buch aktuell Herbst 2018

Literatur/Unterhaltung
Eine Chronik des Zusammenbruchs
Lukas Rietzschel
Mit der Faust
in die Welt schlagen
Ullstein, 320 Seiten, geb.
20,- € (D), 20,60 € (A)
ISBN 978-3-550-05066-4
ab 7. Sept. im Handel
Die Brüder Tobias und Philipp wachsen in
einem Dorf in Sachsen auf. Gut zehn Jahre
sind seit dem Zusammenbruch der DDR
vergangen und der Hausbau der Eltern
scheint wirklich die Wende, den Aufbruch
in eine neue, bessere Zeit zu symbolisieren.
Aber die Zeichen des Verfalls sind
noch allgegenwärtig: Ob es sich um die
Ruinen verlassener Industrieanlagen handelt
oder um das Zerbrechen familiärer
Strukturen, alles in dieser Umgebung der
heran wachsenden Jungen vermittelt eine
beklemmende Perspektivlosigkeit und
gleich zeitig die Angst vor dem Verlust des
Vertrauten, der Heimat.
Und dann kommen die Flüchtlinge und
bald darauf die Aufmärsche in Dresden.
Jeder der Brüder geht auf seine Art mit
dieser „Bedrohung“ um. Der eine zieht sich
zurück und verharrt in einer passiven Abwehr,
der andere lebt seine Wut und Unsicherheit
mit aller Konsequenz aus.
Was für mich dieses Buch so besonders
macht, ist der Schreibstil von Lukas Rietzschel:
knapp, unaufgeregt, sehr nüchtern,
sachlich. Trotzdem gelingt es ihm hervorragend,
eine Stimmung zu erzeugen,
Bilder im Leser hervorzurufen und diesen
letzlich mit vielen Fragen zurückzulassen.
„Mit der Faust in die Welt schlagen“ ist
für mich kein Buch über die Nachwende-
Problematik in Ostdeutschland, sondern
ein Buch über die Verletzlichkeit des Menschen,
dem verlässliche soziale Strukturen
genommen werden.
Brigitte Kiekenap,
Buchhandlung Kiekenap in Solingen
Generationskonflikte, Macht und Emanzipation
Christina Rauch,
C.RAUCH‘sche Buchhandlung in Nürnberg
Manchmal, ganz selten, erfüllt ein Buch Wünsche,
bevor sie überhaupt aufkommen. Meg
Wolitzer ist mit ihrem aktuellen Roman „Das
weibliche Prinzip“ genau das gelungen. In
Zeiten sich rasant verschärfender Machtkämpfe
rund um den Globus droht die „Frauenfrage“,
wie das einstmals genannt wurde,
irgendwo zwischen der Einstufung als Nebenwiderspruch
und anmaßender Symbolpolitik
zerrieben zu werden. Und da erzählt Wolitzer
auf einmal ganz selbstverständlich den Roman
des Feminismus als Geschichte menschlicher
Leidenschaften. Beeindruckend lässig gelingt
ihr die Gratwanderung zwischen psychologischer
Genauigkeit und Typisierung ihrer
Figuren. Als souveräne Erzählerin widmet sie
nicht nur ihren Hauptcharakteren – Faith Frank
und Greer Kadetsky – ihre Aufmerksamkeit,
nein auch ihre Nebenfiguren – Cory, Zee und
alle anderen – werden liebevoll und mit großer
Akribie gezeichnet.
Auf diese Weise erwächst ein lebendiges
Panorama einer aufregenden Zeit, das die
Autorin souverän zu unserer Gegenwart aufschließen
lässt. Und so halten wir einen mehr
als geglückten Roman in Händen, der eine Welt
erzählt und uns doch die Freiheit einräumt,
die Ideen weiterzuspinnen, aus denen dieses
schöne Buch sich speist.
Meg Wolitzer
Das weibliche Prinzip
übersetzt von
Henning Ahrens
DuMont, 496 Seiten, geb.
24,- € (D)
ISBN 978-3-8321-9898-5
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