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Hinz&Kunzt 308 Oktober 2018

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Stadtgespräch<br />

Wolfgang wohnt hier<br />

nicht mehr<br />

Fünfeinhalb Monate schlief der 63-jährige Wolfgang in einem Zelt am<br />

Fischmarkt. Dann vertrieb der Bezirk Altona den Obdachlosen von seiner Platte.<br />

Rekonstruktion einer Räumung – und was danach geschah.<br />

TEXT: SIMONE DECKNER<br />

FOTOS: MIGUEL FERRAZ (S. 6), JOTO (S. 7), SIMONE DECKNER<br />

N<br />

ach dem Aufstehen konnte er immer auf die<br />

Elbe gucken. Den Möwen hinterher. In seinem<br />

Rücken rauschten die Autos vorbei. Lauter wurde<br />

es auf dem langgestreckten Platz am Fischmarkt<br />

nur am Wochenende. „Ab und zu haben die Leute auf<br />

der Mauer Party gemacht“, sagt Wolfgang. Gestört hat ihn<br />

das nicht, „am Hafen ist es nun mal laut“.<br />

Fünfeinhalb Monate hat der 63-Jährige am Fischmarkt<br />

gelebt. Gemeinsam mit anderen Obdachlosen: vier, fünf Zelte<br />

insgesamt. Die geduldet wurden. Es hat nie Stress gegeben,<br />

sagt Wolfgang. Ein guter Platz. „Alles war nah: die Ecken, in<br />

denen ich Pfand gesammelt habe, die Essens angebote, die<br />

Tageseinrichtungen. Es war schön hier.“<br />

War. Denn jetzt ist alles anders. Erst kamen immer mehr<br />

Zelte dazu – und jetzt steht kein einziges mehr auf dem<br />

Fischmarkt. Der Bezirk Altona hat die Platte Ende August<br />

geräumt. Gründlich. Vorher hatte man Wolfgang und den<br />

anderen eine Frist zum Aufräumen gesetzt. Dauer: fünf Tage.<br />

Wolfgang und seine beiden Kumpel Thomas und Helmut<br />

haben schon einen Tag vorher ihre Sachen gepackt. Sie wollten<br />

sich nicht wie Müll wegfegen lassen.<br />

Es ist ein Dienstagmorgen, Punkt 10 Uhr, als Mitarbeiter<br />

der Stadtreinigung beginnen, alles wegzuschmeißen: Matratzen,<br />

Zelte, Decken, Plastiktüten, Ruck säcke, Kleidung. Als einer<br />

der Männer in Orange zögert, weil er im Gebüsch einen<br />

Einkaufswagen voll Habseligkeiten sieht, sorgsam abgedeckt,<br />

herrscht ihn ein Mitarbeiter vom Bezirk an: „Weg, alles weg!“<br />

Die ganze Aktion dauert kaum 15 Minuten.<br />

Man gehe „sehr sensibel“ bei solchen Räumungs aktionen<br />

vor, sagt Stadtreinigungssprecher Reinhard Fiedler, als beauftragtes<br />

Entsorgungsunternehmen habe man „überhaupt kein<br />

Interesse an Konflikten“. Die Mopo wird später berichten,<br />

dass der Rucksack eines Obdachlosen mit persönlichen<br />

Papieren auch im Müll landete und erst auf seinen Protest<br />

hin wieder herausgefischt wurde.<br />

Man habe räumen müssen, heißt es aus dem zuständigen<br />

Bezirksamt Altona, aus „hygienischen Gründen“. Die Fläche<br />

und die Böschung seien als Klo benutzt worden. Anwohner<br />

hätten sich beschwert. Es sei gezündelt worden. Das ist die<br />

Kurzfassung. Wer nachfragt, dem kann Bezirksamtssprecher<br />

Martin Roehl gleich vier Gesetze vorlegen, gegen die die<br />

Obdachlosen verstoßen hätten – man kann sich eins aussuchen:<br />

das Hamburger Wegegesetz, das Gesetz zum Schutz<br />

der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, das Kreislaufwirt-<br />

Der Grund für die radikale Räumung laut Bezirk: Beschwerden über<br />

die hygienischen Verhältnisse am Fischmarkt.<br />

7

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