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Bücher<br />

Mod Helmy: Wie ein arabischer Arzt in<br />

Berlin Juden vor der Gestapo rettete<br />

Der junge Ägypter Mohamed Helmy kommt als Student in das Berlin der Zwanziger Jahre, um<br />

Medizin zu studieren. Eine ungewohnte Perspektive auf die Zwanziger Jahre Berlins zeigt sich durch<br />

die anschaulich berichteten Lebensumstände der unterschiedlichen Mitglieder einer kleinen ägyptischen<br />

Kolonie. Der gute Ruf, dessen sich deutsche Universitäten zu dieser Zeit im arabischen Raum<br />

erfreuten, stand im Zusammenhang mit der prodeutschen Stimmung in der arabischen Welt, eine<br />

Folge der antibritischen Aktivitäten im Ersten Weltkrieg.<br />

Etwa 400 ägyptische Studenten gab<br />

es zu Beginn der Zwanzigerjahre in<br />

Deutschland, 150 davon in Berlin.<br />

Viele erhielten ein Stipendium von der<br />

Botschaft ihres Heimatlandes. Helmys<br />

Familie war jedoch in der Lage, ihm den<br />

Aufenthalt und das Studium zu finanzieren.<br />

Auch er geriet als ägyptischer<br />

Student ins Visier des Rassismus der<br />

deutschen Gesellschaft. Diese echauffierte<br />

sich in der Ruhrauseinandersetzung<br />

über afrikanische und arabische Besatzungssoldaten<br />

in französischer Uniform.<br />

Helmy besteht 1929 sein medizinisches<br />

Staatsexamen und arbeitet im Städtischen<br />

Krankenhaus in Moabit, wo 1933<br />

alle jüdischen Mitarbeiter entlassen<br />

werden. Auch seine Stellung als »Nichtarier«<br />

wird immer prekärer, er muss sich<br />

aktiv um die neuen Herren bemühen, um<br />

weiter dort arbeiten zu dürfen. 1937 kann<br />

er dort noch promovieren, bevor er 1938<br />

eine private Praxis eröffnet. Als 1939, nur<br />

wenige Tage vor Kriegsbeginn, das ägyptische<br />

Generalkonsulat alle Ägypter zur<br />

Ausreise auffordert, bleibt Helmy jedoch<br />

bei seiner deutschen Verlobten in Berlin.<br />

Die Nazis verschleppen und ermorden<br />

einen großen Teil der jüdischen Ärzte<br />

Berlins, ohne Rücksicht auf die Berliner<br />

Bevölkerung, die auf diese Ärzte für ihre<br />

Versorgung angewiesen war. Helmy<br />

wird einerseits für die Ärzteversorgung<br />

der Berliner benötigt und ab 1942 zur<br />

Vertretung eines Arztes, der zur Wehrmacht<br />

einberufen worden war, zwangsverpflichtet,<br />

andererseits stellt ihm die<br />

Gestapo nach. Im Oktober 1939 wird er<br />

aus seiner Praxistätigkeit heraus verhaftet<br />

und bleibt annähernd zwei Monate in<br />

Haft. Mit ihm werden weitere 124 Araber,<br />

verhaftet. Die Situation ist einigermaßen<br />

absurd: Die meisten dieser Personen<br />

haben Sympathien für Nazideutschland,<br />

V.l.n.r.: Dr. Kay Schweigmann-Greve, Vorsitzender der <strong>DIG</strong> Hannover, der Autor Igal<br />

Avidan und Dr. Gábor Lengyel, Rabbiner der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover.<br />

Foto: Yuri Petrovic<br />

sie lehnen die britische Politik in ihren<br />

Heimatländern, für die sie in Haftung<br />

genommen werden, ab. Helmy kommt<br />

mit Hilfe eines Ägypters frei, der für die<br />

Nazis Propaganda in der arabischen Welt<br />

betreibt und eng mit der NS-Führung<br />

vertraut ist. Im Januar 1940 wird Helmy<br />

erneut verhaftet und bleibt gesundheitlich<br />

schwer angeschlagen bis zum<br />

Juni 1940 in Krankenhaft. Danach darf<br />

er seine – dringend benötigte – ärztliche<br />

Tätigkeit wieder aufnehmen und einen<br />

»deutschblütigen« Kollegen vertreten,<br />

der zur Wehrmacht eingezogen wurde.<br />

Zu seinen Patienten zählt bereits seit<br />

1936 die jüdische Familie Rudnik, zu<br />

der er auch eine persönliche Beziehung<br />

unterhält. Helmy geht durch seine<br />

Unterstützung der Familie ein hohes<br />

persönliches Risiko ein. Auch diese<br />

Familiengeschichte recherchiert Avidan<br />

gründlich und referiert anschaulich den<br />

Werdegang der jüdischen Emigranten<br />

aus Rumänien in Berlin, ihre erfolgreiche<br />

wirtschaftliche Tätigkeit bis 1933 und die<br />

sich dann ständig verschlechternde Situation.<br />

Zunächst kommt ihnen zugute,<br />

dass Rumänien seine Juden schützt und<br />

das Dritte Reich sie nicht zwingt, den<br />

gelben Stern zu tragen und sie zunächst<br />

vor physischer Gewalt oder Deportation<br />

sicher zu sein scheinen. 1942, der<br />

rumänische Staat hat seine jüdischen<br />

Staatsbürger fallen lassen, wird jedoch<br />

die Situation unhaltbar, sie gehen einzeln<br />

in den Untergrund. Anna Boros, die Enkelin<br />

der erfolgreichen Familienpatriarchin<br />

Cecilie Rudnik, wird von Helmy ab 1942<br />

versteckt, zunächst in seiner eigenen<br />

Wohnung, später in einem Gartenhaus<br />

am Stadtrand, und letzlich rettet er sie<br />

unter Gefährdung des eigenen Lebens.<br />

Besonders an dieser Rettungsgeschichte<br />

ist der Einfluss der muslimischen<br />

Community: Helmy organisiert Annas<br />

Konversion zum Islam, die von einem engen<br />

Mitarbeiter des berüchtigten Mufti<br />

von Jerusalem – Hitlers erstem Mann in<br />

der arabischen Welt – durchgeführt wird.<br />

Anschließend heiratet sie einen Ägypter,<br />

den Betreiber eines der raren Jazz-Lokale<br />

im Berlin der Kriegsjahre, um hierdurch<br />

die ägyptische Staatsbürgerschaft zu<br />

erhalten und, nicht als Jüdin erkennbar,<br />

eingetragen in den Reisepass ihres Man-<br />

74 | <strong>DIG</strong> <strong>MAG</strong>AZIN Nr. 1 <strong>2018</strong>/<strong>5778</strong>

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