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Blickwinkel.<br />
Eine halbe Pflegestelle<br />
zusätzlich<br />
bis 40 Bewohner<br />
Die GroKo und die Pflege<br />
Von Prof. Dr. Roland Schmidt.<br />
Am 23. Mai 2018 stellte Bundesgesundheitsminister<br />
Jens Spahn (CDU)<br />
das Eckpunktepapier „Sofortprogramm<br />
Kranken- und Altenpflege“<br />
vor, auf das sich die Koalitionsparteien<br />
geeinigt haben. Dieses Sofortprogramm,<br />
das zum 1.1.2019<br />
bereits in Kraft treten soll, präzisiert<br />
nicht nur die Aussagen des Koalitionsvertrags<br />
von CDU/CSU und<br />
SPD, sondern geht darüber hinaus.<br />
Im Eckpunktepapier werden die<br />
Vorhaben der GroKo zu drei Themenbereichen<br />
benannt: „Pflege in<br />
der Altenpflege“, „Steigerung der<br />
Attraktivität von Kranken- und<br />
Altenpflege“ und – im Nachfolgenden<br />
nicht vorgestellt – „Pflege<br />
im Krankenhaus“. Die Kosten für<br />
das Sofortprogramm werden vom<br />
Bundesgesundheitsministerium auf<br />
jährlich rund eine Milliarde Euro<br />
bei den Krankenkassen beziffert.<br />
Verwiesen wird in diesem Zusammenhang<br />
auf deren derzeitige<br />
Rücklagen in Höhe von rund<br />
29 Milliarden Euro.<br />
Eine Pflegestelle<br />
zusätzlich<br />
41 bis 80 Bewohner<br />
Eineinhalb Pflegestellen<br />
zusätzlich<br />
81 bis 120 Bewohner<br />
In der Altenpflege werden unter<br />
anderem nunmehr 13.000 neue<br />
Stellen geschaffen. Einrichtungen<br />
mit bis zu 40 Bewohnern erhalten<br />
eine halbe, Einrichtungen zwischen<br />
41 und 80 Bewohnern eine und<br />
Einrichtungen zwischen 81 und 120<br />
Bewohnern eineinhalb und Einrichtungen<br />
mit mehr als 120 Bewohnern<br />
zwei Pflegestellen. Mit diesen<br />
zusätzlichen Stellen soll erreicht<br />
werden, dass der Aufwand der<br />
medizinischen Behandlungspflege<br />
pauschal teilweise abgedeckt wird,<br />
wie im Eckpunktepapier formuliert<br />
ist. Zur Finanzierung zahlt die<br />
Gesetzliche Krankenversicherung<br />
(GKV) jährlich einen Pauschalbetrag<br />
in den Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung.<br />
Der GKV-Spitzenverband<br />
erhebt bei den gesetzlichen<br />
Krankenkassen eine Umlage pro<br />
Versichertem, die private Krankenversicherung<br />
beteiligt sich anteilig.<br />
Damit soll sichergestellt werden,<br />
dass die Pflegebedürftigen durch die<br />
zusätzlichen Stellen nicht belastet<br />
werden.<br />
Zwei Pflegestellen<br />
zusätzlich<br />
mehr als 120 Bewohner<br />
Weiterhin wird die Verpflichtung<br />
der Pflegeeinrichtungen, Kooperationsverträge<br />
mit geeigneten Vertragsärzten<br />
und -zahnärzten abzuschließen,<br />
verbindlich gemacht. Die<br />
bisherige Soll-Bestimmung wird<br />
durch eine Muss-Bestimmung<br />
ersetzt. Auch werden die Kassenärztlichen<br />
Vereinigungen verpflichtet,<br />
bei Vorliegen des Antrags einer<br />
Pflegeeinrichtung zur Vermittlung<br />
eines Kooperationsvertrags innerhalb<br />
einer Frist von drei Monaten<br />
einen entsprechenden Vertrag zu<br />
vermitteln. Stationäre Pflegeeinrichtungen<br />
benennen hier eine verantwortliche<br />
Pflegefachkraft für die<br />
Zusammenarbeit. Auch werden<br />
Standards für eine schnittstellenund<br />
sektorenübergreifende elektronische<br />
Kommunikation festgelegt<br />
und alle Kooperationsverträge<br />
verpflichtend evaluiert.<br />
Zur Erhöhung der Attraktivität der<br />
Pflegeberufe wird die betriebliche<br />
Gesundheitsförderung ausgebaut.<br />
Die Krankenkassen werden verpflichtet,<br />
jährlich mehr als 70 Mio.<br />
Euro zur Gesundheitsförderung in<br />
Krankenhäusern und Pflegeheimen<br />
aufzuwenden. Daneben werden für<br />
vier Jahre Maßnahmen gefördert,<br />
um „besondere Betreuungsbedarfe“<br />
jenseits der üblichen Öffnungszeiten<br />
von Kitas abzudecken. Dies<br />
soll die Vereinbarkeit von Familie<br />
und Berufstätigkeit in der Pflege<br />
angesichts von Wochenend- und<br />
Nachtarbeit verbessern.<br />
Die Reaktionen auf das Eckpunktepapier<br />
fallen unterschiedlich aus.<br />
Seitens des Bundesverbands privater<br />
Anbieter sozialer Dienste wird die<br />
Aufstockung auf 13.000 neue<br />
Altenpflegestellen (statt 8.000 wie<br />
im Koalitionsvertrag festgelegt)<br />
gegen Kritik, dies sei nur ein Tropfen<br />
auf den heißen Stein, verteidigt.<br />
Allerdings stellt sich die Frage,<br />
woher diese Pflegekräfte kommen<br />
sollen. Der Deutsche Berufsverband<br />
für Pflegeberufe moniert, dass der<br />
Bereich der ambulanten Pflege<br />
unberücksichtigt geblieben ist. Der<br />
GKV-Spitzenverband kritisiert die<br />
„Querfinanzierung“ der neuen<br />
Pflegestellen in den Pflegeheimen<br />
aus der Krankenversicherung. Es<br />
wird befürchtet, dass ein solcher<br />
Finanztransfer Schule machen<br />
könnte.<br />
Wie dem auch sei: Wichtig ist, dass<br />
die Situation in der Kranken- und<br />
Altenpflege in die Aufmerksamkeitszonen<br />
der Politik gerückt und<br />
dringender Handlungsbedarf konstatiert<br />
wurde. Das stellt gegenüber<br />
den letzten Legislaturperioden<br />
einen markanten Unterschied dar.<br />
Kolumne.<br />
GerontoLogisch<br />
Vertrauenssache Alter(n)<br />
Vertrauen bestimmt einen wesentlichen<br />
Teil unseres Alltags – und das<br />
zumeist ohne dass wir aktiv darüber<br />
nachdenken müssen. Wir vertrauen<br />
einfach. So zum Beispiel darauf,<br />
dass unser Partner ehrlich zu uns ist,<br />
Autofahrer bei Rot halten oder eine<br />
höhere Macht uns schützt. Vertrauen<br />
trägt auf diese Weise zum Funktionieren<br />
unserer Gesellschaft bei und<br />
erlaubt es uns, den Fokus auf individuell<br />
bedeutsame Dinge zu richten.<br />
Forschungsbefunde zeigen, dass die<br />
Bereitschaft von Menschen, Vertrauen<br />
zu schenken, stark von biografischen<br />
Erfahrungen und situativen<br />
Gegebenheiten abhängt. Die Möglichkeit,<br />
sich anderen anzuvertrauen,<br />
wirkt sich ebenso wie intakte integre<br />
Vertrauensbeziehungen positiv auf<br />
die Lebensqualität aus. Vertrauen ist<br />
demnach mehr als ein funktionales<br />
Element – es beruht auf Beziehungen<br />
und deren Qualität.<br />
Zahlreiche Studien befassen sich<br />
mit dem Thema Vertrauen, jedoch<br />
nur wenige mit der Lebensphase<br />
Alter. Dies mag überraschen: Denn<br />
während wir für gewöhnlich selbst<br />
entscheiden, wem wir zu welcher<br />
Zeit unser Vertrauen schenken, kann<br />
diese Wahlfreiheit gerade im hohen<br />
Alter und speziell im Angesicht von<br />
Krankheit, Behinderung oder Pflegebedarf<br />
drastisch eingeschränkt sein.<br />
Insbesondere gilt dies mit Blick auf<br />
das Leben in einer Pflegeeinrichtung.<br />
In Deutschland wünschen sich<br />
die meisten Menschen, zu Hause<br />
leben, gepflegt werden und sterben<br />
zu können. Gedanken an einen<br />
möglichen Umzug in ein Pflegeheim<br />
sind oft mit angstbesetzten Vorstellungen<br />
und Vorurteilen verbunden.<br />
Daher sind diese Einrichtungen besonders<br />
gefragt, ihre Vertrauenswürdigkeit<br />
auch in täglichen Routinen<br />
zu beweisen.<br />
Die aktive Gestaltung vertrauenswürdiger<br />
Situationen ist ein bedeutsamer<br />
Teil qualifizierter Sorgearbeit<br />
für Menschen in einer von Verletzlichkeit<br />
geprägten Lebensphase und<br />
ist somit Teil der institutionellen<br />
Verantwortung für die in Pflegeund<br />
Wohneinrichtungen lebenden<br />
Menschen. Sie spiegelt sich im Gebrauch<br />
einer wertschätzenden und<br />
zugänglichen Sprache wider, in der<br />
Garantie von Freiheiten und Rückzugsorten,<br />
in Möglichkeiten, persönliche<br />
Beziehungen eingehen und<br />
Bedeutsamkeit für andere erfahren<br />
zu können. Vertrauen heißt jedoch<br />
auch, Menschen mit Pflegebedarf zu<br />
Wort kommen zu lassen, ihre Wünsche<br />
ernst zu nehmen und Verbindlichkeiten<br />
zu jeder Zeit einzuhalten.<br />
Und das ab dem ersten Tag.<br />
Florian Wernicke<br />
24 <strong>alternovum</strong> | 2/2018<br />
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