Medical Tribune 15/2018
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<strong>Medical</strong> <strong>Tribune</strong> j Nr. <strong>15</strong> j 11. April <strong>2018</strong><br />
MEDIZIN<br />
7<br />
Ein Symptom zum Erbrechen<br />
EMESIS ■ „Erbrechen ist mit das unspezifischste Symptom überhaupt“, weiß der Allgemein- und Notarzt Dr. Wolfgang Tonn. Initial helfen zwei<br />
Fragen, die Dringlichkeit einzuschätzen. Selbst wenn schnell die harmlose Diagnose Gastro enteritis steht, werden im Verlauf oft Fehler gemacht.<br />
DR. SASCHA BOCK<br />
Tritt der Mageninhalt auf unphysiologischem<br />
Weg wieder in Erscheinung,<br />
steckt in 95 Prozent der Fälle eine ungefährliche<br />
Ursache dahinter. Es gibt<br />
aber auch Patienten mit Erbrechen, bei<br />
denen die zugrunde liegende Erkrankung<br />
binnen weniger Stunden zum<br />
Tod führen kann, warnte Dr. Wolfgang<br />
Tonn, Allgemeinmediziner und<br />
Notarzt aus Heidelberg. Genau diese<br />
potenziell lebensbedrohlichen Auslöser<br />
gilt es herauszufiltern. Der Kollege<br />
startet deshalb mit zwei Fragen:<br />
1 Sieht das Erbrochene wie Kaffeesatz<br />
aus?<br />
Der „Kaffeesatz“ hat sich als anschauliche<br />
Beschreibung des Hämatins<br />
anamnestisch bewährt. Blutbeimengungen<br />
verlangen immer nach<br />
einer umgehenden Klinikeinweisung<br />
mit dem Rettungswagen, erinnerte<br />
Tonn. Deuten die Vitalparameter auf<br />
einen Schock (RR < 90 mmHg, Puls<br />
> 120/min), dann sogar mit Notarztbegleitung.<br />
Die meisten Patienten sind<br />
aber kreislaufstabil. Ab einem Blutdruck<br />
von 100–120 mmHg und einer<br />
Herzfrequenz zwischen 90 und 100/<br />
min empfiehlt sich eine Infusion.<br />
2 Haben Sie Durchfall?<br />
Lautet die Antwort ja, muss nachgehakt<br />
werden. Denn viele Laien bezeichnen<br />
einmaligen dünnen Stuhlgang<br />
bereits als Diarrhö. Um dieses<br />
„Prädikat“ zu erhalten, sind jedoch<br />
Durchfall fehlt?<br />
Dann geht’s ans<br />
Eingemachte!<br />
Folgendes Vorgehen empfiehlt sich bei<br />
isoliertem Erbrechen:<br />
▶ genaue Anamnese auch bzgl. eines<br />
atypischen Herzinfarktes<br />
▶ kurze, aber umfangreiche Untersuchung<br />
inkl. Meningismus, Haut, Lunge,<br />
Abdomen und Beine<br />
▶ Urinstix, RR und Temperatur messen<br />
▶ bei jungen, ansonsten gesunden Patienten<br />
mit Gastroenteritis im Umfeld<br />
und lebhaften Darmgeräuschen eventuell<br />
abwarten<br />
▶ alles andere einweisen!<br />
mindestens drei dünnflüssige Darmentleerungen<br />
erforderlich. Eine isolierte<br />
Emesis erschwert die Diagnostik<br />
ungemein. Vom Myo kard- und<br />
Mesenterialinfarkt über die Pyelonephritis<br />
bis hin zu Erysipel oder Migräne<br />
kann quasi alles vorliegen. Um<br />
nichts zu übersehen, appellierte Tonn:<br />
„Geben Sie bei jedem Erbrechen ohne<br />
Durchfall Ihr Bestes in Anamnese und<br />
Untersuchung!“ (s. links unten)<br />
Über das begleitende Symptom Diarrhö<br />
freut sich der Referent „total“.<br />
Schließlich signalisiert es ohne weitere<br />
Warnzeichen wahrscheinlich eine<br />
harmlose Gastroenteritis. Betroffene<br />
Patienten müssen selten eingewiesen<br />
werden. Für einen stationären Aufenthalt<br />
sprechen:<br />
▶ Teerstuhl, blutiger Durchfall (z.B.<br />
bei EHEC, C. difficile oder unterer<br />
gastrointestinaler Blutung)<br />
▶ dauerhafte Bauchschmerzen<br />
(Koliken im Mittelbauch sind ok)<br />
▶ Pflegenotfall<br />
▶ Exsikkose (u.U. genügt eine subkutane<br />
Infusion zu Hause oder im<br />
Pflegeheim)<br />
In der Therapie der Gastroenteritis<br />
sieht Tonn Verbesserungsbedarf.<br />
Trinken sei das A und O! Wer viel<br />
Flüssigkeit zu sich nimmt, ist in zwei<br />
bis drei Tagen wieder fit. Sträubt sich<br />
der Magen, kommen mit Metoclopramid<br />
(MCP) und Dimenhydrinat<br />
zwei Antiemetika infrage. Die seltenen<br />
extrapyramidalen Nebenwirkungen<br />
unter MCP stehen dabei der vermehrten<br />
Müdigkeit – und der damit<br />
verbundenen eingeschränkten Nahrungsaufnahme<br />
– unter dem Antihistaminikum<br />
gegenüber. Tonn bevorzugt<br />
MCP. Die Tablette sollte aber<br />
nur mit wenig Wasser geschluckt<br />
werden, um kein erneutes Erbrechen<br />
zu provozieren. Nach 20–30 Minuten<br />
darf der Patient einen vorsichtigen<br />
Trinkversuch starten. Als Faustregel<br />
gilt anfangs: alle zwei Minuten zwei<br />
Schluck Flüssigkeit.<br />
„Ohne Loperamid wird<br />
man schneller gesund“<br />
Speziell gegen die Diarrhö unternimmt<br />
der Kollege i.d.R. nichts. Für<br />
harmlose Fälle ohne Fieber und ohne<br />
blutigen Stuhl gebe es zwar Loperamid,<br />
doch „ohne wird man eigentlich<br />
schneller gesund“, so seine Erfahrung.<br />
Racecadotril als weiteres<br />
Antidiarrhoikum hält Tonn u.a. wegen<br />
des Wirkmechanismus für sinnvoller,<br />
das „Arznei-Telegramm“ sieht<br />
bislang jedoch keinen Vorteil im Vergleich<br />
zu Loperamid.<br />
stark<br />
bei<br />
Reflux<br />
1– 5<br />
Zur Rehydrierung eignet sich die<br />
WHO-Trinklösung am besten, das<br />
Zusammenmischen erweist sich im<br />
Alltag allerdings als sehr aufwendig.<br />
Bei Kindern kann es sich lohnen, auf<br />
verdünnten Apfelsaft auszuweichen:<br />
Ein Gemisch aus viel Leitungswasser<br />
und wenig Saft führt laut einer Studie<br />
sogar signifikant seltener zu Therapieversagen<br />
als Elektrolytfertigmischungen.<br />
Einer klassischen „Durchfalldiät“<br />
mit Bananen, Reis, Apfelmus<br />
und Toast steht grundsätzlich nichts<br />
im Weg, wissenschaftliche Evidenz<br />
aber fehlt. Zucker und Salz unterstützen<br />
die Resorption von Flüssigkeit,<br />
entsprechend bieten sich gesüßter<br />
Tee und Salzstangen an.<br />
Ergänzend können Probiotika eingenommen<br />
werden. Eine Cochrane<br />
Analyse ergab, dass sich dadurch die<br />
Erkrankungsdauer bei akutem Durchfall<br />
im Schnitt um einen Tag verkürzt.<br />
Am effektivsten scheinen Zubereitungen<br />
von Lactobacillus rhamnosus und<br />
Saccharomyces boulardii. Auf Milchprodukte<br />
sollten Erwachsene mit Gastroenteritis<br />
verzichten. Da eine heftige<br />
Diar rhö den Darmzotten zusetzt, „sind<br />
wir alle für ein paar Tage laktoseintolerant“,<br />
sagte der Kollege.<br />
Akupressur<br />
ist gar nicht so übel<br />
Akupressur wirkt bei Übelkeit gleich gut<br />
wie die Einnahme von Antiemetika, erklärte<br />
Dr. Tonn und berief sich dabei auf<br />
ein Cochrane-Review mit 59 randomisierten<br />
Studien. Zwar lag der Fokus der<br />
Arbeit auf postoperativem Erbrechen,<br />
ein Therapieversuch lohnt trotzdem – zumal<br />
der Druckpunkt sehr leicht zu finden<br />
ist. Der Nei-Kuan-Punkt oder P-6-Punkt<br />
liegt am Unterarm drei Querfinger unter<br />
der Handgelenksfalte zwischen den beiden<br />
mittleren Beugesehnen. Dort muss<br />
man kräftig drücken, bis die Übelkeit<br />
verschwindet. Die Stimulation eignet<br />
sich auch bei Schwangerschaftserbrechen<br />
und Reiseübelkeit.<br />
GPB.DUR 161101<br />
Schutz vor Krebs am Arbeitsplatz<br />
GRENZWERTE ■ Arbeitnehmer in<br />
der EU sollen besser vor fünf krebserregenden<br />
Chemikalien geschützt<br />
werden, darunter Formaldehyd,<br />
Cadmium und Arsensäure. Damit<br />
könnten die Arbeitsbedingungen<br />
für rund eine Million Menschen verbessert<br />
und mehr als 22.000 Erkrankungen<br />
verhindert werden, erklärte<br />
die EU-Kommission vorige Woche.<br />
Konkret fordert sie neue Arbeitsplatz-Grenzwerte,<br />
auch für Beryllium<br />
und die chemische Verbindung<br />
MOCA. Für 21 andere Chemikalien<br />
hatte die Behörde solche Begrenzungen<br />
bereits früher vorgeschlagen.<br />
Teils sind sie schon beschlossen,<br />
teils werden sie noch beraten. Krebs<br />
ist nach Angaben der Kommission für<br />
jeden zweiten „arbeitsbedingten Todesfall“<br />
in der EU verantwortlich. Mit<br />
den fünf Stoffgruppen haben Arbeiter<br />
den Angaben zufolge zum Beispiel<br />
bei der Produktion von Nickel-Cadmium-Akkus,<br />
bei der Zink- und Kupferverhüttung,<br />
in Gießereien oder bei der<br />
Glas- und Kunststoffherstellung sowie<br />
im Recycling zu tun.<br />
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