Look4 April 2018
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
FASZIEN<br />
Fitnesshype oder hoffnungsvolle Schmerztherapie?<br />
Man kann sie jetzt allerorts in<br />
Fitness- und Yogastudios<br />
trainieren: die Faszien.<br />
Das muskuläre Bindegewebe<br />
kann Auslöser für Rückenschmerzen<br />
sein.<br />
Was früher von Chirurgen als reines „Verpackungsmaterial“<br />
im Körper betrachtet und bei Operationen<br />
achtlos weggeschnitten wurde, steht heute im<br />
Zentrum der Aufmerksamkeit bei Medizinern, Sportlern und<br />
Therapeuten. „Die Faszien sind unser wichtigstes Sinnesorgan<br />
für den sogenannten sechsten Sinn, also für den Körpersinn“,<br />
sagt Faszien-Papst Dr. Robert Schleip, Humanbiologe an der<br />
Universität Ulm. Das Bindegewebe umhüllt unsere Muskeln<br />
und jedes einzelne Muskelfaserbündel. Es verbindet den Muskel<br />
mit dem Knochen und den benachbarten Muskeln. Es bildet<br />
stützende Bindegewebsplatten, es unterteilt den Körper in ein<br />
Labyrinth von Hüllen und Kammern – wie ein dreidimensionales<br />
Spannungsnetz. Das gibt Muskeln, Knochen, Organen,<br />
Nerven und Gehirn Halt und Orientierung und dient zugleich<br />
als Stoßdämpfer. Bestehend aus verschiedenen Zellen, wie Fibroblasten,<br />
Mast- und Fettzellen sowie Kollagen, Elastin, Wasser<br />
und Nervenfasern, sorgt es dafür, dass wir beweglich sind, sich<br />
im Körper alles dehnen und wieder zusammenziehen kann.<br />
Wie konnte etwas, das derart vielfältige Aufgaben in unserem<br />
Körper übernimmt, bislang in der Medizin so vernachlässigt<br />
werden? Dank eines neuartigen, hochauflösenden Ultraschallgerätes<br />
konnten Forscher die Faszien erst vor einigen Jahren sichtbar<br />
werden lassen. Seitdem erhalten sie seitens der Forschung<br />
die nötige Beachtung. Zudem rücken die Faszien im täglichen<br />
Leben, beim Sport und bei der Schmerzprophylaxe ins Bewusstsein.<br />
Sie haben das Potenzial, Lösungsansätze bei chronischem<br />
Rückenschmerz zu liefern.<br />
„Wer sich nicht bewegt, verklebt“<br />
„Muskeln sind nicht für kleine wiederholte Bewegungen gemacht.<br />
Sie wollen sich in alle Richtungen dehnen, strecken und<br />
zusammenziehen. Auch wenn es noch nicht genau erforscht<br />
ist – wahrscheinlich werden durch unzureichende Muskelaktivität<br />
auch die Faszien steif und unbeweglich“, erklärt Professor<br />
Siegfried Mense von der Medizinischen Fakultät Mannheim der<br />
Universität Heidelberg, der seit vielen Jahren zur Entstehung<br />
von Rückenschmerzen forscht. Er hat bei seinen Forschungen<br />
eine große Zahl von potenziellen Schmerzrezeptoren in der<br />
Rückenfaszie entdeckt. Mittlerweile ist bekannt, dass sich das<br />
Bindegewebe verändern, wuchern oder verkleben kann. Dadurch<br />
werden Nerven eingeklemmt, was wiederum Schmerzen<br />
verursacht. Einseitige Bewegungsabläufe, Schonhaltungen bei<br />
Schmerzen oder gänzlich fehlende Bewegung, wie nach Operationen,<br />
führen zu Verklebungen zwischen der Faszie und umliegenden<br />
Geweben, wie Haut oder Muskeln. Aber auch Stress<br />
kann die Faszien schädigen. Bei ständigem Stress erhöht sich der<br />
fasziale Tonus, das Zusammenziehen der Faszien. Dies kann zu<br />
Verspannungen oder Steifheit in ganzen Körperregionen führen.<br />
Faszien-Yoga oder Faszien-Fitness helfen<br />
Im Fitnessbereich ist zunächst jede neue Trainingsidee willkommen.<br />
Doch hier nur von einem Trend oder Hype zu sprechen,<br />
wäre verfehlt. Ein Training mit gezielter Einflussnahme der<br />
Faszien ermöglicht Leistungssteigerungen sowie eine verbesserte<br />
Regeneration. Zusätzlich wird die Annahme, dass elastische<br />
Faszien für straffe Haut sorgen, ein weiterer Grund für das große<br />
Interesse sein. Neben einer bewussten und korrekten Körperhaltung<br />
ist regelmäßige Bewegung wichtig, um das Bindegewebe zu<br />
stärken beziehungsweise wieder geschmeidig werden zu lassen.<br />
Ein spezielles Fazientraining beinhaltet Gymnastikübungen,<br />
die den sogenannten Asanas im Yoga sehr ähneln. Kombiniert<br />
werden die Dehn- und Schwungübungen mit einer faszialen<br />
Druckmassage mit Schaumstoffrollen und sogenannten Triggerpunktbällen.<br />
Allerdings braucht man etwas Geduld und Durchhaltevermögen:<br />
„Es dauert bis zu zwei Jahren, bis die Schmerzen<br />
beim Faszienrollen nachlassen und erst dann kann man davon<br />
ausgehen, dass sich das Training positiv bemerkbar macht“,<br />
54