Es ist ein heikles Thema, was der Christ mit dem mosaischen <strong>Gesetz</strong> zu tun hat. Gar nichts? Soll er es halten? Hat es einen bestimmten Nutzen, und wenn ja, welchen? Welche Gefahr liegt in einem Missverständnis des <strong>Gesetz</strong>es? In unserer Zeit lehrmäßiger Oberflächlichkeit stehen gerade heute Christen in dieser Gefahr wie einst die Galater, oder aber in der Gefahr, das <strong>Gesetz</strong> gänzlich zu missachten.
n meinem Bekanntenkreis kam es einmal zu einer Kontroverse, nachdem ein Prediger in einem Vortrag die provokant klingende Aussage „Mose ist tot“ (ein Zitat von Luther aus seiner Schrift „Eine Unterrichtung, wie sich die Christen in Mose sollen schicken“) in Bezug auf das alttestamentliche <strong>Gesetz</strong> aufgestellt hatte. Er wollte damit erklären, dass die Zehn Gebote für Christen nicht bindend sind, und verwies dazu auf dieses Zitat von Luther sowie auf den Galaterbrief. Bei der einen Gruppe der Zuhörer führte das zu einem Aufschrei und sie bestanden darauf, dass Paulus im Galaterbrief lediglich das Zeremonialgesetz für überholt erklärte, nicht aber das Moralgesetz. Die andere Gruppe hingegen stimmte dem Redner zu und neigte zu einer grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber dem mosaischen <strong>Gesetz</strong>. Zu welcher Gruppe würdest du dich rechnen? Wie sollen wir als Christen zum alttestamentlichen <strong>Gesetz</strong> stehen? Was lehrt Paulus im Galaterbrief über das <strong>Gesetz</strong>, und teilt er es in Zeremonial- und Moralgesetz auf? Und was ist Sinn und Zweck des <strong>Gesetz</strong>es? Diese Fragen wollen wir im Folgenden zu klären versuchen. ANTINOMISMUS BEI PAULUS? Zunächst aber die Frage: War Paulus antinomistisch – also gegen (anti) das <strong>Gesetz</strong> (nomos)? „Das sei ferne“, möchte man da mit Pauus sagen – und genau das sagt er tatsächlich auf diese Frage in Römer 3,31 u.a. –, denn der Antinomismus ist eine Irrlehre, die das <strong>Gesetz</strong> in Bausch und Bogen verwirft und auf der falschen Seite vom Pferd fällt, indem sie <strong>Gesetz</strong>losigkeit gutheißt. Wenn wir den Galaterbrief aufmerksam lesen, stellen wir fest, dass Paulus erstens nur das ablehnt, was die judaistischen (gesetzlichen) Irrlehrer unter dem <strong>Gesetz</strong> verstanden – also die pharisäische Fehlinterpretation des <strong>Gesetz</strong>es, und dass er zweitens sehr wohl den positiven Nutzen des <strong>Gesetz</strong>es für den Christen herausstellt. Schauen wir uns zuerst an, wovor Paulus die Galater warnt und was er ablehnt. DAS PROBLEM BEI DEN GALATERN Den Brief an die Galater schrieb Paulus quasi mit „Blaulicht“; es war eine allerhöchste Notlage. Die Kennzeichen: ein nur knapper, wenig huldreicher Gruß, kein Lob, kein Dank, keine Bitte um Gebet. Stattdessen sofort kräftige Worte: „… dass er uns herausreiße aus der gegenwärtigen bösen Welt“ (1,4 – auch aus der religiösgesetzlichen Welt); und: „Ich wundere mich, dass ihr euch so schnell abwendet … ein anderes Evangelium … der sei verflucht … er sei verflucht“ (1,6-9). Was war los bei den Galatern? In den galatischen Gemeinden machten sich judaistische Irrlehrer breit („heimlich eingedrungene falsche Brüder“; 2,4), die forderten, dass zu Jesus bekehrte Heiden beschnitten werden müssten, um errettet zu sein und zum Volk Gottes zu gehören (6,12-13; siehe auch 2,3; 5,2-3.11). Diese Lehre war natürlich ein frontaler Angriff auf das Evangelium von der Errettung allein aus Gnade allein durch Glauben. Wer sich beschneiden lässt, identifiziert sich damit als Jude, stellt sich unter das jüdische <strong>Gesetz</strong> und ist somit schuldig, das ganze <strong>Gesetz</strong> zu halten – so sagt es Paulus in 5,3. Und dabei unterscheidet Paulus nicht zwischen Zeremonial- und Moralgesetz, sondern spricht ausdrücklich vom „ganzen <strong>Gesetz</strong>“. Heidenchristen sollen sich nicht beschneiden lassen, denn damit würden sie sich sowohl unter die zeremoniellen Ordnungen des mosaischen <strong>Gesetz</strong>es stellen als auch unter dessen moralische Verpflichtungen. Aber stehen Christen nicht sowieso unter dieser Pflicht, die moralischen Anforderungen des alttestamentlichen <strong>Gesetz</strong>es zu erfüllen? 13