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Aktuell<br />
Tage nach dem Anschlag verwandelten Berliner und Touristen<br />
den Breitscheidplatz in ein Kerzen- und Blumenmeer.<br />
<br />
Foto: Jürgen Sterzenbach<br />
Am 19. Dezember<br />
2017, ein Jahr nach<br />
dem Anschlag, fotografiert<br />
Chen Elyakim<br />
das Denkmal mit dem<br />
Namen ihrer Mutter.<br />
Foto: Stefan Krikowski<br />
Opfer ohne Namen und Gesicht?<br />
Zwölf Tote, fünf Ausländer, sieben Deutsche, sechs Frauen,<br />
sechs Männer. Am Breitscheidplatz blieben die Toten fast ein<br />
Jahr lang ohne Namen und ohne Gesicht. Kurz nach dem Anschlag<br />
veröffentlichte die Deutsche Bank eine Todesanzeige für<br />
eine Kollegin, jedoch ohne ihren Namen zu nennen. Im Internet<br />
wurde gegen diese Anonymität protestiert. Nach und nach<br />
wurden die Namen bekannt. Jedoch blieben sie weitestgehend<br />
im virtuellen Raum. An der provisorischen Gedenkstätte, die<br />
nach Schließung des Weihnachtsmarktes blieb, sollten offenbar<br />
die Namen und Gesichter der Terroropfer nicht genannt und<br />
gezeigt werden. Aber wie wollen wir trauern und anteilnehmen,<br />
wenn wir die Namen und Gesichter nicht kennen? Oder wollen<br />
wir nicht wissen, welches Gesicht nicht mehr in die Kamera<br />
lächeln, welcher Opa sein Enkelkind nicht mehr vom Kindergarten<br />
abholen wird? Und so ist es gut, dass die Hinterbliebenen<br />
sich für dieses Mahnmal entschieden haben.<br />
Wie es zu dem Terroranschlag kommen konnte, war schon Thema<br />
in drei Ausschüssen, zweien in Berlin und einem in Nordrhein-Westfalen.<br />
Nun soll die Tat auch in einem Bundestagsausschuss<br />
erörtert werden. In den Wochen vor dem Jahrestag<br />
wurden immer mehr Pannen bekannt. Wann wird sich jemand<br />
hierfür bei den Opfern und Hinterbliebenen entschuldigen?<br />
Jerusalem, Tel Aviv, Paris, New York, London, Madrid, Brüssel,<br />
Stockholm, Manchester, Nizza und jetzt auch Berlin. Der Anschlag<br />
vom 19. Dezember 2016 ist nicht der erste islamistische<br />
Terroranschlag in Deutschland, frühere Anschläge fanden in<br />
Frankfurt, Ansbach, Würzburg, Hannover und in Essen statt,<br />
aber er ist der erste große Anschlag, der nicht sofort wieder<br />
aus den Schlagzeilen verschwindet. Dass es sich um einen<br />
islamistischen Terroranschlag handelt, wird in der Inschrift<br />
der Gedenkstätte nicht erwähnt. »Zur Erinnerung an die Opfer<br />
des Terroranschlags am 19. Dezember 2016. Für ein friedliches<br />
Miteinander aller Menschen. In dieser Nacht starben…«<br />
In Vorbereitung auf unseren Israel-Urlaub im Oktober 2017<br />
reifte in uns der Gedanke, vor Ort nachzufragen, wie es Rami in<br />
der Zwischenzeit ergangen war. Dank der Vermittlung der Israelischen<br />
Botschaft konnten wir ihn und weitere Familienangehörige<br />
in Herzliya besuchen. Er empfing uns im Stehen, etwas, das<br />
wir erst nach dem Treffen entsprechend einordnen konnten.<br />
Er verlor wenige Worte über das Geschehene. Über die ihn<br />
behandelnden Ärzte war er voll des Lobes. Erst als wir im Begriff<br />
waren zu gehen und zur Verabschiedung schon aufgestanden<br />
waren, kam das Thema »Entschädigungszahlungen« auf. Die<br />
Knesset hatte infolge des Berliner Terroranschlags ihr Gesetz<br />
zu Entschädigungszahlungen geändert. So haben nun auch<br />
Israelis, die im Ausland Opfer von Terroranschlägen werden,<br />
Anspruch auf Entschädigungszahlungen, wenn die Terrororganisation<br />
auch als israelfeindlich eingestuft wird.<br />
Aber wie sieht es mit Entschädigungszahlungen seitens der<br />
Bundesrepublik aus? Der Opferbeauftragte Kurt Beck klagte in<br />
seinem Abschlussbericht darüber, dass die finanziellen Hilfen<br />
der Bundesregierung nicht ausreichend seien. Der Bundestag<br />
stimmte am 13. Dezember 2017 für einen Antrag von CDU/CSU,<br />
SPD, FDP und Grünen, der die Bundesregierung dazu auffordert,<br />
die Opferentschädigung zu verbessern. Aber noch ist unklar,<br />
ob und wann mehr Entschädigungszahlungen an Opfer und<br />
Hinterbliebene fließen werden.<br />
Spendenaktion für Rami Elyakim<br />
Rami Elyakim erklärte, dass zwar seitens der Deutschen viele<br />
nette Worte gesprochen würden, aber keiner frage, wie es denn<br />
für ihn und seine Familie nun finanziell weitergehe. Vor dem<br />
19. Dezember 2016 führte er als selbständiger Kühlanlagenbauer<br />
ein gutes Leben. Einige seiner Kunden hoffen noch immer<br />
darauf, dass er eines Tages seine Arbeit wieder aufnimmt, aber<br />
daran ist nicht zu denken. Chen bemerkte, dass ihr Vater immer<br />
gerne gearbeitet und noch längst nicht ans Aufhören gedacht<br />
hatte. Der Anschlag hat eine Familie und deren Existenz zerstört.<br />
Man habe ihnen gesagt, dass sie keine regelmäßigen Zahlungen<br />
bekommen könnten, da sie keine deutschen Staatsangehörigen<br />
seien. Aber, so wendete Ramis Schwester ein, ihre Eltern hätten<br />
doch trotzdem Wiedergutmachungszahlungen als Shoa-Opfer<br />
erhalten. Dermaßen herausgefordert haben wir nach unserer<br />
Rückkehr aus Israel überlegt, was wir tun können. Und so ist eine<br />
Spendenaktion entstanden, deren Erlös von mehr als 12 000 Euro<br />
Rami Elyakim am Yom Haatzmaut überreicht wurde.<br />
Margreet und Stefan Krikowski<br />
<strong>DIG</strong> <strong>MAG</strong>AZIN Nr. 1 <strong>2018</strong>/<strong>5778</strong> | 25