buch aktuell Herbst 2018

Literatur/Unterhaltung
Mutterseelenallein
Poetische Literatur, die etwas zu sagen hat: „Arminuta“, der neue Roman der
Italienerin Donatella Di Pietrantonio, wurde 2017 mit dem renommierten
Literaturpreis „Premio Campiello“ ausgezeichnet.
Ich habe verstanden, dass du mich als Baby zu meinem Besten
aufgenommen hast, weil ich in einer armen, kinderreichen
Familie geboren war. Hier hat sich nichts geändert.
Wenn ich dir wichtig bin, dann schicke bitte den Onkel, er
soll mich abholen, andernfalls springe ich irgendwann aus dem
Fenster.“ 13 Jahre alt ist das Mädchen, das diese Zeilen einer
Frau schreibt, die es bis vor wenigen Tagen für seine leibliche
Mutter gehalten hat, und der Mann, den es Onkel nennt, war
ihm bis dahin ein liebevoller Vater. Die sensible und kluge Kleine
ist wohlbehütet auf gewachsen in einer Stadt am Meer, wo
es Strandvergnügen, Eisdielen und all die aufregenden Dinge
gab, die eine schöne Kindheit ausmachen. Doch von einem
Tag auf den andern wird sie in eine andere Welt versetzt: in
die raue Welt eines Bergdorfes der Abruzzen, in eine scheinbar
herzlose Familie, in der Enge, Grobheit und Mangel an allem
herrschen. Die leiblichen Eltern wollten sie wiederhaben, mehr
haben ihr die, die sie bis dahin Vater und Mutter nannte, nicht
erklärt. Gegen all ihre verzweifelten Proteste lässt der Vater sie
mit ein wenig Gepäck in der Fremde zurück. Im Dorf nennen
alle sie fortan nur „Arminuta“, die Zurückgekommene.
Donatella Di Pietrantonio setzt ihre junge Protagonistin in
dieser ungewöhnlich fesselnden Familiengeschichte einer
seelischen Extremsituation aus. Sie hat plötzlich zwei Mütter,
zwei Familien und Geschwister, doch sie fühlt sich verlorener
denn je, ohne Mutter, ohne Familie, ohne einen Ort, an dem
sie sich heimisch fühlt. Sie grübelt, was hinter diesem harten
Schlag stecken könnte. Dass ihre geliebte Mutter erkrankt war,
ist ihr nicht entgangen. Musste sie die Familie verlassen, weil
man ihr das Leiden und vielleicht Sterben der Mutter ersparen
wollte, oder erkrankte die Mutter, weil sie ihre Tochter hergeben
musste? Langsam baut Arminuta neue Bindungen auf,
zur kleineren Schwester, mit der sie das Bett teilt, zum älteren
Bruder, der dreist und ungeschliffen ist, ihr aber Gefühle entgegenbringt.
Sie lernt, welch harter Kampf
das Leben ist, wenn sich alles darum dreht,
hungrige Mäuler zu stopfen, und sie beginnt
zu verstehen, dass Liebe sich in vielen
Facetten äußert. Ihren eigenen Platz im Leben
aber, dessen ist sie sich bald bewusst,
muss und wird sie selber finden.
Donatella Di Pietrantonio
Donatella Di Pietrantonio
Arminuta
übersetzt von Maja Pflug
KUNSTMANN, 224 Seiten, geb.
20,- € (D), 20,60 € (A)
ISBN 978-3-95614-253-6
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