Hallo Thomas, könntest du dich kurz unseren Lesern vorstellen? In welchem Alter bist du, wie ist dein Familienstand und welchem Beruf gehst du nach? Ich bin 45 Jahre alt, verheiratet und Vater von vier Kindern, von denen zwei schon erwachsen sind. Vor etwas mehr als zehn Jahren wurde ich als Pfarrer in die Evangelisch-reformierte Kirche Westminster Bekenntnisses (ERKWB) in Winterthur, in der Schweiz, berufen. Dann bist du also schon sehr jung Vater geworden? Ja, so ist es. Kommen wir zu deiner Gemeinde. Die ERKWB (Evangelisch-reformierte Kirche Westminster Bekenntnisses) Winterthur feierte dieses Jahr ihr 10-jähriges Jubiläum. Wie ist die Gemeinde entstanden? Pfarrer Reinhard Mayer aus Rankweil in Österreich rief mich an, um zu fragen, ob ich zusammen mit zwei Familien in Winterthur eine Gemeinde der ERKWB gründen möchte. Ich hatte die Homepage der Kirche bereits einige Jahre zuvor im Internet entdeckt. Es begeisterte mich, von einer Kirche zu lesen, die sich in ihrer Lehre und Ordnung an der reformierten Theologie orientiert. So etwas gab es leider in der Schweiz nicht. Darum sagte ich spontan zu. Nach einigen Gesprächen wurde ich von der Kirche für den Dienst in Winterthur berufen. Die Gottesdienste feierten wir zu Beginn in einem Privathaus. Nach etwa einem halben Jahr sind wir in den Büroraum gezogen, wo wir uns heute noch treffen. Wie oft trefft ihr euch und wie sieht so ein Sonntagmorgen Gottesdienst bei euch typischerweise aus? Wir treffen uns am Sonntagmorgen zum Gottesdienst und am Abend zum Gebet. Den Gottesdienst feiern wir anhand einer Liturgie. Wir lesen einen Psalm im Wechsel, prüfen uns an Gottes Gesetz und bekommen die Vergebung aus dem Evangelium zugesprochen. In jedem Gottesdienst gibt es eine Gemeindeschulung, wo ein Abschnitt aus dem Heidelberger Katechismus gelehrt wird. Den größten Platz nimmt die Predigt ein, in der normalerweise ein biblisches Buch fortlaufend ausgelegt wird. Den Gottesdienst beschließen wir mit gemeinsamem Gebet und einem Segen. Zu jedem Teil der Liturgie gehört ein Lied, das wir ebenfalls als Gebet verstehen. Warum ist euch ausgerechnet das Westminster Bekenntnis so wichtig? So wichtig, dass ihr das Bekenntnis sogar in euren Namen aufgenommen habt? Der Grund liegt in der Entstehung der Kirche. Sie wurde von einem Pfarrer in Österreich gegründet. Dort ist es üblich, dass das Bekenntnis im Namen angegeben wird. Es gab dort bereits zwei reformierte Kirchen. Eine trug das Augsburger Bekenntnis und die andere das Helvetische Bekenntnis in ihrem Namen. Weil diese Landeskirchen liberal geworden sind, gründete jener Pfarrer die ERKWB. Das Westminster Bekenntnis wurde ausgewählt, weil es die letzte umfassende reformierte Bekenntnisschrift ist. Daneben haben wir auch den Heidelberger Katechismus als verpflichtende Lehrschrift. Er ist im deutschsprachigen Raum (und darüber hinaus) der bekannteste Katechismus. Darum schulen wir die Gemeinde nicht nach den Westminster Katechismen. Sehr interessant. Für mich ist diese Fixierung auf bestimmte Bekenntnisse etwas befremdlich, aber nur weil ich anders aufgewachsen bin. Warum sind Bekenntnisse wichtig? Das Bekenntnis fasst (relativ) kurz zusammen, was wir glauben und wie wir die Bibel verstehen. Wir Pfarrer werden verpflichtet, die Gemeinden gemäß diesem Bekenntnis zu lehren. Wir wissen, dass die Auslegung der Schrift nicht mit uns und unserer Erkenntnis beginnt. Die Gottesmänner der Reformation rangen darum, die Wahrheit zu erkennen. Weil auch sie die wahre Lehre suchten und bis heute oft unübertroffen klar formulierten, bekennen wir sie mit ihnen. Das Bekenntnis ist damit ein guter Schutz gegen viele Arten von Irrlehren. Es dient der Einheit der Kirche, die nur in der Wahrheit zu finden ist. Ja, die massive Selbstzentriertheit und der Mangel an feststehenden Glaubenslehren sind sicherlich auch für den miserablen geistlichen Zustand vieler evangelikaler Gemeinden verantwortlich. Wie bewertest du den neuen „reformatorischen Geist“ im deutschsprachigen Raum? Vor allem junge Christen aus den verschiedensten Denominationen (Baptisten, Brüdergemeinden, Pfingstler, Landeskirche etc.) wenden sich immer öfter den reformatorischen Lehren zu. Das ist eine erfreuliche Entwicklung. Ich wünschte mir, dass diese Gruppen noch besser verknüpft wären und regelmäßig Kontakt miteinander pflegten. Ja, das wünschen wir uns als <strong>Magazin</strong> auch. Im „neuen“ Calvinismus findet man jedoch selten die ausgeprägte „klassische“ reformierte Ausrichtung, wie sie bei euch konsequent mit den Bekenntnissen praktiziert wird. Meiner Meinung nach sehen leider viele Reformierte die „Neuen Reformatorischen“ zu kritisch. Wie siehst du das? Obwohl ich mich selbst zur klassischen reformierten Richtung zähle, möchte ich dazu Folgendes sagen: Ich hoffe, dass „Calvinismus“ nicht zu einem hohen Ross verkommt, von dem man auf andere herabschaut. Die richtige Auslegung der Schrift – etwas, wofür Calvin vorrangig arbeitete – darf nicht bloß eine intellektuelle Auseinandersetzung sein. Die reformierte Lehre ist für die Seelsorge absolut notwendig. Wenn die Schrift inkorrekt ausgelegt wird, werden Menschen gezwungen, etwas zu tun, was sie nicht erreichen können. Ehrlich gesagt bedauere ich Christen, die sich mit irrenden theologischen Prinzipien abkämpfen. Gottes Barmherzigkeit gebietet, dass wir einander nicht verachten, sondern einander aufhelfen. Wer sich auf das hohe Ross seiner vermeintlichen Erkenntnis gesetzt hat, kann diesen nötigen Liebesdienst nicht leisten. 34
„Wir wissen, dass die Auslegung der Schrift nicht mit uns und unserer Erkenntnis beginnt.“