DIG_MAG 1_2018_5778
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Bücher<br />
Mod Helmy: Wie ein arabischer Arzt in<br />
Berlin Juden vor der Gestapo rettete<br />
Der junge Ägypter Mohamed Helmy kommt als Student in das Berlin der Zwanziger Jahre, um<br />
Medizin zu studieren. Eine ungewohnte Perspektive auf die Zwanziger Jahre Berlins zeigt sich durch<br />
die anschaulich berichteten Lebensumstände der unterschiedlichen Mitglieder einer kleinen ägyptischen<br />
Kolonie. Der gute Ruf, dessen sich deutsche Universitäten zu dieser Zeit im arabischen Raum<br />
erfreuten, stand im Zusammenhang mit der prodeutschen Stimmung in der arabischen Welt, eine<br />
Folge der antibritischen Aktivitäten im Ersten Weltkrieg.<br />
Etwa 400 ägyptische Studenten gab<br />
es zu Beginn der Zwanzigerjahre in<br />
Deutschland, 150 davon in Berlin.<br />
Viele erhielten ein Stipendium von der<br />
Botschaft ihres Heimatlandes. Helmys<br />
Familie war jedoch in der Lage, ihm den<br />
Aufenthalt und das Studium zu finanzieren.<br />
Auch er geriet als ägyptischer<br />
Student ins Visier des Rassismus der<br />
deutschen Gesellschaft. Diese echauffierte<br />
sich in der Ruhrauseinandersetzung<br />
über afrikanische und arabische Besatzungssoldaten<br />
in französischer Uniform.<br />
Helmy besteht 1929 sein medizinisches<br />
Staatsexamen und arbeitet im Städtischen<br />
Krankenhaus in Moabit, wo 1933<br />
alle jüdischen Mitarbeiter entlassen<br />
werden. Auch seine Stellung als »Nichtarier«<br />
wird immer prekärer, er muss sich<br />
aktiv um die neuen Herren bemühen, um<br />
weiter dort arbeiten zu dürfen. 1937 kann<br />
er dort noch promovieren, bevor er 1938<br />
eine private Praxis eröffnet. Als 1939, nur<br />
wenige Tage vor Kriegsbeginn, das ägyptische<br />
Generalkonsulat alle Ägypter zur<br />
Ausreise auffordert, bleibt Helmy jedoch<br />
bei seiner deutschen Verlobten in Berlin.<br />
Die Nazis verschleppen und ermorden<br />
einen großen Teil der jüdischen Ärzte<br />
Berlins, ohne Rücksicht auf die Berliner<br />
Bevölkerung, die auf diese Ärzte für ihre<br />
Versorgung angewiesen war. Helmy<br />
wird einerseits für die Ärzteversorgung<br />
der Berliner benötigt und ab 1942 zur<br />
Vertretung eines Arztes, der zur Wehrmacht<br />
einberufen worden war, zwangsverpflichtet,<br />
andererseits stellt ihm die<br />
Gestapo nach. Im Oktober 1939 wird er<br />
aus seiner Praxistätigkeit heraus verhaftet<br />
und bleibt annähernd zwei Monate in<br />
Haft. Mit ihm werden weitere 124 Araber,<br />
verhaftet. Die Situation ist einigermaßen<br />
absurd: Die meisten dieser Personen<br />
haben Sympathien für Nazideutschland,<br />
V.l.n.r.: Dr. Kay Schweigmann-Greve, Vorsitzender der <strong>DIG</strong> Hannover, der Autor Igal<br />
Avidan und Dr. Gábor Lengyel, Rabbiner der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover.<br />
Foto: Yuri Petrovic<br />
sie lehnen die britische Politik in ihren<br />
Heimatländern, für die sie in Haftung<br />
genommen werden, ab. Helmy kommt<br />
mit Hilfe eines Ägypters frei, der für die<br />
Nazis Propaganda in der arabischen Welt<br />
betreibt und eng mit der NS-Führung<br />
vertraut ist. Im Januar 1940 wird Helmy<br />
erneut verhaftet und bleibt gesundheitlich<br />
schwer angeschlagen bis zum<br />
Juni 1940 in Krankenhaft. Danach darf<br />
er seine – dringend benötigte – ärztliche<br />
Tätigkeit wieder aufnehmen und einen<br />
»deutschblütigen« Kollegen vertreten,<br />
der zur Wehrmacht eingezogen wurde.<br />
Zu seinen Patienten zählt bereits seit<br />
1936 die jüdische Familie Rudnik, zu<br />
der er auch eine persönliche Beziehung<br />
unterhält. Helmy geht durch seine<br />
Unterstützung der Familie ein hohes<br />
persönliches Risiko ein. Auch diese<br />
Familiengeschichte recherchiert Avidan<br />
gründlich und referiert anschaulich den<br />
Werdegang der jüdischen Emigranten<br />
aus Rumänien in Berlin, ihre erfolgreiche<br />
wirtschaftliche Tätigkeit bis 1933 und die<br />
sich dann ständig verschlechternde Situation.<br />
Zunächst kommt ihnen zugute,<br />
dass Rumänien seine Juden schützt und<br />
das Dritte Reich sie nicht zwingt, den<br />
gelben Stern zu tragen und sie zunächst<br />
vor physischer Gewalt oder Deportation<br />
sicher zu sein scheinen. 1942, der<br />
rumänische Staat hat seine jüdischen<br />
Staatsbürger fallen lassen, wird jedoch<br />
die Situation unhaltbar, sie gehen einzeln<br />
in den Untergrund. Anna Boros, die Enkelin<br />
der erfolgreichen Familienpatriarchin<br />
Cecilie Rudnik, wird von Helmy ab 1942<br />
versteckt, zunächst in seiner eigenen<br />
Wohnung, später in einem Gartenhaus<br />
am Stadtrand, und letzlich rettet er sie<br />
unter Gefährdung des eigenen Lebens.<br />
Besonders an dieser Rettungsgeschichte<br />
ist der Einfluss der muslimischen<br />
Community: Helmy organisiert Annas<br />
Konversion zum Islam, die von einem engen<br />
Mitarbeiter des berüchtigten Mufti<br />
von Jerusalem – Hitlers erstem Mann in<br />
der arabischen Welt – durchgeführt wird.<br />
Anschließend heiratet sie einen Ägypter,<br />
den Betreiber eines der raren Jazz-Lokale<br />
im Berlin der Kriegsjahre, um hierdurch<br />
die ägyptische Staatsbürgerschaft zu<br />
erhalten und, nicht als Jüdin erkennbar,<br />
eingetragen in den Reisepass ihres Man-<br />
74 | <strong>DIG</strong> <strong>MAG</strong>AZIN Nr. 1 <strong>2018</strong>/<strong>5778</strong>