KUNSTINVESTOR AUSGABE JULI 2018
Kunst als Kapitalanlage AUSGABE JULI 2018 Chefredakteur: Michael Minassian
Kunst als Kapitalanlage
AUSGABE JULI 2018
Chefredakteur: Michael Minassian
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KUNST.INVESTOR News<br />
JINY LAN<br />
THE WORLD IS SOMETIMES FLAT,<br />
SOMETIMES ROUND<br />
Jiny Lan- „left, right?“, 2014-17<br />
Berlin- In einer Welt in der Wahrheit und Wahrhaftigkeit<br />
immer wieder durch Wahrheitsclaims und Wahrheitsverdrehungen<br />
irregeführt werden, sind Wahrheit und<br />
Scheinwahrheit kaum zu unter-scheiden. Jiny Lan<br />
kreiert in ihren Gemälden eine Narration, die zwischen<br />
eigener fiktionaler Erzählung und gegenwärtigen oder<br />
historischen Bezügen changiert. In ihren neuen<br />
bildnerisch gestalteten Szenerien unter dem Titel The<br />
World is Sometimes Flat, Sometimes Round, zu sehen<br />
im Projektraum schultz contemporary, scheint nichts<br />
real zu sein im Sinne von wahrhaftig. Alles scheint der<br />
Phantasie zu entspringen. Doch bei näherer<br />
Betrachtung flicht die, 1970 in Xiuyan im Osten Chinas<br />
geborene Künstlerin Reales in ihre surrealen Welten.<br />
Beim Betrachten ihrer Gemälde scheint das ein oder<br />
andere Motiv vertraut. Dies kann zum einen an Jiny<br />
Lans Bildprotagonisten liegen, zum anderen an ihren<br />
medienwirksamen Bildern, die es bis in die New York<br />
Times schaffen, wie ihr Selbstportrait als Frau von Mao<br />
Zedong. Oder an ihrer systematischen Arbeitsweise,<br />
denn jedes Bild übernimmt Elemente seines<br />
Vorgängerbildes und gibt Elemente wiederum an das<br />
nachfolgende weiter – in etwa wie Gene, die geerbt<br />
oder vererbt werden. So entstehen Serien und ganze<br />
Epen. Die Motive sind sorgfältig gewählt und dienen oft<br />
als Symbol, das die östliche mit der westlichen<br />
Kulturgeschichte verbindet. In Who is the Ruler of This<br />
World zeigt sie Mao Zedong als süßes, unschuldiges<br />
Baby und visualisiert gleichzeitig den Schrecken der<br />
Geschichte, der noch immer virulenten Mao-<br />
Vergangenheit. Das Baby hält ein Tablett in der rechten<br />
Hand. Darauf steht ein tapferer Soldat mit<br />
hocherhobenem Arm, wie wir ihn von Anselm Kiefers<br />
heroischen Sinnbildern aus den Jahren 1967-70<br />
kennen. Kiefer bezieht sich auf die grausame deutsche<br />
Nazi-vergangenheit. Vielleicht lässt es sich so<br />
formulieren: Beide Künstler erkunden auf ihre Weise<br />
das Trauma eines verheerenden Pathos, das die Hybris<br />
einer Vorstellung von weltbeherrschender Macht erfand<br />
und schließlich einen ganzen Kontinent an den Rand<br />
des Abgrunds stürzte und der noch immer nicht ganz<br />
gebannt ist. Jiny Lan studierte von 1991-94 an der<br />
Academy of Fine Arts in Zhejiang, China. 1995<br />
emigrierte sie nach Deutschland und pendelt seither<br />
zwischen China und Europa. Sie ist Gründungsmitglied<br />
der Bald Girls, der ersten chinesischen feministischen<br />
Künstlerinnengruppe und stellt u.a. in Beijing, Berlin,<br />
Düsseldorf, Hongkong, New York und Paris aus.<br />
[Foto:© Galerie Michael Schultz Berlin]