12.03.2018 Aufrufe

... der steirer land... 2018 / 1. AUSGABE

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

freundeten wir uns alsbald an. Unsere wertvollen<br />

Kisten aus <strong>der</strong> Heimat kamen erst viel später an. Gut<br />

weiß ich noch, wie sehr Mutter sich darauf freute,<br />

endlich wie<strong>der</strong> ihr schönes Geschirr benutzen zu<br />

können, frische Wäsche anzuziehen und auf viele<br />

weitere Schätze, die da gut vernagelt am Bahnhof<br />

zur Abholung bereitstanden. Noch heute sehe ich<br />

sie vor mir, wie sie mit erwartungsvollen Blicken<br />

den Weg hinunterschaute, wann denn <strong>der</strong> Vater mit<br />

dem Pferdefuhrwerk endlich kommt, und wie sie<br />

ihm freudestrahlend entgegenlief, als er kam. Doch<br />

ebenso groß wie die Vorfreude war ihre Enttäuschung,<br />

als <strong>der</strong> Vater ihr erzählte, dass alle Kisten<br />

aufgebrochen und unser Hab und Gut gestohlen<br />

worden war. Vier Jahre vergingen, wir fingen gerade<br />

an, uns in Polen heimisch zu fühlen, als <strong>der</strong> Krieg<br />

uns ein zweites Mal dazu zwang, alle Zelte abzubrechen<br />

und eine neue Heimat zu suchen. Dieses Mal<br />

mussten <strong>der</strong> Vater und die Männer noch bleiben, nur<br />

die Frauen mit ihren Kin<strong>der</strong>n machten sich in Eisenbahnwaggons<br />

auf den Weg. Ich war damals 9 Jahre<br />

alt und verstand nicht wirklich, was hier geschah.<br />

Unsere Reise führte uns ins heutige Tschechien; von<br />

einem großen Bahnhof zum nächsten wurden wir<br />

transportiert, immer mehr Soldaten waren im Zug<br />

und ängstlich klammerten wir drei uns an Mutters<br />

Rockzipfel, um ja nicht getrennt zu werden.<br />

Irgendwo auf unserer Route wurden wir an einem<br />

Bahnhof von Rotkreuzschwestern versorgt. Wir<br />

stiegen aus, holten uns Suppe und Milch, als bereits<br />

wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Befehl zur Abfahrt kam. Was diese Hast<br />

hervorrief, weiß ich nicht mehr, ich erinnere mich<br />

nur daran, wie <strong>der</strong> Zug sich langsam in Bewegung<br />

setzte und Mutter verzweifelt eine nach <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

von uns in die offene Waggontür hob. Zum Glück<br />

streckten uns Soldaten ihre Hände entgegen. Nur<br />

Mutter war noch draußen und die Lok nahm langsam<br />

Fahrt auf. Soldaten, die unsere Aktion beobachtet<br />

hatten, erkannten, dass wir getrennt wurden.<br />

Sie rannten zur Mutter und hievten sie durch ein offenes<br />

Fenster in den fahrenden Waggon. So waren<br />

wir alle im Zug, aber es dauerte einige Zeit, bis wir<br />

uns wie<strong>der</strong>gefunden hatten. Irgendwann während<br />

unserer Fahrt, ein Ziel wurde uns nie genannt, hieß<br />

es dann plötzlich, dass <strong>der</strong> Zug nicht mehr weiterfährt.<br />

So standen wir am Bahnhof, es war kalt und<br />

<strong>der</strong> Schneefall sorgte dafür, dass wir langsam aber<br />

sicher bis auf die Knochen durchnässt waren. Unser<br />

einziges Glück war, dass es in diesem Ort Verwandte<br />

gab, bei denen wir unterkommen konnten. Einige<br />

Wochen vergingen – Wochen, in denen wir bei<br />

Tag und Nacht auf die Straße liefen, wenn ein neuer<br />

Treck mit seinen Pferdefuhrwerken durchzog. Und<br />

eines Abends war es so weit, <strong>der</strong> Vater war bei einer<br />

Kolonne dabei und die Wie<strong>der</strong>sehensfreude war<br />

übergroß, wusste er doch gar nicht, wo wir waren.<br />

Einige Zeit später, es muss 1944 gewesen sein, kamen<br />

wir nach Oberösterreich, zuerst in ein Lager<br />

und später wohnten wir bei einem Keuschler, dessen<br />

Haus zum Besitz eines großen Vierkanthofs<br />

gehörte. Gut ist mir noch im Gedächtnis geblieben,<br />

wie wir im November 1944 von einem Hügel aus<br />

sahen, wie in <strong>der</strong> Ferne <strong>der</strong> Bahnhof von Amstetten<br />

bombardiert wurde. Vater begann dort in einer<br />

Mühle zu arbeiten, so hatten wir Mehl, um Brot zu<br />

backen. Mutter arbeitete am Hof als Melkerin, bekam<br />

dafür Milch, diese wurde zu Butter verarbeitet<br />

und verkauft. Auch meine Geschwister und ich trugen<br />

zu unserem Unterhalt bei. Wir webten Fleckerlteppiche,<br />

knüpften aus Spagat Einkaufstaschen, sogenannte<br />

Zegger, und stellten Haarnetze her, die<br />

ebenfalls verkauft wurden. Der Krieg war vorüber<br />

und wir hatten in <strong>der</strong> Zwischenzeit unsere Bleibe in<br />

einer Kammer des Vierkanthofs gefunden. Das Auffanglager<br />

in Amstetten, in dem auch wir kurze Zeit<br />

waren, wurde zum Gefangenenlager. Ein Soldat, <strong>der</strong><br />

von dort floh, versteckte sich bei uns am Hof vor<br />

den Besatzern. Er brachte meiner großen Schwester<br />

bei, wie man aus einfachen Utensilien Stoffschuhe<br />

und Patschen herstellt.<br />

Viele unserer Verwandten siedelten sich in <strong>der</strong> Steiermark,<br />

im Raum Wolfsberg, an und im Jahre 1948<br />

entschlossen auch wir uns dazu, unsere – Gott sei<br />

Dank – letzte Übersiedelung anzutreten. So kamen<br />

wir nach Lebring. Auslän<strong>der</strong> waren nicht gerade<br />

sehr beliebt, weil die Bevölkerung selbst sehr um ihr<br />

wirtschaftliches Überleben kämpfen musste, aber<br />

mit Fleiß und Arbeit haben wir uns bald den Respekt<br />

und die Freundschaft <strong>der</strong> Menschen erworben.<br />

Unsere Kunst des Stoffpatschenmachens half dabei<br />

sehr. Aus alten Autoreifen wurde das Gewebe herausgeschnitten,<br />

dieses diente als Sohle. Im Dorotheum<br />

kaufte Mutter billig alte Mäntel und an<strong>der</strong>e<br />

Stoffe, die wir mit unseren Holzleisten zu Schuhen<br />

verarbeiteten. Ich absolvierte mein letztes Schuljahr<br />

in Lebring und durfte dann mit 14 Jahren in Leibnitz<br />

eine Lehre als Verkäuferin beginnen. 1952 habe ich<br />

geheiratet und war von da an untrennbar mit meiner<br />

neuen Heimat verbunden.<br />

19

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!