten ans Bein und sicherst<br />

l;<br />

Dir Ruhe und Beförderung.<br />

Im übrigen hau nur ruhig auf das Auto. los.<br />

Es spielt gar keine Rolle, wenn Dir auch in<br />

Zukunft wie bisher einige Entgleisungen<br />

unterlaufen. Kümmere Dich nicht darum, dass<br />

Du von Volkswirtschaft nichts verstehst und<br />

denke daran, dass viele andere davon auch<br />

keinen blassen Dunst haben. Nimm Dir den<br />

alten Lehrsatz der Journalisten zur Richtung,<br />

der da lautet: 90% der Abonnenten der <strong>Zeitung</strong><br />

lesen meinen'Artikel nicht, von den 10%,<br />

die ihn lesen, verstehen ihn wiederum 90%<br />

nicht. Wegen dem Rest verlohnt es sich<br />

aber nicht, sich Mühe und Kopfzerbrechen zu<br />

machen. Also frisch und fröhlich ran an den<br />

Feind. Je mehr Du die Leistungsfähigkeit<br />

des Automobils herabsetzest, um so eher<br />

wird man Dir glauben, dass an der ganzen<br />

Bisenbahnmisere eben dieses Automobil schuld<br />

ist. Und dies ist ja der Zweck der Uebung,<br />

darin liegt Deine Aufgabe und Deine Daseinsberechtigung.<br />

Aber Deine Vorgesetzten lass<br />

in Zukunft in Ruhe.<br />

Dein Kollege Eusebius.<br />

AUTOMOBIL-REVUE FREITAG. 18... SEPTEMBER <strong>1936</strong> — N° 76<br />

istischer<br />

Oesterreich und die Reichsautobahnen.<br />

Nachdem die politische Verständigung zwischen<br />

Deutschland und Oesterreich perfekt<br />

geworden ist, haben die Oesterreicher den<br />

Bau des Anschlusses an die Reichsautobahn<br />

an der Landesgrenze in Angriff genommen.<br />

Die Ursache der Autopannen.<br />

Der englische Königliche Automobil-Klub<br />

hat nach den ihm bekannt gewordenen Fällen<br />

eine Statistik der verschiedenen Störungsursachen<br />

am Kraftwagen aufgestellt. Nach dem<br />

aus dem Jahre 1935 zugrundegelegten Material<br />

waren die Autopannen auf Schäden und<br />

Mängel an folgenden Teilen zurückzuführen:<br />

Zündung 22,9 %, Hinterachse 17,4 %, Zylinder<br />

und Kolben 9,2 %, Kupplung 6,2 %, Vergaser<br />

6,1 %, Ventile 3,2 %, Lichtanlage 3,1 %,<br />

Neue Internationale Verkehrszeichen.<br />

Von der Völkerbundskommission für den<br />

Strassenverkehr sind soeben zwei neue internationale<br />

Verkehrszeichen gutgeheissen und<br />

zur Einführung empfohlen worden. Eine<br />

schwarze Trompete auf weissem Feld inmitten<br />

eines roten, quergeteilten Kreises kündet<br />

das absolute Hupverbot an, währenddem<br />

zwei schwarze Richtungspfeile auf weissem<br />

Feld in einem roten, senkrecht geteilten Kreis<br />

Strecken mit Vorfahrtsverbot markieren.<br />

Fortsetzung von Seite 1.<br />

Einfachere Organisation.<br />

6. Ausser der oben angedeuteten finanziellen<br />

Hilfe benötigen die Veranstalter weitere<br />

Erleichterungen auf diesem Gebiet. Die Entschädigungen<br />

an die Landeigentümer bedürfen<br />

einer Herabsetzung, aber auch der ganze<br />

Organisationsapparat samt Streckenbewachung<br />

etc. vermag einen Abbau sehr wohl zu<br />

ertragen. Es muss ja nicht gerade alles nach<br />

dem Muster der Olympiade <strong>1936</strong> aufgezogen<br />

sein, auch die einfachere Organisation ä la<br />

1924er Rennen ohne Lautsprecher etc. dürfte<br />

vollauf genügen, selbst wenn sogar das Bankett<br />

wegfällt!<br />

7. Die Frage des Gabentisches erfordert<br />

eine Aussprache zwischen Organisatoren und<br />

Fahrern. Es sollte auch hier, wie bei den Motorradfahrern,<br />

ein « gentlemen's agreement»<br />

möglich sein, wobei auch die Spesenfrage<br />

grundsätzlich abgeklärt werden kann. Auch<br />

der Amateur muss heute Anspruch auf Barpreise<br />

zur Kostendeckung haben. ,<br />

8. Wichtig ist für den Fahrer und speziell<br />

den Amateur die<br />

Wagenfrage.<br />

Heute herrscht, der, geschlossene Wagen<br />

weitaus vor. Da- ist es vielen Amateuren<br />

nicht mehr möglich, sich daneben einen<br />

offenen Wagen zu erstehen. Aber warum<br />

schafft man bei den nationalen Wettbewerben<br />

nicht eine Kategorie «geschlossene<br />

Wagen», wie dies bei italienischen Rennen<br />

schon wiederholt mit Erfolg versucht wurde?<br />

Die Zahl 'der Konkurrenten würde damit<br />

steigen und obendrein ergäben sich daraus<br />

sicherlich auch interessante sportliche und<br />

technische Auswirkungen.<br />

Nach genauerer Abklärung ruft im weiteren<br />

die Frage der Serien-, d. h. der nicht frisierten<br />

Wagen. Ist es durch eine minutiöse technische<br />

Kontrolle möglich, hier die Spreu vom<br />

Korn zu scheiden, so wird der Amateursport<br />

daraus bestimmt, seinen Nutzen ziehen.<br />

9. Um dem Wiederaufbau des nationalen<br />

Amateursportes eine dauernde Basis zu sichern,<br />

Hesse sich daran denken, dass die<br />

ACS-Sektionen durch ,<br />

Abhaltung von geschlossenen, zweck*<br />

massigen Wettbewerben<br />

die nötige Vorarbeit leisten. Zu diesem Zwecke<br />

Schaltgetriebe 3,0 %, Gelerikwelle 2J8 %, Rä-sollteder und Federung 2,6 %, Vorderachse und dardreglemente-für solche Konkurrenzen auf-<br />

die nationalen Sportbehörden Stan-<br />

Lenkung 1,8 %, Bremsen 0J %, Sonstige Störungen<br />

21,4 %.<br />

an die Hand gehen und so mithelfen, in jeder<br />

stellen, den Sektionen bei der Durchführung<br />

Sektion eine Anzahl von Amateurfahrern heranzubilden,<br />

die dann nach und nach in die<br />

Das Auto in Finnland.<br />

An unseren Verhältnissen gemessen ist die<br />

Durchdringung Finnlands mit Motorfahrzeugen<br />

noch gering, trifft es doch erst auf 119<br />

Einwohner ein solches, verglichen mit 45 in<br />

der Schweiz. Dagegen durchzieht ein relativ<br />

dichtes Netz von Autobuslinien das Land, deren<br />

Zahl 600 übersteigt, bei einem Gesamtbestand<br />

an Autobussen von rund 1700.<br />

Probleme des Schweiz. Autosportes<br />

nationalen Veranstaltungen eingreifen und<br />

hier für eine genügende Beschickung und für<br />

gute Sportleistungen sorgen. Auch Sektionsmeisterschaften<br />

können zur Erreichung dieses<br />

Zieles Ansporn sein.<br />

/. Die nationdien Sportbehörden sollten<br />

den Fahrern auch Helfer und Berater in allen<br />

sportlichen Belangen sein. In den Sektionen<br />

könnten Ende des Jahres orientierende Besprechungen<br />

über Reglemente, Wagen, Veranstaltungen<br />

der kommenden Rennsaison<br />

abgehalten werden. Zu überlegen bleibt ausserdem,<br />

ob es nicht am Platze wäre, den Fahrern<br />

auch die eventt 1 'Beteiligung an ausländischen<br />

Veranstaltungen zu erleichtern. Heute<br />

haben die Amateursportler wohl das Gefühl,<br />

dass sie in diesen Dingen etwas vernachlässigt<br />

dastehen.<br />

Gewiss: «Gut Ding will Weile haben», aber<br />

der Niedergang des Amateurautomobilsportes<br />

in der Schweiz ist heute derart unverkennbar<br />

und augenfällig, dass rasches Einschreiten<br />

not tut Organisatoren und Fahrer bedürfen<br />

dringend der,, initiativen Führung, ihre Auf-<br />

£a&U3t oJ^ejyn V) sehw£r genug. , .<br />

Breitenentwicklung und planmässiger<br />

Aufbau<br />

tun heute dem schweizerischen Amateursport<br />

not und wenn hier nicht angesetzt wird,<br />

warten wir umsonst auf eine Besserung.<br />

Daran vermögen auch ein Grand Prix und<br />

eine Alpenfahrt nichts zu ändern. Und doch<br />

sollten wir die Automobilisten nicht als passive<br />

Zuschauer, sondern vielmehr als aktive<br />

Fahrer wiederum'an den sportlichen Wettbewerben<br />

sehen können, denn der Automobilsport<br />

ist doch wohl nicht in erster Linie für<br />

die Zuschauer, sondern für die Fahrer und<br />

vor- allem auch für die Amateurfahrer geschaffen.<br />

Der ACS hat nun eine Neubestellung seines<br />

Sportsekretariates vorgenommen. Möge es<br />

seine Hauptaufgabe nicht nur in der Pflege<br />

der internationalen Beziehungen und Wettbewerbe,<br />

sondern'vor 1 allem auch in einer raschen<br />

und planmässigen Ankurbelung der nationalen<br />

Veranstaltungen und des nationalen<br />

Amateursportes sehen. Ein solches Resultat<br />

würde dreifach wiegen und im ganzen Lande<br />

begeisterten Widerhall finden. Kritikus.<br />

Dann murmelte er:<br />

« Ich hab nie glauben können, dass je eine<br />

andere Frau kommen könnte und...»<br />

Lukus presste Svbils Hand und stammelte<br />

:<br />

« Dich lieb ich wie... wie...»<br />

Aber er fand keinen Vergleich, denn in<br />

seinem Leben war nichts,, das dem Aufruhr<br />

dieser Liebe ähnlich schien.<br />

' Er sagte :<br />

« Ich wollte, ich hätte dich nicht getroffen<br />

und meine Ruhe behalten dürfen. ><br />

« Das weiss ich. » Sybil lächelte. Ihr Gesicht<br />

war schmal und entrückt.<br />

Lukas blickte sie an. Er wollte sich an<br />

Vorsätze, Pflichten, an Gertie erinnern —,<br />

aber er konnte nichts anders denken, als dass<br />

er glücklich sei. Sein Herz war satt vor<br />

Glück wie nie vorher.<br />

t Es ist stärker als wir », sagte er endlich.<br />

c Was sollen wir tun...»<br />

« Uns lieben.»<br />

Blinde Fensterscheiben zogen vorbei, verwitterte<br />

Tore. Ein Wirtshausgarten mit grünrotem<br />

Lampenschmuck tauchte auf, glänzte<br />

eine Sekunde und fiel ins Dunkel zurück.<br />

Dünne Musik tönte dem Auto nach, verwehte<br />

bald im Wind. Die Strasse war still,<br />

fast menschenleer. Nur dann und wann ein<br />

Paar, das verzaubert durch die Nacht wandelte<br />

...<br />

Sechstes Kapitel.<br />

Es schlug elf, als sie vor dem Haustor<br />

standen und Sybil den schweren, grossen<br />

Schlüssel ins Schloss steckte. Er drehte sich<br />

ein wenig nach rechts, Metall kreischte —<br />

dann Hess Sybil die Hand sinken.<br />

« Verzeih...», sagte Lukas und wollte<br />

helfen. Aber Sybil schüttelte den Kopf, umklammerte<br />

mit beiden Händen die Klinke.<br />

Mit forschenden Blicken mass sie dies hohe<br />

Eichentor, über das derbgeschnitzte Putten<br />

ewig lächelnd ihren Reigen zogen. Sie<br />

schwangen Flöten und Tambourine, zeigten<br />

mit steifen, dicken Fingerchen auf ihre geschlossenen<br />

Lippen: wir können schweigen.<br />

Da waren Risse und Sprünge im Holz,<br />

vertraut seit Jahrzehnten, von Regengüssen<br />

und Sonnenglut gebeizt. Wenn man den<br />

Schlüssel jetzt noch weiter nach rechts<br />

drehte, gab es ein kurzes, dumpfes Dröhnen,<br />

schwerfällig Würde der Türflügel zurückschwingen,<br />

die lächelnde Puttenschar ins<br />

Dunkle gleiten. Dann war der Weg frei...<br />

Sybil drehte den Schlüssel langsam wieder<br />

nach links. Sie war verlegen.<br />

« Wir könnten noch spazieren gehen...<br />

Oder bist du müde?».<br />

Nein, Lukas war nicht müde..Er ging sehr<br />

gern spazieren, leidenschaftlich gern. Uebrigens<br />

war er auch verlegen.<br />

« Hübsches, altes Haus >, sagte er. « Da<br />

gibt es sicher noch Zimmer, die gross wie<br />

Säle sind? Breite Steintreppen? Ein sehr<br />

sympathisches Haus...»<br />

Er schritt neben ihr, Lichter spiegelten<br />

sich im geölten Asphalt wie Sterne in dunklen<br />

Gewässern. Inmitten der Oelpfützen<br />

stand ein Schutzmann und bewachte streng<br />

Laternen, Strassen und Sommernacht.<br />

Sie wichen ihm aus, bogen in eine enge<br />

Seitengasse ein. Die graue Masse der Häuser<br />

türmte sich steil auf, bleiche Gaslampen<br />

reckten sich auf lackierten Pfählen wie gespenstische<br />

Tulpen. Hoch über dem steinernen<br />

Schacht lief ein Stückchen Himmel,<br />

schmal wie ein Band. Eine Katze sass auf<br />

dem Trottoir und äugte ernst hinauf.<br />

Sie gingen Arm in Arm, selig und ohne<br />

Ziel. Ihre Schritte tönten durch die Stille.<br />

«Guten Abend», grüsste ein Mann im<br />

Vorbeigehen. Er kannte sie nicht, wollte<br />

auch nicht stören. Aber sie gefielen ihm so<br />

gut. Er sah ihnen noch nach, als sie um die<br />

Ecke verschwanden.<br />

Manchmal bewegte Sybil die Lippen, als<br />

wollte sie sprechen, etwas ganz Bestimmtes<br />

sagen —, aber dann wurde nur ein scheues<br />

Lächeln daraus.<br />

Stumm Hefen sie nebeneinander her. Lukas<br />

fühlte ihren schmalen, heissen Arm, das<br />

weiche Handschuhleder. Der trockene Duft<br />

ihres Parfüms wehte ihm entgegen. Seine<br />

Blicke irrten über ihr Gesicht, verloren sich<br />

darin wie in einer Landschaft.<br />

«Sybil., f», .„..<br />

Sie antwortete nicht, ihre Augen blieben.<br />

dämtnrig, halb geschlossen. Plötzlich glaubte<br />

er, alles sei nur. ein Traum. Diese warme<br />

Nacht, das schweigende Mädchen, dunkle<br />

Häuserzeile und Parfumdunst — alles Traum.<br />

Gleich würde die Uhr schrillen, man musste<br />

aufstehen, ins Gymnasium gehen. Mathematische<br />

Schularbeit — und man kann nicht<br />

rechnen, ist schwer und müd, der alte, dürre<br />

Professor, Formeln, Ziffern... Nein, Unsinn<br />

! Die Schule ist längst vorbei. Er war<br />

erwachsen, siebenunddreissig Jahre, hatte<br />

Frau und Kind... --•<br />

« Woran denkst du ? » Sybil presste heftig<br />

seine Hand.^<br />

«An an sie.»<br />

In dieser Stünde zwischen elf und zwölf<br />

tauchte Gertie auf, holdes Phantom mit nackten<br />

Beinen und einem Tintenklecks auf der<br />

Wange.<br />

. ..„,,, (Fortsetzung lölzQ

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