06.09.2018 Aufrufe

FINE Das Weinmagazin, 1. Ausgabe - 01/2008

Lesen Sie in der erste Ausgabe von FINE Das Weinmagazin über das Weingut Robert Weil - Ein König im Reich des Rieslings. Was macht FINE Das Weinmagazin aus? Jede Ausgabe ist reich an passionierten Reportagen, exklusiven Hintergrundgeschichten und aktuellen Degustationen. Mit außergewöhnlicher Fotografie und anspruchsvollem Design erschließt das Magazin die Welt der feinsten, seltensten Weine. Weitere Themen: Steinheuers Restaurant Kapitalanlage Wein Barossa Valley, Die Seppelt-Collection Yquem 1811 - 2011 Château Pétrus

Lesen Sie in der erste Ausgabe von FINE Das Weinmagazin über das Weingut Robert Weil - Ein König im Reich des Rieslings.
Was macht FINE Das Weinmagazin aus? Jede Ausgabe ist reich an passionierten Reportagen, exklusiven Hintergrundgeschichten und aktuellen Degustationen. Mit außergewöhnlicher Fotografie und anspruchsvollem Design erschließt das Magazin die Welt der feinsten, seltensten Weine.

Weitere Themen:
Steinheuers Restaurant
Kapitalanlage Wein
Barossa Valley, Die Seppelt-Collection
Yquem 1811 - 2011
Château Pétrus

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

E U R O P E A N F I N E W I N E M A G A Z I N E<br />

Deutschland · Österreich · Schweiz · Skandinavien · Grossbritannien · USA · Australien<br />

4 197772 515002 <strong>01</strong><br />

1 / <strong>2008</strong> Deutschland € 15<br />

Österreich € 16,90<br />

Italien € 18,50<br />

Schweiz chf 30,00<br />

DAS WEINMAGAZIN<br />

Wein-Investment<br />

Garagenweine<br />

Pol Roger<br />

Baden in Wein<br />

Wein und Speisen<br />

Château Pétrus<br />

266<br />

grosse & seltene<br />

Weine verkostet<br />

Yquem 1811–20<strong>01</strong><br />

R I E S L I N G V O N W E I L


Hans-Joachim Vauk · Christianstraße 44 · 24534 Neumünster · www.hjvauk.de


10<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

11<br />

F I N E<br />

I N H A L T<br />

D I E G R O S S E N W E I N E D E R W E L T<br />

E U R O P E A N F I N E W I N E M A G A Z I N E<br />

Fine Inhalt<br />

<strong>FINE</strong> 1/<strong>2008</strong><br />

Fine Inhalt<br />

30<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

Der Jahrgang 20<strong>01</strong><br />

Ein warmer, feuchter Winter ging in einen milden März und einen kalten April<br />

über. Mai und Juni waren warm und trocken. Dadurch erfolgte eine gute<br />

und gleichmäßige Blüte, die auf eine frühe Weinlese hoffen ließ. Doch ein<br />

sehr kühler und nasser Juli wirkte sich ungünstig auf die Traubenbildung<br />

aus. Der August war durchwachsen: Intensive Hitzeperioden wechselten<br />

sich mit kalten Tagen ab. Der September begann kälter als im Jahr 2000<br />

und blieb die ersten drei Wochen lang kühl, doch glücklicherweise auch<br />

sehr trocken. Die Lese der roten Trauben begann in der letzten Septemberwoche,<br />

als die Temperaturen wieder anstiegen. Es blieb den ganzen Oktober<br />

über warm und regnete weniger als gewöhnlich. Die geringen Niederschläge<br />

konnten die Qualität des Weins nicht beeinträchtigen.<br />

Insgesamt waren die Traubenerträge recht hoch, doch da die meisten<br />

führenden Châteaux die Ernte beschränkt hatten und eine strengere Selektion<br />

als in den 1990ern anwendeten, war die Quantität des Jahrgangs<br />

geringer als sie noch zehn Jahre vorher gewesen war.<br />

Da der Jahrgang gleich auf den reichhaltigen und als erstklassig eingestuften<br />

2000er folgt und von zwei hoch gelobten Jahren – 2003 und<br />

2005 – abgelöst wird, wurde er von den meisten Käufern genauso übersehen<br />

wie der 1988er Jahrgang, der im Schatten der Jahrgänge unmittelbar<br />

vor und nach ihm steht.<br />

Wie der Jahrgang 1988 wird auch er als „klassischer“ Jahrgang bezeichnet,<br />

was auf einen höheren Säuregehalt und weniger vordergründige<br />

Frucht schließen lässt.<br />

Der Jahrgang zeichnet sich durch starke Ausgewogenheit reifer, doch<br />

nicht überreifer Frucht, frischer Säure und reifer Tannine aus. Die meisten<br />

seiner Weine sind jetzt trinkbar, und die besten unter ihnen werden wahrscheinlich<br />

hervorragend reifen.<br />

Auch war dieser Jahrgang auf beiden Seiten des Flusses gleichermaßen<br />

erfolgreich.<br />

Der Bordeaux-Jahrgang 20<strong>01</strong>:<br />

Unterschätzt –<br />

und nicht ohne<br />

Überraschungen<br />

In den letzten zwanzig Jahren habe ich jedes Jahr an der Degustation eines Bordeaux-<br />

Jahrgangs teilgenommen, der das erste Reifestadium erreicht hatte. Unsere Gruppe<br />

von Verkostern besteht aus erfahrenen Weinhändlern und -journalisten (Jancis Robinson,<br />

Steven Spurrier, James Suckling und Neil Martin). Gewöhnlich verkosten wir ungefähr<br />

hundert Weine blind in Flights von bis zu zwölf Weinen, die auf einer 20-Punkte-Skala<br />

bewertet werden.<br />

Meistens verkosten wir einen Jahrgang zehn Jahre nach der Lese, doch da der Jahrgang<br />

1997 im Großen und Ganzen eher enttäuscht hat, wurde das Thema für dieses Jahr abgewandelt.<br />

Wir wählten stattdessen einen Jahrgang aus, der nur sechs Jahre alt war.<br />

Dies war zwar sehr ungewöhnlich, doch wir meinten, dass er jetzt seine Trinkreife erreicht<br />

habe und auch noch lieferbar sei. Die Degustation wurde im Oktober 2007 von<br />

dem Weinhändler Farr Vintners in London arrangiert.<br />

«Ich hielt ihn<br />

für einen Pétrus»<br />

Text: Jan-Erik Paulson<br />

Fotos: Pekka Nuikki<br />

31<br />

F I N E<br />

B O R D E A U X<br />

Der Jahrgang 20<strong>01</strong><br />

Ein warmer, feuchter Winter ging in einen milden März und einen kalten April<br />

über. Mai und Juni waren warm und trocken. Dadurch erfolgte eine gute<br />

und gleichmäßige Blüte, die auf eine frühe Weinlese hoffen ließ. Doch ein<br />

sehr kühler und nasser Juli wirkte sich ungünstig auf die Traubenbildung<br />

aus. Der August war durchwachsen: Intensive Hitzeperioden wechselten<br />

sich mit kalten Tagen ab. Der September begann kälter als im Jahr 2000<br />

und blieb die ersten drei Wochen lang kühl, doch glücklicherweise auch<br />

sehr trocken. Die Lese der roten Trauben begann in der letzten Septemberwoche,<br />

als die Temperaturen wieder anstiegen. Es blieb den ganzen Oktober<br />

über warm und regnete weniger als gewöhnlich. Die geringen Niederschläge<br />

konnten die Qualität des Weins nicht beeinträchtigen.<br />

Insgesamt waren die Traubenerträge recht hoch, doch da die meisten<br />

führenden Châteaux die Ernte beschränkt hatten und eine strengere Selektion<br />

als in den 1990ern anwendeten, war die Quantität des Jahrgangs<br />

geringer als sie noch zehn Jahre vorher gewesen war.<br />

Da der Jahrgang gleich auf den reichhaltigen und als erstklassig eingestuften<br />

2000er folgt und von zwei hoch gelobten Jahren – 2003 und<br />

2005 – abgelöst wird, wurde er von den meisten Käufern genauso übersehen<br />

wie der 1988er Jahrgang, der im Schatten der Jahrgänge unmittelbar<br />

vor und nach ihm steht.<br />

Wie der Jahrgang 1988 wird auch er als „klassischer“ Jahrgang bezeichnet,<br />

was auf einen höheren Säuregehalt und weniger vordergründige<br />

Frucht schließen lässt.<br />

Der Jahrgang zeichnet sich durch starke Ausgewogenheit reifer, doch<br />

nicht überreifer Frucht, frischer Säure und reifer Tannine aus. Die meisten<br />

seiner Weine sind jetzt trinkbar, und die besten unter ihnen werden wahrscheinlich<br />

hervorragend reifen.<br />

Auch war dieser Jahrgang auf beiden Seiten des Flusses gleichermaßen<br />

erfolgreich.<br />

Der Bordeaux-Jahrgang 20<strong>01</strong>:<br />

Unterschätzt –<br />

und nicht ohne<br />

Überraschungen<br />

In den letzten zwanzig Jahren habe ich jedes Jahr an der Degustation eines Bordeaux-<br />

Jahrgangs teilgenommen, der das erste Reifestadium erreicht hatte. Unsere Gruppe<br />

von Verkostern besteht aus erfahrenen Weinhändlern und -journalisten (Jancis Robinson,<br />

Steven Spurrier, James Suckling und Neil Martin). Gewöhnlich verkosten wir ungefähr<br />

hundert Weine blind in Flights von bis zu zwölf Weinen, die auf einer 20-Punkte-Skala<br />

bewertet werden.<br />

Meistens verkosten wir einen Jahrgang zehn Jahre nach der Lese, doch da der Jahrgang<br />

1997 im Großen und Ganzen eher enttäuscht hat, wurde das Thema für dieses Jahr abgewandelt.<br />

Wir wählten stattdessen einen Jahrgang aus, der nur sechs Jahre alt war.<br />

Dies war zwar sehr ungewöhnlich, doch wir meinten, dass er jetzt seine Trinkreife erreicht<br />

habe und auch noch lieferbar sei. Die Degustation wurde im Oktober 2007 von<br />

dem Weinhändler Farr Vintners in London arrangiert.<br />

«Ich hielt ihn<br />

für einen Pétrus»<br />

Text: Jan-Erik Paulson<br />

Fotos: Pekka Nuikki<br />

82<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

Der steinige Weg der 1970 er<br />

Die 1970 er Jahre sind im Bordelais als eines der schwächsten Jahrzehnte<br />

überhaupt in Erinnerung geblieben. Händler und Winzer hatten von dieser<br />

Dekade eigentlich erwartet, das Märchen „Vom Tellerwäscher zum Millionär“<br />

würde sich für sie bewahrheiten und ihnen einen Ausgleich für die schlechten<br />

Ernten und finanziellen Verluste der 1960 er Jahre bieten. Doch kann man<br />

sie leider nur als eine Periode der rastlosen Gier nach Aufschwung und, am<br />

Ende, gar der trostlosen Verwüstung beschreiben.<br />

Nach der Abwertung des Francs im Jahr 1969 explodierte die Nachfrage<br />

nach Bordeaux auf den amerikanischen Märkten. <strong>Das</strong> Jahrzehnt begann mit<br />

einem phantastischen Start, der Jahrgang 1970 galt als perfekt. Top in der<br />

Qualität und enorm in der Menge. Dank der gewaltigen Produktion blieben<br />

die Preise auf einem stabilen Niveau. Der Umsatz stieg zwar durch neue<br />

Konsumenten kontinuierlich an, aber die Preise der klassifizierten Bordeaux-<br />

Gewächse schossen erst in schwindelerregende Höhen, als die Rothschild-<br />

Cousins ihren Preiskrieg begannen. Dieser enorme Anstieg zog sich durch<br />

alle Qualitätsebenen. Auch wenn das folgende Jahr geringere Erträge brachte<br />

(die immer noch hochqualitativ waren), stellten Nachfrage und Preise die<br />

Weingüter und Händler weiterhin zufrieden.<br />

Doch Anfang 1972 zwang die Änderung des Steuerwesens die Weinbauern,<br />

deren Umsatz eine halbe Million Francs überstieg, ihre Bestände<br />

an älteren Jahrgängen für den Markt freizugeben. Zeitgleich veränderte<br />

Richard Nixon das amerikanische Finanzwesen, indem er die letzte Verbindung<br />

zwischen Dollar und Gold kappte. Vor diesem Hintergrund begannen<br />

sich sehr schnell Anzeichen von Überhitzung zu zeigen. Die westliche Welt<br />

hatte nun Geld im Überfluss, Finanzierung war billig und Investoren trachteten<br />

danach, ihr Kapital in soliden Werten anzulegen, die mit der Inflation<br />

Schritt hielten: Anders als sonst nahmen sie nicht Devisen, sondern roten<br />

Bordeaux ins Visier. Die Bordeaux-Blase entstand 1972, als die Region eine<br />

der schwächsten Weinernten des Jahrhunderts erlebte. Obwohl sich jeder<br />

der schlechten Wetterbedingungen bewusst war, wurden erstmals in der<br />

Geschichte des Bordelais überbordende Preise für Weine bezahlt, bevor die<br />

Trauben überhaupt geerntet waren.<br />

Die große Nachfrage und die hohen Preise machten Zwischenhändlern<br />

das Leben schwer, die den Wein oftmals schon verkaufen mussten, bevor sie<br />

ihn erhielten. Die Weinknappheit traf viele von ihnen unerwartet, während<br />

andere wiederum alle Möglichkeiten nutzten, um die hinreichende Versorgung<br />

ihrer Kunden sicherzustellen und dabei immer noch einen profitablen<br />

Preis zu erzielen. Dies führte unglücklicherweise zu dem Skandal, der nicht<br />

nur den hoch geachteten Namen der Weinhändler-Dynastie Cruse zerstörte,<br />

sondern auch auf den gesamten Bordeauxhandel abfärbte.<br />

Schon zu Beginn jenes Jahres gab es Gerüchte über eine Revision der<br />

alten Klassifizierung aus dem Jahr 1855. Und dann beförderte Jacques Chirac,<br />

damals französischer Agrarminister, Château Mouton-Rothschild zu einem<br />

Gewächs der ersten Kategorie.<br />

Der Aufschwung im Bordelais endete im Jahr 1973 abrupt mit dem<br />

wirtschaftlichen Einbruch und der Rezession, ausgelöst durch die globale<br />

Ölkrise. Bis zum Ende des Jahrzehnts sollten sich die Bordeaux-Weingüter<br />

und -händler nicht mehr erholen. Kaum ein Winzer investierte noch in die<br />

Betriebsausstattungen, und das führte – verschärft durch die schlechten Ernten<br />

– zur Minderung der Weinqualität für den Rest des Jahrzehnts.<br />

Erwähnenswert ist auch die Veränderung in der Produktion, die sich zur<br />

selben Zeit vollzog. Die von 1969 an vorgeschriebene Weingutabfüllung<br />

sollte ebenfalls Einfluss auf die Qualität der Weine nehmen – und keineswegs<br />

einen guten. Châteaux, die ihre Weine vorher nicht selbst abgefüllt<br />

hatten, besaßen deshalb auch nicht die nötige Ausrüstung, ganz zu schweigen<br />

von dem Know-how, das Abfüllen ohne Qualitätsverlust vorzunehmen.<br />

Weine wurden Fass für Fass abgefüllt, ohne sie zu verschneiden. <strong>Das</strong> führte<br />

zu gewaltigen Qualitätsunterschieden zwischen den einzelnen Fässern. Vor<br />

1969 wählten die Händler ihre Weine fassweise aus und verschnitten sie<br />

dann oft, um gleichmäßige Qualität zu garantieren. Gut verdienende Négociants<br />

konnten in die Abfüllung und die Weinkellerausrüstung investieren,<br />

während von den Weingütern erwartet wurde, dass sie ihren Gewinn in die<br />

Pflege der Weinberge und in die Vinifikation steckten. Es waren auch die<br />

Händler, nicht die Winzer, die gute Beziehungen zu Flaschen- und Korkproduzenten<br />

unterhielten. Sie lieferten ihnen die besten Flaschen und den<br />

besten Kork. Der entscheidende Faktor für eine gute Qualität war bei der<br />

Abfüllung jedoch das Timing: Die Négociants füllten ab, sobald die Weine<br />

die angemessene Reife besaßen, die Weingüter hingegen, sobald sie Zeit<br />

dazu hatten.<br />

Diese Faktoren erklären, weshalb die Qualität so vieler Châteaux in<br />

den 1970 ern kollabierte. Nicht einmal ein Topname konnte für Qualität<br />

garantieren. Die beständigsten Hersteller in diesem Jahrzehnt, und damit<br />

heute die besten Käufe, waren Pétrus, Latour, La Mission Haut-Brion und<br />

Trotanoy.<br />

Betrachtet man die einzelnen Jahrgänge, so erlebte das Jahrzehnt einen<br />

guten Start: Der Jahrgang 1970 verzeichnete die größte Ernte seit 1934 –<br />

eine Produktion von nahezu 270 Millionen Flaschen Wein mit kontrollierter<br />

Herkunftsbezeichnung (AOC). Die wunderbar reifen Rotweine ragten dabei<br />

heraus. Die Weißen hingegen ließen die Säure vermissen. Sauternes fehlte<br />

es an Gehalt wegen eines allzu mäßigen Botrytis-Befalls. Die Roten waren<br />

generell geprägt durch intensive Fruchtigkeit, reichlich reife Tannine und<br />

ausgeglichene Säure. Sie reiften langsamer als erwartet, sind aber dafür heute<br />

eine wahre Freude. Ein großes Problem ist die beschriebene unterschiedliche<br />

Qualität von Flasche zu Flasche. Der beständigste Wein ist Pétrus, obwohl<br />

Latour im Allgemeinen als der beste Wein dieses Jahrgangs angesehen wird.<br />

Andere exzellente Weine sind Palmer, Latour-à-Pomerol und Montrose.<br />

Als größte Enttäuschung des Jahrgangs hat sich Mouton-Rothschild<br />

herausgestellt. <strong>Das</strong> Weingut litt zudem unter einer schlechten Reputation.<br />

Entstanden war sie durch das Geschäftsgebaren eines Großhändlers in den<br />

USA, der 20.000 bis 30.000 Flaschen erworben hatte. Aus unbekannten<br />

Gründen verkaufte er nur einen kleinen Teil dieser Kollektion in den Staaten<br />

und schickte den Rest zurück nach Europa. Die Flaschen blieben aber auf<br />

der Hin- und Rückreise nicht zu ihrem Vorteil für lange Zeit in der Hitze<br />

des Panamakanals liegen. Dies führte dazu, dass es heute auf dem Markt eine<br />

große Menge 1970 er Mouton-Rothschild zu sehr günstigen Preisen gibt, im<br />

Durchschnitt zu siebzig Euro pro Flasche. Leider sind diese Flaschen allzu<br />

oft von beklagenswerter Qualität.<br />

Die besten Erfahrungen mit dem 1970 er Jahrgang waren zuletzt:<br />

Château Pétrus 1970<br />

98 P (PN)<br />

Château Latour 1970<br />

98 P (PN)<br />

Château Palmer 1970<br />

93 P (PN)<br />

Château Latour-à-Pomerol 1970<br />

94 P (PN)<br />

Château Ducru-Beaucaillou 1970<br />

93 P (PN)<br />

Château Montrose 1970<br />

92 P (PN)<br />

Château Cos d’Estournel 1970<br />

91 P (PN)<br />

Jahrgänge<br />

1970 – 2005<br />

D ie Geschichte des Bordelais ist die faszinierendste aller Weinbauregionen. Über<br />

Jahrhunderte hinweg kam es hier immer wieder zu bedeutsamen Veränderungen.<br />

Für die Entwicklung der Qualität aber waren die letzten fünfunddreißig Jahre die spannendsten.<br />

Der holprige Weg der 1970er Jahre ebnete sich zu einer schnittigen Rennbahn in<br />

den Achtzigern, und die Hindernisse der frühen 1990er räumte das neue Millennium aus<br />

dem Weg. Wir haben die Erfahrungen aus drei Weinjahrzehnten gesammelt und daraus<br />

einen Leitfaden zu jenen Weinen gewonnen, die den Genießern jetzt das größte Vergnügen<br />

bereiten können und die es wert sind, dass man in sie investiert – oder sie besser meidet.<br />

Text: Pekka Nuikki und Juha Lihtonen<br />

83<br />

F I N E<br />

B O R D E A U X<br />

Der steinige Weg der 1970 er<br />

Die 1970 er Jahre sind im Bordelais als eines der schwächsten Jahrzehnte<br />

überhaupt in Erinnerung geblieben. Händler und Winzer hatten von dieser<br />

Dekade eigentlich erwartet, das Märchen „Vom Tellerwäscher zum Millionär“<br />

würde sich für sie bewahrheiten und ihnen einen Ausgleich für die schlechten<br />

Ernten und finanziellen Verluste der 1960 er Jahre bieten. Doch kann man<br />

sie leider nur als eine Periode der rastlosen Gier nach Aufschwung und, am<br />

Ende, gar der trostlosen Verwüstung beschreiben.<br />

Nach der Abwertung des Francs im Jahr 1969 explodierte die Nachfrage<br />

nach Bordeaux auf den amerikanischen Märkten. <strong>Das</strong> Jahrzehnt begann mit<br />

einem phantastischen Start, der Jahrgang 1970 galt als perfekt. Top in der<br />

Qualität und enorm in der Menge. Dank der gewaltigen Produktion blieben<br />

die Preise auf einem stabilen Niveau. Der Umsatz stieg zwar durch neue<br />

Konsumenten kontinuierlich an, aber die Preise der klassifizierten Bordeaux-<br />

Gewächse schossen erst in schwindelerregende Höhen, als die Rothschild-<br />

Cousins ihren Preiskrieg begannen. Dieser enorme Anstieg zog sich durch<br />

alle Qualitätsebenen. Auch wenn das folgende Jahr geringere Erträge brachte<br />

(die immer noch hochqualitativ waren), stellten Nachfrage und Preise die<br />

Weingüter und Händler weiterhin zufrieden.<br />

Doch Anfang 1972 zwang die Änderung des Steuerwesens die Weinbauern,<br />

deren Umsatz eine halbe Million Francs überstieg, ihre Bestände<br />

an älteren Jahrgängen für den Markt freizugeben. Zeitgleich veränderte<br />

Richard Nixon das amerikanische Finanzwesen, indem er die letzte Verbindung<br />

zwischen Dollar und Gold kappte. Vor diesem Hintergrund begannen<br />

sich sehr schnell Anzeichen von Überhitzung zu zeigen. Die westliche Welt<br />

hatte nun Geld im Überfluss, Finanzierung war billig und Investoren trachteten<br />

danach, ihr Kapital in soliden Werten anzulegen, die mit der Inflation<br />

Schritt hielten: Anders als sonst nahmen sie nicht Devisen, sondern roten<br />

Bordeaux ins Visier. Die Bordeaux-Blase entstand 1972, als die Region eine<br />

der schwächsten Weinernten des Jahrhunderts erlebte. Obwohl sich jeder<br />

der schlechten Wetterbedingungen bewusst war, wurden erstmals in der<br />

Geschichte des Bordelais überbordende Preise für Weine bezahlt, bevor die<br />

Trauben überhaupt geerntet waren.<br />

Die große Nachfrage und die hohen Preise machten Zwischenhändlern<br />

das Leben schwer, die den Wein oftmals schon verkaufen mussten, bevor sie<br />

ihn erhielten. Die Weinknappheit traf viele von ihnen unerwartet, während<br />

andere wiederum alle Möglichkeiten nutzten, um die hinreichende Versorgung<br />

ihrer Kunden sicherzustellen und dabei immer noch einen profitablen<br />

Preis zu erzielen. Dies führte unglücklicherweise zu dem Skandal, der nicht<br />

nur den hoch geachteten Namen der Weinhändler-Dynastie Cruse zerstörte,<br />

sondern auch auf den gesamten Bordeauxhandel abfärbte.<br />

Schon zu Beginn jenes Jahres gab es Gerüchte über eine Revision der<br />

alten Klassifizierung aus dem Jahr 1855. Und dann beförderte Jacques Chirac,<br />

damals französischer Agrarminister, Château Mouton-Rothschild zu einem<br />

Gewächs der ersten Kategorie.<br />

Der Aufschwung im Bordelais endete im Jahr 1973 abrupt mit dem<br />

wirtschaftlichen Einbruch und der Rezession, ausgelöst durch die globale<br />

Ölkrise. Bis zum Ende des Jahrzehnts sollten sich die Bordeaux-Weingüter<br />

und -händler nicht mehr erholen. Kaum ein Winzer investierte noch in die<br />

Betriebsausstattungen, und das führte – verschärft durch die schlechten Ernten<br />

– zur Minderung der Weinqualität für den Rest des Jahrzehnts.<br />

Erwähnenswert ist auch die Veränderung in der Produktion, die sich zur<br />

selben Zeit vollzog. Die von 1969 an vorgeschriebene Weingutabfüllung<br />

sollte ebenfalls Einfluss auf die Qualität der Weine nehmen – und keineswegs<br />

einen guten. Châteaux, die ihre Weine vorher nicht selbst abgefüllt<br />

hatten, besaßen deshalb auch nicht die nötige Ausrüstung, ganz zu schweigen<br />

von dem Know-how, das Abfüllen ohne Qualitätsverlust vorzunehmen.<br />

Weine wurden Fass für Fass abgefüllt, ohne sie zu verschneiden. <strong>Das</strong> führte<br />

zu gewaltigen Qualitätsunterschieden zwischen den einzelnen Fässern. Vor<br />

1969 wählten die Händler ihre Weine fassweise aus und verschnitten sie<br />

dann oft, um gleichmäßige Qualität zu garantieren. Gut verdienende Négociants<br />

konnten in die Abfüllung und die Weinkellerausrüstung investieren,<br />

während von den Weingütern erwartet wurde, dass sie ihren Gewinn in die<br />

Pflege der Weinberge und in die Vinifikation steckten. Es waren auch die<br />

Händler, nicht die Winzer, die gute Beziehungen zu Flaschen- und Korkproduzenten<br />

unterhielten. Sie lieferten ihnen die besten Flaschen und den<br />

besten Kork. Der entscheidende Faktor für eine gute Qualität war bei der<br />

Abfüllung jedoch das Timing: Die Négociants füllten ab, sobald die Weine<br />

die angemessene Reife besaßen, die Weingüter hingegen, sobald sie Zeit<br />

dazu hatten.<br />

Diese Faktoren erklären, weshalb die Qualität so vieler Châteaux in<br />

den 1970 ern kollabierte. Nicht einmal ein Topname konnte für Qualität<br />

garantieren. Die beständigsten Hersteller in diesem Jahrzehnt, und damit<br />

heute die besten Käufe, waren Pétrus, Latour, La Mission Haut-Brion und<br />

Trotanoy.<br />

Betrachtet man die einzelnen Jahrgänge, so erlebte das Jahrzehnt einen<br />

guten Start: Der Jahrgang 1970 verzeichnete die größte Ernte seit 1934 –<br />

eine Produktion von nahezu 270 Millionen Flaschen Wein mit kontrollierter<br />

Herkunftsbezeichnung (AOC). Die wunderbar reifen Rotweine ragten dabei<br />

heraus. Die Weißen hingegen ließen die Säure vermissen. Sauternes fehlte<br />

es an Gehalt wegen eines allzu mäßigen Botrytis-Befalls. Die Roten waren<br />

generell geprägt durch intensive Fruchtigkeit, reichlich reife Tannine und<br />

ausgeglichene Säure. Sie reiften langsamer als erwartet, sind aber dafür heute<br />

eine wahre Freude. Ein großes Problem ist die beschriebene unterschiedliche<br />

Qualität von Flasche zu Flasche. Der beständigste Wein ist Pétrus, obwohl<br />

Latour im Allgemeinen als der beste Wein dieses Jahrgangs angesehen wird.<br />

Andere exzellente Weine sind Palmer, Latour-à-Pomerol und Montrose.<br />

Als größte Enttäuschung des Jahrgangs hat sich Mouton-Rothschild<br />

herausgestellt. <strong>Das</strong> Weingut litt zudem unter einer schlechten Reputation.<br />

Entstanden war sie durch das Geschäftsgebaren eines Großhändlers in den<br />

USA, der 20.000 bis 30.000 Flaschen erworben hatte. Aus unbekannten<br />

Gründen verkaufte er nur einen kleinen Teil dieser Kollektion in den Staaten<br />

und schickte den Rest zurück nach Europa. Die Flaschen blieben aber auf<br />

der Hin- und Rückreise nicht zu ihrem Vorteil für lange Zeit in der Hitze<br />

des Panamakanals liegen. Dies führte dazu, dass es heute auf dem Markt eine<br />

große Menge 1970 er Mouton-Rothschild zu sehr günstigen Preisen gibt, im<br />

Durchschnitt zu siebzig Euro pro Flasche. Leider sind diese Flaschen allzu<br />

oft von beklagenswerter Qualität.<br />

Die besten Erfahrungen mit dem 1970 er Jahrgang waren zuletzt:<br />

Château Pétrus 1970<br />

98 P (PN)<br />

Château Latour 1970<br />

98 P (PN)<br />

Château Palmer 1970<br />

93 P (PN)<br />

Château Latour-à-Pomerol 1970<br />

94 P (PN)<br />

Château Ducru-Beaucaillou 1970<br />

93 P (PN)<br />

Château Montrose 1970<br />

92 P (PN)<br />

Château Cos d’Estournel 1970<br />

91 P (PN)<br />

Jahrgänge<br />

1970 – 2005<br />

D ie Geschichte des Bordelais ist die faszinierendste aller Weinbauregionen. Über<br />

Jahrhunderte hinweg kam es hier immer wieder zu bedeutsamen Veränderungen.<br />

Für die Entwicklung der Qualität aber waren die letzten fünfunddreißig Jahre die spannendsten.<br />

Der holprige Weg der 1970er Jahre ebnete sich zu einer schnittigen Rennbahn in<br />

den Achtzigern, und die Hindernisse der frühen 1990er räumte das neue Millennium aus<br />

dem Weg. Wir haben die Erfahrungen aus drei Weinjahrzehnten gesammelt und daraus<br />

einen Leitfaden zu jenen Weinen gewonnen, die den Genießern jetzt das größte Vergnügen<br />

bereiten können und die es wert sind, dass man in sie investiert – oder sie besser meidet.<br />

Text: Pekka Nuikki und Juha Lihtonen<br />

94<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

<strong>Das</strong> Mysterium: Wenn sich<br />

Wein in Gold verwandelt<br />

A ls eines späten Septembermorgens die Sonne aufgeht,<br />

ziehen Nebelschleier über die kalten Wasser<br />

des Ciron. Sie gleiten rasch über die Weinberge und<br />

lassen sich dann auf den Hängen nieder. Als die ersten<br />

Sonnenstrahlen die Hügel streifen, zerreisst<br />

ihre Wärme den Nebel, und zwischen den Rebstöcken<br />

werden die Umrisse von Weinpflückern sichtbar. Sie<br />

gehen gebückt und sammeln die von Schimmel umhüllten<br />

Trockenbeeren ein, sehr sorgsam, eine nach der<br />

anderen, Beere für Beere. Die erste Lese des 1896 er<br />

Jahrgangs auf Château d’Yquem hat begonnen.<br />

D ie Ernte des 1896 er Jahrgangs begann im Auftrag<br />

von Amade de Lur-Saluces am 2<strong>1.</strong> September, als<br />

die Sonne noch für weitere fünf Tage scheinen sollte. Der<br />

sorgfältige erste Lesedurchgang ergab ein Dutzend Fässer<br />

sehr konzentrierten Weins. Nach zwei regenreichen Tagen<br />

wurde mit der zweiten Lese begonnen. <strong>Das</strong> gute Wetter<br />

hielt sich nur einen Tag, aber das Resultat waren fünfzehn<br />

großartige Fässer. Die Pflücker kehrten eine Woche<br />

später zum dritten Mal zu den von der Edelfäule Botrytis<br />

cinerea befallenen Trauben zurück. Wechselhaftes Wetter<br />

kündigte nun eine näher rückende Regenfront an. Die<br />

Gewissheit über das, was da im Anzug war, beschleunigte<br />

die Geschwindigkeit der Pflücker, und die Ernte steigerte<br />

sich auf vierundzwanzig Fässer am Tag. Der unerbittliche<br />

Regen kam drei Tage später und unterbrach die Arbeit<br />

für eine Woche. Auch die vierte Lese wurde immer wieder<br />

von Regenschauern gestört, aber das Resultat waren<br />

zweihundert Fässer in vier Tagen – damals eine außerordentliche<br />

Leistung. Allerdings fiel der Alkoholgehalt auf<br />

vierzehn Grad. Die fünfte und letzte Ernte ergab dreihundert<br />

Fässer in einem extrem schlechten Zustand. Der<br />

potenzielle Alkoholgehalt fiel unter zehn Grad – diese<br />

Trauben konnten für den Grand Vin nicht genutzt werden.<br />

Alles in allem wurden 826 Fässer bei einem Ertrag<br />

von zweiundzwanzig Hektoliter pro Hektar unter sehr<br />

unterschiedlichen Bedingungen geerntet. Aber nur das<br />

erste Viertel konnte den strengen Anforderungen von<br />

Château d’Yquem genügen.<br />

Text und Fotos: Pekka Nuikki<br />

95<br />

F I N E<br />

B O R D E A U X<br />

<strong>Das</strong> Mysterium: Wenn sich<br />

Wein in Gold verwandelt<br />

A ls eines späten Septembermorgens die Sonne aufgeht,<br />

ziehen Nebelschleier über die kalten Wasser<br />

des Ciron. Sie gleiten rasch über die Weinberge und<br />

lassen sich dann auf den Hängen nieder. Als die ersten<br />

Sonnenstrahlen die Hügel streifen, zerreisst<br />

ihre Wärme den Nebel, und zwischen den Rebstöcken<br />

werden die Umrisse von Weinpflückern sichtbar. Sie<br />

gehen gebückt und sammeln die von Schimmel umhüllten<br />

Trockenbeeren ein, sehr sorgsam, eine nach der<br />

anderen, Beere für Beere. Die erste Lese des 1896 er<br />

Jahrgangs auf Château d’Yquem hat begonnen.<br />

D ie Ernte des 1896 er Jahrgangs begann im Auftrag<br />

von Amade de Lur-Saluces am 2<strong>1.</strong> September, als<br />

die Sonne noch für weitere fünf Tage scheinen sollte. Der<br />

sorgfältige erste Lesedurchgang ergab ein Dutzend Fässer<br />

sehr konzentrierten Weins. Nach zwei regenreichen Tagen<br />

wurde mit der zweiten Lese begonnen. <strong>Das</strong> gute Wetter<br />

hielt sich nur einen Tag, aber das Resultat waren fünfzehn<br />

großartige Fässer. Die Pflücker kehrten eine Woche<br />

später zum dritten Mal zu den von der Edelfäule Botrytis<br />

cinerea befallenen Trauben zurück. Wechselhaftes Wetter<br />

kündigte nun eine näher rückende Regenfront an. Die<br />

Gewissheit über das, was da im Anzug war, beschleunigte<br />

die Geschwindigkeit der Pflücker, und die Ernte steigerte<br />

sich auf vierundzwanzig Fässer am Tag. Der unerbittliche<br />

Regen kam drei Tage später und unterbrach die Arbeit<br />

für eine Woche. Auch die vierte Lese wurde immer wieder<br />

von Regenschauern gestört, aber das Resultat waren<br />

zweihundert Fässer in vier Tagen – damals eine außerordentliche<br />

Leistung. Allerdings fiel der Alkoholgehalt auf<br />

vierzehn Grad. Die fünfte und letzte Ernte ergab dreihundert<br />

Fässer in einem extrem schlechten Zustand. Der<br />

potenzielle Alkoholgehalt fiel unter zehn Grad – diese<br />

Trauben konnten für den Grand Vin nicht genutzt werden.<br />

Alles in allem wurden 826 Fässer bei einem Ertrag<br />

von zweiundzwanzig Hektoliter pro Hektar unter sehr<br />

unterschiedlichen Bedingungen geerntet. Aber nur das<br />

erste Viertel konnte den strengen Anforderungen von<br />

Château d’Yquem genügen.<br />

Text und Fotos: Pekka Nuikki<br />

36<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

So sieht sie aus, die «Domaine de la Romanée-Conti von<br />

Pomerol» : 1979 kaufte der Belgier Jacques Thienpont das<br />

Weingut Le Pin – seit 1982 entsteht in dem bescheidenen<br />

Haus der ebenso geschätzte wie kostbare Kultwein.<br />

d AVID UND GOLIATH<br />

I N B O R D E A U X<br />

Text: Essi Avellan MW<br />

Fotos: Pekka Nuikki<br />

G<br />

Krieg den Châteaux,<br />

Friede den Garagen?<br />

I n den vergangenen fünfzehn Jahren hat sich<br />

im Bordelais eine harte Konkurrenz entwickelt.<br />

Newcomer, ganz besonders die so genannten<br />

Garagisten, haben die traditionellen<br />

Weingüter herausgefordert. Zwar rühmen sich<br />

die namhaften Hersteller ihrer einzigartigen<br />

Terroirs, doch die Provokateure sind eine harte<br />

Konkurrenz für sie geworden. Auf ihrem bescheidenen<br />

Boden produzieren sie vollmundige,<br />

intensive Weine, die sowohl bei dem amerikanischen<br />

Weinkritiker Robert Parker als auch<br />

bei den Geniessern grossen Anklang finden. <strong>Das</strong><br />

Wettrennen zwischen der neuesten Technologie<br />

und den renommierten önologischen Beratern<br />

ist hart. Jede der beiden Seiten hat schon etliche<br />

Etappen für sich entscheiden können.<br />

Doch wer wird am Ende der Sieger sein?<br />

Krieg den Châteaux,<br />

Friede den Garagen?<br />

I n den vergangenen fünfzehn Jahren hat<br />

sich im Bordelais eine harte Konkurrenz<br />

entwickelt. Newcomer, ganz besonders die so<br />

genannten Garagisten, haben die traditionellen<br />

Weingüter herausgefordert. Zwar rühmen<br />

sich die namhaften Hersteller ihrer einzigartigen<br />

Terroirs, doch die Provokateure sind eine<br />

harte Konkurrenz für sie geworden. Auf ihrem<br />

bescheidenen Boden produzieren die vollmundige,<br />

intensive Weine, die sowohl bei dem amerikanischen<br />

Weinkritiker Robert Parker als auch<br />

bei den Geniessern grossen Anklang finden. <strong>Das</strong><br />

Wettrennen zwischen der neuesten Technologie<br />

und den renommierten önologischen Beratern<br />

ist hart. Einzelne Etappen wurden schon von<br />

beiden Seiten gewonnen.<br />

Doch wer wird am Ende der Sieger sein?<br />

Saint-Émilion Grand Cru:<br />

Auf dem Weg zu Château Valandraud<br />

37<br />

F I N E<br />

B O R D E A U X<br />

So sieht sie aus, die «Domaine de la Romanée-Conti von<br />

Pomerol» : 1979 kaufte der Belgier Jacques Thienpont das<br />

Weingut Le Pin – seit 1982 entsteht in dem bescheidenen<br />

Haus der ebenso geschätzte wie kostbare Kultwein.<br />

d AVID UND GOLIATH<br />

I N B O R D E A U X<br />

Text: Essi Avellan MW<br />

Fotos: Pekka Nuikki<br />

G<br />

Krieg den Châteaux,<br />

Friede den Garagen?<br />

I n den vergangenen fünfzehn Jahren hat sich<br />

im Bordelais eine harte Konkurrenz entwickelt.<br />

Newcomer, ganz besonders die so genannten<br />

Garagisten, haben die traditionellen<br />

Weingüter herausgefordert. Zwar rühmen sich<br />

die namhaften Hersteller ihrer einzigartigen<br />

Terroirs, doch die Provokateure sind eine harte<br />

Konkurrenz für sie geworden. Auf ihrem bescheidenen<br />

Boden produzieren sie vollmundige,<br />

intensive Weine, die sowohl bei dem amerikanischen<br />

Weinkritiker Robert Parker als auch<br />

bei den Geniessern grossen Anklang finden. <strong>Das</strong><br />

Wettrennen zwischen der neuesten Technologie<br />

und den renommierten önologischen Beratern<br />

ist hart. Jede der beiden Seiten hat schon etliche<br />

Etappen für sich entscheiden können.<br />

Doch wer wird am Ende der Sieger sein?<br />

Krieg den Châteaux,<br />

Friede den Garagen?<br />

I n den vergangenen fünfzehn Jahren hat<br />

sich im Bordelais eine harte Konkurrenz<br />

entwickelt. Newcomer, ganz besonders die so<br />

genannten Garagisten, haben die traditionellen<br />

Weingüter herausgefordert. Zwar rühmen<br />

sich die namhaften Hersteller ihrer einzigartigen<br />

Terroirs, doch die Provokateure sind eine<br />

harte Konkurrenz für sie geworden. Auf ihrem<br />

bescheidenen Boden produzieren die vollmundige,<br />

intensive Weine, die sowohl bei dem amerikanischen<br />

Weinkritiker Robert Parker als auch<br />

bei den Geniessern grossen Anklang finden. <strong>Das</strong><br />

Wettrennen zwischen der neuesten Technologie<br />

und den renommierten önologischen Beratern<br />

ist hart. Einzelne Etappen wurden schon von<br />

beiden Seiten gewonnen.<br />

Doch wer wird am Ende der Sieger sein?<br />

Saint-Émilion Grand Cru:<br />

Auf dem Weg zu Château Valandraud<br />

60<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

Die Dollase-Kolumne<br />

Der Zusammenhang zwischen Wein und Essen ist noch nicht<br />

wirklich präzise erfasst. Aus der Sicht einer weiterentwickelten<br />

Sensorik des Essens befinden sich die Überlegungen sogar noch<br />

in einem sehr frühen Stadium. Ratschläge zum Akkord von Wein<br />

und Speisen sind fast immer viel zu allgemein, und schon erste<br />

Vorüberlegungen lassen vermuten, dass sich bei einer genaueren<br />

Betrachtung völlig neue Genusswelten öffnen können. Selbst in<br />

wichtigen Büchern zum Thema bleibt es bei den typischen Erläuterungen,<br />

nach denen zum Beispiel ein Chablis zu einer Languste<br />

mit einer sahnigen Weißweinsauce passt, „weil sich das Fett gut<br />

mit dem Langustenfleisch verbindet und das die mineralischen<br />

Noten des Weines hervorhebt“. Sätze wie diese finden sich zum<br />

Beispiel in bekannten Standardwerken von Alain Senderens („Le<br />

Vin et la Table“/1999, daraus stammt das Beispiel), Philippe Bourguignon<br />

(„L’Accord parfait“/1997), Philippe Faure-Brac („Vins et<br />

mets du monde“/2004) oder auch von Enrico Bernardo („Savoir<br />

goûter le vin“/2005).<br />

Worin liegt also das Problem?<br />

Text: Jürgen Dollase<br />

Fotos: Guido Bittner<br />

61<br />

F I N E<br />

W E I N & S P E I S E N<br />

Die Dollase-Kolumne<br />

Wein<br />

&<br />

Speisen<br />

Der Zusammenhang zwischen Wein und Essen ist noch nicht<br />

wirklich präzise erfasst. Aus der Sicht einer weiterentwickelten<br />

Sensorik des Essens befinden sich die Überlegungen sogar noch<br />

in einem sehr frühen Stadium. Ratschläge zum Akkord von Wein<br />

und Speisen sind fast immer viel zu allgemein, und schon erste<br />

Vorüberlegungen lassen vermuten, dass sich bei einer genaueren<br />

Betrachtung völlig neue Genusswelten öffnen können. Selbst in<br />

wichtigen Büchern zum Thema bleibt es bei den typischen Erläuterungen,<br />

nach denen zum Beispiel ein Chablis zu einer Languste<br />

mit einer sahnigen Weißweinsauce passt, „weil sich das Fett gut<br />

mit dem Langustenfleisch verbindet und das die mineralischen<br />

Noten des Weines hervorhebt“. Sätze wie diese finden sich zum<br />

Beispiel in bekannten Standardwerken von Alain Senderens („Le<br />

Vin et la Table“/1999, daraus stammt das Beispiel), Philippe Bourguignon<br />

(„L’Accord parfait“/1997), Philippe Faure-Brac („Vins et<br />

mets du monde“/2004) oder auch von Enrico Bernardo („Savoir<br />

goûter le vin“/2005).<br />

Worin liegt also das Problem?<br />

Text: Jürgen Dollase<br />

Fotos: Guido Bittner<br />

13 Fine Editorial Thomas Schröder<br />

14 Fine Degustation Die Fine-Kriterien<br />

18 Fine Rheingau Weingut Robert Weil<br />

30 Fine Bordeaux Bordeaux-Jahrgang 20<strong>01</strong><br />

36 Fine Bordeaux David und Goliath in Bordeaux<br />

46 Fine Bordeaux Château Pétrus<br />

54 Fine Selbstgespräch Michael Klett<br />

60 Fine Wein & Speisen Die Dollase-Kolumne<br />

70 Fine Champagne Winston Churchill und Pol Roger<br />

76 Fine Porträt Andreas Larsson<br />

82 Fine Bordeaux Bordeaux-Aristokratie I – Jahrgänge 1970 bis 2005<br />

94 Fine Bordeaux Château d’Yquem<br />

100 Fine Bordeaux Château- oder Händler-Abfüllungen?<br />

106 Fine Investment Kapitalanlage Wein<br />

110 Fine Reiner Wein Anne Zielke<br />

112 Fine Geschichte trinken Pekka Nuikki<br />

114 Fine Degustation Große alte Weine<br />

120 Fine Gesundheit im Glas Dr. Johannes Scholl<br />

124 Fine Barossa Valley Die Seppelt-Collection<br />

130 Fine Lifestyle Baden im Wein<br />

142 Fine Abgang Ralf Frenzel<br />

120<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

Gesundheit im Glas<br />

Von Menschen und Hühnern<br />

Eine Ermutigung von Dr. Johannes Scholl<br />

„Glückliche Hühner!“, so mag Raymond Pearl, Biologe der Agrarforschungsanstalt<br />

in Maine, gedacht haben, als ihm die Ergebnisse seiner<br />

Studie vorgelegt wurden. Mitten in der Zeit der Prohibition hatte Pearl<br />

nachweisen wollen, dass Hühner gesundheitliche Probleme bekämen,<br />

wenn man ihnen Alkohol unter das Körnerfutter mischt. Ganz entgegen<br />

seinen Erwartungen lebten aber die mit Alkohol gefütterten Hühner<br />

deutlich länger als ihre abstinenten Artgenossen.<br />

D ies veranlasste Pearl, auch beim Menschen dem Thema Alkohol und<br />

Lebenserwartung nachzugehen. Nach seinem Wechsel als Chefstatistiker<br />

an die Johns Hopkins University in Baltimore unternahm er eine<br />

für die damalige Zeit außergewöhnlich große Untersuchung an mehr<br />

als fünftausend Todesfällen. Sein Team befragte die Angehörigen kurz<br />

zuvor verstorbener Mitbürger nach deren Lebensstil und gezielt auch<br />

nach deren Trinkgewohnheiten. Mit seinen nach den damals üblichen<br />

Statistiken der Lebensversicherer berechneten Überlebenskurven kam<br />

Pearl zu dem Schluss, dass moderate Trinker im Mittel deutlich länger<br />

lebten als vollständige Abstinenzler. Von drei Gruppen mit je hunderttausend<br />

Abstinenzlern, moderaten Trinkern und Säufern würden nach<br />

Pearl 965 Abstinenzler, 2<strong>01</strong>8 moderate Trinker und immerhin 851 Säufer<br />

ein Alter von 95 Jahren erreichen – ein damals völlig unerwünschtes,<br />

weil politisch inkorrektes Ergebnis. Sein Buch „Alcohol and Longevity“,<br />

das 1926 in New York erschienen war, hat man in der Fachwelt daher<br />

schlichtweg ignoriert.<br />

Zum unerwünschten Resultat von Pearls Studie hatten übrigens vor<br />

allem die italienischen Einwanderer beigetragen, die sich – Prohibition<br />

hin, Strafandrohung her – ihren traditionellen Lebensstil nicht verbieten<br />

ließen und weiterhin ein oder zwei Gläschen Wein zum Essen tranken.<br />

„Alkohol-Hühner“ hatten in Pearls Untersuchung bis ins hohe Alter<br />

blitzblanke Halsschlagadern, während die Schlagadern der abstinenten<br />

Hühner Verkalkungen (Arteriosklerose) aufwiesen, die zum Schlaganfall<br />

führten. Inzwischen wissen wir sowohl über den Prozess der Arteriosklerose<br />

als auch über die positiven Wirkungen von Alkohol und von Wein<br />

im besonderen deutlich mehr.<br />

Wie alt man wirklich ist, kann man – unabhängig von den Jahren, die<br />

der Kalender nennt – sogar ganz einfach messen: Die beiden innersten<br />

Schichten der Halsschlagader (genannt Intima-Media-Dicke, IMT) lassen<br />

sich im hochauflösenden Ultraschall gut darstellen und zeigen, ob<br />

die Schlagadern schneller oder langsamer altern. Die IMT nimmt vom<br />

Baby bis zum gesunden Greis im Laufe des Lebens von etwa einem viertel<br />

auf einen ganzen Millimeter zu, wobei sich die Geschwindigkeit dieses<br />

Alterungsprozesses je nach genetischer Veranlagung und Lebensstil stark<br />

unterscheiden kann.<br />

Nach neuesten Daten von Prevention First unterscheiden sich Männer<br />

einer Altersklasse um bis zu fünfzig Jahre beim „Gefäßalter“: Es gibt<br />

fünfzigjährige Männer, die eigentlich unter dreißig und andere, die schon<br />

über siebzig Jahre alt sind. Man spürt das nicht, aber man kann es sehen.<br />

Und noch viel wichtiger: Man kann darauf Einfluss nehmen!<br />

Nichtrauchen, regelmäßige körperliche Aktivität, eine gesunde Ernährung<br />

und – dies ist die erfreuliche Botschaft – ein moderater Weingenuss<br />

verlangsamen den Prozess der Arteriosklerose. Metaanalysen des<br />

Zusammenhangs zwischen Alkoholkonsum und Herzinfarktsterblichkeit<br />

(zusammenfassende Auswertungen aller verfügbaren guten Studien zum<br />

Thema) haben übereinstimmend gezeigt, dass bei Männern das Herzinfarktrisiko<br />

durch moderaten Alkoholgenuss um ein Viertel gesenkt wird.<br />

Für Frauen, die generell ein geringeres Herzinfarktrisiko aufweisen als<br />

Männer, ist der Effekt aus statistischen Gründen geringer ausgeprägt und<br />

liegt bei etwa fünfzehn Prozent. Als moderat gilt nach den Leitlinien der<br />

europäischen Herzspezialisten – zum Glück haben hier auch Italiener<br />

und Franzosen ein Wörtchen mitzureden! – beim Mann ein Konsum<br />

von bis zu vierzig Gramm Alkohol pro Tag; bei der Frau ist es etwa die<br />

Hälfte. Dies entspricht ungefähr 0,4 bzw. 0,2 Litern, also zwei Gläsern<br />

bzw. einem Glas Wein.<br />

Genießt man seinen Wein über einige Stunden zu einem mehrgängigen<br />

Menü – hier spricht jetzt der Weinliebhaber im Internisten – darf es auch<br />

mal ein bisschen mehr sein. Denn die Verzögerung der Alkoholaufnahme<br />

durch das Essen und der gleichzeitig bereits anlaufende Abbau in der Leber<br />

führen zu deutlich geringeren Promillespiegeln, als wenn man auf nüchternen<br />

Magen und in kurzer Zeit trinkt, was unter Weinliebhabern ohnehin<br />

selten sein dürfte. Weintrinker sind halt die besseren Genießer!<br />

Doch Vorsicht: zwei Gläser an sieben Tagen der Woche bedeuten<br />

keineswegs, dass nach einer Woche Abstinenz gleich 14 Gläser auf einen<br />

Schlag getrunken werden dürfen. Es gibt Länder, in denen man solche<br />

Gewohnheiten pflegt. Schotten haben beispielsweise eine deutlich erhöhte<br />

Herzinfarktrate an Montagen – „I don´t like Mondays“ hieß bezeichnenderweise<br />

die im Jahr 2000 im British Medical Journal veröffentlichte<br />

Arbeit. „Binge drinking“, also exzessives Trinken, führt nämlich dazu,<br />

dass am folgenden Morgen ein „Rebound-Effekt“ mit überschießender<br />

Blutgerinnung auftritt. Und das sollten nicht nur die Schotten besser<br />

vermeiden.<br />

Andererseits liegt gesundes Genießen im Trend und macht Freude:<br />

Wenn ein Mann nicht raucht, sein normales Gewicht hält, im Durchschnitt<br />

eine halbe Stunde täglich körperlich aktiv ist, sich mediterran, mit ausreichend<br />

Obst und Gemüse, Fisch und Olivenöl ernährt – und täglich ein bis<br />

zwei Gläser Wein trinkt, muss er den Herzinfarkt weit weniger fürchten:<br />

sein Risiko liegt um sechzig Prozent niedriger als bei einem Mann des<br />

statistischen Durchschnitts.<br />

Wie schützt der moderate Alkoholkonsum?<br />

Moderater Alkoholgenuss steigert das schützende HDL-Cholesterin,<br />

das im Gefäßsystem eine „Rohrreiniger-Funktion“ ausübt. Gleichzeitig<br />

erleichtert er die Wirkung des Hormons Insulin und senkt dadurch das<br />

Risiko, zuckerkrank zu werden um ein Drittel. Alkohol hat einen Aspirin-Effekt,<br />

verbessert die Fließeigenschaften des Blutes und verhindert<br />

damit die Verstopfung von Schlagadern durch Gerinnsel. Und schließlich<br />

vermindert er entzündliche Prozesse in der Schlagaderwand, was<br />

die Entspannungsfähigkeit der Schlagadern verbessert – beim Huhn wie<br />

beim Menschen.<br />

Zusätzlich zum Alkoholeffekt hat der Wein einige spezifische Wirkungen<br />

der Extrakte aus Traubenschalen und Traubenkernen, zu denen<br />

es interessante Erkenntnisse aus Laborexperimenten gibt. Polyphenole,<br />

wie Epicatechin, Quercetin oder Resveratrol, haben vitaminähnliche<br />

Eigenschaften, die sich günstig auf die Schlagadern auswirken und – im<br />

Falle von Resveratrol – möglicherweise krebshemmend sind, doch dazu<br />

ein anderes Mal mehr.<br />

Entscheidend für den Schutzeffekt ist aber der Alkohol selbst. Zwischen<br />

Weißwein und Rotwein – eine häufig von meinen Patienten gestellte<br />

Frage – lassen sich aber keine signifikanten Unterschiede in der gesundheitlichen<br />

Wirkung beim Menschen feststellen. Und auch als Internist<br />

würde ich meine Wahl zwischen einem Ersten Gewächs von Robert Weil<br />

aus dem Kiedricher Gräfenberg (nebenbei: mein Heimatort) und einem<br />

Château Latour nicht von wissenschaftlichen Analysen und Polyphenolgehalten,<br />

sondern vom Anlass, dem Essen und meiner Stimmung abhängig<br />

machen, von den begleitenden Umständen eben – und manchmal auch<br />

von den Umständen meiner Begleitung.<br />

Ob Weintrinker länger als Abstinenzler leben, weil sie Wein trinken<br />

oder weil sie Weintrinker sind, lässt sich auch nicht einfach beantworten.<br />

Weintrinker haben oft einen gesünderen Lebensstil als Bier- oder<br />

Spirituosentrinker, einen höheren Bildungsstand, sind im Durchschnitt<br />

schlanker, ernähren sich anders (und besser) und sind seltener Raucher.<br />

Insofern ist Statistiken, die diese Gruppen vergleichen, immer mit Vorsicht<br />

zu begegnen.<br />

Eines aber ist unumstößlich wahr: der moderate Genuss großer Weine<br />

ist legitimer Teil einer kultiviert-gesunden Existenz, und kann nur empfohlen<br />

werden. Wein macht das Leben reich und schön, er beflügelt die<br />

Sinne und lässt die Lebenslust die Segel setzen. ><br />

Mehr Informationen über Gesundheit für Weintrinker unter<br />

www.preventionfirst.de/Fachthemen/Wein.html<br />

„Glückliche Hühner!“, so mag<br />

Raymond Pearl, Biologe der<br />

Agrarforschungsanstalt in<br />

Maine, gedacht haben, als ihm<br />

die Ergebnisse seiner Studie<br />

vorgelegt wurden. Mitten in<br />

der Zeit der Prohibition hatte<br />

Pearl nachweisen wollen, dass<br />

Hühner gesundheitliche Probleme<br />

bekämen, wenn man ihnen<br />

Alkohol unter das Körnerfutter<br />

mischt. Ganz entgegen seinen<br />

Erwartungen lebten aber<br />

die mit Alkohol gefütterten<br />

Hühner deutlich länger als<br />

ihre abstinenten Artgenossen.<br />

Gesundheit im Glas<br />

Von<br />

Menschen<br />

und<br />

Hühnern<br />

~<br />

Eine Ermutigung von Dr. Johannes Scholl<br />

46<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

C P h â t e a u<br />

etrus<br />

Christian Moueix kämpft mit einem Problem, das<br />

viele Winzer auf der Welt gerne hätten. Die Nachfrage<br />

nach seinen Weinen ist so groß, dass Sammler<br />

bereit sind, nahezu jeden Preis zu zahlen, um<br />

überhaupt eine Flasche zu ergattern. Der hohe<br />

Preis weckt aber auch hohe Qualitätserwartungen.<br />

Und das wiederum führt nicht selten zu Enttäuschungen,<br />

da Pétrus – wie viele andere<br />

Spitzenweine – oftmals getrunken wird, wenn<br />

er eigentlich noch zu jung, wenn sein Geschmack<br />

noch rau und unausgeprägt ist. Pétrus benötigt<br />

mindestens zwanzig Jahre, um zu reifen.<br />

Text: Jan-Erik Paulson<br />

Fotos: Pekka Nuikki<br />

47<br />

F I N E<br />

B O R D E A U X<br />

C P h â t e a u<br />

etrus<br />

Christian Moueix kämpft mit einem Problem, das<br />

viele Winzer auf der Welt gerne hätten. Die Nachfrage<br />

nach seinen Weinen ist so groß, dass Sammler<br />

bereit sind, nahezu jeden Preis zu zahlen, um<br />

überhaupt eine Flasche zu ergattern. Der hohe<br />

Preis weckt aber auch hohe Qualitätserwartungen.<br />

Und das wiederum führt nicht selten zu Enttäuschungen,<br />

da Pétrus – wie viele andere<br />

Spitzenweine – oftmals getrunken wird, wenn<br />

er eigentlich noch zu jung, wenn sein Geschmack<br />

noch rau und unausgeprägt ist. Pétrus benötigt<br />

mindestens zwanzig Jahre, um zu reifen.<br />

Text: Jan-Erik Paulson<br />

Fotos: Pekka Nuikki<br />

110<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

—<br />

E in Freund machte mich vor kurzem darauf aufmerksam, dass Erich<br />

Maria Remarque, den manche für den amerikanischsten aller deutschen<br />

Autoren halten, die Schriftsteller in „Direktschreiber“ einteilte – er<br />

selbst war einer, der sofort zum Punkt kam –, und in „Umgehungsschreiber“,<br />

so einer war Thomas Mann. Der umrundete ihn lang und ausdauernd,<br />

den so genannten Punkt.<br />

Die Einteilung ist praktisch. Ich halte sie auch für geeignet, um das unterschiedliche<br />

Verhalten von Weintrinkern analytisch zu durchdringen.<br />

Eine Freundin von mir ist zum Beispiel Direkttrinkerin. Als wir uns kürzlich<br />

zum Essen trafen, blickte sie mit einem Auge auf die Weinkarte, das<br />

können sonst nur Chamäleons, während das andere bereits den Sommelier<br />

fixierte, den sie sofort mit der Bestellung losschickte. Beim Probieren<br />

ist sie ähnlich schnell. Der Korken ist kaum aus der Flasche, da nickt<br />

sie bereits und murmelt: „Graacher Himmelreich Auslese 2006, das ist<br />

wirklich Dynamit.“ Chamäleons können das nicht. Manche, vor allem jener<br />

unserer Freunde, der Umgehungstrinker ist, hält solch eine Direktheit<br />

für ähnlich oberflächlich wie die Prosa Remarques. Mit der kann er<br />

auch nicht besonders viel anfangen. Geht ihm zu schnell zur Sache. Remarque<br />

hat mit „Im Westen nichts Neues“ zwar einen der erfolgreichsten<br />

Romane des 20. Jahrhunderts geschrieben und – auch bei Frauen kam<br />

er schnell auf den Punkt – Affären mit Marlene Dietrich und Greta Garbo<br />

gehabt. <strong>Das</strong> hatte Thomas Mann nicht. Aber wo bleibt da die Kultur, der<br />

Genuss, den der Umgehungstrinker nur empfinden kann, wenn er nach<br />

einem einseitigen Einleitungssatz Thomas Manns noch einmal von vorn<br />

beginnen muss?<br />

Wenn der Umgehungstrinker den Wein probiert, wird es um ihn herum<br />

still. Zu Recht. Man darf einem Erwachsenen dabei zusehen, wie er tief<br />

ins Glas blickt, alsdann seine Nase darüber hängt, um unter Ächzen und<br />

Schniefen den ersten Schluck in der Wangentasche zu sammeln. Soviel<br />

Körpergeräusche in der Öffentlichkeit sind selten. Man hat Glück, wenn<br />

es nur mit Schmatzen endet. Nach angemessener Pause und der Beantwortung<br />

bedeutsamer innerer Fragen fällt endlich die Entscheidung des<br />

Umgehungstrinkers. Es handelt sich fast immer um eine Offenbarung. Es<br />

ist ein wenig so, als ob der Chef der Europäischen Zentralbank verkündet,<br />

dass der Leitzins gesenkt werden müsse, oder der Nato-Befehlshaber fordert,<br />

mehr Truppen in den Kosovo zu schicken. „Graacher Himmelreich …“,<br />

sagt der Umgehungstrinker nachdenklich, „das ist wirklich Dynamit.“<br />

Ich habe kein Problem mit Umgehungstrinkern. Im Gegensatz zu meiner<br />

Freundin, die das Probierzeremoniell für übertrieben hält, bewundere<br />

ich das Ja zum Pathos. Als Geisteswissenschaftlerin sehe ich darin<br />

vor allem eine Kulturtechnik, mit der seit der Steinzeit eigentlich nicht<br />

mehr bei Tisch geduldete Körpergeräusche in einen ritualisierten Rahmen<br />

überführt werden können und die subtil daran erinnert, woher wir<br />

eigentlich kommen. Woher kommen wir?, fragte ich, als wir neulich beisammen<br />

saßen. „<strong>Das</strong> ist eine lange und komplizierte Geschichte, der man<br />

in einem Satz keinesfalls gerecht werden kann“, sagte der Freund. „Von<br />

zuhause“, antwortete die Freundin. Mit einem Mal war mir klar, dass die<br />

Grenze zwischen Umgehungs- und Direkttrinkern entlang der Geschlechterlinie<br />

verläuft. Frauen sind Direkttrinker, Männer sind Umgehungstrinker.<br />

Frauen trinken, Männer performen. Ausnahmen sind allerdings möglich.<br />

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Remarque beim Rendezvous mit<br />

der Garbo erst lange herumgurgelte, um ihr dann einen Vortrag zu halten.<br />

Vergessen wir aber nicht, dass selbst Remarque ein „Maria“ im Namen<br />

trug. Sind Männer also die besseren Theaterspieler, machen sie die<br />

bessere Show, gehen sie eher bis zum Realitätsverlust in ihrer Rolle auf,<br />

was auch der Umstand beweisen könnte, dass sich doppelt so viele für<br />

Weinkenner halten wie Frauen?<br />

Die Antwort lautet natürlich: nein. Es ist nur so, dass Männer nicht anders<br />

können, als ihre Nase tief ins Glas zu halten. Die moderne Forschung<br />

bestätigt das. Frauen können besser riechen und schmecken, sie haben<br />

nämlich mehr dazu abkommandierte Zellen. Ein Luftzug, schon hat<br />

die Frau alle Geschmacksnuancen parat. Männer brauchen dazu halt etwas<br />

länger. Meine These habe ich inzwischen übrigens empirisch überprüft.<br />

Neulich ist etwas angebrannt. Sogar der Rauchmelder ging. Nur<br />

der Mann, der im gleichen Zimmer wie der Rauchmelder war, der roch<br />

es einfach nicht. ><br />

MReiner Wein<br />

immer so tief ins Glas blicken?<br />

änner<br />

Warum<br />

Sie können leider nicht anders,<br />

glaubt Anne Zielke.<br />

18<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

Der Morgen bringt nach einer frostigen<br />

Nacht fahlen Nebel. Lange müht<br />

sich die schwächliche Februarsonne.<br />

Noch am späten Vormittag liegt der<br />

Rhein in wattigem Dunst. Da wärmt<br />

Kiedrich sich schon Stunden in hellem<br />

Licht. Zwischen Taunushöhen<br />

und Rheingraben geht immer eine<br />

leichte Brise, der natürliche Feind<br />

feuchter Schwaden.<br />

Aus Richtung Wiesbaden kommt<br />

das Dörfchen nach der Überquerung<br />

des Sülzbachs in den Blick: im<br />

Hintergrund der stolze Rundturm<br />

der ehemaligen Burg Scharfenstein<br />

über einem sanft gewölbten Weinberg.<br />

Gegenüber liegt malerisch<br />

eine trutzige gotische Kirche. Sie ist<br />

umgeben von einer Mauer, die Pfarr-<br />

und Küsterhaus ebenso umschließt<br />

wie die Michaelskapelle mit ihrem<br />

Beinhaus. Zwischen Kirche und Kapelle<br />

findet sich eine ausdrucksstarke<br />

Kalvarienberg-Gruppe. <strong>Das</strong> ganze<br />

Ensemble verdankt seinen Ursprung<br />

einer lebhaften Wallfahrt zu den Gebeinen<br />

des heiligen Valentin von Terni,<br />

dessen sterbliche Überreste einst<br />

von den Mönchen des nahen Klosters<br />

Eberbach verwahrt wurden. Als<br />

Schutzheiliger der von Fallsucht<br />

Heimgesuchten hatten die in Gebet<br />

und Arbeit nach Abgeschiedenheit<br />

suchenden Zisterzienser genug von<br />

den Mengen herbeiströmender Wallfahrer<br />

– und spendeten dem nahen<br />

Kiedrich eine üppig ausgestattete<br />

Kirche. Hier blühte die Wallfahrt über<br />

drei Jahrhunderte, bevor sie immer<br />

mehr zurückging und die Kirche mit<br />

der Zeit verfiel.<br />

W e i n g u t<br />

Robert Weil<br />

E i n K ö n i g<br />

im Reich de s<br />

R i e s l i n g s<br />

Riesling – zu Kaisers Zeiten galt er als der edelste und teuerste Wein, wertvoller<br />

und begehrter als jede Flasche aus Bordeaux oder Burgund. Doch<br />

zwei Weltkriege hatten Ansehen und Qualität der kostbarsten deutschen<br />

Rebe fast ruiniert. Erst seit etwa zwei Jahrzehnten wandelte sich das Bild.<br />

Feine Rieslinge gelten wieder etwas bei Kennern und Genießern. <strong>Das</strong>s sie<br />

heute die Weinkarten der besten Restaurants in aller Welt zieren, ist nicht<br />

zuletzt einem Winzer aus dem malerischen Rheingau-Städtchen Kiedrich<br />

zu danken. Wilhelm Weil hat in einer beispielhaften Qualitätsoffensive sein<br />

darbendes Weingut in die Weltspitze geführt – und zugleich den Riesling<br />

als großen Wein international rehabilitiert.<br />

Text: Martin Wurzer-Berger Fotos: Pekka Nuikki und Guido Bittner<br />

19<br />

F I N E<br />

R H E I N G A U<br />

Der Morgen bringt nach einer frostigen<br />

Nacht fahlen Nebel. Lange müht<br />

sich die schwächliche Februarsonne.<br />

Noch am späten Vormittag liegt der<br />

Rhein in wattigem Dunst. Da wärmt<br />

Kiedrich sich schon Stunden in hellem<br />

Licht. Zwischen Taunushöhen<br />

und Rheingraben geht immer eine<br />

leichte Brise, der natürliche Feind<br />

feuchter Schwaden.<br />

Aus Richtung Wiesbaden kommt<br />

das Dörfchen nach der Überquerung<br />

des Sülzbachs in den Blick: im<br />

Hintergrund der stolze Rundturm<br />

der ehemaligen Burg Scharfenstein<br />

über einem sanft gewölbten Weinberg.<br />

Gegenüber liegt malerisch<br />

eine trutzige gotische Kirche. Sie ist<br />

umgeben von einer Mauer, die Pfarr-<br />

und Küsterhaus ebenso umschließt<br />

wie die Michaelskapelle mit ihrem<br />

Beinhaus. Zwischen Kirche und Kapelle<br />

findet sich eine ausdrucksstarke<br />

Kalvarienberg-Gruppe. <strong>Das</strong> ganze<br />

Ensemble verdankt seinen Ursprung<br />

einer lebhaften Wallfahrt zu den Gebeinen<br />

des heiligen Valentin von Terni,<br />

dessen sterbliche Überreste einst<br />

von den Mönchen des nahen Klosters<br />

Eberbach verwahrt wurden. Als<br />

Schutzheiliger der von Fallsucht<br />

Heimgesuchten hatten die in Gebet<br />

und Arbeit nach Abgeschiedenheit<br />

suchenden Zisterzienser genug von<br />

den Mengen herbeiströmender Wallfahrer<br />

– und spendeten dem nahen<br />

Kiedrich eine üppig ausgestattete<br />

Kirche. Hier blühte die Wallfahrt über<br />

drei Jahrhunderte, bevor sie immer<br />

mehr zurückging und die Kirche mit<br />

der Zeit verfiel.<br />

W e i n g u t<br />

Robert Weil<br />

E i n K ö n i g<br />

im Reich de s<br />

R i e s l i n g s<br />

Riesling – zu Kaisers Zeiten galt er als der edelste und teuerste Wein, wertvoller<br />

und begehrter als jede Flasche aus Bordeaux oder Burgund. Doch<br />

zwei Weltkriege hatten Ansehen und Qualität der kostbarsten deutschen<br />

Rebe fast ruiniert. Erst seit etwa zwei Jahrzehnten wandelte sich das Bild.<br />

Feine Rieslinge gelten wieder etwas bei Kennern und Genießern. <strong>Das</strong>s sie<br />

heute die Weinkarten der besten Restaurants in aller Welt zieren, ist nicht<br />

zuletzt einem Winzer aus dem malerischen Rheingau-Städtchen Kiedrich<br />

zu danken. Wilhelm Weil hat in einer beispielhaften Qualitätsoffensive sein<br />

darbendes Weingut in die Weltspitze geführt – und zugleich den Riesling<br />

als großen Wein international rehabilitiert.<br />

Text: Martin Wurzer-Berger Fotos: Pekka Nuikki und Guido Bittner<br />

54<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

sie peinlich, und das Beste, was man sagen kann, ist, dass man entrückt war.<br />

Meine Initiation hatte mit deutschen Weißweinen, trockenen und vor allem<br />

süßen großen Beerenauslesen und Eisweinen begonnen. Später kamen Burgunder<br />

dazu. Die wirkten hitzig auf mich. Ich verstand, dass sie ihre große<br />

Zeit in den zugigen Schlössern des 18. Jahrhunderts hatten, als man sie zur<br />

Befeuerung des Gemüts und zum Heizen der Körperlichkeit nutzte. Mir<br />

waren sie zu heiß. Mein Vater dagegen, ein Vollsanguiniker, blühte auf, und<br />

so bedurfte es einer zweiten Initiation, die mir in meinen späten Zwanzigern<br />

zuteil wurde, als Folge einer schönen Freundschaft mit Michael Bömers,<br />

dem seinerzeit größten Weinimporteur in Deutschland und heutigen Herrn<br />

eines notablen Châteaus im Bordelais. Initiation und Schulung dauerten drei<br />

Jahre, gerade genug, um ein strammes Arbeitsleben mit der einfachen Freude<br />

zu bestehen, zehn Schlucke in einem Glas funkeln zu lassen – à propos, mein<br />

Latour. Die Zimmerwärme hat jetzt Duft und Geschmacksvarianten herausgeholt, die ich<br />

nie an Latour kannte. Ich habe das Gefühl, das ganze Zimmer riecht ein bisschen anders.<br />

Einer der Höhepunkte meiner Lehrzeit war eine große Weinprobe in<br />

Bremen. <strong>Das</strong> Thema Latour und die umgebenden Weingüter, also Lynch-<br />

Bages, Pontet-Canet, Haut-Batailley, die beiden Pichons, Léoville-Las Cases<br />

und einige kleinere. Einer – war das Château Fonbadet? – schlug in einem<br />

Jahrgang den großen Latour in der Blindprobe. Im ganzen wirkten die umgebenden<br />

Châteaux mit ihren wunderbaren Weinen wie Hunde, die um einen<br />

mächtigen Löwen kläffen und ihm nichts anhaben können. <strong>Das</strong> große Spektakel<br />

war professionell und daher anstrengend. Drei Proben an einem Tag.<br />

Um neun Uhr morgens die erste, um elf die zweite und nachmittags um fünf<br />

die dritte. Man sah die Ermüdung, die dem Homo sapiens der Tag bringt. Die<br />

Geschmacksfähigkeit ließ nachmittags rapide nach. Die Probenergebnisse<br />

zu dieser Stunde wirkten wie ein Verwirrspiel, aber zum Mittagessen davor<br />

waren alle in high spirits. Wir saßen mit dem Kellermeister von Latour in<br />

einem Ausfluglokal im Bremer Bürgerpark. Er bat uns Deutsche, ihm einen<br />

frischen, blumigen Weißwein auszusuchen. Wir wählten Boxbeutel aus<br />

dem Baden-Badener Weinland und fanden den großen Weinzahn begeistert.<br />

«Il y a de bonnes choses partout », meinte er. <strong>Das</strong> große Weinerlebnis<br />

sei mit kleinen, gut gemachten Weinen ebenso zu haben wie mit den ganz<br />

Großen, es käme auf den Augenblick an. Dieser Frühjahrsglanz mit aufblühenden<br />

Rhododendren und den tauglitzernden Bäumen und dann diesem<br />

wunderbaren floralen Riesling. Ich glaube, gute kleine und mittlere Weine<br />

werden von ordentlichen Handwerkern gemacht, für große braucht es starke<br />

Sinnesmenschen, die natürlich auch noch über eine gute Portion klaren<br />

Verstands verfügen sollten. Der knorrige Médocquien lobte übrigens den<br />

deutlichen Qualitätszuwachs an Rotweinen aus der Neuen Welt. Seither<br />

habe ich immer welche in meinem Keller. Nicht viel, aber genug, um mich<br />

mit der Frage zu beschäftigen, ob sie an Delikatesse und Komplexität an die<br />

Bordeaux, meine Lieblinge bei Tag und bei Nacht, herankommen. <strong>Das</strong> wird<br />

wohl nicht gelingen. Aber ich schätze die Weine der südlichen Halbkugel<br />

vor allem wegen ihrer Feurigkeit und ihrer berstenden Kraft, und immer<br />

interessant bleibt die kalifornische Finesse.<br />

Ich fülle nach – wunderbare Glyzerinarkaden im Glas, die Veränderung des Spiels bei<br />

zunehmender Adaption durch die Zimmerwärme ist faszinierend, es hat sich der Purpur<br />

vertieft, das tolle Nass wirkt jetzt glatter, wenn ich schlucke, besser, wenn es hinabsteigt<br />

wie Gott in Samthosen.<br />

Jetzt muss ich aber noch etwas nachtragen: die zeitweilige Begeisterung<br />

meines Vaters für weiße Burgunder. Dazu muss man wissen, dass dieser<br />

außerordentliche Mann über eine gehörige Nase verfügte, er hätte bei<br />

italienischen Nasenkönigswettbewerben durchaus Chancen gehabt. <strong>Das</strong><br />

Schnuppern und Aufnehmen von Duftspielen, die aus dem Glas quellen,<br />

wirkte wie ein Ritus auf mich. Er konnte den Kopf hin und her neigen wie<br />

Vögel, denen die Körner schmecken, die sie picken. Eine gute Zeit lang ging<br />

es zuhause nur weiß zu. Montrachet! Ein Freund hatte ihm zum Sechzigsten<br />

eine Flasche Le Montrachet 1906 geschenkt. Wir tranken sie an einem warmen<br />

Sommerabend, wenige Tage nach seinem Fest. Die über sechzig Jahre<br />

hatten das Gewächs zu einem goldenen Duft- und Geschmacksfeuerwerk<br />

gemacht, seitdem beharrte er eigensinnig darauf, dass es sich hier um weiße<br />

Rotweine handle. Vielleicht hat er nicht ganz unrecht gehabt. Die besonderen<br />

Bedingungen, die Burgunder zu dem machen, was sie sind, also die<br />

unglaublich vielseitigen Bodenverhältnisse und die Neigung der Weinberge<br />

zum Orient hin, zur aufgehenden Sonne, was ihnen in heißen Jahren besonders<br />

bekommt, und schließlich die Holzreifung bringen doch genug zusammen,<br />

dass sich Ähnlichkeiten erriechen und erschmecken lassen. Auch ist<br />

der Chardonnay eine entfernter Pinot-Verwandter.<br />

Wo ich gerade wieder beim Weißwein bin: Ich erinnere mich eines herrlichen<br />

Besuchs in Carbonnieux in Graves. Sardellenkanapees und dieser<br />

vom lieben Gott eigentlich als Begleiter der Auster erfundene strahlende<br />

Sauvignon Blanc. Es war Herbst, der Wein war gerade eingebracht. Die<br />

Tage waren kühler als erwartet. Der Wein in den Stahltanks in der Nähe des<br />

geöffneten Tors wollte nicht so recht gären. Die resolute Hausherrin behalf<br />

sich mit einem kleinen Heizöfchen, das sie aus dem Badezimmer holte. Es<br />

stand wie ein kleiner runder Knirps vor dem riesigen Stahlkessel. Ein kleiner<br />

David, der dem Goliath Beine machte. – <strong>Das</strong> war anlässlich eines Besuchs bei<br />

Freunden, die mich auch zu Smith-Haut-Lafitte und Haut-Brion schleppten.<br />

Ein zechanstrengender, aber vergnüglicher Vormittag. Die Freunde lebten in<br />

Labrède, in Graves. Der Herr des Hauses war Notar, der viele Transaktionen<br />

großer Weingüter besorgt und daran ordentlich verdient hatte. Ein fröhlicher,<br />

lebenszugewandter Westfranzose, Gefangener in Deutschland gewesen,<br />

wo er auf dem Land wie Gott in Frankreich gelebt hatte. Auch Geschichten<br />

über die mit ihren Reizen freigiebigen deutschen Bauersfrauen waren in<br />

den Strom der Erinnerungen eingewoben. <strong>Das</strong> Gelände um das behagliche<br />

Bürgerhaus war mit Reben bestockt. Es gehörte einstens zu den Weinbergen<br />

von Montesquieu. Der Sohn und Nachfolger stibitzte mir aus dem Safe<br />

des Alten ein notarielles Transaktionsdokument, das von dem Aristokraten<br />

und großen Gelehrten höchst selbst unterschrieben war. Montesquieu hat<br />

viel vielleicht Entscheidendes für die Verbreitung der Bordeaux-Weine in<br />

Europa getan. Nach seinem Grand Tour durch Deutschland, Skandinavien,<br />

England, Schottland, Spanien usw. sandte er seinen vielen Gastgebern kleine<br />

Fässer. Als er nachzuliefern begann, gegen Rechnung natürlich, wurde ein<br />

Geschäft daraus, und so ist es bis heute geblieben.<br />

Wieder fülle ich das Glas. Ich halte mich dauernd zurück, nicht zu schnell zu trinken.<br />

Der Wein ist jetzt ganz glatt, alle Tannine sind verschmolzen zu einem strahlenden Fluss,<br />

der mir in den Hals läuft. Etwas ganz Großes ist dieser Wein.<br />

Es muss mit den Säften zusammenhängen, die in einem sind. Eine körpereigene,<br />

immer geheimnisvolle Chemie, die es macht, dass so ein Wein nicht<br />

nur sensationell, also sinnesbefeuernd schmeckt, sondern man sich auch sofort<br />

«besonders» fühlt, herausgenommen aus der Wohl- oder Unwohlfühlerei.<br />

Mein Großvater, in dessen Haus ich heute lebe, soll, so mein Vater, nur<br />

Bordeaux und deutsche Weißweine im Keller gehabt haben, und immer gab<br />

es zu festlichen Anlässen Rauzan-Ségla. Burgunder waren also dem Sohn<br />

nicht vorgekommen, aber als er nach Ausbruch des Krieges und der Besetzung<br />

Frankreichs seinen ersten militärischen Auftrag bekam, nämlich das<br />

Hereinholen von Weinbeute in Gestalt von Burgundern, ereilte ihn schließlich<br />

sein Glück. Er versuchte auf dem Transport zwischen Dijon und München<br />

die 250-Lastwagen-Koordination dadurch herzustellen, dass er mit<br />

dem Motorrad die Kolonne auf- und abfuhr, um so nach dem Rechten zu<br />

sehen. Auf diese Weise stieß er nicht weit von Karlsruhe auf einen Lastwagen,<br />

der von der Autobahn abgekommen und die Böschung hinabgestürzt<br />

war. Zerbrochene Flaschen, rote Lachen im grünen Gras. Aus einem zerbrochenen<br />

Flaschensockel trank er, so sein späterer Bericht, seinen ersten<br />

Burgunder, und zwar einen Chambertin, worauf er immer während unserer<br />

Reisen im Burgund in dem Moment hinwies, wenn unser Auto an dem großen<br />

«Clos»vorbeibrummte. Über die Beutegier der Deutschen in Frankreich<br />

und die Listen der Franzosen, die ihre Kostbarkeiten der Requirierungsadministration<br />

zu entziehen versuchten, ist viel geschrieben worden. Ganze<br />

Bahntransporte verschwanden spurlos, weil sie auf wenig befahrene Seitenstrecken<br />

abgezweigt und dann versteckt wurden. Große Champagnerorders<br />

aus Berlin waren fast immer ein Signal, das großen deutschen Offensiven<br />

H eute mache ich eine Flasche auf und trinke sie ganz allein. Château Latour 1961, der<br />

größte Jahrgang der Nachkriegszeit im Bordelais. Ich gebe ihr zwei Stunden in der<br />

Karaffe, seit einer halben steht sie auf meinem Tisch. Die Flasche ist ein Geschenk<br />

meines Vaters, aber sie war schon zweimal in meinem Besitz. Als ich sie zum<br />

ersten Mal Anfang der achtziger Jahre erhielt, war mir klar, dass er sich nicht<br />

leicht von ihr getrennt hatte. Ich merkte das Geschenkdatum in winziger<br />

Schrift an und offerierte ihm den noch immer herben Schatz zwei Jahre<br />

später. <strong>Das</strong> ging noch zweimal so. Am Ende blieb sie bei mir. <strong>Das</strong> Spiel war<br />

aus, mein Vater (1911–1998) gestorben. Die kleinen Notate auf dem Etikett<br />

bezeugen einen langen Vater-Sohn-Austausch über Wein. Fast alles habe<br />

ich von ihm gelernt. <strong>Das</strong> Verstehen deutscher Weißweine, roter und weißer<br />

Burgunder. Nur die Bordeaux sind meine eigene Eroberung.<br />

Ich schenke mir das erste Glas ein, hebe es grüßend meinen nicht mehr anwesenden Vater,<br />

nehme das Bukett auf und den ersten Schluck – enorm, fabelhaft. So ein Purpur habe ich<br />

noch nie gesehen. Unglaublich. Der Wein ist immer noch jung, etwas Tannin ist noch da.<br />

Habe ich vielleicht zu kurz dekantiert? Noch ein bisschen Pfeffer ist zu spüren, der Hauch<br />

einer Süße, die an alten Madeira erinnert, ja Madeira, ich täusche mich nicht, aber es ist<br />

die fein brennende Süße und nicht der Alterston von Weinen, die man mit maderisierend<br />

bezeichnet. Wie seltsam, dass die Natur und meine willige Nase zwei Geschmacksnoten in<br />

einem Glas zusammenbinden.<br />

Der Anlass, alleine hier zu sitzen und den roten Nektar im Glas zu<br />

schwenken, ist nichts Eigenbrötlerisches, ich trinke eigentlich nie alleine,<br />

aber neulich hat sich herausgestellt, dass ich eine ganz erkleckliche Anzahl<br />

von Jahren zusammengehäuft habe, mit der Folge eines gewissen Bedürfnisses,<br />

mir Besinnung zu gönnen über das, was ich da alles hinter mich gebracht<br />

habe. Darüber gibt es allerhand zu sagen, aber diese vorzügliche Flasche hält<br />

mich im Augenblick an biographischen Gegenständen, die meine Taten,<br />

meine Niederlagen und meine Siege auf angenehme Weise begleitet haben:<br />

weinbestockte Landschaften, Ernteglück und Gärungsduft, das Vergnügen<br />

am Hamstern und Einkellern, klingende Gläser bei festlichen Stimmungen<br />

und alles, was passiert, wenn Nase und Gaumen animiert werden.<br />

Was also nun den Wein angeht, so kann ich auf zwei Initiationen zurückblicken.<br />

Mein Vater setzte eine Tradition in unserer Familie fort, nach welcher<br />

Kinder mit dem 13. Lebensjahr statt Trinkbecher gestielte Weingläser<br />

zum Essen aufgetischt bekommen. Von diesem Alter an haben sie ein Recht<br />

auf einen Anteil dessen, was abends oder am Sonntagmittag an Wein aufgetischt<br />

wird. Wie ich schon sagte, habe ich beinah alles, was man als Zecher und<br />

spürender, suchender Weinzahn lernen kann, von ihm gelernt. Darunter auch<br />

den einfachen, aber wichtigen Spruch des Heraklit: Nicht zuviel! Den habe<br />

ich wohl in mich aufgenommen, aber natürlich nicht immer beherzigt. Aber<br />

große Zech-Débauchen eignen sich nicht zur Beschreibung, eigentlich sind<br />

Selbstgespräch<br />

Warum<br />

W ein?<br />

000bin0ich0so0versessen0auf000<br />

Michael Klett allein mit einer Flasche Latour ’61:<br />

Seite 18 Weingut Robert Weil Seite 60 Die Dollase-Kolumne: Wein & Speisen<br />

Seite 110 Reiner Wein<br />

Anne Zielke<br />

Seite 54 Selbstgespräch<br />

Michael Klett<br />

Seite 30 Bordeaux-Jahrgang 20<strong>01</strong><br />

Seite 46 Château Pétrus<br />

Seite 94 Château d’Yquem<br />

Seite 36 Garagenweine im Bordelais<br />

Seite 82 Bordeaux-Aristokratie I<br />

Jahrgänge 1970 bis


E U R O P E A N F I N E W I N E M A G A Z I N E<br />

D I E G R O S S E N W E I N E D E R W E L T<br />

Fine-Autoren<br />

Gründer<br />

Pekka Nuikki<br />

pekka.nuikki@fine-magazines.com<br />

Herausgeber<br />

Ralf Frenzel<br />

ralf.frenzel@fine-magazines.de<br />

Chefredakteur<br />

Thomas Schröder<br />

thomas.schroeder@fine-magazines.de<br />

Redaktion<br />

Lars Borchardt, Carola Hauck<br />

Art Direction<br />

Guido Bittner, Teemu Timperi<br />

Mitarbeiter dieser <strong>Ausgabe</strong><br />

Essi Avellan MW, Andrew Caillard MW, Jürgen<br />

Dollase, Carsten Heider, Dr. h.c. Michael Klett, Meri<br />

Kukkavaara, Juha Lihtonen, Jan-Erik Paulson, Nikolas<br />

Rechenberg, Dr. Johannes Scholl, Philip Tuck MW,<br />

Martin Wurzer-Berger, Anne Zielke<br />

Fotografen<br />

Pekka Nuikki, Jan Dahlqvist, Guido Bittner<br />

Verlag<br />

Tre Torri Verlag GmbH<br />

Sonnenberger Straße 43<br />

65191 Wiesbaden<br />

www.tretorri.de<br />

Geschäftsführer: Ralf Frenzel<br />

Anzeigen<br />

Rainer Steppich<br />

rainer.steppich@fine-magazines.de<br />

+49 (0) 611-57 99 275<br />

Druck<br />

W. B. Druckerei GmbH, Hochheim<br />

Fine <strong>Das</strong> <strong>Weinmagazin</strong> erscheint vierteljährlich<br />

zum Einzelheft-Preis von ¤ 15,– (D), ¤ 16,90 (A),<br />

CHF 30,– (CH), ¤ 18,50 (I)<br />

Vertrieb<br />

DAS WEINMAGAZIN<br />

DPV Network GmbH<br />

www.dpv-network.de<br />

Fine <strong>Das</strong> <strong>Weinmagazin</strong> erscheint im Verbund mit<br />

Scandinavian Fine Wine Magazine<br />

verantwortlich: Pekka Nuikki, Helsinki, Finnland<br />

European Fine Wine Magazine<br />

verantwortlich: Pekka Nuikki<br />

American Fine Wine Magazine<br />

verantwortlich: Pekka Nuikki<br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt<br />

die Meinung der Redaktion wieder. Der Verlag haftet nicht für<br />

unverlangt eingereichte Manuskripte, Dateien, Datenträger<br />

und Bilder. Alle in diesem Magazin veröffentlichten Artikel<br />

sind urheberrechtlich geschützt.<br />

Pekka Nuikki<br />

Der Gründer und Chefredakteur der »Fine Magazine«-Gruppe ist Weinautor und einer der führenden Experten für<br />

prestige trächtige Weine in Europa. Er hat eine Vielzahl internationaler Wein- und Kunstbücher veröffentlicht, unter ihnen<br />

„In Vino Veritas“, ein Buch über Investitionen in Weine, die „Drinking History“ feiner Weine und ihrer Weinlesen zwischen<br />

1870 und 1970, einen Fotoband über die Weinregion Bordeaux und deren Weine und unlängst ein Buch über Château<br />

Mouton Rothschild, Weine und Kunst 1924 bis 2003 (bei Tre Torri). In seinem früheren Leben bereiste Pekka Nuikki die<br />

Welt als professioneller Modefotograf und als Creative Director der Advertising Agency Group.<br />

Essi Avellan MW<br />

Die erste Master of Wine aus Finnland und die zweite überhaupt aus den nordischen Ländern. Sie ist Redakteurin des<br />

Fine Champagne Magazine und arbeitet auch für Tageszeitungen und kulinarische Magazine. Ihr Hauptfachgebiet und<br />

zugleich ihre Leidenschaft ist der Champagner.<br />

Juha Lihtonen<br />

Redakteur im European und Scandinavian Fine Wine Magazine. Er ist mehrfacher finnischer Sommelier-Champion<br />

und wurde zum besten Sommelier der nordischen Länder 2003 gekürt. Er arbeitete als Weinexperte in einem Radioprogramm<br />

wie als Weineinkäufer für ein bedeutendes Duty-Free-Unternehmen. Als früherer Küchenchef und Sommelier<br />

hat er einige Bücher über Kombinationen von Wein und Speisen geschrieben. Lihtonen studiert für die Qualifikation<br />

zum Master of Wine.<br />

Jan-Erik Paulson<br />

Einer von Europas führenden Autoritäten auf dem Gebiet reifer Weine, spezialisiert auf Bordeaux und Österreich. Paulson<br />

ist international bekannt für seine hochwertigen Weinproben der letzten dreißig Jahre und für seinen Rare-Wine-Onlineshop.<br />

Er ist passionierter Golfer und lebt mit seiner Familie in Deutschland.<br />

Meri Kukkavaara<br />

Innenarchitektin und Künstlerin, hat mehr als zehn Jahre als Kunsttherapeutin und Pädagogin gearbeitet. Neben ihrer<br />

künstlerischen Tätigkeit folgt sie ihrem Interesse an Antiquitäten und organisiert Kunstausstellungen.<br />

Martin Wurzer-Berger<br />

Der studierte Künstler und katholische Theologe arbeitet in Münster als Maler und Grafiker. Als Absolvent einer praktischen<br />

„kleinen Winzerlehre“ importiert er französische Weine für Fachhandel und Gastronomie. Seit 2006 ist er Chefredakteur,<br />

seit <strong>2008</strong> gemeinsam mit Thomas Vilgis Herausgeber der von Vincent Klink gegründeten Avantgarde-Zeitschrift<br />

„Journal Culinaire“.<br />

Jürgen Dollase<br />

Kunststudium an der Kunstakademie Düsseldorf, Musik und Philosophie an den Unis Düsseldorf und Köln. Danach elf<br />

Jahre Rockmusik, dann intensive Malerei. Von Johannes Gross zur Gastronomiekritik ermutigt. Heute ist Dollase der bei<br />

weitem einflussreichste Kritiker der kulinarischen Landschaft in Deutschland und Europa, vor allem aber ein präziser<br />

Analytiker der Physiologie des Geschmacks. Er schreibt auch für die FAZ und den „Feinschmecker“ und hat eminente<br />

Bücher über Kochkunst und die Kunst des Speisens (bei Tre Torri) verfasst.<br />

Anne Zielke<br />

Mehrfach ausgezeichnete Journalistin und Schriftstellerin („Arraia“). Sie war Redakteurin im Feuilleton der „Frankfurter<br />

Allgemeinen Sonntagszeitung“, schreibt heute so pointiert wie klug für Journale und Magazine. Lebte in München und<br />

Rio de Janeiro, lebt in Berlin und Hildesheim. Ihre <strong>FINE</strong>-Kolumne handelt vom Weintrinken – und vom Unterschied<br />

der Geschlechter.<br />

Michael Klett<br />

Unternehmerischer Wagemut, Augenmaß, literarische Leidenschaft: Abwägend und temperamentvoll hat der Inhaber des<br />

größten deutschen Schulbuch- und Bildungsverlages zugleich eines der wichtigsten belletristisch-philosophischen Programme<br />

(Klett-Cotta) ins Leben gerufen – von Klassikern wie Ernst Jünger oder Gottfried Benn spannt sich der Bogen<br />

bis zum Fantasy-Welterfolg „Der Herr der Ringe“. Klett ist ein Freund edler Havannas. Als Verleger des „Kulinarischen<br />

Almanachs“ schreibt er gern über gastrosophische Fragen und über große Weine. Noch lieber weiß er sie in seinem Keller.<br />

Am allerliebsten trinkt er sie.<br />

Johannes Scholl<br />

Mediziner und Musensohn. Der ist er geblieben, seit er als Kind mit den „Kiedricher Chorbuben“ gregorianischen Gesang<br />

vortrug. Als promovierter Internist und erfolgreicher Arzt für Ernährungs-, Sport- und Präventionsmedizin ist der engagierte<br />

Triathlet der Sangeskunst mit seiner mittlerweile baritonalen Stimme treu geblieben. Sein spezielles Interesse gilt<br />

dem Zusammenhang von Weingenuss und Gesundheit – Thema seiner Kolumne.<br />

Titel-Foto: Château Smith-Haut-Lafitte / Pekka Nuikki ~ Editorial-Foto: Lukas Gold<br />

Verehrte Leserin, lieber Leser,<br />

die großen Weine der Welt – sie sind der begehrenswerte Gegenstand der<br />

Zeitschrift, die Sie in Händen halten: Fine <strong>Das</strong> <strong>Weinmagazin</strong>, die deutsche<br />

<strong>Ausgabe</strong> jener Fine-Wine-Magazine, die – in Skandinavien von dem finnischen<br />

Wein-Enthusiasten Pekka Nuikki erfolgreich gestartet – rasch das<br />

Interesse und die Zuneigung auch der Weinfreunde in England und jüngst<br />

derer in den Vereinigten Staaten von Amerika gewannen.<br />

Nun sind wir auch für Sie da und freuen uns darauf, unsere Leidenschaft<br />

mit Ihnen allen zu teilen. Die großen Weine der Welt haben auch in den<br />

Kellern der vielen Weinfreunde hierzulande ein mit Liebe gepflegtes<br />

Zuhause; und immer mehr gerade auch jüngere Menschen streben danach,<br />

sich jene Kennerschaft zu erwerben, die erst zum wahren Genuss der herrlichsten<br />

Kunstwerke aus den Rebhängen begnadeter Weinmacher befähigt.<br />

Einen großen Wein zu trinken – ist das Luxus? <strong>Das</strong> mag so sein; vor allem<br />

aber ist es das Privileg, ein Kulturereignis hohen Ranges genießen zu dürfen<br />

– nicht anders, als eine große Sinfonie zu hören, die Schönheit eines<br />

Gemäldes zu bestaunen, ein Gedicht zu lesen. Denn großer Wein ist Hochkultur,<br />

er bezeugt in jedem Glas vieltausendjährige Geschichte, Kultivation<br />

der Natur, Wissen und Verfeinerung bis hin zur Vollkommenheit. Solche<br />

Vollendung erlebt, wer – mit Goethe zu sprechen – immer strebend sich<br />

bemüht. Wer täte das nicht gern! Es ist ja ein heiteres Streben, ein vergnügtes<br />

Bemühen; und je tiefer wir die Persönlichkeit eines großen Weins<br />

ergründen, desto heiterer, desto vergnügter werden wir ihn genießen.<br />

Darum geht es eben: Um den verständigen, um den klugen Genuss. Wein,<br />

gottlob, will uns nicht belehren. Er will nichts weiter, als uns, wenn wir uns<br />

seiner als würdig erweisen und ihn verstehen, in allen Sinnen zu erfreuen.<br />

Um wie viel mehr ein großer, ein vollkommener Wein! Er schenkt dem leidenschaftlichen<br />

Weinfreund das Schönste und Beste: reine Freude.<br />

Diese Freude möchten wir, möchte Fine <strong>Das</strong> <strong>Weinmagazin</strong> Ihnen vermitteln;<br />

es soll, so hoffen wir, ein gemeinsames Vergnügen werden – vier Mal<br />

im Jahr. Wir wünschen Ihnen fröhliche, anregende Lektüre.<br />

Bleiben Sie bei uns!<br />

Thomas Schröder<br />

Chefredakteur<br />

12<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

F I N E<br />

E D I T O R I A L<br />

13


Die <strong>FINE</strong>-Verkostungen<br />

Referenztabelle des 100-Punkte-Systems von <strong>FINE</strong> zum britischen 20-Punkte-System<br />

50 60 70 80 85 90 96 100<br />

0 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20<br />

14<br />

<strong>Das</strong> <strong>FINE</strong>-Verfahren zur Bewertung von Wein<br />

Weinverkostung ist ein persönliches Erlebnis und aus diesem Grund auch immer<br />

subjektiv. Erfahrung, Gaumen und persönliche Geschmacksvorlieben sowie die<br />

Persönlichkeit des Verkosters spielen ihre Rollen bei der Bewertung von Wein.<br />

Deshalb ist es wichtig zu wissen, wer die Verkoster und welches ihre Präferenzen<br />

und Erfahrungen mit Weinverkostungen sind. Die Fachleute dieses Magazins<br />

bewerten die Weine aufgrund ihrer persönlichen Anschauungen und Erfahrungen.<br />

Darum werden die Initialen der Verkoster in Verbindung mit jeder einzelnen<br />

Verkostungsnote genannt.<br />

Pekka Nuikki (PN) Jan-Erik Paulson (JP)<br />

Essi Avellan MW (EA) Philip Tuck MW (PT)<br />

Juha Lihtonen (JL) Andrew Caillard (AC)<br />

Ralf Frenzel (RF)<br />

<strong>Das</strong> Weinpunkte-System von <strong>FINE</strong><br />

Alle von <strong>FINE</strong> verkosteten Weine werden nach Punkten bewertet. Diese Bewertung<br />

folgt der amerikanischen 100-Punkte-Skala. (In Ausnahmefällen, bei Bewertungen<br />

durch britische Teams, gilt die 20-Punkte-Skala.) Ziel ist es, dem Leser<br />

ein tieferes Verständnis von der Qualität der durch <strong>FINE</strong> evaluierten Weine zu<br />

vermitteln sowie die Trinkbarkeit der Weine zu bewerten. Dieses Bewertungssystem<br />

weicht erheblich von dem von Robert Parker oder vom „Wine Spectator“<br />

bevorzugten System ab: Maßgeblich für die Punkte-Zahl ist unsere Freude am<br />

Wein am Tag der Verkostung. <strong>FINE</strong> vergibt keine zusätzlichen Punkte für das<br />

zukünftige Potenzial des Weins. <strong>FINE</strong>-Verkoster stützen sich bei ihrer Bewertung<br />

ausschließlich auf die gegenwärtige Qualität des Weins und dessen Fähigkeit,<br />

jetzt Genuss zu bereiten – physisch wie mental. Da das Potenzial des Weins<br />

nicht in die Punktewertung einfließt, wird darüber eine Anmerkung in den Verkostungsnotizen<br />

abgegeben.<br />

Wein wird blind, halb-blind und offen verkostet. Die entsprechende Methode<br />

findet sich in den Anmerkungen zur Verkostung. Ebenso wird das Verkostungsdatum<br />

genannt. Im Fall von reifen Weinen wird erwähnt, wann die Flasche dekantiert<br />

wurde und wie lange sich der Wein im Glas befand, bevor er begann, seinen<br />

Charakter zu verlieren.<br />

Von <strong>FINE</strong> empfohlene Kauf- und Auktionsadressen<br />

Online-Geschäfte:<br />

www.allaboutwine.de<br />

www.alpinaweine.de<br />

www.bbr.co.uk<br />

www.bensonfinewines.co.uk<br />

www.bibendum.co.uk<br />

www.bordeauxindex.com<br />

www.champersdirect.co.uk<br />

www.chateauonline.co.uk<br />

www.cwdwein.de<br />

www.grand-cru-select.de<br />

www.karstadt.de<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

Handel mit erlesenen Weinen<br />

Burkard Bovensiepen GmbH, Buchloe. Exzellente große Weine<br />

Berry Brothers and Rudd, legendäres Online-Geschäft<br />

Edle und seltene Weine, vor allem aus privaten Beständen,<br />

zurück bis Anfang des 19. Jahrhunderts<br />

Große Auswahl an französischen Weinen<br />

Online-Verkauf exquisiter Bordeaux-Weine<br />

Online-Verkauf edler Champagner<br />

Weinhandel mit großer Bandbreite junger und reifer Weine<br />

aus unterschiedlichen Weinregionen<br />

Champagner- und Wein-Distributionsgesellschaft, Hamburg<br />

Seltene Weine und Champagner<br />

Karstadt Warenhaus, Essen. Reiche Auswahl an großen Weinen<br />

www.nickollsandperks.co.uk Nickolls and Perks, erfahrene Weinhändler seit 1797<br />

www.nicolas.com<br />

www.oddbins.com<br />

www.rare-wine.com<br />

www.schlumberger-OnWine.de<br />

www.spanishwinesonline.co.uk<br />

www.ungerweine.de<br />

www.weinart.de<br />

Frankreichs größte Weinhandelskette<br />

Große Auswahl an Spitzenweinen<br />

Große Bandbreite reifer Weine aus dem letzten Jahrhundert.<br />

An- und Verkauf durch Privatpersonen<br />

Schlumberger, Meckenheim. Große Weine<br />

Gute Auswahl spanischer Weine, auch ältere Jahrgänge<br />

Unger-Weine, Frasdorf. Handel mit großen Weinen<br />

Großes Angebot bedeutender Weine<br />

Aufschlüsselung unserer Punkte<br />

100 Punkte Vollkommenheit. Ein vollkommener Wein, der alle Sinne<br />

erfüllt, vollkommen in allen Aspekten der Qualität – ein<br />

unschätzbares Geschenk der Natur.<br />

97–99 Punkte Ein beinahe perfektes Erlebnis. Der Wein und seine Geschichte<br />

sind einzigartig: unvergesslich makellose Harmonie,<br />

Komplexität und außergewöhnliche Persönlichkeit.<br />

93–96 Punkte Ein überragender Wein von höchstem Qualitätsanspruch<br />

und einzigartiger Ausgewogenheit.<br />

91–93 Punkte Ein exzellenter Wein, der einen verfeinerten Stil, eine ausgewogene<br />

Struktur und eine nuancierte Finesse aufweist.<br />

88–90 Punkte Ein guter Wein, nahezu exzellent. Harmonisch, lässt aber<br />

die Komplexität und den Charakter eines exzellenten<br />

Weines vermissen.<br />

80–87 Punkte Durchschnittlicher Wein mit weniger Charakter, Intensität,<br />

Struktur und Eleganz.<br />

70–79 Punkte Ein bescheidener und einfacher Wein, dem Leben und<br />

Harmonie fehlen.<br />

50–69 Punkte Ein beinahe untrinkbarer, leerer Wein.<br />

Zum Verständnis der Verkostungsnotizen<br />

Art und Schwerpunkt der Weinverkostung variieren individuell. Die Experten von<br />

<strong>FINE</strong> sind sich bei den meisten wichtigen Bewertungs-Parametern einig. Sie konzentrieren<br />

sich auf die Beschreibung des Charakters und der Essenz des Weines:<br />

Säure, Frucht, Tannin, Struktur, Tiefe und Länge. All diese Faktoren beeinflussen<br />

die Ausgewogenheit des Weins – und Ausgewogenheit ist nach Meinung aller<br />

<strong>FINE</strong>-Experten das entscheidende Kriterium für seine Qualität.<br />

www.weinco.at<br />

www.weinwolf.de<br />

Handelskette für hochwertige österreichische Weine<br />

Wein Wolf Import, Bonn. Exquisite Weine<br />

www.wyliefinewines.co.uk Großartige Sammlung reifer und seltener Weine ab 1800<br />

www.2020wines.com Spitzenweine aus den Hauptanbaugebieten von 1808 bis 2000<br />

Auktionen:<br />

www.ackerwines.com<br />

Acker Merral & Condit New York Auction<br />

www.brentwoodwine.com Online-Auktionshaus für ungewöhnliche, interessante Weine<br />

www.butterfields.com<br />

www.christies.com<br />

www.hdhwine.com<br />

www.magnumwines.com<br />

Bonhams & Butterfield, Auktionshaus in den USA, und<br />

Bonhams Wein-Department in England<br />

Auktionshaus Christies mit Links zu verschiedenen Adressen<br />

Weine makelloser Herkunft aus privaten Kellern in aller Welt<br />

Seltene und sehr begehrte Auktionsweine, inklusive Magnums<br />

www.morrellwine.com Weinhandlung und Auktionshaus<br />

www.sothebys.com<br />

www.tcwc.com<br />

www.winebid.com<br />

www.winecommune.com<br />

www.winecommune.com<br />

Andere:<br />

www.dunbarfinewine.co.uk<br />

Weinabteilung des Londoner Auktionshauses Sotheby´s<br />

The Chicago Wine Company<br />

Größte Internetauktion für exquisite und seltene Weine<br />

Online exquisite Weine kaufen und verkaufen<br />

Online-Weinauktion<br />

Kompletter Investitionsservice einschließlich Beschaffung<br />

und Einkellerung


W e i n g u t<br />

Robert Weil<br />

E i n K ö n i g<br />

im Reich des<br />

R i e s l i n g s<br />

Riesling – zu Kaisers Zeiten galt er als der edelste und teuerste Wein, wertvoller<br />

und begehrter als jede Flasche aus Bordeaux oder Burgund. Doch<br />

zwei Weltkriege hatten Ansehen und Qualität der kostbarsten deutschen<br />

Rebe fast ruiniert. Erst seit etwa zwei Jahrzehnten wandelte sich das Bild.<br />

Feine Rieslinge gelten wieder etwas bei Kennern und Genießern. <strong>Das</strong>s sie<br />

heute die Weinkarten der besten Restaurants in aller Welt zieren, ist nicht<br />

zuletzt einem Winzer aus dem malerischen Rheingau-Städtchen Kiedrich<br />

zu danken. Wilhelm Weil hat in einer beispielhaften Qualitätsoffensive sein<br />

darbendes Weingut in die Weltspitze geführt – und zugleich den Riesling<br />

als großen Wein international rehabilitiert.<br />

Der Morgen bringt nach einer frostigen<br />

Nacht fahlen Nebel. Lange müht<br />

sich die schwächliche Februarsonne.<br />

Noch am späten Vormittag liegt der<br />

Rhein in wattigem Dunst. Da wärmt<br />

Kiedrich sich schon Stunden in hellem<br />

Licht. Zwischen Taunushöhen<br />

und Rheingraben geht immer eine<br />

leichte Brise, der natürliche Feind<br />

feuchter Schwaden.<br />

Aus Richtung Wiesbaden kommt<br />

das Dörfchen nach der Überquerung<br />

des Sülzbachs in den Blick: im<br />

Hintergrund der stolze Rundturm<br />

der ehemaligen Burg Scharfenstein<br />

über einem sanft gewölbten Weinberg.<br />

Gegenüber liegt malerisch<br />

eine trutzige gotische Kirche. Sie ist<br />

umgeben von einer Mauer, die Pfarrund<br />

Küsterhaus ebenso umschließt<br />

wie die Michaelskapelle mit ihrem<br />

Beinhaus. Zwischen Kirche und Kapelle<br />

findet sich eine ausdrucksstarke<br />

Kalvarienberg-Gruppe. <strong>Das</strong> ganze<br />

Ensemble verdankt seinen Ursprung<br />

einer lebhaften Wallfahrt zu den Gebeinen<br />

des heiligen Valentin von Terni,<br />

dessen sterbliche Überreste einst<br />

von den Mönchen des nahen Klosters<br />

Eberbach verwahrt wurden. Als<br />

Schutzheiliger der von Fallsucht<br />

Heimgesuchten hatten die in Gebet<br />

und Arbeit nach Abgeschiedenheit<br />

suchenden Zisterzienser genug von<br />

den Mengen herbeiströmender Wallfahrer<br />

– und spendeten dem nahen<br />

Kiedrich eine üppig ausgestattete<br />

Kirche. Hier blühte die Wallfahrt über<br />

drei Jahrhunderte, bevor sie immer<br />

mehr zurückging und die Kirche mit<br />

der Zeit verfiel.<br />

Text: Martin Wurzer-Berger Fotos: Pekka Nuikki und Guido Bittner<br />

18<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

F I N E<br />

R H E I N G A U<br />

19


Dezentes Brixener Grün: Im historischen Probenraum des Weinguts<br />

Den Weingut-Gründer Robert Kiedrich in einem nach englischem<br />

Weil verschlägt es im Vorfeld des Vorbild erbauten Landhaus niedergelassen.<br />

Sir Sutton stirbt 1873, und<br />

deutsch-französischen Krieges von<br />

1870/71 von seiner Pariser Professur als nun 1879 das Haus Sutton zum<br />

an der Sorbonne zurück in die Heimat.<br />

Zunächst in Wiesbaden ansäs-<br />

Weil das Anwesen. Im Laufe der Zeit<br />

Verkauf steht, erwirbt Dr. Robert<br />

sig zieht es ihn bald nach Kiedrich. hatte er schon einige Weinberge erstanden,<br />

sein Weingut 1875 gegrün-<br />

Dort an der Sankt-Valentinus-Kirche<br />

ist sein Bruder August Chorregent; det und später dem Landhaus einen<br />

man pflegt hier und nur hier nachweislich<br />

seit 1333 einen »germani-<br />

schiefer gedecktem Dach und Türm-<br />

historistischen Fachwerkanbau mit<br />

schen Dialekt« der Gregorianik mit chen angefügt.<br />

ihrer vierzeiligen Neumen notation.<br />

Die Schönheit dieser Gesänge in ihrer<br />

musikalischen Ein malig keit fas-<br />

Die Ausstattung des gründerzeit-<br />

Kaiserliches Diner<br />

zinierte den Engländer Sir John lichen Annex ist original, Wände<br />

Sutton derart, dass er 1865 den und Decke sind mit zarten floralen<br />

fortwährenden Gebrauch dieses Motiven in Gold-, Rot- und Grautönen<br />

bemalt, Wandverkleidungen,<br />

Gotteslobes in Kiedrich durch eine<br />

Stiftung würdigte und damit sicherte.<br />

Er hatte schon zuvor auf eige-<br />

Brixener Grün gehalten. Nichts<br />

Fenster und Türen in angenehmem<br />

ne Kosten die Renovierung der ruinösen<br />

Kirche begonnen und sich in Raum von musealer Qualität<br />

wirkt schwer, nichts verstaubt. Ein<br />

und<br />

Weingut Robert Weil<br />

wie selbstverständlich in täglicher<br />

Nutzung als Verkostungsraum des<br />

Weinguts. Wenn im oberen Stockwerk<br />

Bewegung ist, knarren die<br />

Dielen. An den Wänden dezente<br />

Gouachen aus Venedig und zwei<br />

Faksimile-Speisekarten.<br />

Eine trägt das Datum des heutigen,<br />

meines Besuchstages, 1<strong>1.</strong> Februar,<br />

allerdings 1909. Sie dokumentiert<br />

das Menü der Kaiser lichen Abendtafel<br />

zu Berlin vor 99 Jahren. Zum<br />

Kalbsnierenstück wurde eine 1893er<br />

Kiedricher Auslese gereicht, ein legendärer<br />

Jahrgang, damals der beste<br />

und auch teuerste Weißwein der<br />

Welt. Auf dem benachbarten Kaminsims<br />

thront eine ebensolche Flasche.<br />

Ihr zur Seite gesellt sich eine<br />

kleine Flasche Cabinet von 1963, ein<br />

superschwieriger Weinjahrgang in<br />

ganz Europa – in ganz Europa? Nein,<br />

der Portwein war gut. Besucher und<br />

Hausherr sagen es fast gleichzeitig<br />

und müssen lächeln. Denn die Flasche<br />

steht natürlich nicht zufällig<br />

neben dem legendären 1893er: Es<br />

ist der Geburtsjahrgang, wie es der<br />

Zufall dann doch will, beider Betrachter.<br />

Ein schönes, mehrdeutiges Bild:<br />

der kleine »Cabinet« neben der großen<br />

Legende. Fast ein Gleichnis für<br />

die Aufgabe, die Wilhelm Weil sich<br />

selbst stellte. Oder sollte doch besser<br />

formuliert werden: vor die er gestellt<br />

wurde? Denn als ihm 1987 die<br />

Geisenheimer Diplomurkunde verliehen<br />

wird, trifft ihn zugleich die<br />

Nachricht von der schweren Erkrankung<br />

des Vaters. Dem gelingt es als<br />

Juristen, in einer letzten Meisterleistung<br />

ein Vertragswerk zu entwerfen,<br />

das das Gut für seine Frau und<br />

die vier Kinder als familiengeführtes<br />

Unternehmen sichert. Auf den<br />

jungen Ingenieur für Weinbau und<br />

Önologie Wilhelm Weil kommen die<br />

vielfältigen Aufgaben eines Gutsleiters<br />

zu. In der Geschichte des Weinguts<br />

Robert Weil ist er der erste gelernte<br />

Winzer; Vater und Großvater<br />

waren beide Juristen.<br />

Vision vom Riesling<br />

Im Rückblick wirkt vieles von dem,<br />

was Wilhelm Weil in den kommenden<br />

zwei Dekaden innerhalb und<br />

außerhalb des Weinguts entwerfen,<br />

anstoßen, diskutieren und realisieren<br />

wird, ungewöhnlich konsistent.<br />

Immer wird man sich vor Augen<br />

halten müssen, dass sich alles im<br />

agrarischen und damit zyklischen<br />

Umfeld eines Weinguts abspielt.<br />

Lernen heißt hier, den jahreszeitlichen<br />

Rhythmus und die natürlichen<br />

Gegebenheiten ernst zu nehmen.<br />

Fortschritt unter diesen Bedingungen<br />

ist handwerklich bedingt und<br />

kann nicht intellektuell erzwungen<br />

werden.<br />

Die Leitidee steht glasklar im<br />

Raum: Der Riesling von Rhein und<br />

Mosel mit ihren Nebenflüssen bildet<br />

gemeinsam mit den Rotweinen aus<br />

dem Bordelais sowie den roten und<br />

weißen Burgundern den Kern und<br />

den qualitativen Kristallisationspunkt<br />

der europäischen, eigentlich<br />

sogar der weltweiten Weinkultur.<br />

<strong>Das</strong> ist das einhellige, unwidersprochene<br />

Wissen im letzten Drittel des<br />

19. Jahrhunderts, das für den Riesling<br />

bis zum ersten Weltkrieg galt.<br />

Der deutsche Riesling erfuhr einen<br />

Niedergang in Wellen: Die Weltkriege,<br />

das Wegbrechen alter Vertriebskanäle,<br />

problematische Akzentsetzungen<br />

im Weinbau in der<br />

Nachkriegszeit. Viele Faktoren diskreditierten<br />

das hohe Renommé<br />

des Rieslings. Dieses Wissen zurückzugewinnen,<br />

eine angemes-<br />

sene Stellung des Rieslings in der<br />

Weinwelt zurückzuerobern, das ist<br />

die – trotz aller Erfolge in den letzten<br />

zwei Jahrzehnten – noch immer<br />

nicht ganz eingelöste Aufgabe. Sie<br />

verdankt sich im Übrigen nicht einer<br />

rückwärts ausgerichteten Nostalgie:<br />

Wie schön war es einmal, wie gut<br />

ging es uns damals … Wilhelm Weils<br />

Vision vom deutschen Riesling hat<br />

ihr Fundament in greifbaren, wissenschaftlich<br />

und auch geschmacklich<br />

nachvollziehbaren Fakten.<br />

Glaube ans Erste Gewächs<br />

Dem kann sich ein Weingut, das in<br />

seiner Geschichte die hohe Wertschätzung<br />

des Rieslings allgemein,<br />

aber auch mit den eigenen Weinen<br />

erfahren hat, kaum entziehen. Und<br />

so sind alle Aktivitäten des Weinguts<br />

Robert Weil als Maßnahmen<br />

dieser Zielsetzung zu interpretieren.<br />

Deutlicher Ausdruck des Engagements<br />

ist der Vorsitz im VDP Rheingau,<br />

den Wilhelm Weil seit 1999 innehat,<br />

gewissermaßen zwangsläufig<br />

hervorgegangen aus der intensiven<br />

Mitarbeit in der Vereinigung der<br />

Charta-Weingüter; auch dort war er<br />

lange Jahre stellvertretender Vorsitzender,<br />

bevor die Charta im VDP<br />

aufging. Die Charta-Weingüter hatten<br />

unter Bernhard Breuer die Arbeit<br />

an einem rigiden System zur<br />

Qualitätsanhebung im Rheingau begonnen.<br />

Neben einer Auswahl der<br />

Lagen besonderer Qualität gehören<br />

hierzu Ertragsbeschränkungen und<br />

Produktionsanforderungen.<br />

Den Ritterschlag bekamen<br />

die Akteure jedoch erst durch die<br />

weinrechtliche Legitimierung, für<br />

die eine Ausweitung des Anforderungskatalogs<br />

auf den gesamten<br />

Rheingauer Weinbauverband notwendig<br />

wurde. Zusammen mit der<br />

Forschungsanstalt Geisenheim wurde<br />

eine Gütekarte für den Rheingau<br />

erstellt, die nach festgelegten wissenschaftlichen<br />

Parametern, Boden<br />

und Klima betreffend, Weinberge<br />

parzellenscharf klassifizierte.<br />

Etwa ein Drittel der Rheingauer Lagen<br />

ist demnach für die Erzeugung<br />

des Ersten Gewächses geeignet, ein<br />

stolzes Qualitätspotenzial in diesem<br />

kleinen Gebiet. Hinzu treten die genannten<br />

Anbau- und Erzeugungskriterien<br />

und als dritte, nur für die<br />

Besten zu nehmende Hürde, eine<br />

anspruchsvolle sensorische Prüfung.<br />

Kompromisslos für Qualität: Wilhelm Weil vor der Lage Wasseros<br />

Sie reduziert den Anteil der Ersten<br />

Gewächse im Rheingau auf unter<br />

ein Prozent der Gesamterntemenge.<br />

Von den derzeit 150.000 Flaschen<br />

entfallen rund 25.000 auf das Weingut<br />

Robert Weil.<br />

Die Zukunft gehört dem Riesling<br />

20<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

F I N E<br />

R H E I N G A U<br />

21


d<br />

avid<br />

und Goliath<br />

in Bordeaux<br />

Text: Essi Avellan MW<br />

Fotos: Pekka Nuikki<br />

Saint-Émilion Grand Cru:<br />

Auf dem Weg zu Château Valandraud<br />

So sieht sie aus, die «Domaine de la Romanée-Conti von<br />

Pomerol» : 1979 kaufte der Belgier Jacques Thienpont das<br />

Weingut Le Pin – seit 1982 entsteht in dem bescheidenen<br />

Haus der ebenso geschätzte wie kostbare Kultwein.<br />

Krieg den Châteaux,<br />

Friede den Garagen?<br />

In den vergangenen fünfzehn Jahren hat sich<br />

G<br />

im Bordelais eine harte Konkurrenz entwickelt.<br />

Newcomer, ganz besonders die so genannten<br />

Garagisten, haben die traditionellen<br />

Weingüter herausgefordert. Zwar rühmen sich<br />

die namhaften Hersteller ihrer einzigartigen<br />

Terroirs, doch die Provokateure sind eine harte<br />

Konkurrenz für sie geworden. Auf ihrem bescheidenen<br />

Boden produzieren sie vollmundige,<br />

intensive Weine, die sowohl bei dem amerikanischen<br />

Weinkritiker Robert Parker als auch<br />

bei den Geniessern grossen Anklang finden. <strong>Das</strong><br />

Wettrennen zwischen der neuesten Technologie<br />

und den renommierten önologischen Beratern<br />

ist hart. Jede der beiden Seiten hat schon etliche<br />

Etappen für sich entscheiden können.<br />

Doch wer wird am Ende der Sieger sein?<br />

36<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

F I N E<br />

B O R D E A U X<br />

37


«Garagenweine» – mit dieser Pointe traf der Journalist<br />

Michel Bettane den Nerv jener ehrgeizigen Winzer, deren<br />

Produktion «so klein ist, dass sie in eine Garage passt».<br />

Nicht wenige sind zu wahren Kult-Weinen geworden.<br />

g aragenwein ...<br />

... der Begriff, ebenso oft<br />

im negativen wie im positiven<br />

Sinn gebraucht, soll<br />

jene Winzer im Bordelais<br />

pointiert benennen, deren<br />

Produktion, wie der Weinjournalist<br />

Michel Bettane<br />

formulierte, „so klein ist,<br />

dass sie in eine Garage passt“.<br />

Der Unterschied zu den grossartigen Weingütern<br />

der Region, den Châteaux, ist enorm – besonders<br />

wenn man auf Le Pin schaut, das Zuhause des<br />

bekanntesten Garagisten in Pomerol und Initiators<br />

der Bewegung. <strong>Das</strong> winzige, notdürftig verputzte<br />

Gebäude gleicht eher einer auf den Abriss<br />

wartenden unbewohnten Hütte. Lediglich ein<br />

kurzer Text an einer Seite des Briefkastens verrät,<br />

dass man hier dem Ausgangspunkt des Kultwein-<br />

Phänomens ganz nah ist.<br />

Bourgogne im Bordelais: Château Valandraud in winterlichem Licht<br />

Der in Belgien geborene Jacques Thienpont erwarb Le Pin 1979, die Popularität<br />

des Weins loderte auf in der Hitze des Sommers 1982. Die „Domaine<br />

de la Romanée-Conti von Pomerol“, wie manche bewundernd sagen, war<br />

geboren. Thienpont billigt nach wie vor den Beinamen Garagist nicht. Jean-<br />

Luc Thunevin hingegen, der Besitzer des Weinguts Valandraud, hat als der<br />

Erste, der sich diese Bezeichnung verdient hat, eine positivere Einstellung<br />

dazu. Thunevin wurde schon in den frühen Tagen von Valandraud weithin<br />

bekannt, weil man sich erzählte, er würde die Stengel der Trauben mit der<br />

Hand entfernen. Tatsächlich war das die Wahrheit: Thunevin konnte sich<br />

keinen maschinellen Entrapper leisten, der diese Aufgabe für ihn erledigte,<br />

geschweige denn eine Presse. So wandte er bei der Extraktion während der<br />

Maische-Gärung die manuelle Pigeage-Methode an. <strong>Das</strong> heißt, er stampfte<br />

die Traubenschalen im gärenden Most mit den Füßen unter. Als Bettane und<br />

andere Weinautoren das sahen, wurde der Begriff Garagist geprägt.<br />

Le Dôme ist einer der am meisten geschätzten Weine in Saint-Émilion.<br />

Für seinen Besitzer, den Briten Jonathan Maltus, ist der Begriff Garagist<br />

mittlerweile passé: „Wir verkörpern Weinherstellung ‚abseits der Piste’, wenn<br />

man so will, in Extremform und mit Übernahme einiger Risiken“, sagt er.<br />

„Wir sind eine Bedrohung für das Grand-Cru-Classé-System. Also sollte der<br />

Name vor allem etwas über unseren Mut aussagen, die renommierten Namen<br />

und die althergebrachten Traditionen herauszufordern. Und warum sollten<br />

nicht auch wir angemessene Preise für Spitzenweine fordern?“<br />

Unerhörte Preise<br />

Garagenweine werden des Öfteren für ihre hohen Preise und wegen ihrer<br />

schweren Erhältlichkeit in den Medien kritisiert. Beides ist indessen kein<br />

Wunder: Ihre Produktionszahlen sind eben minimal, oftmals in einer Größenordnung<br />

gerade mal um die zehntausend Flaschen. Und sobald Robert<br />

Parker ihnen eine hohe Punktzahl gibt, verkaufen sie sich zu jedem Preis.<br />

Valandrauds Preis für den Kellerverkauf lag im Jahr 1992 bei 20, acht Jahre<br />

später um die 125 Euro. Seit einigen Jahren sind die Preise leicht rückläufig.<br />

Obwohl die Winzer selbst verfolgen konnten, wie die Preise steil nach<br />

oben gingen, waren nicht sie, sondern die Zwischenhändler die großen<br />

Gewinner. Garagenweine haben hohes Interesse auf dem Sekundärmarkt<br />

geweckt, besonders in den Vereinigten Staaten und in Fernost. So brachte<br />

eine Kiste Le Pin, Jahrgang 1982, bei einer Christies-Auktion beachtliche<br />

30.000 Dollar ein.<br />

Jonathan Maltus von Le Dôme ist einer der wenigen Garagisten, die nicht<br />

die Handelsplattform der Bordeaux-Händler nutzen, die Place de Bordeaux.<br />

„Warum sollte ich zwanzig Prozent meiner Einnahmen jemandem geben, der<br />

das Produkt lediglich weiterleitet?“, sagt er. „Ich betrat 1994, also zu einer<br />

sehr schlechten Zeit, den Markt, als jeder seinen Keller bis zum Rand mit<br />

Wein gefüllt hatte. Als Ausländer hatte ich große Schwierigkeiten, einen<br />

geeigneten Händler zu finden. Heute würde ich nicht im Traum daran denken,<br />

meinen Vertrieb aufzugeben, den ich damals aufgebaut habe – meine<br />

Käufer wollen mich und mein Produkt kennen lernen und nicht irgendwelche<br />

Mittelsmänner.“<br />

Garagenweine sprechen ganz explizit den Geschmack der Konsumenten<br />

an: Sie sind weich, voll im Körper und weisen reife Tannine auf. Selbst die<br />

Verkostung eines jungen Weins aus dem Jahrgang 2006 ist keine schlechte<br />

Idee: Die Weine sind sehr sanft und fruchtig. Aber nur in den seltensten<br />

Fällen gelangen diese Weine in die Hände jener Weinfreunde, die sie auch<br />

trinken und genießen würden. Stattdessen verschwinden sie in den Kellern<br />

der Sammler. Allerdings lässt deren Sammelleidenschaft für diese Weine<br />

gerade nach: der Sekundärmarkt hat einen Sättigungspunkt erreicht, und<br />

die Preise purzeln schon ein wenig. So besteht die Chance, dass diese Weine<br />

eines Tages zwar immer noch hohe, aber doch vernünftige und gerechtfertigte<br />

Preise erzielen werden.<br />

Ausländer steigen ein<br />

„Die Sache kam Anfang der 1990-er Jahre im Bordelais ins Rollen, als die<br />

Entwicklung in der Region stagnierte, und das aus bestimmtem Grund“,<br />

erzählt Jonathan Maltus. „Die Médoc-Klassifikation von 1855 ist nach meiner<br />

Meinung immer noch höchst relevant. Aber die Klassifikation von Saint-<br />

Émilion interessiert in Wahrheit doch keinen Menschen. Darum hat hier<br />

das Domaine-Denken begonnen: Land wird hier gekauft wie in der Bourgogne,<br />

ein Stückchen hier, ein Stückchen da. Deswegen überrascht mich auch<br />

nicht, dass nahezu alle Garagisten Ausländer sind. Ich bin Brite, Thienpont<br />

ist Belgier und Graf Neipperg von La Mondotte und Clos de l’Oratoire ist<br />

Deutscher. Thunevin ist aus Lyon – und für die Leute im Bordelais beginnt<br />

das Ausland doch schon irgendwo in der Nähe von Bergerac …“<br />

<strong>Das</strong> Wettrüsten der Berater<br />

Solange die großen Weinberater mit den berühmten Namen involviert sind,<br />

werden die Bordeaux-Kultweine immer ihren italienischen und kalifornischen<br />

Cousins gleichen. Denn die Berater bringen einen zentralen Aspekt in<br />

die Weinherstellung: Sie achten genau auf die Vorlieben der renommierten<br />

Kritiker. Vor allem auf der Saint-Émilion- und Pomerol-Seite der Dordogne<br />

dominieren die großen Namen: Michel Rolland (La Gomerie, Quinault<br />

l’Enclos), Stéphane Derenoncourt (La Mondotte, Clos de l’Oratoire), Louis<br />

Mitjaville, Patrick Valette, Gilles Pauquet (Le Dôme, Le Forge) und Jean-Luc<br />

Thunevin (Marojallia). Der erste Garagist in Margaux, Château Marojallia,<br />

setzt extrem großes Vertrauen in sie. Während seiner ersten Arbeitsjahre<br />

zog er großen Nutzen aus dem Einsatz von Thunevin und dessen Frau Muriel<br />

Andraud, wie auch von Michel Rolland, Sébastien Valette und dem akribischen<br />

Riccardo Cotarella aus Italien. Jeder weiß auch, dass Michel Rolland<br />

ein guter Freund von Robert Parker ist. <strong>Das</strong> lässt vermuten, dass zumindest<br />

die Güter unter Rollands Fittichen vorteilhaft bewertet werden.<br />

Mittlerweile gilt Jean-Luc Thunevin als einer der aktivsten Berater der<br />

Region. Es ist unwahrscheinlich, dass es seinem Geschäft schadet, wenn er<br />

einen eigenen Weinvertrieb besitzt. Beispielsweise verkaufte er die Marojallia-Weine<br />

der ersten beiden Jahre. <strong>Das</strong> hat eine rasche Positionierung am<br />

Markt ermöglicht. Manchmal wird Thunevin wegen zu starker Kommerzialisierung<br />

kritisiert, aber ein paar marktorientierte Mitspieler sind mehr als<br />

willkommen in der Region.<br />

Jonathan Maltus, Le Dôme: «Wir sind eine Bedrohung des Grand-Cru-Classé-Systems»<br />

38<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

F I N E<br />

B O R D E A U X<br />

39


Heute mache ich eine Flasche auf und trinke sie ganz allein. Château Latour 1961, der<br />

größte Jahrgang der Nachkriegszeit im Bordelais. Ich gebe ihr zwei Stunden in der<br />

Karaffe, seit einer halben steht sie auf meinem Tisch. Die Flasche ist ein Geschenk<br />

meines Vaters, aber sie war schon zweimal in meinem Besitz. Als ich sie zum<br />

ersten Mal Anfang der achtziger Jahre erhielt, war mir klar, dass er sich nicht<br />

leicht von ihr getrennt hatte. Ich merkte das Geschenkdatum in winziger<br />

Schrift an und offerierte ihm den noch immer herben Schatz zwei Jahre<br />

später. <strong>Das</strong> ging noch zweimal so. Am Ende blieb sie bei mir. <strong>Das</strong> Spiel war<br />

aus, mein Vater (1911–1998) gestorben. Die kleinen Notate auf dem Etikett<br />

bezeugen einen langen Vater-Sohn-Austausch über Wein. Fast alles habe<br />

ich von ihm gelernt. <strong>Das</strong> Verstehen deutscher Weißweine, roter und weißer<br />

Burgunder. Nur die Bordeaux sind meine eigene Eroberung.<br />

Ich schenke mir das erste Glas ein, hebe es grüßend meinen nicht mehr anwesenden Vater,<br />

nehme das Bukett auf und den ersten Schluck – enorm, fabelhaft. So ein Purpur habe ich<br />

noch nie gesehen. Unglaublich. Der Wein ist immer noch jung, etwas Tannin ist noch da.<br />

Habe ich vielleicht zu kurz dekantiert? Noch ein bisschen Pfeffer ist zu spüren, der Hauch<br />

einer Süße, die an alten Madeira erinnert, ja Madeira, ich täusche mich nicht, aber es ist<br />

die fein brennende Süße und nicht der Alterston von Weinen, die man mit maderisierend<br />

bezeichnet. Wie seltsam, dass die Natur und meine willige Nase zwei Geschmacksnoten in<br />

einem Glas zusammenbinden.<br />

Selbstgespräch<br />

Michael Klett allein mit einer Flasche Latour ’61:<br />

Warum<br />

000bin0ich0so0versessen0auf000<br />

W ein?<br />

Der Anlass, alleine hier zu sitzen und den roten Nektar im Glas zu<br />

schwenken, ist nichts Eigenbrötlerisches, ich trinke eigentlich nie alleine,<br />

aber neulich hat sich herausgestellt, dass ich eine ganz erkleckliche Anzahl<br />

von Jahren zusammengehäuft habe, mit der Folge eines gewissen Bedürfnisses,<br />

mir Besinnung zu gönnen über das, was ich da alles hinter mich gebracht<br />

habe. Darüber gibt es allerhand zu sagen, aber diese vorzügliche Flasche hält<br />

mich im Augenblick an biographischen Gegenständen, die meine Taten,<br />

meine Niederlagen und meine Siege auf angenehme Weise begleitet haben:<br />

weinbestockte Landschaften, Ernteglück und Gärungsduft, das Vergnügen<br />

am Hamstern und Einkellern, klingende Gläser bei festlichen Stimmungen<br />

und alles, was passiert, wenn Nase und Gaumen animiert werden.<br />

Was also nun den Wein angeht, so kann ich auf zwei Initiationen zurückblicken.<br />

Mein Vater setzte eine Tradition in unserer Familie fort, nach welcher<br />

Kinder mit dem 13. Lebensjahr statt Trinkbecher gestielte Weingläser<br />

zum Essen aufgetischt bekommen. Von diesem Alter an haben sie ein Recht<br />

auf einen Anteil dessen, was abends oder am Sonntagmittag an Wein aufgetischt<br />

wird. Wie ich schon sagte, habe ich beinah alles, was man als Zecher und<br />

spürender, suchender Weinzahn lernen kann, von ihm gelernt. Darunter auch<br />

den einfachen, aber wichtigen Spruch des Heraklit: Nicht zuviel! Den habe<br />

ich wohl in mich aufgenommen, aber natürlich nicht immer beherzigt. Aber<br />

große Zech-Débauchen eignen sich nicht zur Beschreibung, eigentlich sind<br />

sie peinlich, und das Beste, was man sagen kann, ist, dass man entrückt war.<br />

Meine Initiation hatte mit deutschen Weißweinen, trockenen und vor<br />

allem süßen großen Beerenauslesen und Eisweinen begonnen. Später kamen<br />

Burgunder dazu. Die wirkten hitzig auf mich. Ich verstand, dass sie ihre große<br />

Zeit in den zugigen Schlössern des 18. Jahrhunderts hatten, als man sie zur<br />

Befeuerung des Gemüts und zum Heizen der Körperlichkeit nutzte. Mir<br />

waren sie zu heiß. Mein Vater dagegen, ein Vollsanguiniker, blühte auf, und<br />

so bedurfte es einer zweiten Initiation, die mir in meinen späten Zwanzigern<br />

zuteil wurde, als Folge einer schönen Freundschaft mit Michael Bömers,<br />

dem seinerzeit größten Weinimporteur in Deutschland und heutigen Herrn<br />

eines notablen Châteaus im Bordelais. Initiation und Schulung dauerten drei<br />

Jahre, gerade genug, um ein strammes Arbeitsleben mit der einfachen Freude<br />

zu bestehen, zehn Schlucke in einem Glas funkeln zu lassen – à propos, mein<br />

Latour. Die Zimmerwärme hat jetzt Duft und Geschmacksvarianten herausgeholt, die ich<br />

nie an Latour kannte. Ich habe das Gefühl, das ganze Zimmer riecht ein bisschen anders.<br />

Einer der Höhepunkte meiner Lehrzeit war eine große Weinprobe in<br />

Bremen. <strong>Das</strong> Thema Latour und die umgebenden Weingüter, also Lynch-<br />

Bages, Pontet-Canet, Haut-Batailley, die beiden Pichons, Léoville-Las Cases<br />

und einige kleinere. Einer – war das Château Fonbadet? – schlug in einem<br />

Jahrgang den großen Latour in der Blindprobe. Im ganzen wirkten die umgebenden<br />

Châteaux mit ihren wunderbaren Weinen wie Hunde, die um einen<br />

mächtigen Löwen kläffen und ihm nichts anhaben können. <strong>Das</strong> große Spektakel<br />

war professionell und daher anstrengend. Drei Proben an einem Tag.<br />

Um neun Uhr morgens die erste, um elf die zweite und nachmittags um fünf<br />

die dritte. Man sah die Ermüdung, die dem Homo sapiens der Tag bringt. Die<br />

Geschmacksfähigkeit ließ nachmittags rapide nach. Die Probenergebnisse<br />

zu dieser Stunde wirkten wie ein Verwirrspiel, aber zum Mittagessen davor<br />

waren alle in high spirits. Wir saßen mit dem Kellermeister von Latour in<br />

einem Ausfluglokal im Bremer Bürgerpark. Er bat uns Deutsche, ihm einen<br />

frischen, blumigen Weißwein auszusuchen. Wir wählten Boxbeutel aus<br />

dem Baden-Badener Weinland und fanden den großen Weinzahn begeistert.<br />

«Il y a de bonnes choses partout », meinte er. <strong>Das</strong> große Weinerlebnis<br />

sei mit kleinen, gut gemachten Weinen ebenso zu haben wie mit den ganz<br />

Großen, es käme auf den Augenblick an. Dieser Frühjahrsglanz mit aufblühenden<br />

Rhododendren und den tauglitzernden Bäumen und dann diesem<br />

wunderbaren floralen Riesling. Ich glaube, gute kleine und mittlere Weine<br />

werden von ordentlichen Handwerkern gemacht, für große braucht es starke<br />

Sinnesmenschen, die natürlich auch noch über eine gute Portion klaren<br />

Verstands verfügen sollten. Der knorrige Médocquien lobte übrigens den<br />

deutlichen Qualitätszuwachs an Rotweinen aus der Neuen Welt. Seither<br />

habe ich immer welche in meinem Keller. Nicht viel, aber genug, um mich<br />

mit der Frage zu beschäftigen, ob sie an Delikatesse und Komplexität an die<br />

Bordeaux, meine Lieblinge bei Tag und bei Nacht, herankommen. <strong>Das</strong> wird<br />

wohl nicht gelingen. Aber ich schätze die Weine der südlichen Halbkugel<br />

vor allem wegen ihrer Feurigkeit und ihrer berstenden Kraft, und immer<br />

interessant bleibt die kalifornische Finesse.<br />

Ich fülle nach – wunderbare Glyzerinarkaden im Glas, die Veränderung des Spiels bei<br />

zunehmender Adaption durch die Zimmerwärme ist faszinierend, es hat sich der Purpur<br />

vertieft, das tolle Nass wirkt jetzt glatter, wenn ich schlucke, besser, wenn es hinabsteigt<br />

wie Gott in Samthosen.<br />

Jetzt muss ich aber noch etwas nachtragen: die zeitweilige Begeisterung<br />

meines Vaters für weiße Burgunder. Dazu muss man wissen, dass dieser<br />

außerordentliche Mann über eine gehörige Nase verfügte, er hätte bei<br />

italienischen Nasenkönigswettbewerben durchaus Chancen gehabt. <strong>Das</strong><br />

Schnuppern und Aufnehmen von Duftspielen, die aus dem Glas quellen,<br />

wirkte wie ein Ritus auf mich. Er konnte den Kopf hin und her neigen wie<br />

Vögel, denen die Körner schmecken, die sie picken. Eine gute Zeit lang ging<br />

es zuhause nur weiß zu. Montrachet! Ein Freund hatte ihm zum Sechzigsten<br />

eine Flasche Le Montrachet 1906 geschenkt. Wir tranken sie an einem warmen<br />

Sommerabend, wenige Tage nach seinem Fest. Die über sechzig Jahre<br />

hatten das Gewächs zu einem goldenen Duft- und Geschmacksfeuerwerk<br />

gemacht, seitdem beharrte er eigensinnig darauf, dass es sich hier um weiße<br />

Rotweine handle. Vielleicht hat er nicht ganz unrecht gehabt. Die besonderen<br />

Bedingungen, die Burgunder zu dem machen, was sie sind, also die<br />

unglaublich vielseitigen Bodenverhältnisse und die Neigung der Weinberge<br />

zum Orient hin, zur aufgehenden Sonne, was ihnen in heißen Jahren besonders<br />

bekommt, und schließlich die Holzreifung bringen doch genug zusammen,<br />

dass sich Ähnlichkeiten erriechen und erschmecken lassen. Auch ist<br />

der Chardonnay eine entfernter Pinot-Verwandter.<br />

Wo ich gerade wieder beim Weißwein bin: Ich erinnere mich eines herrlichen<br />

Besuchs in Carbonnieux in Graves. Sardellenkanapees und dieser<br />

vom lieben Gott eigentlich als Begleiter der Auster erfundene strahlende<br />

Sauvignon Blanc. Es war Herbst, der Wein war gerade eingebracht. Die<br />

Tage waren kühler als erwartet. Der Wein in den Stahltanks in der Nähe des<br />

geöffneten Tors wollte nicht so recht gären. Die resolute Hausherrin behalf<br />

sich mit einem kleinen Heizöfchen, das sie aus dem Badezimmer holte. Es<br />

stand wie ein kleiner runder Knirps vor dem riesigen Stahlkessel. Ein kleiner<br />

David, der dem Goliath Beine machte. – <strong>Das</strong> war anlässlich eines Besuchs bei<br />

Freunden, die mich auch zu Smith-Haut-Lafitte und Haut-Brion schleppten.<br />

Ein zechanstrengender, aber vergnüglicher Vormittag. Die Freunde lebten in<br />

Labrède, in Graves. Der Herr des Hauses war Notar, der viele Transaktionen<br />

großer Weingüter besorgt und daran ordentlich verdient hatte. Ein fröhlicher,<br />

lebenszugewandter Westfranzose, Gefangener in Deutschland gewesen,<br />

wo er auf dem Land wie Gott in Frankreich gelebt hatte. Auch Geschichten<br />

über die mit ihren Reizen freigiebigen deutschen Bauersfrauen waren in<br />

den Strom der Erinnerungen eingewoben. <strong>Das</strong> Gelände um das behagliche<br />

Bürgerhaus war mit Reben bestockt. Es gehörte einstens zu den Weinbergen<br />

von Montesquieu. Der Sohn und Nachfolger stibitzte mir aus dem Safe<br />

des Alten ein notarielles Transaktionsdokument, das von dem Aristokraten<br />

und großen Gelehrten höchst selbst unterschrieben war. Montesquieu hat<br />

viel vielleicht Entscheidendes für die Verbreitung der Bordeaux-Weine in<br />

Europa getan. Nach seinem Grand Tour durch Deutschland, Skandinavien,<br />

England, Schottland, Spanien usw. sandte er seinen vielen Gastgebern kleine<br />

Fässer. Als er nachzuliefern begann, gegen Rechnung natürlich, wurde ein<br />

Geschäft daraus, und so ist es bis heute geblieben.<br />

Wieder fülle ich das Glas. Ich halte mich dauernd zurück, nicht zu schnell zu trinken.<br />

Der Wein ist jetzt ganz glatt, alle Tannine sind verschmolzen zu einem strahlenden Fluss,<br />

der mir in den Hals läuft. Etwas ganz Großes ist dieser Wein.<br />

Es muss mit den Säften zusammenhängen, die in einem sind. Eine körpereigene,<br />

immer geheimnisvolle Chemie, die es macht, dass so ein Wein nicht<br />

nur sensationell, also sinnesbefeuernd schmeckt, sondern man sich auch sofort<br />

«besonders» fühlt, herausgenommen aus der Wohl- oder Unwohlfühlerei.<br />

Mein Großvater, in dessen Haus ich heute lebe, soll, so mein Vater, nur<br />

Bordeaux und deutsche Weißweine im Keller gehabt haben, und immer gab<br />

es zu festlichen Anlässen Rauzan-Ségla. Burgunder waren also dem Sohn<br />

nicht vorgekommen, aber als er nach Ausbruch des Krieges und der Besetzung<br />

Frankreichs seinen ersten militärischen Auftrag bekam, nämlich das<br />

Hereinholen von Weinbeute in Gestalt von Burgundern, ereilte ihn schließlich<br />

sein Glück. Er versuchte auf dem Transport zwischen Dijon und München<br />

die 250-Lastwagen-Koordination dadurch herzustellen, dass er mit<br />

dem Motorrad die Kolonne auf- und abfuhr, um so nach dem Rechten zu<br />

sehen. Auf diese Weise stieß er nicht weit von Karlsruhe auf einen Lastwagen,<br />

der von der Autobahn abgekommen und die Böschung hinabgestürzt<br />

war. Zerbrochene Flaschen, rote Lachen im grünen Gras. Aus einem zerbrochenen<br />

Flaschensockel trank er, so sein späterer Bericht, seinen ersten<br />

Burgunder, und zwar einen Chambertin, worauf er immer während unserer<br />

Reisen im Burgund in dem Moment hinwies, wenn unser Auto an dem großen<br />

«Clos»vorbeibrummte. Über die Beutegier der Deutschen in Frankreich<br />

und die Listen der Franzosen, die ihre Kostbarkeiten der Requirierungsadministration<br />

zu entziehen versuchten, ist viel geschrieben worden. Ganze<br />

Bahntransporte verschwanden spurlos, weil sie auf wenig befahrene Seitenstrecken<br />

abgezweigt und dann versteckt wurden. Große Champagnerorders<br />

aus Berlin waren fast immer ein Signal, das großen deutschen Offensiven<br />

54<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

F I N E<br />

S E L B S T G E S P R Ä C H<br />

55


Vom<br />

unger<br />

nach<br />

Wein<br />

Text: Juha Lihtonen<br />

Fotos: Jan Dahlqvist<br />

In den nordischen Ländern ist Sommelier ein neuer, immer noch ungewöhnlicher<br />

Beruf. Dennoch aber hat Skandinavien in kurzer Zeit eine<br />

Reihe erstklassiger Sommeliers hervorgebracht. Beispiel: Der Schwede<br />

Andreas Larsson, der 2004 als „Bester europäischer Sommelier“ ausgezeichnet<br />

wurde. <strong>Das</strong> ließ den Mittdreißiger nicht ruhen – nun wollte er auch<br />

bester Sommelier der Welt werden. Sein Traum erfüllte sich prompt.<br />

Der beste Sommelier der Welt<br />

· Andreas Larsson ·<br />

76<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

F I N E<br />

P O R T R Ä T<br />

77


„Ich habe über die Jahre hinweg in vielen Stockholmer<br />

Restaurants gejobbt, bis mir dämmerte, dass es sinnvoller<br />

sei, exquisite Weine zu öffnen, als den Küchen boden<br />

zu schrubben.“<br />

Es ist ein sonniger Morgen, und ich<br />

sitze an einem Sherry-Stand auf<br />

der Vinordic Weinmesse in Stockholm.<br />

Wenige Augenblicke später<br />

kommt forsch ein groß gewachsener,<br />

stilvoll gekleideter Mann junger<br />

Mann auf mich zu, Andreas Larsson.<br />

Er hatte diesen Treffpunkt vorgeschlagen.<br />

Ob wohl sein Besuch der Jerez-<br />

Region kurz zuvor und sein Vergnügen<br />

am Sherry diese Entscheidung<br />

bestimmt hat? „Ich kann mir keinen<br />

besseren Start in den Tag vorstellen<br />

als ein kleines Frühstück mit einer<br />

dünnen Scheibe Pata-Negra-Schinken<br />

und einem herrlich frischen, trockenen<br />

Manzanilla-Sherry im Glas“,<br />

ist seine Antwort. Es ist offenkundig,<br />

dass dieser Mann viel Zeit unter der<br />

iberischen Sonne verbracht hat. Den<br />

Einfluss Spaniens kann man in Larssons<br />

betont beiläufiger Männlichkeit<br />

und der Leidenschaftlichkeit erahnen,<br />

mit der er über Weine spricht.<br />

„Spanien liegt mir sehr am Herzen –<br />

soweit es Wein, Essen und schöne<br />

Frauen angeht“, bekennt er.<br />

Die Welt<br />

der grossen Weine<br />

Was braucht es, um ein Top-Sommelier<br />

zu werden? „Einen ganz und gar<br />

verdrehten Geist“, sagt Larsson grinsend<br />

und fährt fort: „Es ist nicht wirklich<br />

eine Berufswahl, sondern eher die<br />

Entscheidung für eine Lebensart. Du<br />

brauchst Leidenschaft, ja Besessenheit<br />

für alles, was mit Wein zu tun hat.<br />

Diese Art zu leben heißt zum Beispiel,<br />

zuhause zu kochen, aber auch in<br />

Restaurants zu essen – und vor allem:<br />

täglich Weine zu trinken. Wenn ich<br />

morgens aufwache, ist mein erster<br />

Gedanke: Was esse ich heute und welchen<br />

Wein trinke ich dazu? <strong>Das</strong> Denken<br />

über Wein erfüllt mich ganz, über<br />

Weine lesen, sie verkosten, Vorträge<br />

halten und über Wein schrei ben: Ich<br />

lebe und atme die Welt der Weine<br />

Tag für Tag.“<br />

Seit vielen Jahren wirkte Larsson<br />

schon als Sommelier in verschiedenen<br />

Stockholmer Restaurants, zuletzt im<br />

vornehmen Bon Lloc. Seit 2005 ist<br />

er Creative Sommelier des exklusivinnovativen<br />

Restaurants PM & Vänner<br />

in der südschwedischen Universitätsstadt<br />

Växjö. Neben dieser Arbeit<br />

unternahm er allein im vergangenen<br />

Jahr zweiundzwanzig Weinreisen:<br />

Auch sein Wissensdurst am Wein<br />

scheint unstillbar.<br />

Konkurrieren<br />

und erinnern<br />

Andreas Larssons Weg über die<br />

Sommelier-Wettbewerbe an die<br />

absolute Spitze dauerte sieben Jahre.<br />

Sein Stern ist kontinuierlich aufgegangen.<br />

Da muss wohl eine Menge<br />

Glück neben dem natürlichen Talent<br />

im Spiel gewesen sein? „Glück hat<br />

mit meinem Erfolg nichts zu tun. Er<br />

ist die Folge eines starken Drangs,<br />

mich mit anderen zu messen, und<br />

einer schnellen Auffassungsgabe<br />

dank meines guten Gedächtnisses.<br />

Ich habe mich selber nie als besonders<br />

talentiert betrachtet. Förderung<br />

ist sicher ein signifikanter Faktor<br />

für den Erfolg, aber bei mir hätte<br />

es, offen gestanden, ruhig etwas mehr<br />

sein können. Glücklicherweise gab<br />

es aber doch ein paar wichtige Leute,<br />

die mich unterstützt haben. Ohne<br />

die wäre ich nie so weit gekommen,<br />

jedenfalls nicht in so kurzer Zeit“, sinniert<br />

Larsson. Unter seinen wichtigsten<br />

Förderern waren der Sommelier<br />

und international hoch respektierte<br />

Weinfachmann Jonas Röjerman, der<br />

ihn zu den Wettbewerben ermunterte,<br />

und sein Coach, der Weinautor<br />

Michel Jamais.<br />

Vom Durchschnitt<br />

zur Elite<br />

Im Jahr 2006 kürte das Magazin<br />

„Wine International“ Larsson bei<br />

seinem jährlichen Wettbewerb zum<br />

„Sommelier of the Year“. Außerdem<br />

war er der erste Skandinavier, der in<br />

die prestigeträchtigste europäische<br />

Weinexpertenjury berufen wurde,<br />

die Grand Jury Européen (GJE).<br />

Sie bewertet jedes Jahr die am meisten<br />

geachteten Weine der Welt. Die<br />

Jury hat zweiunddreißig Mitglieder,<br />

von Weinherstellern bis hin zu<br />

Sommeliers, Journalisten und Meinungsführern<br />

in Sachen Wein aus<br />

ganz Europa. Diese Mitgliedschaft<br />

bedeutet dem jungen Schweden sehr<br />

viel: „Als junger Mann hätte ich mir<br />

nicht träumen lassen, eines Tages<br />

Mitglied einer solch angesehenen<br />

Jury zu sein. Ich komme aus einer<br />

ganz durchschnittlichen schwedischen<br />

Familie, in der niemals Wein<br />

auf den Tisch kam, nicht einmal das<br />

Wort existierte im Familienvokabular.“<br />

Larssons Interesse am Wein<br />

wurde am Herd geweckt. „Als ich ein<br />

Kind war, dachte meine Mutter, ich<br />

würde Koch werden. Schon mit zwei<br />

Jahren soll ich begeistert Kochbücher<br />

betrachtet haben. Kochen wurde<br />

tatsächlich schon früh ein wichtiger<br />

Teil meines Lebens. Ich war ein<br />

ewig hungriger Teenager, also musste<br />

ich kochen. Dabei ließ ich mich von<br />

Koch büchern inspirieren. Oft waren<br />

darin auch Weinflaschen abgebildet,<br />

und deren schöne Etiketten blieben<br />

mir im Gedächtnis.“<br />

Seine ersten großen Weinerfahrungen<br />

machte Larsson mit rotem<br />

Bordeaux. Sein professionelles Interesse<br />

an Wein aber schlummerte<br />

noch für bald zehn Jahre. In dieser<br />

Zeit machte er eine Kochlehre und<br />

wurde 1990 Koch.<br />

Lieber Flaschen öffnen<br />

als Boden schrubben<br />

„Ich habe über die Jahre hinweg in vielen<br />

Stockholmer Restaurants gearbeitet,<br />

bis mir dämmerte, dass es viel<br />

sinnvoller wäre, die exquisiten Weine<br />

zu entkorken, als den Küchenboden<br />

zu schrubben“: Larsson war 25 Jahre<br />

alt, als er sich auf ein Sommelier-Studium<br />

an der Stockholmer Restaurangakademi<br />

einließ. Bei der Weingesellschaft<br />

Vinkällaren Grappe, einem<br />

malerischen Weinkeller in Stockholm,<br />

in dem Privatleute ihre kostbaren<br />

Weine lagern und reifen lassen – und<br />

natürlich auch zu herrlichen Speisen<br />

in elegantem Ambiente trinken können<br />

–, bekam er seinen ersten Sommelier-Job,<br />

genauer gesagt bei Jonas<br />

Röjerman. Die Grappe-Gesellschaft<br />

mit ihren 950 Mitgliedern verlangte<br />

eine Menge Aufmerksamkeit: Sich<br />

um die 110.000 Flaschen der Einleger<br />

zu kümmern, war Herausforderung<br />

genug für den jungen Sommelier.<br />

„Ich bekam die einmalige Gelegenheit,<br />

exklusive Weine zu probieren,<br />

während ich sie überprüfte, bevor<br />

L arssoN<br />

A N D R E A S<br />

78<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

F I N E<br />

P O R T R Ä T<br />

79


<strong>Das</strong> Mysterium: Wenn sich<br />

Wein in Gold verwandelt<br />

Als eines späten Septembermorgens die Sonne aufgeht,<br />

ziehen Nebelschleier über die kalten Wasser<br />

des Ciron. Sie gleiten rasch über die Weinberge und<br />

lassen sich dann auf den Hängen nieder. Als die ersten<br />

Sonnenstrahlen die Hügel streifen, zerreisst<br />

ihre Wärme den Nebel, und zwischen den Rebstöcken<br />

werden die Umrisse von Weinpflückern sichtbar. Sie<br />

gehen gebückt und sammeln die von Schimmel umhüllten<br />

Trockenbeeren ein, sehr sorgsam, eine nach der<br />

anderen, Beere für Beere. Die erste Lese des 1896 er<br />

Jahrgangs auf Château d’Yquem hat begonnen.<br />

Text und Fotos: Pekka Nuikki<br />

Die Ernte des 1896 er Jahrgangs begann im Auftrag<br />

von Amade de Lur-Saluces am 2<strong>1.</strong> September, als<br />

die Sonne noch für weitere fünf Tage scheinen sollte. Der<br />

sorgfältige erste Lesedurchgang ergab ein Dutzend Fässer<br />

sehr konzentrierten Weins. Nach zwei regenreichen Tagen<br />

wurde mit der zweiten Lese begonnen. <strong>Das</strong> gute Wetter<br />

hielt sich nur einen Tag, aber das Resultat waren fünfzehn<br />

großartige Fässer. Die Pflücker kehrten eine Woche<br />

später zum dritten Mal zu den von der Edelfäule Botrytis<br />

cinerea befallenen Trauben zurück. Wechselhaftes Wetter<br />

kündigte nun eine näher rückende Regenfront an. Die<br />

Gewissheit über das, was da im Anzug war, beschleunigte<br />

die Geschwindigkeit der Pflücker, und die Ernte steigerte<br />

sich auf vierundzwanzig Fässer am Tag. Der unerbittliche<br />

Regen kam drei Tage später und unterbrach die Arbeit<br />

für eine Woche. Auch die vierte Lese wurde immer wieder<br />

von Regenschauern gestört, aber das Resultat waren<br />

zweihundert Fässer in vier Tagen – damals eine außerordentliche<br />

Leistung. Allerdings fiel der Alkoholgehalt auf<br />

vierzehn Grad. Die fünfte und letzte Ernte ergab dreihundert<br />

Fässer in einem extrem schlechten Zustand. Der<br />

potenzielle Alkoholgehalt fiel unter zehn Grad – diese<br />

Trauben konnten für den Grand Vin nicht genutzt werden.<br />

Alles in allem wurden 826 Fässer bei einem Ertrag<br />

von zweiundzwanzig Hektoliter pro Hektar unter sehr<br />

unterschiedlichen Bedingungen geerntet. Aber nur das<br />

erste Viertel konnte den strengen Anforderungen von<br />

Château d’Yquem genügen.<br />

94<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

F I N E<br />

B O R D E A U X<br />

95


Château d’Yquem: Hinter den wehrhaften Mauern lagern die Goldreserven des Bordelais<br />

Wein von blauem Blut<br />

Yquems allererste offizielle dass die Philosophie des Weinbaus eigene Klassifizierung: Premier Cru erklärt Alexandre de Lur-Saluces die<br />

Ernte hatte dreihundert Jahre von Château d’Yquem in Jahrhunderten<br />

Supérieur Classé. Heute ist es das so subtile wie prekäre Situation: „Wir<br />

zuvor stattgefunden, im Jahr 1593,<br />

als Jacques de Sauvage das Weingut<br />

von der französischen Krone erwarb.<br />

In den Besitz des altehr würdigen<br />

Grafen geschlechts Lur- Saluces<br />

gelangte das Château d’Yquem<br />

schließlich, als Françoise de Sauvage<br />

und Louis Amade Lur-Saluces, ein<br />

Patensohn Ludwigs XV., 1785 heirateten.<br />

Zugleich unterstellte es sich<br />

dem Schutz des französischen Königs.<br />

Heute besitzt das Weingut mehr als<br />

100 Hektar, was seiner Größe vor<br />

zweihundert Jahren ungefähr entspricht.<br />

Château d’Yquem produziert<br />

gewachsen ist. „<strong>Das</strong> Wichtigste ist,<br />

die Natur zu respektieren“, betont er,<br />

„wie es mein Großvater und dessen<br />

Vorgänger vor Hunderten von Jahren<br />

schon taten. Ohne das Zutun von<br />

Mutter Natur können wir keine großartigen<br />

Weine herstellen.“ Jede Lese<br />

sei auf ihre Weise ein Abenteuer für<br />

sich mit immer neuen Überraschungen.<br />

Aber auch in Zukunft würden<br />

die Yquem-Weine die gleichen sein,<br />

die sie schon vor Jahrhunderten<br />

waren: „Die Werkzeuge haben sich<br />

geändert, aber nicht unsere Art, Wein<br />

herzustellen.“<br />

einzige Weingut in Sauternes, das<br />

die Einstufung Premier Grand Cru<br />

Classé genießt. Auch wenn es diese<br />

Klassifizierung auf seinen Etiketten<br />

nutzen könnte, tut es das nicht. So<br />

oder so produziert es die renommiertesten<br />

Weine der Region und nach<br />

Meinung mancher Experten die besten<br />

im Bordelais überhaupt.<br />

Seine Lage auf dem höchsten<br />

Punkt in Sauternes erzeugt ein einzigartiges<br />

Mikroklima, das aber von<br />

Jahr zu Jahr sehr schwankt. Daher<br />

bedarf es einer äußerst sorgfältigen<br />

und präzisen Bewirtschaftung der<br />

entscheiden nur, wann und wie die<br />

Weinlese stattfindet.“<br />

In schwierigen Jahren kann die<br />

Weinlese acht bis zehn Wochen dauern.<br />

Die Beeren werden naturgemäß<br />

ausschließlich Weißweine und ist in<br />

Rebflächen: „Die Wetterbedingungen<br />

in der Wachstumsperiode, insbe-<br />

der ganzen Welt vor allem für seine<br />

Qualität<br />

Süßweine berühmt.<br />

sondere während der Weinlese, wenn<br />

ohne Kompromisse<br />

Comte Alexandre de Lur-Saluces,<br />

wir darauf warten, dass die Botrytis<br />

der das Weingut zuletzt drei-<br />

ßig Jahre lang führte und seit wenigen<br />

Jahren im Ruhestand ist, erklärt<br />

denn auch mit verhaltenem Stolz,<br />

Als die Weine aus dem Bordelais im<br />

Jahr 1855 durch die Handelskammer<br />

in Bordeaux klassifiziert wurden,<br />

bekam nur Château d’Yquem eine<br />

unsere Trauben befällt, geben unseren<br />

Weinen ihre einzigartige Persönlichkeit<br />

– dieser natürliche Vorgang<br />

hängt ausschließlich vom Wetter ab“,<br />

Der Ertrag eines Rebstocks füllt ein Glas<br />

immer noch von Hand ausgelesen,<br />

und zwar erst dann, wenn sie gänzlich<br />

mit Botrytis bedeckt sind. Oft<br />

sind bis zu zehn Lesedurchgänge<br />

während einer Ernte nötig. Beeren,<br />

die die Höchstreife nicht erreichen,<br />

werden am Weinstock zurückgelassen<br />

und nicht gepflückt. Sogar nach<br />

der Vinifikation und der Reifung im<br />

Fass kann der Wein abgelehnt werden,<br />

wenn er sich nicht den Château-<br />

Ansprüchen entsprechend entwickelt<br />

hat. Dieser Schlag traf zum Beispiel<br />

die Jahrgänge 1978 und 1979. Mehr<br />

als die Hälfte wurde verworfen. Und<br />

in ganz schlechten Jahren stellt Château<br />

d’Yquem überhaupt keinen Wein<br />

her. So geschah es in den Jahren 1964,<br />

1972, 1974 und 1992.<br />

„Die meisten Leute denken, es<br />

bedarf keines Aufwands, ein weltberühmtes<br />

Weingut wie Château<br />

d’Yquem zu betreuen“, sagt Alexandre<br />

de Lur-Saluces, „aber wie<br />

andere Unternehmen auch beeinflussen<br />

uns Bewegungen auf dem<br />

Weltmarkt, vom Wetter jetzt ganz zu<br />

schweigen“. <strong>Das</strong> Jahr 1974 sei eines<br />

der schwierigsten in seiner Zeit gewesen.<br />

In jenem deprimierenden Jahr,<br />

erinnert er sich, hätte das Weingut<br />

nicht eine einzige Flasche Yquem herstellen<br />

können: „Und von den anderen<br />

Jahrgängen konnten wir gerade<br />

einmal vier Kisten verkaufen.“<br />

Glückverheissende<br />

Vergangenheit<br />

Der Ertrag pro Hektar ist mit neun<br />

Hektolitern außergewöhnlich gering.<br />

Alle Trauben eines Weinstocks ergeben<br />

gerade mal ein Glas Wein. Trotz<br />

der beträchtlichen Größe des Anbaugebiets<br />

beträgt daher die durchschnittliche<br />

Jahresproduktion nicht<br />

mehr als 90.000 Flaschen. Nach<br />

Einschätzung von Alexandre de<br />

Lur-Saluces hatte Château d’Yquem<br />

zuletzt ein paar gute Jahre. „Viele<br />

dieser Weine werden ihre herausragenden<br />

Eigenschaften bis weit ins<br />

nächste Jahrhundert behalten“, sagt<br />

er. „Der Jahrgang 20<strong>01</strong> scheint sich<br />

wahrlich gut zu entwickeln. Weine<br />

dieses Jahres haben das Potenzial,<br />

bald zu den besten zu gehören. Ich<br />

bin sehr froh darüber, wie schon<br />

der junge Wein schmeckt.“ <strong>Das</strong> Jahr<br />

2000 sei eines jener Jahre gewesen,<br />

die sich bis zum Beginn der Weinlese<br />

perfekt entwickelt hätten. „Dann<br />

aber begann der Regen während des<br />

Comte Alexandre de Lur-Saluces: „Wir können keine großen Weine machen<br />

ohne die Hilfe von Mutter Natur. Jede Lese ist auf ihre Weise ein Abenteuer<br />

für sich mit immer neuen Überraschungen.“<br />

zweiten Durchgangs und brachte<br />

die Lese zum Stillstand. Nachdem<br />

wir zwei Wochen auf sein Ende<br />

gewartet hatten, wurde die Situation<br />

hoffnungslos. Schließlich mussten<br />

wir die Pflücker ohne ihre Körbe<br />

hinaus schicken, nur um die Trauben<br />

von den Reben zu nehmen und<br />

dann wegzuwerfen. Deshalb konnten<br />

wir nur 30.000 statt der üblichen<br />

90.000 Flaschen herstellen“, erzählt<br />

der Graf weiter.<br />

Er ist aber davon überzeugt, dass<br />

auch der 1999 er Yquem ein Klassiker<br />

werden wird. „Wir waren glücklich<br />

über die Bedingungen während der<br />

Ernte, und der Wein wird von höchster<br />

Qualität sein.“ Der 1998 er habe<br />

ebenso das Potenzial dafür. „Diese<br />

vier Weine waren fast vollkommen,<br />

soweit es die Klimabedingungen<br />

angeht. Die feinen Unterschiede<br />

kommen aus den Unwägbarkeiten<br />

des Wetter während der Ernte.“ Der<br />

Jahrgang 1997 habe sich, wie auch<br />

der 1996 er, noch nicht vollständig<br />

geöffnet. Aber er habe das Potenzial,<br />

sich in den kommenden Jahrzehnten<br />

in einen großartigen Wein zu<br />

Château d’Yquem: Im Fasskeller herrscht die feierliche Ruhe eines Heiligtums<br />

verwandeln: „Zwei Monate haben wir<br />

ihn gelesen, in sieben Durchgängen.<br />

Dann hatten wir sieben verschiedene<br />

Weine, die sich nun langsam zu einem<br />

großen Wein harmonisieren.“<br />

Die Favoriten des Comte<br />

Die Geschichte von Château<br />

d’Yquem ist voller guter Jahrgänge.<br />

Seit dem 18. Jahrhundert hat es sie<br />

regelmäßig gegeben. Der älteste und<br />

wahrscheinlich beste Yquem, den<br />

ich je getrunken habe, ist der Jahrgang<br />

181<strong>1.</strong> Der Comte selbst ist bei<br />

seiner Einschätzung zurückhaltend,<br />

seine Antwort kryptisch: „Es hängt<br />

sehr von der Situation ab und wie<br />

feinfühlig mein Gaumen ist“, sagt<br />

er ausweichend. „Ich liebe alte Sauternes,<br />

insbesondere wenn sie der<br />

Zeit trotzen.“ Damit meint Alexandre<br />

de Lur-Saluces Weine, die<br />

älter als fünfzig Jahre sind. Er ziehe<br />

die Jahrgänge 1945, 1947 und 1949<br />

vor, fügt er hinzu. „Der 1967 er ist<br />

berühmt, so wie der 1975 er, 1983 er,<br />

1988 er, 1989 er und 1990 er. Die folgenden<br />

Jahrgänge sind noch zu jung<br />

und noch nicht wirklich reif. Viele<br />

meiner Freunde haben eine Vorliebe<br />

für den 1967 er, andere wiederum für<br />

den 1928 er, den 1929 er und 1900 er<br />

oder den 1893 er. Ich muss bekennen“,<br />

sagt er schließlich, „dass mein größtes<br />

Geschmackserlebnis ein 1847 er<br />

Yquem war“.<br />

Ein gräfliches<br />

Vermächtnis<br />

Im Mai 2004 wurde der französische<br />

Luxusartikelkonzern Louis Vuitton<br />

Moët Hennessy Hauptaktionär des<br />

ruhmreichen Weinguts. Als Nachfolger<br />

an der Spitze des Châteaus wirkt<br />

seither Pierre Lurton, vormals Direktor<br />

von Cheval Blanc. Den neuen<br />

Herren auf Château d’Yquem und<br />

der Nachwelt hinterlässt Comte Alexandre<br />

Lur-Saluces sein Vermächtnis:<br />

„Ein Château d’Yquem muss mit<br />

der Nase, dem Gaumen und der ganzen<br />

Seele erfasst, er muss gerochen,<br />

geschmeckt und geliebt werden. Wer<br />

das tut, wird erkennen, was dieser<br />

Wein war, was er ist und was er immer<br />

sein wird – ein Mysterium.“ ><br />

96<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong><br />

F I N E<br />

B O R D E A U X<br />

97


Pekka Nuikki: Die besten Jahrgänge Château d’Yquem, die ich verkostet habe<br />

Château d’Yquem 1811<br />

(Marktpreis 30.000 Euro)<br />

Fünfzehn Minuten dekantiert. Behält<br />

seine besten Eigenschaften für eine<br />

Stunde bei, nachdem er geöffnet<br />

wurde. Flasche äußerlich in gutem<br />

Zustand. Füllstand über der Schulter.<br />

Strahlend goldene Farbe. Überraschend<br />

klar. Reichhaltiges, volles<br />

und elegant kokettierendes Bukett<br />

mit einer umfangreichen Kombination<br />

von Aprikose, Feige, Nuss und<br />

Sultaninen. Ein honigsüßer, aber<br />

vitaler, samtweicher, mehrdimensionaler<br />

Wein, der einen fabelhaften<br />

gleichmäßigen Nachgeschmack hinterlässt.<br />

Der ausgewogene und frische,<br />

fruchtige Charakter machte mich fast<br />

sprachlos. Eine noble und einzigartige<br />

Erfahrung.<br />

100 P / verkostet 1998<br />

Château d’Yquem 1896<br />

(Marktpreis <strong>1.</strong>800 Euro)<br />

Dreißig Minuten dekantiert. Behält<br />

seine besten Eigenschaften für eine<br />

Stunde bei, nachdem er geöffnet<br />

wurde. Flasche äußerlich wie neu,<br />

wieder verkorkt 1967 auf dem Weingut.<br />

Füllstand oberhalb der Schulter.<br />

Sehr dunkel, aber klar. <strong>Das</strong> Bukett war<br />

am Anfang eher bescheiden, doch<br />

nach fünfundvierzig Minuten war der<br />

Wein ein anderer. Er verwandelte sich<br />

in eine berauschende Kombination<br />

aus Karamell, überreifen exotischen<br />

Früchten und Honig. Dieses Aromenfeuerwerk<br />

erfüllte den ganzen<br />

Raum. Ein überraschend vollmundiger,<br />

cremiger und seidiger Wein mit<br />

der gleichen samtartigen Geschmeidigkeit,<br />

fast greifbaren Sanftheit wie<br />

der 1811 er. Gute Ausgewogenheit und<br />

Struktur. Sogar der Abgang beinhaltete<br />

frische, süße Früchte und lebendige<br />

Säure. Ein erstaunlich eleganter<br />

jugendlicher Wein.<br />

96 P / zweimal verkostet, zuletzt 2006<br />

Château d’Yquem 1819<br />

(Marktpreis 12.900 Euro)<br />

Zehn Minuten dekantiert. Behält<br />

seine besten Eigenschaften für zwei<br />

Stunden bei, nachdem er geöffnet<br />

wurde. Füllstand an der Schulter.<br />

Äußerlich wie von einem Wein dieses<br />

Alters zu erwarten: Alte, staubige Flasche.<br />

<strong>Das</strong> Etikett über die Erkennung<br />

hinaus abgegriffen, aber die Kapsel in<br />

gutem Zustand; der originale Korken<br />

zeigte den Jahrgang. Dunkle, warm<br />

goldene Farbe. Wahrhaftig offenes,<br />

reines und reiches Bukett mit Spuren<br />

von Vanille, Aprikose und Pfirsich.<br />

Ein wirklicher Schmeichler. Ein<br />

komplexer, voller, cremiger Wein<br />

mit unbegrenzter Tiefe und Abgang.<br />

Eine perfekte Ausgewogenheit. Ein<br />

äußerst bezaubernder Wein.<br />

100 P / verkostet 2003<br />

Château d’Yquem 1921<br />

(Marktpreis 2.500 Euro)<br />

Fünfundvierzig Minuten dekantiert.<br />

Behält seine besten Eigenschaften für<br />

drei Stunden bei, nachdem er geöffnet<br />

wurde. Flasche äußerlich in gutem<br />

Zustand, Abfüllung durch den Händler<br />

van der Meulen. Füllstand oberhalb<br />

der Schulter. Wieder verkorkt im<br />

Jahr 1992. Sehr dunkle, tiefe goldene<br />

Farbe, wenn auch nicht so dunkel wie<br />

die Weingutabfüllung desselben Jahrgangs,<br />

die ich schon verkostet hatte.<br />

Frische, lebendige, honigsüße Nase<br />

mit Spuren von Crème Brûlée und<br />

warmem Kaffee. Eine herrliche Kombination<br />

aus Rätselhaftigkeit und Ausdruck.<br />

Ein deliziöser Wein mit allen<br />

Komponenten am richtigen Platz.<br />

Vollendete Vereinigung von Säure<br />

und Süße. Sehr cremiger, dichter und<br />

vielschichtiger Wein, aber gleichzeitig<br />

wunderbar leicht und lebendig – eine<br />

fantastische, aber seltene Mischung.<br />

Reiner, weicher und unglaublich langer<br />

Abgang. Yquem in seiner besten<br />

unverfälschten Form.<br />

100 P / sechsmal verkostet, zuletzt 2006<br />

Château d’Yquem 1945<br />

(Marktpreis <strong>1.</strong>200 Euro)<br />

Eine Stunde dekantiert. Behält seine<br />

besten Eigenschaften für fünf Stunden<br />

bei, nachdem er geöffnet wurde. Flasche<br />

äußerlich wie neu. Füllstand am<br />

Hals. Ich hatte das große Glück, diesen<br />

Wein dreimal verkosten zu dürfen,<br />

und jedes Mal habe ich ihn mit<br />

100 Punkten bewertet, zuletzt bei<br />

der „Vine Club Tasting“ von 1945 er<br />

Sauternes- Weinen, wo wir fünfzehn<br />

goldene Weine blind verkostet haben.<br />

Neun von zehn Verkostern stuften<br />

den Yquem als den besten Wein<br />

des Abends ein – mit der geringsten<br />

Punktzahl bei 97 und der höchsten bei<br />

100 Punkten. Der Wein war verlockend<br />

golden, auch wenn er der hellste<br />

war. Ein anmutig offenes, reifes und<br />

volles Bukett. Ein Wein mit der passenden<br />

Süße, lebendig und vielschichtig.<br />

Cremige Konsistenz. Eine herausragende<br />

Ausgewogenheit und ein<br />

raffinierter Abgang. Ein großartiger<br />

Auftritt für einen herrlichen Wein.<br />

100 P / dreimal verkostet, zuletzt 20<strong>01</strong><br />

Château d’Yquem 1967<br />

(Marktpreis 800 Euro)<br />

Eine Stunde dekantiert. Behält seine<br />

besten Eigenschaften für drei Stunden<br />

bei, nachdem er geöffnet wurde.<br />

Flasche äußerlich in perfektem<br />

Zustand. Füllstand am Hals. Tiefe,<br />

glänzend goldene Farbe. Wirklich<br />

offenes, aggressives Bukett voller frischer<br />

exotischer Aprikosen- und Feigen-Aromen.<br />

Dichtes, solides Mundgefühl.<br />

Vielleicht fast zu dominant, da<br />

der Wein nach dem ersten Schluck<br />

alle meine Gedanken beherrschte<br />

und für etliche Minuten nicht mehr<br />

losließ. Vollendet harmonische Struktur,<br />

frische Säure und raffinierte Süße<br />

machen aus diesem Yquem meiner<br />

Meinung nach den besten der letzten<br />

fünfzig Jahre. Ein unglaublich jugendlicher,<br />

runder und langer Wein, der<br />

alle Aufmerksamkeit, die er weckt,<br />

verdient. Ein vollkommenes Meisterstück<br />

vom jungen Alexandre de<br />

Lur-Saluces.<br />

100 P / fünfmal verkostet, zuletzt 2005<br />

20<strong>01</strong> 97 P<br />

1999 90 P<br />

1996 92 P<br />

1992 87 P<br />

1990 96 P<br />

1986 89 P<br />

1985 89 P<br />

1981 85 P<br />

1979 92 P<br />

1976 94 P<br />

1975 95 P<br />

1971 91 P<br />

1970 88 P<br />

1966 90 P<br />

1965 81 P<br />

1962 91 P<br />

1961 81 P<br />

1959 98 P<br />

1955 94 P<br />

1953 92 P<br />

1950 88 P<br />

1949 96 P<br />

1947 96 P<br />

1943 88 P<br />

1939 83 P<br />

1937 96 P<br />

1936 88 P<br />

1932 86 P<br />

1929 96 P<br />

1928 85 P<br />

1927 84 P<br />

1925 76 P<br />

1919 89 P<br />

1918 88 P<br />

1911 89 P<br />

1908 79 P<br />

1900 97 P<br />

1899 91 P<br />

1892 77 P<br />

1890 94 P<br />

1886 84 P<br />

1884 98 P<br />

1882 95 P<br />

1878 82 P<br />

1865 77 P<br />

1848 86 P<br />

98<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong>


MReiner Wein<br />

Warum<br />

—<br />

änner<br />

Sie können leider nicht anders,<br />

glaubt Anne Zielke.<br />

Ein Freund machte mich vor kurzem darauf aufmerksam, dass Erich<br />

Maria Remarque, den manche für den amerikanischsten aller deutschen<br />

Autoren halten, die Schriftsteller in „Direktschreiber“ einteilte – er<br />

selbst war einer, der sofort zum Punkt kam –, und in „Umgehungsschreiber“,<br />

so einer war Thomas Mann. Der umrundete ihn lang und ausdauernd,<br />

den so genannten Punkt.<br />

Die Einteilung ist praktisch. Ich halte sie auch für geeignet, um das unterschiedliche<br />

Verhalten von Weintrinkern analytisch zu durchdringen.<br />

Eine Freundin von mir ist zum Beispiel Direkttrinkerin. Als wir uns kürzlich<br />

zum Essen trafen, blickte sie mit einem Auge auf die Weinkarte, das<br />

können sonst nur Chamäleons, während das andere bereits den Sommelier<br />

fixierte, den sie sofort mit der Bestellung losschickte. Beim Probieren<br />

ist sie ähnlich schnell. Der Korken ist kaum aus der Flasche, da nickt<br />

sie bereits und murmelt: „Graacher Himmelreich Auslese 2006, das ist<br />

wirklich Dynamit.“ Chamäleons können das nicht. Manche, vor allem jener<br />

unserer Freunde, der Umgehungstrinker ist, hält solch eine Direktheit<br />

für ähnlich oberflächlich wie die Prosa Remarques. Mit der kann er<br />

auch nicht besonders viel anfangen. Geht ihm zu schnell zur Sache. Remarque<br />

hat mit „Im Westen nichts Neues“ zwar einen der erfolgreichsten<br />

Romane des 20. Jahrhunderts geschrieben und – auch bei Frauen kam<br />

er schnell auf den Punkt – Affären mit Marlene Dietrich und Greta Garbo<br />

gehabt. <strong>Das</strong> hatte Thomas Mann nicht. Aber wo bleibt da die Kultur, der<br />

Genuss, den der Umgehungstrinker nur empfinden kann, wenn er nach<br />

einem einseitigen Einleitungssatz Thomas Manns noch einmal von vorn<br />

beginnen muss?<br />

Wenn der Umgehungstrinker den Wein probiert, wird es um ihn herum<br />

still. Zu Recht. Man darf einem Erwachsenen dabei zusehen, wie er tief<br />

ins Glas blickt, alsdann seine Nase darüber hängt, um unter Ächzen und<br />

Schniefen den ersten Schluck in der Wangentasche zu sammeln. Soviel<br />

Körpergeräusche in der Öffentlichkeit sind selten. Man hat Glück, wenn<br />

es nur mit Schmatzen endet. Nach angemessener Pause und der Beantwortung<br />

bedeutsamer innerer Fragen fällt endlich die Entscheidung des<br />

Umgehungstrinkers. Es handelt sich fast immer um eine Offenbarung. Es<br />

immer so tief ins Glas blicken?<br />

ist ein wenig so, als ob der Chef der Europäischen Zentralbank verkündet,<br />

dass der Leitzins gesenkt werden müsse, oder der Nato-Befehlshaber fordert,<br />

mehr Truppen in den Kosovo zu schicken. „Graacher Himmelreich …“,<br />

sagt der Umgehungstrinker nachdenklich, „das ist wirklich Dynamit.“<br />

Ich habe kein Problem mit Umgehungstrinkern. Im Gegensatz zu meiner<br />

Freundin, die das Probierzeremoniell für übertrieben hält, bewundere<br />

ich das Ja zum Pathos. Als Geisteswissenschaftlerin sehe ich darin<br />

vor allem eine Kulturtechnik, mit der seit der Steinzeit eigentlich nicht<br />

mehr bei Tisch geduldete Körpergeräusche in einen ritualisierten Rahmen<br />

überführt werden können und die subtil daran erinnert, woher wir<br />

eigentlich kommen. Woher kommen wir?, fragte ich, als wir neulich beisammen<br />

saßen. „<strong>Das</strong> ist eine lange und komplizierte Geschichte, der man<br />

in einem Satz keinesfalls gerecht werden kann“, sagte der Freund. „Von<br />

zuhause“, antwortete die Freundin. Mit einem Mal war mir klar, dass die<br />

Grenze zwischen Umgehungs- und Direkttrinkern entlang der Geschlechterlinie<br />

verläuft. Frauen sind Direkttrinker, Männer sind Umgehungstrinker.<br />

Frauen trinken, Männer performen. Ausnahmen sind allerdings möglich.<br />

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Remarque beim Rendezvous mit<br />

der Garbo erst lange herumgurgelte, um ihr dann einen Vortrag zu halten.<br />

Vergessen wir aber nicht, dass selbst Remarque ein „Maria“ im Namen<br />

trug. Sind Männer also die besseren Theaterspieler, machen sie die<br />

bessere Show, gehen sie eher bis zum Realitätsverlust in ihrer Rolle auf,<br />

was auch der Umstand beweisen könnte, dass sich doppelt so viele für<br />

Weinkenner halten wie Frauen?<br />

Die Antwort lautet natürlich: nein. Es ist nur so, dass Männer nicht anders<br />

können, als ihre Nase tief ins Glas zu halten. Die moderne Forschung<br />

bestätigt das. Frauen können besser riechen und schmecken, sie haben<br />

nämlich mehr dazu abkommandierte Zellen. Ein Luftzug, schon hat<br />

die Frau alle Geschmacksnuancen parat. Männer brauchen dazu halt etwas<br />

länger. Meine These habe ich inzwischen übrigens empirisch überprüft.<br />

Neulich ist etwas angebrannt. Sogar der Rauchmelder ging. Nur<br />

der Mann, der im gleichen Zimmer wie der Rauchmelder war, der roch<br />

es einfach nicht. ><br />

FENDI OCCHIALI 00800 7200 2020<br />

110<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong>


Abgang<br />

Weinlaien<br />

und<br />

Weinweise<br />

Auch die größten Weinkenner haben irgendwann ihren allerersten<br />

Wein getrunken, und es war in den allermeisten Fällen wahrscheinlich<br />

nicht ein Großes Gewächs oder ein Premier Cru. Vom ersten Schluck<br />

zur ausgeprägten Kennerschaft: Wie macht man das? Wie kommt man als<br />

interessierter Weinlaie zu einer eigenen, sehr persönlichen Weinkultur,<br />

die diesen Namen verdient? Wo finden sich erfolgversprechende Wege,<br />

einen reflektierten, emanzipierten, genussreichen Umgang mit Weinen zu<br />

pflegen? Wie kann man seinen eigenen Geschmack, seine eigene Genussfähigkeit<br />

entwickeln – und damit zugleich Freunde und Gäste begeistern?<br />

Initialzündungen liegen häufig in Weinen, mit denen eine angenehme<br />

Erinnerung verbunden wird. <strong>Das</strong> geschieht beispielsweise im Urlaub.<br />

Durch die entspannte Aufmerksamkeit entwickelt sich ein Gefühl, fast<br />

eine Nähe zu einem solchen Wein. Die Region öffnet sich, vielleicht liegt<br />

sogar das Weingut in der Nähe und kann besucht werden. Man informiert<br />

sich über die Weinberge, über die Bereitung des Weins. Mit der Zeit werden<br />

die Unterschiede in den Jahrgängen vertraut, und plötzlich schätzt<br />

man nicht nur die starken, sondern auch die charmanten Eigenarten der<br />

schwächeren. Unmerklich wächst ein Gefühl für Qualität und Weinkultur.<br />

Und beim nächsten Restaurantbesuch wird bei der Weinauswahl aus<br />

dem überwältigenden Angebot die Hilfe des Sommeliers in Anspruch ge-<br />

nommen. Dessen Fähigkeit, einfühlsam auf den Gast einzugehen (und<br />

dabei auf eine allzu eitle Vorführung der eigenen Kenntnisse zu verzichten<br />

und lyrische Ergüsse zu meiden), kann im Zusammenspiel mit den<br />

Speisen neue Dimensionen des Weingenusses erschließen.<br />

Im Feld der Medien finden sich seriöse Publikationen und einflussreiche<br />

Autoren, die professionell nach Weinen suchen, die dann in Punktebewertungen<br />

und Ranglisten zu den Besten erklärt werden. Verstanden<br />

als Orientierungshilfe, als Leuchtboje im Meer der vielen Weine aus aller<br />

Welt, können sie dazu beitragen, den eigenen Horizont zu erweitern.<br />

Diese Listen wie Offenbarungen zu behandeln, wäre aber falsch. Wer zum<br />

Beispiel je Gelegenheit hatte, Weine mit Alterungspotenzial in jugendlichem<br />

Stadium zu degustieren, weiß, dass jede Aussage einer Wette auf<br />

die Zukunft gleichkommt.<br />

Was also tun? Vor allem: locker bleiben. Und geduldig. Kennerschaft<br />

entwickelt sich von selbst beim Trinken. Freilich: Im Glas soll das Richtige<br />

sein. <strong>Das</strong> heißt, Hilfe von Weinweisen nicht verweigern, Weinliteratur<br />

lesen, Weinregionen bereisen und immer neue Weine kennen lernen,<br />

also sich umtun – und schließlich dem eigenen Urteil trauen. Sie werden<br />

Überraschungen erleben.<br />

“Residence of Excellence”<br />

Ralf Frenzel<br />

Herausgeber<br />

R E S I D E N Z • G O U R M E T - R E S T A U R A N T • W I N E A R C H I V E<br />

Palais Coburg, Vienna, +43 /1/ 518 18-0, www.palais-coburg.com, residenz@palais-coburg.com<br />

142<br />

F I N E 1 / <strong>2008</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!