KOMÖDIE VON EUGÈNE LABICHE REGIE: FLORIAN REXER 6
HANDLUNG Schön war’s gestern Abend. Hoch die Tassen mit den Ehemaligen. Und dann? Da war doch was. Nur was? Wenn nur diese Gedächtnislücke nicht wäre. So ein Treffen mit alten Schulfreunden kann schon einmal aus den Fugen geraten. Monsieur Lenglumé ist sicher nicht der erste Mensch, dem es so ergeht. Als er am nächsten Morgen in seinem Bett erwacht, kann er sich nicht an alle Details der vergangenen Nacht erinnern. SKANDALÖSE EREIGNISSE Ein solches Detail liegt zudem neben ihm im Bett: Es ist nicht etwa seine Ehefrau, sondern ein ihm fremder Mann, der sich als Monsieur Mistingue vorstellt. Leider kann auch dieser keine weiteren Auskünfte geben, leidet er doch genauso unter seinen fehlenden Erinnerungen. Gemeinsam fragen sich die beiden Herren, woher wohl die Kohlestücke in den Hosentaschen stammen und was der Frauenschuh bei ihnen verloren hat. SKANDALÖSE NEUIGKEITEN Sicherheitshalber stellt Monsieur Lenglumé den neuen Bettnachbarn seiner Ehefrau als alten Schulfreund vor. Beim gemeinsamen Frühstück erfahren die beiden Schicksalsgenossen aus der Morgenzeitung von einem mysteriösen Mord. In der Rue de Lourcine wurde in der Nacht zuvor eine junge Kohlenschlepperin heimtückisch umgebracht. Die Polizei, so weiss die Zeitung zu berichten, geht von zwei Tätern aus. Für Lenglumé und Mistingue beginnt es, ungemütlich zu werden. Aus der nächtlichen Zecherei entwickelt sich doch am Ende nicht ein handfester Skandal? SKANDALÖSER FILMRISS Aber keine Sorge! Skandale lassen sich ja vorzüglich vertuschen, man muss nur die dazu geeigneten Massnahmen ergreifen. Erstens: Herausfinden, wer alles davon Wind bekommen hat. Zweitens: Mögliches Beweismaterial beiseite schaffen und die entsprechenden Mitwisser am besten gleich dazu. Mit diesen Methoden, da sind sich Lenglumé und Mistingue sicher, kann man die eigene gutbürgerliche Fassade perfekt aufrechterhalten. Ob dieser perfide Plan gelingt, liess sich bis zur Drucklegung dieses Programmheftes noch nicht sicher sagen. Das verehrte Publikum wird also Zeuge, wie die beiden angeblichen Schulfreunde versuchen, ihre kohlenschwarzen Hände nicht nur mit Wasser, sondern auch in reiner Unschuld zu waschen. SKANDALÖSER HUMOR Mit der «Affäre in der Rue de Lourcine» feiern die <strong>Schlossfestspiel</strong>e Hagenwil am 8. August <strong>2018</strong> ihre diesjährige Premiere. Die Komödie von Eugène Labiche aus dem Jahr 1857, die sich in einer eigenen Bearbeitung von Thea Reifler und Florian Rexer am französischen Original orientiert, verbindet Pariser Flair mit schwarzem Humor. Labiche nimmt in seinem Stück die Gesellschaft seiner Zeit aufs Korn. Er zeichnet mit viel schwarzem Humor ein Bild vom Bürger als Biedermann, der mehr um sein ordentliches Ansehen und seine persönlichen Verhältnisse besorgt ist, als sich um ein Verbrechen zu scheren. Doch damit nicht genug. Eugène Labiche war auch ein scharfer Beobachter der menschlichen Psyche. Sein heiteres Spiel dreht sich mit rasantem Tempo auch um beängstigende Erinnerungsnöte, verwirrende Identitäten und die pure Einbildungskraft, die aus einem scheinbar naheliegenden Gedanken Realität werden lässt – und damit erst so richtig in den Schlamassel führt. SKANDALÖSE FAKE-NEWS In Zeiten von Fake News und Facebook können heute genauso wie zu Labiches Zeiten Vermutungen schnell zu scheinbaren Gewissheiten werden. Ein falsches Wort – und der Shitstorm nimmt seinen Lauf. Intrigen werden zwar heute nicht mehr durch Zeitungsmeldungen ausgelöst, doch das Tempo in den sozialen Medien kann in unseren Tagen den persönlichen Ruf umso schneller schädigen. Anno <strong>2018</strong> haben nicht zuletzt Trump & Co. ein Klima geschaffen, in dem es darum geht, die eigene Weste möglichst rein zu halten und von den eigenen Verfehlungen wirkungsvoll abzulenken. Auf der anderen Seite geben die modernen Medien auch jenen eine Plattform, die bislang unter den Verfehlungen einer immer noch männlich dominierten Welt leiden mussten. Das zeigt nicht zuletzt die #MeToo-Debatte, die in vielen Ländern erdrutschartig zu unliebsamen Enthüllungen geführt hat. Wie schuldig oder unschuldig sich dabei die Beteiligten fühlen, und inwiefern man sich bemüht, die Hände reinzuwaschen, muss jeder mit sich selbst ausmachen. Genau so wie Lenglumé und Mistingue. «Die Affäre in der Rue de Lourcine» steht in der französischen Tradition des Vaudeville, einer Theaterform im 19. Jahrhundert, die Eugène Labiche meisterhaft beherrschte. Entstanden aus einer Liedgattung des 16. Jahrhunderts, entwickelte sich das Vaudeville zu einem Theaterstück, das wie ein Musical Lieder und Chansons enthielt. Um 1860 in die USA exportiert, wurde daraus eine Vaudeville-Bühnenshow aus Musik, Tanz, Akrobatik, die Stars wie Buster Keaton oder die Marx Brothers hervorbrachte. Im Innenhof des Wasserschlosses wird das Festspielpublikum ein echtes Hagenwiler Vaudeville erleben, musikalisch unterstützt vom Akkordeonisten Dražen Gvozdenović und mit wie gewohnt sprühend eigenwilligen Ideen. Lassen Sie sich also mitreissen von unserem Affären erschütterten Festspielsommer. Alle Rechte der Textfassung, insbesondere die der Aufführung durch Bühnen, Freie Gruppen und Amateurgruppen, der Vorlesung, Verfilmung und Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, sind ausschliesslich Florian Rexer vorbehalten. 7