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70 Jahre Israel<br />
leben, zwar Anspruch auf die Staatsangehörigkeit hätten,<br />
dies aber in der überwältigenden Mehrheit nicht in Anspruch<br />
nehmen und sich mit der Beteiligung an den Kommunalwahlen<br />
zufrieden geben.<br />
Es ist diese Bevölkerung, wegen der die Stadt im Endeffekt<br />
sicher wieder in irgendeiner Art und Weise geteilt werden wird,<br />
in ein jüdisches Westjerusalem, ein palästinensisches Ostjerusalem,<br />
bei einer gemeinsamen Hoheit über die Heiligen Stätten<br />
in der Altstadt. Das wissen im Stillen alle Beteiligten, aber<br />
niemand will es aussprechen. Dieser Sonderstatus war bereits<br />
im UN-Teilungsplan, der Resolution 181 vom 29. November 1947,<br />
vorgesehen – der seitens der jüdischen Führung angenommen,<br />
seitens der arabischen jedoch strikt abgelehnt wurde, was zum<br />
ersten israelisch-arabischen Krieg führte.<br />
Bei den Friedensverhandlungen im Sommer 2000 in Camp David<br />
zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak<br />
und dem PLO-Vorsitzenden Yasser Arafat hatte die israelische<br />
Seite wieder eine ähnliche Teilung in Jerusalem vorgeschlagen,<br />
aber auch diese wurde von palästinensischer Seite abgelehnt.<br />
Im Jahr 2005 lag der Plan nochmals auf dem Tisch, als der<br />
damalige israelische Ministerpräsident Ehud Olmert mit dem<br />
Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmud<br />
Abbas Geheimverhandlungen führte, und wieder wurde<br />
der Territorialkompromiss abgelehnt.<br />
Abschied von verknöcherten Konventionen<br />
Der Autor als Zwölfjähriger 1968 in Haifa.<br />
Ein würdiges Geburtstagsgeschenk<br />
Foto: privat<br />
Die kürzliche Entscheidung von US-Präsident Trump, Jerusalem<br />
als Hauptstadt Israels anzuerkennen, ist ein würdiges Geschenk<br />
zum 70. Geburtstag und gebührender Anlass, einen kritischen<br />
Blick in die Geschichte zu werfen, den Ist-Zustand zu beschreiben<br />
und eine Prognose zu wagen. Seine Entscheidung hat im<br />
Grunde keine neuen Fakten geschaffen und wird dementsprechend<br />
an der Gemengelage nichts ändern. Jerusalem ist Israels<br />
Hauptstadt, biblisch, historisch und de facto. Mit der Ausnahme<br />
der Kreuzfahrerzeit diente Jerusalem immer nur unter jüdischer<br />
Souveränität als Hauptstadt, während es in allen anderen Jahrhunderten<br />
trotz seiner religiösen Bedeutung keine politische<br />
Rolle spielte. Römer, Byzantiner, Omajaden, Mamelucken und<br />
Türken, sie alle herrschten in diesem Land, aber wählten Jerusalem<br />
nie als ihre Hauptstadt. Der Name Jerusalem kommt im<br />
Koran nicht ein einziges Mal vor. Die Bedeutung der Stadt für<br />
Christen und Moslems rührt von ihrer fundamentalen Rolle im<br />
Judentum und ihrer Hoffnung, dass der theologische Bedeutungserhalt<br />
der Stadt es Juden leichter machen würde, sich<br />
zum Christentum oder später zum Islam zu bekennen.<br />
Die Knesset, Israels Parlament, steht in Jerusalem, ebenso die<br />
Ministerien, der Oberste Gerichtshof und die Amtssitze des<br />
Präsidenten und des Ministerpräsidenten. Alles übrigens im<br />
Westen der Stadt. Jerusalem ist durch ein 1980 von der Knesset<br />
erlassenes Gesetz zur wiedervereinten Hauptstadt deklariert<br />
worden, wobei die 300 000 Palästinenser, die im Stadtgebiet<br />
Die jetzige Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt<br />
seitens der USA, ohne die zukünftige innerstädtische Grenze<br />
vorwegzunehmen, ändert also an der Situation nicht wirklich<br />
etwas, verabschiedet sich aber von verknöcherten internationalen<br />
Konventionen, die der Region bisher keinen Deut Frieden<br />
gebracht haben. Dass sie von Trump kommt, macht sie deshalb<br />
nicht schlecht, obwohl es mir erheblich besser gefallen hätte,<br />
wenn die Europäer diesen gordischen Knoten zerschlagen<br />
hätten.<br />
Insofern ist auch zu begreifen, dass sich die ausgelösten<br />
Unruhen im Rahmen hielten und nur von außen angestachelt<br />
wurden, sei es aus dem Iran, der Türkei, der Hisbollah im Libanon<br />
oder der Hamas im Gazastreifen – sämtlich beispielhafte<br />
Demokraten und ein jeder wegen seiner eigenen nahöstlichen<br />
Agenda. Es ist wieder die übliche, angespannte Ruhe eingetreten,<br />
das heißt hin und wieder ein Einzelattentäter, sporadischer<br />
Beschuss aus dem Gazastreifen und Solidaritätsdemos im<br />
Gutmenscheneuropa. Dass sich der türkische Präsident Erdogan<br />
zum Beschützer der islamischen Stätten und Sprecher der<br />
muslimischen Welt aufspielt, ist trauriges Bekenntnis zu seinen<br />
nostalgischen Allüren, Atatürk vergessen zu machen und an die<br />
Hochzeit einer ottomanischen Großmacht anzuknüpfen. Die<br />
Israelis reisen dennoch zu Pessach in Massen nach Anatolien.<br />
Europa außenpolitisch nicht existent<br />
Auch die nun wohl formulierte Position des Weißen Hauses,<br />
nicht Israel sei der Grund für die Konflikte im Nahen Osten,<br />
sondern die gescheiterten arabischen Regime, der Terror des<br />
islamischen Fundamentalismus und die nie aufgegebenen<br />
atomaren Aspirationen des Iran, ist eine Binsenwahrheit. Gäbe<br />
es Israel nicht – wäre das Land von einer Größe Hessens bereits<br />
<strong>DIG</strong> <strong>MAG</strong>AZIN Nr. 1 <strong>2018</strong>/<strong>5778</strong> | 11