04-2018 WUPPERTAL HEINZ MAGAZIN

KINO | ÜBERSICHT
LUKAS VERING
Die Auslöschung des Kinos?
Dinge bewegen sich im Filmgeschäft:
Streifen, die noch vor einem Jahr ganz
normal ihren Start im Kinoprogramm
zelebriert hätten, wandern plötzlich auf
Streamingplattformen, ohne je über eine
Leinwand geflimmert zu sein. So geschehen
mit dem dritten Eintrag in der
Cloverfield-Reihe „The Cloverfield Paradox“
oder auch „Auslöschung“ mit
Natalie Portman, dem zweiten Spielfilm,
in dem „Ex Machina“-Macher
Alex Garland Regie führte. Der war
nicht wenig angefressen von der Entscheidung
des tragenden Studios Paramount
Pictures, die internationalen
Rechte an Netflix zu verhökern. Zurecht:
„Auslöschung“ ist ein großer, intelligenter
und visuell beeindruckender
Sci-Fi-Trip, der auf riesigen Leinwänden
erlebt werden will. Warum also dieser
Zug von Paramount? Kurz gesagt:
Das Studio und die verantwortliche
Produktionsfirma Skydance Media
hatten kein gutes Jahr (vor allem dank
des Flops „Geostorm“) und wollten mit
„Auslöschung“ kein weiteres Risiko
mehr eingehen. Drum ließ man sich
von Netflix auszahlen. Eine Entscheidung,
die in Zukunft öfter fallen wird.
Während also die klassischen Kinomacher
mit Geldsorgen ringen, reißen
Streamingdienstanbieter immer mehr
Inhalte an sich – und verändern dabei
Stück für Stück auch unsere Sehgewohnheiten.
So ist es fast schon normal,
sich Blockbuster auf dem Smartphone
anzuschauen. Will das Kino seiner eigenen
Auslöschung entgehen, muss die
ganze Branche reagieren: Attraktivere
Preise? Noch mehr Bombast? Günstigere
Filme? Virtual-Reality-Experience
in 4D? Kino-Events rund um Gaming,
E-Sports und Co? Es wird etwas passieren.
Was, bleibt abzuwarten.
Lukas Vering
Jaap Buitendijk, 2017 Warner Bros. Ent. Inc., Village Roadshow Films North America Inc. , RatPac-Dune Ent.t Fingerprint Releasing / Bleecker Street
KICK FÜR DEN AUGENBLICK
Ghostland
DIE RICHTIGE KONSTELLATION
Das Zeiträtsel
Der fantasylastige Science-Fiction-
Roman „Das Zeiträtsel“ von Autorin
Madeleine L’Engle gehört zu den modernen
Klassikern US-amerikanischer
Literatur und wartet schon seit Jahrzehnten
auf eine farbenprächtige,
fantasievolle und kindgerechte Filmadaption.
Dank Disney kommt die Geschichte
rund um Geschwister, die
quer durch Zeit und Raum reisen, um
ihren verschollenen Vater zu finden,
LIEBE AUS EINER ANDEREN ÄRA
Film Stars don‘t die...
Basierend auf den Memoiren des
britischen Schauspielers Peter Turner
erzählt dieser Film von seiner Liebe
zur Leinwanddiva Gloria Grahame.
Von der aufrichtigen Beziehung, die
sie trotz ihres frappierenden Altersunterschiedes
und entgegen der Außenwahrnehmung
als lapidares Affärchen
zueinander aufbauen. Von dem Vertrauen
und der Hingabe. Von den harten
Zeiten, als Gloria krank wird und
FIESE PFLEGEFEHLER
Unsane
In „Unsane“ findet sich die Stalkergebeutelte
Sawyer gegen ihren Willen
in der Klapse wieder. Dort zehren nicht
nur die anderen Insassen und die Ignoranz
der Institution an ihren Nerven,
sondern auch ein besonders unangenehmer
Pfleger: ihr Stalker. Glaubt sie
zumindest. Oder doch nicht? Es
braucht schon einen verdammt guten
Regisseur und eine wirklich überzeugende
Hauptdarstellerin, um diese alte
Wer den französischen Folterstreifen
„Martyrs“ kennt, der weiß, was
hartgesottener, kaum erträglicher
Horror ist. Und sollte eigentlich schlau
genug sein, sich von neuem Material
des inzwischen nach Amiland verreisten
Regisseurs Pascal Laugier fern zu
halten. Wer es dennoch wagt: In
„Ghostland“ kehrt eine junge Autorin
zurück an einen traumatischen Ort ihrer
Kindheit, wo sich nun seltsame Ereignisse
häufen. Klingt konventionell,
ist es auch. „Ghostland“ bewegt sich sicher
am brutaleren Ende des Genres,
aber ist weder drastisch noch einfallsreich
genug, um größeren Eindruck zu
schinden. Statt Spielchen mit dem
Kopf, treibt der Film nur billige Buh-Effekte
durchs Land. Für Horrorfans auf
der Suche nach ’nem Kick für den Augenblick
dank mancher gelungener
Überraschungen dennoch geeignetes
Futter.
lv
❚ GHOSTLAND FRA, CAN 2018 R: Pascal Laugier, D:
Emilia Jones, Crystal Reed, Taylor Hickson; Start: 5.4.
nun genauso auf die Leinwand. Die Zügel
dafür in die Hand bekam die im
Mainstream noch unter dem Radar
schwirrende Regisseurin Ava DuVernay,
die damit die erste farbige Frau ist,
die einen Blockbuster mit Budget über
100 Millionen US-Dollar managt. Und
dann spielt auch noch die einzig wahre
Oprah Winfrey mit! Es stimmt aber
nicht nur die Demografie, auch alle anderen
Sterne bringen sich in die richtige
Konstellation für einen Hit. lv
❚ DAS ZEITRÄTSEL USA 2018 R: Ava DuVernay, D:
Storm Reid, Reese Witherspoon, Chris Pine; Start: 5.4.
2017 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH
Leier frisch zu machen. „Unsane“ hat
zum Glück beides. Und mehr: Steven
Soderbergh („Ocean’s Eleven“, „Magic
Mike“) konstruiert nicht nur einen beklemmenden
Psychothriller mit relevanten
Untertönen, er zettelt auch eine
Revolution im Filmgeschäft an –
„Unsane“ wurde komplett mit
iPhones gedreht. Und sieht trotzdem
interessanter aus, als mancher Millionen-Dollar-Blockbuster.
lv
❚ UNSANE - Ausgeliefert USA 2018 R: Steven
Soderbergh, D: Claire Foy, Joshua Leonard, Jay
Pharoah; Start: 29.3.
ALLES IST SO SCHÖN VIRTUELL
Ready Player One
Wer wäre denn geeignet, einen
Sci_Fi-Bestseller über eine Welt voller
Videospielsüchtiger, die sich in eine
virtuelle Realität voller 80er-Nostalgie
flüchten, zu verfilmen? Statt an junge,
progressive Filmemacher zu denken,
griff man bei Warner Bros. auf die sichere
Hausnummer zurück: Steven
Spielberg, Macher aller Klassiker von
E.T. bis Indiana Jones. Keine sonderlich
inspirierte, aber auch keine
schlechte Wahl. Die Geschichte von
„Ready Player One“ dreht sich um
Trailertrash-Teenie Wade Watts, der
im wichtigsten Contest der virtuellen
Realität, der OASIS, als erster Spieler
Punkte erzielt und damit die Hatz
nach dem ultimativen Preis eröffnet.
Der ist nicht weniger, als das komplette
Erbe des Erfinders inklusive Kontrolle
über die OASIS. Durch und durch
ein moderner Spektakelfilm, der Zunder
auf das Feuer der grassierenden
80er-Manie schaufelt.
lv
❚ READY PLAYER ONE USA 2018 R: Steven Spielberg
D: Tye Sheridan, Olivia Cooke; Start: 5.4.
bei Peters Eltern einzieht. „Film Stars
don’t die in Liverpool“ ist ein brutal
übersehener Film, der von zwei wundervollen
Schauspielern getragen
wird, deren Leistung schon viel zu oft
verkannt wurde. Annette Bening verdient
für ihre Darstellung des exzentrischen
Filmstars aus einer vergangenen
Ära alles Gold der Welt, genauso
wie Jamie Bell, der hier furchtlos seine
verletzlichen Seiten ausbreitet. lv
❚ FILM STARS DON‘T DIE IN LIVERPOOL GBR 2017,
R: Paul McGuigan, D: Annette Bening, Jamie Bell,
Julie Walters; Start: 5.4.
capelight pictures
Atsushi Nishijima, 2017 Disney Enterprises, Inc.
50| HEINZ |04.2018