Magazin-Info-DIREKT_onlineA22_Herzenssache-Suedtirol
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Bild: de.wikipedia.org<br />
Sprache als Mittel des Widerstandes<br />
Die Katakombenschulen in Südtirol. Jan Ackermeier<br />
Nach der Besetzung und Annexion<br />
Südtirols nach Ende des<br />
Ersten Weltkrieges durch Italien<br />
wurde den Südtirolern zugesichert,<br />
ihre Sprache und Kultur behalten zu<br />
können. Es wurden zunächst lediglich<br />
in den gemischtsprachigen Gebieten<br />
gemischtsprachige Schulen eingerichtet<br />
(v. a. im Bozener Unterland).<br />
Deutsch als Unterrichtssprache<br />
sollte beibehalten<br />
werden, so versprach<br />
es italienische Regierung<br />
unter<br />
Ministerpräsident<br />
Luigi Facta. Lediglich<br />
die Schulbücher für die<br />
Fächer Geschichte, Geographie<br />
und „Vaterlandskunde“<br />
sollten geändert<br />
werden, und sich auf<br />
die neue Zugehörigkeit<br />
zu Italien beziehen. Das<br />
Schulsystem<br />
orientierte<br />
sich noch weitgehend am<br />
österreichischen Vorbild.<br />
Für die Deutschen wurden 80 fakultative<br />
Italienischkurse angeboten. Die<br />
Lehrer wurden miteinbezogen bei der<br />
Neugestaltung der Lehrpläne. Der Entwurf<br />
eines Schulprogramms von Rudolf<br />
Vicari enthielt u. a. folgende Punkte:<br />
„Das deutsche Schulwesen in Südtirol<br />
muss seinen deutschen Charakter behalten.<br />
Das Recht auf eine deutschbewusste<br />
Erziehung und einen national<br />
orientierten Unterricht darf nicht geschmälert<br />
werden. Die Bestellung der<br />
Lehrkräfte hat jederzeit im Einvernehmen<br />
mit der autonomem Vertretungskörpern<br />
der deutschen Bevölkerung zu<br />
erfolgen. Vor Einführung neuer Lehrbücher<br />
ist der Lehrerschaft Gelegenheit<br />
zur Stellungnahme zu geben.“<br />
Faschisten wollten deutsche<br />
Kultur „ausmerzen“<br />
Als die Faschisten unter Benito Mussolini<br />
1922 durch den „Marsch auf Rom“<br />
die Macht in Italien übernahmen, wandelt<br />
sich die Politik der friedlichen Koexistenz<br />
und eine aggressive Italianisierungspolitik<br />
setzt ein. Vor allem der<br />
Name Ettore Tolomei war mit dieser<br />
Politik eng verbunden. Tolomei, der<br />
in zahlreichen pseudowissenschaftlichen<br />
Schriften über Südtirol die These<br />
erarbeitet hatte, dass die Deutschen<br />
lediglich ihre eigentlich italienische Abstammung<br />
vergessen hatten und nun<br />
wieder daran erinnert werden müssten,<br />
veröffentlichte 1923 sein 23-Punkte-<br />
Programm für Südtirol. Dank seiner<br />
guten Beziehungen zu Mussolini wurde<br />
es größtenteils auch umgesetzt. Das<br />
Ziel seines Programms war die „Ausmerzung“<br />
jeglicher deutscher Kultur<br />
und Sprache sowie die totale Assimilierung<br />
der Bevölkerung mit Italien.<br />
Innerhalb der folgenden Jahre wurde<br />
alles Deutsche verboten,<br />
darunter die Sprache,<br />
Organisationen, Bräuche<br />
etc. Italienisch als Unterrichtssprache<br />
sollte graduell<br />
eingeführt werden<br />
(Lex Gentile), damit sich<br />
die Kinder, die meist kein<br />
Wort Italienisch sprachen,<br />
erst an die neue Sprache<br />
gewöhnen könnten. Bereits<br />
1926 war jeglicher<br />
Unterricht in deutscher<br />
Sprache verboten. Gab<br />
es zuerst noch Deutsch<br />
als Anhangstunden, wurden<br />
diese ab 1925 per Gesetz verboten.<br />
Sollen wir<br />
mit dem<br />
Verluste der<br />
deutschen<br />
Schule auch<br />
das deutsche<br />
Volkstum<br />
verlieren?<br />
Sämtliche deutschen Kindergärten,<br />
Volksschulen und höheren Schulen<br />
wurden geschlossen. Der Südtiroler<br />
Lehrkörper wurde fast vollständig von<br />
Lehrern aus dem Kernland Italiens ersetzt,<br />
die kein Deutsch sprachen. Die<br />
Schule wurde von den faschistischen<br />
Machthabern als politisches Instrument<br />
zur Entnationalisierung missbraucht.<br />
„Der Zweck der Schule ist die Entnationalisierung“,<br />
so der italienische Unterrichtsminister<br />
Gafati im Jahr 1926 zu<br />
zwei deutschen Abgeordneten.<br />
Geburtsstunde der<br />
Katakombenschulen<br />
Die deutschen Lehrer wurden<br />
entlassen oder zwangsversetzt,<br />
sie mussten Sprachprüfungen<br />
ablegen bei denen der Großteil<br />
durchfiel. Die Begründung<br />
für die Entlassung lautete: „per<br />
insufficienza didaktica“ (didaktische<br />
Unfähigkeit). Dies ist<br />
gleichzeitig die Geburtsstunde<br />
der sogenannten Katakombenschulen<br />
(in Anlehnung an die<br />
Christenverfolgung) die von Kanonikus<br />
Michael Gamper ins Leben<br />
gerufen wurde, indem er im<br />
Volksboten dazu aufrief, aktiv zu<br />
werden und die Kinder zuhause<br />
Geschichte<br />
in Deutsch zu unterrichten. Sein Aufruf<br />
lautete wie folgt: „Was soll nun geschehen?<br />
Sollen wir mit dem Verluste<br />
der deutschen Schule auch das deutsche<br />
Volkstum verlieren? Die heutigen<br />
Machthaber wollen es. Ein hoher Regie-<br />
rungsbeamter hat die Maßregel damit<br />
begründet, dass die Regierung sorgen<br />
müsse, in unserem Lande möglichst<br />
rasch einen italienischen Nachwuchs<br />
zu erzielen. Soll ihr dies gelingen? Nie<br />
und nimmer! Unser Volk wird es zu<br />
verhindern wissen. Wir müssen es halt<br />
den ersten Christen nachmachen...“. Es<br />
entstand ein weitverzweigtes Netz an<br />
Notschulen, die überall, wo es möglich<br />
war, unterrichteten. Die Beschaffung<br />
der Unterrichtsmaterialien gelang<br />
dank Gampers guten Kontakten nach<br />
Deutschland. Die Bücher wurden ins<br />
Land geschmuggelt. Ein weiterer Aufrufs<br />
Gampers etwas später hieß: „Jedes<br />
Haus, jede Hütte muß zum Schulhaus,<br />
jede Stube zur Schulstube werden, in<br />
der die Kinder ihren Unterricht in ihrer<br />
Muttersprache erhalten. Und die Lehrer<br />
seid ihr, ihr deutschen Väter und Mütter,<br />
ihr wackeren deutschen Mädchen und<br />
Burschen, die ihr schon von der Schule<br />
draußen seid. In Gottes Namen mutig<br />
an die Arbeit.“<br />
merzung“ jeglicher deutscher Kultur Machthaber wollen es. Ein hoher Regie-<br />
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Lehrer mussten mit<br />
hohen Strafen rechnen<br />
Obwohl oberflächlich betrachtet die<br />
Italienisierung Südtirols erfolgreich<br />
war, stachelte die zunehmende Un-<br />
terdrückung der deutschen Kultur die<br />
gemeinsamen Bemühungen nur um so<br />
mehr an, ließ die gemeinsam erlittene<br />
Not das Nationalgefühl immer mehr<br />
erstarken. Sobald die italienischen<br />
Autoritäten<br />
Bild: Südtiroler Kinder beim Lesen in einer<br />
der zahlreichen Katakombenschulen.<br />
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