akzent Oktober '18 BO
akzent – DAS GRÖSSTE LIFESTYLE- & VERANSTALTUNGSMAGAZIN VOM BODENSEE BIS OBERSCHWABEN
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SEERAUM<br />
GENUG GEBAUT?<br />
ES GIBT ALTERNATIVEN!<br />
1<br />
28<br />
Die Bodensee-Region ist dicht besiedelt und<br />
eine Wachstumsregion – und deshalb muss<br />
immer mehr gebaut werden: Wohnungen<br />
und Häuser, Straßen und Gewerbegebiete.<br />
Aber löst das wirklich die Probleme, und<br />
stimmt das überhaupt? Bei Autobahnen ist<br />
es ja erwiesen, dass sie immer mehr Verkehr<br />
anziehen, der dann vor Ort die Städte und<br />
Straßen belastet. Ebenso wie es beim Verkehr<br />
darum geht, einen großen Teil durch<br />
bessere Nutzung der vorhandenen Kapazitäten<br />
zu vermeiden, kann man auch beim Bauen<br />
das Wachstumsdogma in Frage stellen.<br />
„Verbietet das Bauen!“<br />
Mit einer „Streitschrift“ unter diesem provozierenden<br />
Buchtitel hat der Autor Daniel<br />
Fuhrhop vor drei Jahren das Prinzip des Immer-mehr-Bauens<br />
infrage gestellt. Einer seiner<br />
Kritikpunkte ist das nur „scheinbar ökologische<br />
Bauen“, bei dem meistens nur der<br />
Energieverbrauch verglichen, aber die Energie<br />
vernachlässigt wird, die für die Produktion<br />
der Baumaterialien u.a. aufgewendet werden<br />
muss – die wahre Ökobilanz sieht dann nicht<br />
mehr so rosig aus. Das Buch enthält aber<br />
nicht nur gute Gründe für die plakative Forderung,<br />
das Bauen einzustellen, sondern am<br />
Ende auch konstruktive Vorschläge: „Mit 50<br />
Werkzeugen Neubau überflüssig machen“.<br />
Verdichtung im menschlichen Maß<br />
Mit einem zweiten Buch, das im Frühjahr<br />
erschienen ist, hat Fuhrhop diese Vorschläge<br />
noch weiter ausgebaut: „Einfach anders<br />
wohnen. 66 Raumwunder für ein entspanntes<br />
Zuhause, lebendige Nachbarschaft und grüne<br />
Städte“. Die Beispiele in diesen Büchern sind<br />
aus ganz Mitteleuropa, aber gerade auch für<br />
den Bodensee interessant, weil hier die Probleme<br />
von Wohnraum, Preisexplosion und Zersiedelung<br />
größer sind als in der oberschwäbischen<br />
„Pampa“ oder auf der Schwäbischen Alb. Und<br />
Daniel Fuhrhop hat sie auch im Juni bei einer<br />
Vortragsreise am Bodensee vorgestellt.<br />
Um „einfach anders“ zu wohnen, fängt man<br />
nach Fuhrhop am besten damit an, dass man<br />
Platz schafft durch das „Entrümpeln“ der<br />
Wohnung. Und weil man auch in den ordentlichsten<br />
Wohnungen die größte Unordnung<br />
in den Schubladen findet, sollten die zuerst<br />
drankommen – dann ist auch Platz für die<br />
Dinge, die überall herumliegen.<br />
Den größten Effekt auf den Wohnungsmarkt<br />
bringt das „Zusammenrücken“ durch die bessere<br />
Ausnutzung der vorhandenen Wohnflächen,<br />
wofür es die verschiedensten Möglichkeiten<br />
gibt:<br />
Bei genossenschaftlichen Wohnprojekten,<br />
wie Solinsieme in St. Gallen und der<br />
Giesserei 1 in Winterthur ist sowohl die<br />
Ausnutzung der Flächen wie auch die<br />
Wohnqualität höher als im konventionellen<br />
Wohnungsbau.<br />
Ein Prinzip, das vor allem in Hochschulstädten<br />
immer mehr umgesetzt wird, ist<br />
„Wohnen für Hilfe“, in über 40 Städten<br />
wird es inzwischen von der Stadtverwaltung<br />
gefördert – am Bodensee z.B. in Konstanz,<br />
Friedrichshafen und St. Gallen.<br />
Unterstützt wird in vielen Städten und von<br />
großen Wohnungsbaugesellschaften auch<br />
der Wohnungstausch, womit auch wieder die<br />
Nachfrage nach Neubauten reduziert wird.<br />
Als beispielhafte Initiative wird in dem<br />
Buch auch die Aktion „83 Konstanz integriert“<br />
vorgestellt, bei der bis Juli 2017 insgesamt<br />
83 Flüchtlinge (also 1 Promille der<br />
Bevölkerung) privat untergebracht wurden.<br />
Das Problem mit der immer weiter steigenden<br />
Wohnfläche pro Person ist, dass fast alle ihren<br />
Teil dazu beitragen – vermutlich auch Sie und<br />
ich. Außer diesem individuellen Problem gibt<br />
es auch den gesellschaftlichen Aspekt, nämlich<br />
die Einstellung „Wer es sich leisten kann, der<br />
soll es auch haben“. Wer so denkt, sollte eine<br />
einfache Rechnung machen: Wie viele Baugebiete<br />
müssen zusätzlich erschlossen werden,<br />
wenn in einer mittelgroßen Stadt 10 Prozent<br />
der Einwohner nicht auf 50 Quadratmetern<br />
pro Person leben, sondern auf 100 oder 150<br />
Quadratmetern – und wer trägt die Kosten<br />
dafür? Diese zusätzlichen Kosten trägt die Gemeinschaft,<br />
dazu kommen die ökologischen<br />
Kosten des Landschaftsverbrauchs. Fuhrhop<br />
rechnet in die andere Richtung: Wenn jeder nur<br />
ein Zehntel weniger Wohnfläche verbraucht,<br />
„werden vier Millionen Wohnungen frei, Platz<br />
für zehn Millionen Menschen“. Das würde gerade<br />
am Bodensee den Wohnungsmarkt deutlich<br />
entspannen – und einige Landschaften vor<br />
der Bebauung bewahren.<br />
Im Vorwort zu „Einfach anders wohnen“<br />
schreibt Daniel Fuhrhop: „Platz sparen rettet<br />
Freiräume in den Städten und schont die Umwelt.<br />
(…) Am meisten Energie sparen Häuser,<br />
die gar nicht erst gebaut werden. Das Beste<br />
aber: Auf weniger Raum leben macht glücklich.“<br />
Wie weit das stimmt, können Sie nur<br />
durch eigene Erfahrung herausfinden.<br />
Daniel Fuhrhop:<br />
„Verbietet das Bauen! Eine Streitschrift“,<br />
Oekom Verlag, 2015, 192 S., 17,95 Euro<br />
„Einfach anders wohnen. 66 Raumwunder<br />
für ein entspanntes Zuhause, lebendige<br />
Nachbarschaft und grüne Städte“,<br />
Oekom Verlag, 2018, 128 S., 14,- Euro<br />
www.verbietet-das-bauen.de<br />
TEXT & FOTO: PATRICK BRAUNS