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Stadtgespräch<br />
Wolfgang wohnt hier<br />
nicht mehr<br />
Fünfeinhalb Monate schlief der 63-jährige Wolfgang in einem Zelt am<br />
Fischmarkt. Dann vertrieb der Bezirk Altona den Obdachlosen von seiner Platte.<br />
Rekonstruktion einer Räumung – und was danach geschah.<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTOS: MIGUEL FERRAZ (S. 6), JOTO (S. 7), SIMONE DECKNER<br />
N<br />
ach dem Aufstehen konnte er immer auf die<br />
Elbe gucken. Den Möwen hinterher. In seinem<br />
Rücken rauschten die Autos vorbei. Lauter wurde<br />
es auf dem langgestreckten Platz am Fischmarkt<br />
nur am Wochenende. „Ab und zu haben die Leute auf<br />
der Mauer Party gemacht“, sagt Wolfgang. Gestört hat ihn<br />
das nicht, „am Hafen ist es nun mal laut“.<br />
Fünfeinhalb Monate hat der 63-Jährige am Fischmarkt<br />
gelebt. Gemeinsam mit anderen Obdachlosen: vier, fünf Zelte<br />
insgesamt. Die geduldet wurden. Es hat nie Stress gegeben,<br />
sagt Wolfgang. Ein guter Platz. „Alles war nah: die Ecken, in<br />
denen ich Pfand gesammelt habe, die Essens angebote, die<br />
Tageseinrichtungen. Es war schön hier.“<br />
War. Denn jetzt ist alles anders. Erst kamen immer mehr<br />
Zelte dazu – und jetzt steht kein einziges mehr auf dem<br />
Fischmarkt. Der Bezirk Altona hat die Platte Ende August<br />
geräumt. Gründlich. Vorher hatte man Wolfgang und den<br />
anderen eine Frist zum Aufräumen gesetzt. Dauer: fünf Tage.<br />
Wolfgang und seine beiden Kumpel Thomas und Helmut<br />
haben schon einen Tag vorher ihre Sachen gepackt. Sie wollten<br />
sich nicht wie Müll wegfegen lassen.<br />
Es ist ein Dienstagmorgen, Punkt 10 Uhr, als Mitarbeiter<br />
der Stadtreinigung beginnen, alles wegzuschmeißen: Matratzen,<br />
Zelte, Decken, Plastiktüten, Ruck säcke, Kleidung. Als einer<br />
der Männer in Orange zögert, weil er im Gebüsch einen<br />
Einkaufswagen voll Habseligkeiten sieht, sorgsam abgedeckt,<br />
herrscht ihn ein Mitarbeiter vom Bezirk an: „Weg, alles weg!“<br />
Die ganze Aktion dauert kaum 15 Minuten.<br />
Man gehe „sehr sensibel“ bei solchen Räumungs aktionen<br />
vor, sagt Stadtreinigungssprecher Reinhard Fiedler, als beauftragtes<br />
Entsorgungsunternehmen habe man „überhaupt kein<br />
Interesse an Konflikten“. Die Mopo wird später berichten,<br />
dass der Rucksack eines Obdachlosen mit persönlichen<br />
Papieren auch im Müll landete und erst auf seinen Protest<br />
hin wieder herausgefischt wurde.<br />
Man habe räumen müssen, heißt es aus dem zuständigen<br />
Bezirksamt Altona, aus „hygienischen Gründen“. Die Fläche<br />
und die Böschung seien als Klo benutzt worden. Anwohner<br />
hätten sich beschwert. Es sei gezündelt worden. Das ist die<br />
Kurzfassung. Wer nachfragt, dem kann Bezirksamtssprecher<br />
Martin Roehl gleich vier Gesetze vorlegen, gegen die die<br />
Obdachlosen verstoßen hätten – man kann sich eins aussuchen:<br />
das Hamburger Wegegesetz, das Gesetz zum Schutz<br />
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, das Kreislaufwirt-<br />
Der Grund für die radikale Räumung laut Bezirk: Beschwerden über<br />
die hygienischen Verhältnisse am Fischmarkt.<br />
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