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www.giesserei.eu<br />

GIESSEREI<br />

kompakt<br />

Mischkristallverfestigtes Gusseisen mit Kugelgraphit (GJS-Si)<br />

Ergebnisse aus Forschung und Praxis –<br />

Statusbericht zur<br />

Transfertagung 2018<br />

WissenKompakt<br />

WissenKompakt<br />

WissenKompakt


Inhaltsverzeichnis<br />

Transfertagung „Leichtbau mit GJS-Si-Werkstoffen.............................................................................................6<br />

Ergebnistransfer in die Praxis................................................................................................................................................. 6<br />

Eröffnung................................................................................................................................................................................ 7<br />

GJS-Si-Werkstoffe.................................................................................................................................................................... 7<br />

Praxisbeiträge zum Einsatz hoch Si-haltiger Werkstoffe.......................................................................................................... 9<br />

Berichte aus den Forschungsprojekten................................................................................................................................... 9<br />

Diskussion: Was benötigen die Konstrukteure? .................................................................................................................... 13<br />

Ausblick................................................................................................................................................................................ 13<br />

Forschungsvorhaben............................................................................................................................................................. 13<br />

Gussteile erobern das Hoheits gebiet der Schmiedeteile..................................................................................15<br />

Gießen als Alternative zum Schmieden................................................................................................................................. 15<br />

Entwicklung höher fester Sorten........................................................................................................................................... 17<br />

Rollieren steigert Dauerfestigkeit.......................................................................................................................................... 17<br />

Härten als Alternative........................................................................................................................................................... 18<br />

Hoch siliciumhaltiges Gusseisen mit Kugelgraphit toleriert größere Anteile<br />

an carbidbildenden Elementen...........................................................................................................................20<br />

Werkstoff- und fertigungstechnische Grundlagen der Herstellung und Anwendung<br />

von hoch siliciumhaltigem Gusseisen mit Kugelgraphit....................................................................................24<br />

Auszug aus derzeit laufenden Untersuchungen: Mechanische Kennwerte............................................................................ 25<br />

Auszug aus derzeit laufenden Untersuchungen: Drossverhalten........................................................................................... 26<br />

Weiterer Projektausblick....................................................................................................................................................... 26<br />

SiWind – Werkstoffentwicklung für Offshore-Windenergieanlagen im Multi-Megawatt-Bereich....................27<br />

Status quo Offshore-Windenergieanlagen............................................................................................................................. 27<br />

Technische Weiterentwicklung.............................................................................................................................................. 27<br />

Bauteilgewichte und -größen mit Limit.................................................................................................................................. 28<br />

Das BMU-Forschungsvorhaben „MEGAWind“....................................................................................................................... 28<br />

Der Werkstoff SiWind und seine Zielsetzung......................................................................................................................... 28<br />

Zertifiziert und regelkonform................................................................................................................................................ 28<br />

Projektziel Festigkeitssteigerung.......................................................................................................................................... 32<br />

Bruchmechanisches Auslegungsverfahren............................................................................................................................ 32<br />

Werkstoffcharakterisierung SiWind....................................................................................................................................... 32<br />

SiWind – neuer Werkstoff für Offshore-Windenergieanlagen............................................................................33<br />

Proben und Versuchsplan..................................................................................................................................................... 33<br />

Versuchsdurchführung und -auswertung.............................................................................................................................. 33<br />

Ergebnisse............................................................................................................................................................................ 34<br />

Zusammenfassung................................................................................................................................................................ 40<br />

SiWind – neuer Werkstoff für Offshore-Windenergieanlagen............................................................................42<br />

Untersuchungsmethode........................................................................................................................................................ 42<br />

Untersuchte Bauteilorte........................................................................................................................................................ 43<br />

Kritische Bewertung der Annahmen...................................................................................................................................... 46<br />

Ergebnisse............................................................................................................................................................................ 46<br />

Zusammenfassung................................................................................................................................................................ 47<br />

Metallurgische Verbesserung von mischkristallverfestigtem Gusseisen mit Kugelgrafit:<br />

Einfluss von Cobalt und Nickel auf die Mikrostruktur.......................................................................................48<br />

Material und Methoden......................................................................................................................................................... 51<br />

Ergebnisse............................................................................................................................................................................ 52<br />

Diskussion............................................................................................................................................................................ 53<br />

Schlussfolgerung .................................................................................................................................................................. 54


Metallurgische Verbesserung von mischkristallverfestigtem Gusseisen mit Kugelgrafit...............................56<br />

Einleitung.............................................................................................................................................................................. 56<br />

Material und Methoden ........................................................................................................................................................ 60<br />

Ergebnisse und Diskussion................................................................................................................................................... 60<br />

Einfluss von Cobalt............................................................................................................................................................... 61<br />

Einfluss von Nickel................................................................................................................................................................ 62<br />

Schlussfolgerung .................................................................................................................................................................. 65<br />

Einfluss karbidbildender Elemente auf das Gefüge und die mechanischen Eigenschaften<br />

von hochsiliziumhaltigem Gusseisen mit Kugelgrafit........................................................................................67<br />

Einleitung.............................................................................................................................................................................. 67<br />

Versuchsplan und Probengeometrie..................................................................................................................................... 68<br />

Charakterisierung der Mikrostruktur..................................................................................................................................... 69<br />

Einfluss der Elemente auf das Gefüge................................................................................................................................... 70<br />

Thermodynamisch-kinetische Werkstoffsimulation............................................................................................................... 72<br />

Vorhersage der mechanischen Eigenschaften....................................................................................................................... 75<br />

Ergebnistransfer.................................................................................................................................................................... 76<br />

Schlussfolgerung und Ausblick............................................................................................................................................. 76<br />

Die Schwingfestigkeit von Gusseisen mit Kugelgrafit bei Tieftemperaturen...................................................78<br />

Einleitung.............................................................................................................................................................................. 78<br />

Werkstoffe............................................................................................................................................................................. 79<br />

Durchführung der zyklischen Versuche................................................................................................................................. 80<br />

Ergebnisse aus den Wöhlerversuchen................................................................................................................................... 80<br />

Vergleich der experimentellen Kennwerte mit dem synthetischen Konzept.......................................................................... 81<br />

Metallografie......................................................................................................................................................................... 83<br />

Zusammenfassung................................................................................................................................................................ 83<br />

Ausblick................................................................................................................................................................................ 83<br />

Beurteilung der Schwingfestigkeit von lunkerbehaftetem Gusseisen mit Kugelgrafit<br />

aus Röntgenbildern.............................................................................................................................................85<br />

Einleitung.............................................................................................................................................................................. 85<br />

Werkstoffe und Halbzeuge.................................................................................................................................................... 85<br />

Radiografische Untersuchungen........................................................................................................................................... 86<br />

Zyklische Untersuchungen.................................................................................................................................................... 86<br />

Ergebnisse der Wöhlerversuche............................................................................................................................................ 87<br />

Werkstoffübergreifende Auswertung der Schwingfestigkeit der Lunker................................................................................ 90<br />

Berücksichtigung der Orientierung der Lunker in Bezug auf die Belastungsrichtung der Schwingproben<br />

bei der Lunkerklassifizierung................................................................................................................................................. 90<br />

Zusammenfassung und Ausblick........................................................................................................................................... 92<br />

Potenziale und Limitierungen von Si-mischkristallverfestigten GJS-Sorten.....................................................95<br />

Einleitung.............................................................................................................................................................................. 95<br />

Probenherstellung und Prüfmethoden................................................................................................................................... 96<br />

Ergebnisse und Diskussion................................................................................................................................................... 98<br />

Zusammenfassung und Fazit...............................................................................................................................................103<br />

Mischkristallverfestigte EN-GJS-Werkstoffe für Groß- und Schwergussteile................................................ 105<br />

Stand der Technik...............................................................................................................................................................105<br />

Versuchsdurchführung bei Meuselwitz Guss.......................................................................................................................108<br />

Zusammenfassung..............................................................................................................................................................108<br />

Machbarkeitsstudie zur Herstellung von mischkristallverfestigtem ferritischem Gusseisen<br />

mit Kugelgrafit im Großguss............................................................................................................................ 110<br />

Aufgabenstellung................................................................................................................................................................111<br />

Versuchsplanung und -durchführung..................................................................................................................................111<br />

Vorteile des Versuchsaufbaus.............................................................................................................................................113


Machbarkeitsstudie zur Herstellung von mischkristallver festigtem ferritischem Gusseisen<br />

mit Kugelgrafit im Großguss............................................................................................................................ 114<br />

Mechanische Kennwerte.....................................................................................................................................................114<br />

Gefügeeigenschaften..........................................................................................................................................................116<br />

Speisungseigenschaften.....................................................................................................................................................116<br />

Praxiserfahrungen und Ausblick..........................................................................................................................................116<br />

Zusammenfassung ............................................................................................................................................................118<br />

Bewertung von Bauteilen aus Gusseisen mit Kugelgrafit für dynamische Lastfälle –<br />

auch unter extremen Kältebedingungen......................................................................................................... 119<br />

Analyse des Lastfalles.........................................................................................................................................................119<br />

Untersuchte Werkstoffe......................................................................................................................................................120<br />

Ergebnisse..........................................................................................................................................................................121


EINFÜHRUNG<br />

Transfertagung „Leichtbau<br />

mit GJS-Si-Werkstoffen“<br />

Die Teilnehmer der FVG-<br />

Transfertagung diskutierten<br />

sowohl aktuelle Forschungsund<br />

Entwicklungsergebnisse zu<br />

GJS-Si-Werkstoffen als auch bestehende<br />

Fördermöglichkeiten.<br />

Thematischer Schwerpunkt der ersten Transfertagung der Forschungsvereinigung<br />

Gießereitechnik e.V. (FVG) waren die mischkristallverfestigten Gusseisenwerkstoffe mit<br />

Kugelgrafit (GJS), die seit etwa 2000 auf dem Markt verfügbar sind. Organisiert wurde<br />

sie von der FVG gemeinschaftlich mit dem BDG-Fachausschuss „Konstruieren in Guss“.<br />

Viele der mehr als 50 Teilnehmer aus Gießereien und Forschungseinrichtungen kannten<br />

sich bereits, denn sie haben in den laufenden und vorhergehenden Forschungsvorhaben<br />

der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) zu diesem Thema zusammengearbeitet.<br />

FOTO: DARIUS SOSCHINSKI/BDG<br />

Der Termin der Transfertagung wurde<br />

mit dem 27. Juni 2018 bewusst<br />

gewählt, denn das IGF-Projekt<br />

„Schädigungspotenzial GJS-Si“ wurde als<br />

letztes von drei thematisch aneinander<br />

anschließenden Forschungsvorhaben abgeschlossen.<br />

Die Vorgängerprojekte wurden<br />

Mitte 2017 bzw. Ende 2017 abgeschlossen.<br />

Anfang 2018 ist ein Anschlussvorhaben<br />

angelaufen und ein weiteres<br />

stand zum Zeitpunkt der Tagung gewissermaßen<br />

in den Startlöchern.<br />

Im Bereich der Gusseisenwerkstoffe<br />

mit Kugelgrafit sind in den letzten Jahren<br />

international verschiedene Forschungsaktivitäten<br />

durchgeführt worden. Dennoch<br />

sind noch längst nicht alle Fragen<br />

geklärt, oder es wurden auch neue Fragen<br />

aufgeworfen, beispielsweise zur Zähigkeit<br />

dieser Werkstoffgruppe. Dies wurde zu<br />

einem kritischen Resümee darüber genutzt,<br />

welche Ergebnisse in den vorhergehenden<br />

Forschungsvorhaben erzielt<br />

und bereits in die Praxis umgesetzt wurden.<br />

Zum anderen sollte analysiert werden,<br />

ob noch Wissenslücken bestehen<br />

und gegebenenfalls mit dieser Tagung der<br />

Weg für Folgeforschungsvorhaben bereitet<br />

werden.<br />

Ergebnistransfer in die Praxis<br />

Die IGF-Anwendungsforschung ist ein<br />

vom Bundesministerium für Wirtschaft<br />

und Industrie (BMWi) gefördertes, vorwettbewerbliches<br />

Programm, das seit<br />

6<br />

GIESSEREI KOMPAKT


1954 vor allem dem deutschen Mittelstand<br />

zu Gute kommt. Heute sind mehr<br />

als 50 000 KMU über die 100 Forschungsvereinigungen<br />

in dieses Netzwerk eingebunden.<br />

Die Mitarbeit großer Unternehmen in<br />

den Forschungsvorhaben ist gewünscht,<br />

um den Erfahrungsaustausch mit den<br />

KMU zu fördern. „Vorwettbewerblichkeit“<br />

meint, dass Aufgabenstellungen bearbeitet<br />

werden, die für eine größere Zahl von<br />

Unternehmen interessant sind – und nicht<br />

zur Erarbeitung eines Wettbewerbsvorteils<br />

für einzelne Unternehmen dient. Die<br />

IGF-Forschung wurde aktuell kartellrechtlich<br />

geprüft und ist unbedenklich.<br />

Wirtschaftsminister Peter Altmaier<br />

regte eine „Transfer-Initiative“ in der Forschung<br />

an – hier ist sie: Der Transfer von<br />

Forschungsergebnissen in die Praxis ist<br />

ein wesentliches Element der IGF-Forschung,<br />

deren Vorhaben auch einen hohen<br />

wissenschaftlichen Anspruch haben.<br />

Am Ende jedes Vorhabens stehen Validierungsversuche,<br />

um die Umsetzung der<br />

Erkenntnisse in die Praxis zu erproben.<br />

Die Ergebnisse werden veröffentlicht, z.B.<br />

in der GIESSEREI.<br />

Neben der IGF-Forschung gibt es weitere<br />

Programme, die Michael Krause, Geschäftsführer<br />

der IGF, gern erläuterte<br />

(Bild 1). Beim Zentralen Innovationsprogramm<br />

Mittelstand (ZIM) zum Beispiel,<br />

arbeitet eine Forschungsstelle mit einem<br />

KMU-Unternehmen zusammen. Hier geht<br />

es vor allem um Produkte, die kurz vor<br />

der Markteinführung stehen. Das Unternehmen<br />

bringt Eigenmittel ein, die Ergebnisse<br />

unterliegen keiner breiten Veröffentlichungspflicht<br />

– nur einer Berichtspflicht<br />

gegenüber dem Fördermittelgeber. Krause<br />

nannte auch die binationalen CORNET-<br />

Projekte, bei denen es übrigens noch Potenzial<br />

für weitere Anträge gibt. Interessant<br />

könnte auch die Initiative „Start-up<br />

trifft den Mittelstand“ sein. Näheres zu<br />

diesen Programmen lässt sich auf der<br />

Homepage des BMWi nachlesen.<br />

Damit das Forschungsnetzwerk des<br />

Mittelstands (AiF) weiterhin ein Erfolg<br />

bleibt, sind konstante Fördermittel erforderlich.<br />

Dr. Ingo Steller von der FVG wies<br />

darauf hin, dass sich zurzeit 169 Mio. Euro<br />

im IGF-Fördertopf befinden. Die 100<br />

AiF-Forschungsvereinigungen reichen<br />

jährlich rund 1000 Projektanträge ein, von<br />

denen zuletzt rund 50 % eine Förderung<br />

erhielten. Verglichen mit anderen Programmen<br />

– man denke an Horizont 2020<br />

– ist dies eine gute Förderquote! Angesichts<br />

der hohen Antragszahlen<br />

wäre die kurzfristige Aufstockung des<br />

Fördertopfs auf 200 Mio. Euro wünschenswert.<br />

Forschungsvereinigung Gießereitechnik e.V. (FVG)<br />

Die Aktivitäten der FVG umfassen<br />

> Feststellen und Aufgreifen von Themen mit Forschungsbedarf für die Gießereibranche<br />

aus den BDG-Fachausschüssen (Eisen-, Stahl-, NE-Metallguss),<br />

> Vermitteln von Forschungseinrichtungen mit passenden Schwerpunkten,<br />

> Vermitteln von interessierten Unternehmen (vorrangig BDG-Mitgliedsunternehmen:<br />

Gießereien und Zulieferer) in die projektbegleitenden Ausschüsse (PbA),<br />

> Unterstützung von jährlich 12–15 laufenden Forschungsvorhaben mit einem<br />

Fördervolumen von 1,5 Mio. Euro.<br />

Die Aufgaben der FVG liegen insbesondere in<br />

> der Antragsberatung,<br />

> der Abwicklung,<br />

> dem Controlling,<br />

> dem Berichtswesen und<br />

> der Verantwortung gegenüber dem Fördermittelgeber.<br />

Die Ergebnisse<br />

> sind nutzbar für viele Unternehmen der Branche (vorwettbewerblich) und<br />

> dienen dem Ergebnistransfer in die Wirtschaft (Gießereien).<br />

Bild 1: Michael Krause, Geschäftsführer der IGF, erläuterte unterschiedliche Förderprogramme<br />

zum Forschungstransfer in die Praxis.<br />

Eröffnung<br />

Herr Stefan Buchholz, Geschäftsführer<br />

der Fa. Buchholz & Cie., Zweibrücken,<br />

eröffnete die Tagung. Sein Unternehmen<br />

ist ein klassischer Mittelstandsbetrieb<br />

und reagiert flexibel auf Bestellungen von<br />

kleinen Serien. Die mischkristallverfestigten<br />

GJS-Werkstoffe erweitern sein<br />

Werkstoff-Portfolio, seit er an verschiedenen<br />

IGF-Forschungsvorhaben mitgearbeitet<br />

hat. Diese hat er durch Versuchsschmelzen<br />

in seiner Gießerei sowie<br />

durch Hinweise in den Projektsitzungen<br />

unterstützt. Gleichzeitig ist Buchholz Leiter<br />

des BDG-Fachausschusses „Konstruieren<br />

in Guss“, der sich mit technischen<br />

Argumenten zur Vermarktung der (Eisen-)<br />

Gusswerkstoffe beschäftigt und<br />

Input für Regelwerke generiert.<br />

GJS-Si-Werkstoffe<br />

Die Mischkristallverfestigung wird in der<br />

Stahlindustrie schon lange genutzt. Dabei<br />

besetzen Legierungsatome reguläre Plätze<br />

im Kristallgitter und sorgen so für leichte<br />

Verzerrungen, welche die Versetzungsbewegung<br />

erschweren und den Werkstoff<br />

verfestigen. Dies steigert die statischen<br />

mechanischen Kennwerte, senkt aber<br />

auch die Bruchdehnung. Auch Gusseisenwerkstoffe<br />

werden schon seit langem legiert,<br />

doch das Konzept der Mischkristallverfestigung<br />

wurde erst mit den Silizium<br />

legierten Werkstoffsorten publik gemacht.<br />

FOTO: DARIUS SOSCHINSKI/BDG<br />

GIESSEREI KOMPAKT<br />

7


EINFÜHRUNG<br />

FOTO: GF CASTING SOLUTIONS<br />

Bild 2: Prüfstand für schlagartige Belastung von Bauteilen und Proben bei GF Casting<br />

Solutions.<br />

Die „mischkristallverfestigten“ GJS-<br />

Werkstoffe werden höher mit Silizium legiert,<br />

so beispielsweise die in Schweden<br />

vor rund 20 Jahren propagierten Werkstoffe.<br />

Wenig später gab es andere Entwicklungen,<br />

worunter „SiBoDur“ von Georg<br />

Fischer zu den bekanntesten zählt.<br />

Auch bei anderen Werkstoffen (GJL, GJV,<br />

ADI) wurde eine Mischkristallverfestigung<br />

untersucht. Aktuell wird die Substitution<br />

des Siliziums durch andere den Mischkristall<br />

verfestigende Elemente erforscht.<br />

Publikationen<br />

Das Legieren mit Silizium wurde schon in<br />

früheren Arbeiten ausgelotet, doch erst<br />

mit den Untersuchungen von L.-E. Björkegren<br />

und K. Hamberg Mitte der1990er<br />

Jahre und den entsprechenden Anwendungen<br />

in der Automobilindustrie wurden<br />

die Gießereifachleute auf das Potenzial<br />

der Si-legierten Werkstoffe aufmerksam.<br />

Propagiert wurde zunächst der Werkstoff<br />

GJS-500-10 (bis dahin war in der EN 1563<br />

nur der EN-GJS-500-7 festgeschrieben).<br />

Weitere internationale Veröffentlichungen<br />

folgten, auch zum Potenzial von mischkristallverfestigtem<br />

ADI. Zahlreiche ab<br />

2012 folgende Veröffentlichungen in der<br />

deutschsprachigen Fachliteratur stellen<br />

die Ergebnisse aus abgeschlossenen<br />

öffentlich geförderten Forschungsvorhaben<br />

dar; eine weiterführende Auflistung<br />

relevanter Literatur findet sich am Ende<br />

dieses Beitrags.<br />

Wichtigste Erkenntnisse,<br />

Stand der Technik<br />

Durch Legieren mit Silizium lässt sich die<br />

Zunderbeständigkeit verbessern, was<br />

– einschließlich dem Zulegieren von<br />

Molybdän – zu den begrenzt warmfesten<br />

SiMo-Werkstoffen führte. Dies geht auf<br />

Arbeiten aus den 1960er und 1970er Jahren<br />

zurück.<br />

Dass sich durch höheres Legieren mit<br />

Silizium die Bruchdehnung steigern lässt,<br />

wobei das vollferritische Gefüge erhalten<br />

bleibt und die Zerspanbarkeit nicht beeinträchtigt<br />

wird, war vermutlich teilweise<br />

klar, wurde aber durch Björkegren und<br />

Hamberg herausgearbeitet. Die einphasige<br />

Matrix verringert auch die Streuung<br />

der Eigenschaften, verglichen mit<br />

EN-GJS-500-7 mit einer ferritisch-perlitischen<br />

Matrix. Später wurde dieser Effekt<br />

auch bei GJL und GJV bestätigt. Gleichzeitig<br />

war bereits 2003 klar, dass die<br />

Sprödbruch-Übergangstemperatur ansteigt<br />

und der Werkstoff sich weniger<br />

duktil verhält als beispielsweise<br />

EN-GJS-400-15.<br />

Die bruchmechanischen Kennwerte<br />

wurden bereits von Björkegren u.a. untersucht<br />

(zunächst ohne Angabe des Gefüges)<br />

und später im Rahmen einer Werkstoff-Einzelzulassung<br />

ermittelt (2012). Um<br />

2012 wurde auch klar, dass es einen praktischen<br />

Grenzgehalt gibt (etwa 4,3 % Si),<br />

oberhalb dessen der Werkstoff stärker<br />

versprödet. Dieser Richtwert diente bereits<br />

für metallurgische Optimierungsarbeiten,<br />

obwohl der zugrundeliegende<br />

Mechanismus erst 2017 aufgeklärt wurde.<br />

Fließeigenschaften und Lunkerverhalten<br />

wurden untersucht, ergaben aber teils<br />

widersprüchliche Ergebnisse und werden<br />

aktuell weiter erforscht. Dass sich dickwandige<br />

Bauteile aus siliziumlegiertem GJS<br />

herstellen lassen, wurde bereits im Bereich<br />

Werkstoffmarketing dargestellt.<br />

Zuletzt wurde der Einfluss von Gefügeabweichungen<br />

und Begleitelementen<br />

auf die Werkstoffeigenschaften untersucht,<br />

wobei zwischen statischen und<br />

dynamischen Kennwerten differenziert<br />

werden muss. Hier gibt es noch zahlreiche<br />

offene Fragen.<br />

Forschungsvorhaben<br />

In den vergangenen Jahren wurde eine beachtliche<br />

Zahl von Forschungsvorhaben<br />

zu der neuen Werkstoffklasse durchgeführt.<br />

Richtig in Schwung kamen die Arbeiten<br />

in Deutschland in 2010. Die ersten<br />

Arbeiten befassten sich noch mit metallurgischen<br />

Aspekten, weitere betrachteten<br />

bestimmte Werkstoffeigenschaften (nicht<br />

Bauteileigenschaften, allerdings sollen die<br />

Ergebnisse am Ende jedes Vorhabens an<br />

Realbauteilen validiert werden!).<br />

Parallel zu der Gemeinschaftsforschung<br />

haben natürlich einzelne Hersteller ihre eigene<br />

Forschung betrieben; im Ergebnis<br />

wurden einige Werkstoffe klassifiziert und<br />

zugelassen oder sogar patentiert.<br />

8<br />

GIESSEREI KOMPAKT


Einführung der Si-legierten<br />

Werkstoffe in der Normung<br />

Es gab schon länger Gusseisenwerkstoffe<br />

mit Kugelgrafit, die die Eigenschaften<br />

nach Norm übertrafen, teils durch leichte<br />

Modifikation der Zusammensetzung. Den<br />

ersten Schritt in die Richtung der mischkristallverfestigten<br />

Werkstoffe machte<br />

Björkegren mit einem Si-legierten Werkstoff,<br />

der gemeinsam mit Volvo entwickelt<br />

und 1994 patentiert wurde. Es folgten<br />

seither einige Normen und Richtlinien,<br />

zum Beispiel:<br />

> Sonderwerkstoffe: GJS-520-12 (Kugelstangen),<br />

GJS-620-7 (Getriebebau),<br />

> Swedish standard SS 14 07 25 1998,<br />

> SiBoDur-Werkstoffe (Georg Fischer)<br />

ca. 2004,<br />

> ISO 1083:2004 Annex A: S.G. cast<br />

irons with high Si content (= 500-10),<br />

> EN 1563:2011 Anhang A: Zusätzliche<br />

Eigenschaften zu mischkristallverfestigten<br />

ferritischen Gusseisen mit Kugelgrafit<br />

(mit Streuband); strittig: Anhang<br />

F: Bruchzähigkeit, Schlagenergie<br />

und Duktilität,<br />

> EN 16124:2012 Gießereiwesen –<br />

Gusseisen-Strangguss (mit 500-14).<br />

> ISO 1083:2018-04 Spheroidal graphite<br />

cast irons – Classification, mit überarbeitetem<br />

Annex C Fracture Mechanical<br />

Approach,<br />

> prEN 1563:2018 – angelehnt an ISO<br />

1083:2018,<br />

> ISO/DIS 945-4:2018-02 – Test method<br />

for evaluation of nodularity,<br />

> Guideline for the certification of wind<br />

turbines. GL 2010. (2015?),<br />

> FKM-Richtlinie Bruchmechanischer<br />

Festigkeitsnachweis… FKM 2009.<br />

Aktuelle Fragestellungen<br />

Viele Forschungsarbeiten konzentrieren<br />

sich auf die Werkstoffe EN-GJS-500-14<br />

und EN-GJS-600-10, eher wenige auf den<br />

„einfacheren“ Werkstoff EN-GJS-450-18.<br />

Die wichtigste konstruktive Fragestellung<br />

betrifft die genaue Charakterisierung<br />

des Zähigkeitsverhaltens im Werkstoff<br />

und – was viel wichtiger ist – lokal im<br />

Bauteil. Wichtig ist die lokale Beanspruchung,<br />

aber auch die Beanspruchungsgeschwindigkeit.<br />

Und wenn die Eigenschaften optimiert<br />

werden könnten, durch welche metallurgischen<br />

Maßnahmen lässt sich dies erreichen?<br />

Auch vor dem Hintergrund, dass<br />

wachsende Begleitelementgehalte in den<br />

Stahlschrotten kompensiert werden müssen.<br />

Letztlich soll eine Aufklärung der letzten<br />

offenen Fragen dazu führen, dass das<br />

Verhalten dieser Werkstoffe realistisch<br />

eingeschätzt wird. Vorbehalte, die sich in<br />

Bild 3: Untersuchte<br />

Grafitmorphologien<br />

(R: Referenz,<br />

hohe Nodularität;<br />

RN: reduzierte Nodularität;<br />

V: erhöhter<br />

Vermikulargrafitanteil;<br />

BN:<br />

große Kugeln).<br />

erhöhten Sicherheitsbeiwerten oder größeren<br />

Wanddicken äußern, sollen aufgelöst<br />

werden. Denn nur so lässt sich das<br />

Leichtbaupotenzial dieser Werkstoffe erschließen.<br />

Geringere Wanddicken verringern<br />

die Masse des Bauteils und erlauben<br />

wiederum größerformatige Bauteile.<br />

Praxisbeiträge zum Einsatz hoch<br />

Si-haltiger Werkstoffe<br />

Dr. W. Knothe, Franken Guss, unterstrich,<br />

dass es nicht auf das Werkstoffverhalten<br />

ankomme, sondern auf das Verhalten des<br />

Bauteils. Das Bauteil muss entsprechend<br />

der vorliegenden Spannungen ausgelegt<br />

werden. Der Konstrukteur muss dazu alle<br />

Lastfälle und Missbrauchsfälle kennen.<br />

Er bezog sich bei seinen Betrachtungen<br />

auf die Ergebnisse aus Forschungsvorhaben,<br />

die nur eine Orientierung geben<br />

könnten. Dort werde unter Laborbedingungen<br />

(an Kleinproben einfacher Geometrie<br />

und optimaler Oberfläche) das reine<br />

Werkstoffverhalten untersucht – der<br />

Werkstoff im realen Bauteil reagiere<br />

durchaus anders. Bei Franken Guss wurde<br />

der Werkstoff EN-GJS-450-18 metallurgisch<br />

optimiert, qualifiziert und nun mit<br />

Erfolg in der Großserie eingesetzt. Das<br />

Bauteil verfügt über ein ausreichendes<br />

Verformungsverhalten, nachzuweisen im<br />

Crash-Versuch. Grundlage sei eine enge<br />

Entwicklungspartnerschaft mit den Kunden.<br />

Ein Weg, den jede Gießerei unter Beachtung<br />

ihrer individuellen Prozessroute<br />

selbst gehen muss.<br />

Dr. W. Menk, GF Casting Solutions,<br />

verglich den Werkstoff EN-GJS-500-14 mit<br />

SiBoDur. Bei Betrachtung der Mindestkennwerte<br />

nach EN 1563 bringt der Einsatz<br />

mischkristallverfestigter GJS-Werkstoffe<br />

mit einer deutlich höheren Bruchdehnung<br />

bei gleicher oder besserer<br />

Zugfestigkeit Vorteile gegenüber konventionellem<br />

GJS. Das höhere Streckgrenzenverhältnis<br />

könnte allerdings zu einem<br />

spröden Bauteilversagen führen. Im GF-<br />

Labor wurden Impact-Versuche bei hoher<br />

Beanspruchungsgeschwindigkeit durchgeführt<br />

(Bild 2). Der neue hochfeste und<br />

hochduktile Werkstoff „SiBoDur500“ zeigt<br />

einen wesentlich höheren Energieverbrauch<br />

bis zum Bruch und ist dem konventionellen<br />

EN-GJS-500-14 überlegen,<br />

auch hinsichtlich der Tieftemperatureigenschaften.<br />

Berichte aus den Forschungsprojekten<br />

Abschlussbericht IGF 18524<br />

„Simulationsgestützte Ermittlung<br />

des Versagenspotenzials von GJS-Si<br />

bei schwingender Beanspruchung“<br />

(C. Gebhardt M.Sc., Institut für Werkstoffanwendungen<br />

im Maschinenbau der RWTH<br />

Aachen, J. Frieß M.Sc., Gießerei-Institut<br />

der RWTH Aachen)<br />

Das IGF-Forschungsvorhaben wurde zum<br />

Zeitpunkt der Tagung abgeschlossen. Ziel<br />

war die Untersuchung des Einflusses verschiedener<br />

Gefügeabweichungen auf die<br />

Schwingfestigkeit. Die Ergebnisse sollen<br />

noch separat in einem Fachartikel ausführlich<br />

veröffentlicht werden, seien hier<br />

aber bereits kurz vorgestellt. An den<br />

Werkstoffen EN-GJS-500-14 und EN-<br />

GJS-600-10 wurde das Gefüge gezielt eingestellt<br />

(Bild 3). Der Einfluss von Gefügeabweichungen<br />

(reduzierte Nodularität,<br />

größere Kugeln und größere Anteile von<br />

Vermiculargrafit) wurde anhand eines repräsentativen<br />

Volumenelements modelliert<br />

und anschließend mit Wöhlerversu-<br />

GIESSEREI KOMPAKT<br />

9


EINFÜHRUNG<br />

Tabelle 1: Aktuelle und geplante Forschungstätigkeiten im Bereich konventionelles<br />

und hoch legiertes Si-GJS am Gießerei-Institut der RWTH Aachen<br />

Fragestellung Laufende F&E-Vorhaben Zukünftige F&E-Vorhaben<br />

Grafitmorphologie Diagraph 1 (AiF) Diagraph II (AiF)<br />

und Entartung Versagenspotenzial (AiF) Optiguss (AiF)<br />

CHG Micress<br />

Optimierung MK-Optimierung (AiF) Dehnratenabhägigkeit (AiF)<br />

mechanischer<br />

Schädigungsmechanismen<br />

Eigenschaften<br />

Dünnwand-GJS<br />

ThinWins (ZIM)<br />

Leichtbaupotenzial (AiF)<br />

Begleit- und Karbidvorhersage (AiF) SUSpekt (ZIM)<br />

Spurenelemente<br />

Smartscrap (Cornet)<br />

Randschichten Gusshaut (AiF) Bearbeitbarkeit<br />

> Die Erschließung des Leichtbaupotenzials<br />

von GJS-Si (im März angelaufen)<br />

ist das Ziel eines weiteren Vorhabens,<br />

in dem u.a. die Gießeigenschaften dieser<br />

Werkstoffgruppe eingehend untersucht<br />

werden. Dies soll dünnwandigere<br />

Gussteile ermöglichen, die mit reduziertem<br />

Speisereinsatz gegossen<br />

werden.<br />

> In einem geplanten grundlagenorientierten<br />

DFG-Vorhaben soll das sprödduktile<br />

Bruchverhalten in Abhängigkeit<br />

des Si-Gradienten untersucht werden.<br />

Ziel ist die Vorhersage makroskopischer<br />

Eigenschaften mittels eines<br />

neuen Modells.<br />

chen (axial und Torsion) an Gussproben<br />

validiert. Das Ziel der Vorhersage der Dauerfestigkeit<br />

aus einem Werkstoff mit bekanntem<br />

Gefüge wurde qualitativ erreicht<br />

(Bild 4). Die Korrelation zwischen den<br />

Gefügeparametern und der Ermüdungsfestigkeit<br />

ist allerdings nicht einfach, sodass<br />

noch keine quantitative Aussage<br />

gemacht werden kann. Es bleiben einige<br />

interessante Fragen für weitere Forschungs<br />

vorhaben offen.<br />

Aktuelle und geplante Forschungstätigkeiten<br />

von konventionellen und<br />

hochsiliziumhaltigem GJS am Gießerei-Institut<br />

de RWTH Aachen<br />

(Dr.-Ing. B. Pustal, Gießerei-Institut der<br />

RWTH Aachen)<br />

Am Gießerei-Institut werden aktuell folgende<br />

Fragestellungen betrachtet, wovon<br />

die meisten anwendungsorientierte IGF-<br />

Vorhaben der AiF sind (Tabelle 1):<br />

> DIAgraph: Ziel des bis Anfang 2019 laufenden<br />

Vorhabens ist die einheitliche,<br />

systemunabhängige, automatische<br />

Bildanalyse von GJS, einschließlich der<br />

Bestimmung der Nodularität nach ISO<br />

945-4. Eine automatische Klassifikationsmethodik<br />

für Grafit und Grafitentartungen<br />

wird entwickelt (Bild 5).<br />

> Im Folgevorhaben DIAgraph II (wird<br />

beantragt) soll die bereichsbezogene<br />

Klassifikation von Grafitausbildungen<br />

in GJL und GJV betrachtet werden –<br />

der Fokus liegt auf 3-D-Grafit-Verzweigungen,<br />

wobei ebenfalls Entartungen<br />

betrachtet werden.<br />

An den laufenden Vorhaben dürfen sich<br />

gerne weitere Unternehmen beteiligen.<br />

Metallurgische Optimierung von<br />

hochsiliziumhaltigem mischkristallverfestigtem<br />

Gusseisen mit Kugelgrafit<br />

hinsichtlich der Sicherstellung<br />

der Zähigkeit und Prozessierbarkeit<br />

(J. Frieß M. Sc., Dr.-Ing. P. Weiß, Gießerei-<br />

Institut der RWTH Aachen)<br />

Ziel des Mitte 2017 abgeschlossenen<br />

IGF-Vorhabens war die Erarbeitung der<br />

Effekte weiterer Legierungselemente in<br />

hochsiliziumhaltigem GJS; einerseits die<br />

Verbesserung der Kennwerte durch gezieltes<br />

Legieren, andererseits die teilweise<br />

Substitution von Silizium durch andere<br />

Mischkristallbildner. Zunächst wurden<br />

die Einzel- und Kombinationswirkungen<br />

280<br />

100 m<br />

260<br />

240<br />

220<br />

200<br />

100 m<br />

100 m<br />

180<br />

100 m<br />

160<br />

140<br />

GRAFIK: RWTH AACHEN<br />

-150 -100 -50<br />

0<br />

50 100 150<br />

Bild 4: Haigh-Diagramm für den Werkstoff GJS-500-14 zur Beurteilung des Einflusses von Gefügeabweichungen auf die Dauerfestigkeit.<br />

10<br />

GIESSEREI KOMPAKT


verschiedener Legierungselemente bestimmt.<br />

Eine Kombination von Ni und Al<br />

erwies sich hierbei am besten geeignet<br />

und ermöglichte eine weitere Steigerung<br />

gegenüber konventionellen GJS-Si-Werkstoffen.<br />

Ferner wurden in diesem Vorhaben<br />

erstmalig die versprödenden Überstrukturen<br />

mittels TEM nachgewiesen<br />

(Bild 6). Teilaspekte des Projekts wurden<br />

bereits von P. Weiß u. a. in der Materials<br />

Science and Engineering, Volume 713,<br />

24 January 2018, (s. a. Abschnitt weiterführende<br />

Literatur) veröffentlicht.<br />

Schädigungsmechanische Ansätze<br />

zur gezielten Einstellung und effizienten<br />

Nutzung der Zähigkeitseigenschaften<br />

von hochsiliziumhaltigem<br />

Gusseisen mit Kugelgrafit<br />

(D. Franzen M. Sc., Gießerei-Institut der<br />

RWTH Aachen, M. Könemann M.Sc, Institut<br />

für Eisenhüttenkunde, RWTH Aachen)<br />

Bild 5: Möglicher Entscheidungsbaum zur Formklassifizierung von Grafitentartungen.<br />

Die Kerbschlagzähigkeit der mischkristallverfestigten<br />

Werkstoffe ist für manche<br />

Anwendungen nicht ausreichend, was auf<br />

eine ausgeprägte Dehnratensensitivität<br />

zurückgeführt wird. Im Rahmen des Forschungsvorhabens<br />

sollen die Zähigkeitseigenschaften<br />

unter dem Einfluss der Beanspruchungssituation<br />

sowie der Mikrostruktur<br />

des Werkstoffs charakterisiert<br />

werden. Dazu werden numerische Modelle<br />

angewendet, mit denen die Zähigkeitseigenschaften<br />

bei konkret vorliegender<br />

Beanspruchung und definiert eingestelltem<br />

Gefüge simuliert werden können. Es<br />

folgt die experimentelle Validierung der<br />

Ergebnisse sowie die Herstellung gezielt<br />

entwickelter Legierungen. Diese werden<br />

im weiteren Verlauf mithilfe eines zum<br />

Kerbschlagbiegeversuch alternativen Prüfverfahrens,<br />

das eine beanspruchungsgerechte<br />

Prüfung der Zähigkeit erlaubt, geprüft.<br />

Das Vorhaben ist am 1.10.2018 abgelaufen.<br />

Quantitative Karbidvorhersage<br />

(M. Riebisch M.Sc., Gießerei-Institut der<br />

RWTH Aachen)<br />

Ziele des Vorhabens waren die Erweiterung<br />

des Prozessfensters zur Herstellung<br />

von EN-GJS-500-14 hinsichtlich des Einsatzes<br />

verunreinigter Schrotte, die Vorhersage<br />

von Gefüge und Eigenschaften<br />

anhand der chemischen Analyse und die<br />

quantitative Vorhersage der auftretenden<br />

Karbide. Im Rahmen des Vorhabens wurde<br />

eine benutzerfreundliche Karbiddatenbank<br />

mit Excel-Schnittstelle erstellt, in<br />

welche die Ergebnisse von Schmelzversuchen<br />

mit den legierten Karbidbildnern<br />

Chrom, Mangan, Molybdän, Niob und Vanadium<br />

(einzeln und in Kombinationen)<br />

eingegeben wurden. Hierüber, sowie mit<br />

Hilfe des am Gießereiinstitut entwickelten<br />

Mikroseigerungsmodells, lassen sich die<br />

Anteile von Perlit und Karbid für verschiedene<br />

Abkühlbedingungen korrekt vorhersagen<br />

(Bild 7). Auch Gefüge und mechanische<br />

Kennwerte können über empirische<br />

Gefüge-Eigenschafts-Beziehungen<br />

vorhergesagt werden.<br />

Zyklisches Werkstoffverhalten von<br />

Si-GJS – Stand des Wissens und<br />

Wissenslücken<br />

(Dr. C. Bleicher, Dr. H. Kaufmann, Fraunhofer<br />

LBF, Darmstadt)<br />

Die Ergebnisse bisheriger Forschungsvorhaben<br />

am Fraunhofer Institut für Leichtbauforschung<br />

(LBF) lassen eine zyklische<br />

Verfestigung der Si-GJS-Werkstoffe erkennen.<br />

Aktuelle Richtlinien unterschätzen<br />

GRAFIK: RWTH AACHEN<br />

GRAFIK: RWTH AACHEN<br />

Bild 6: TEM-Aufnahme: Als Ursache für die Versprödung bei erhöhtem Siliziumgehalt konnte eine Überstrukturbildung nachgewiesen<br />

werden.<br />

GIESSEREI KOMPAKT<br />

11


EINFÜHRUNG<br />

1,8<br />

1,6<br />

1,4<br />

Karbide Experiment<br />

Karbide Simulation<br />

Karbidgehalt in %<br />

1,2<br />

1,0<br />

0,8<br />

0,6<br />

0,4<br />

0,2<br />

0<br />

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32<br />

Legierung Nr.<br />

GRAFIK: RWTH AACHEN<br />

Bild 7: Vergleich zwischen experimentellen und per Mikroseigerungsmodell berechneten Karbidgehalten.<br />

die Mittelspannungsempfindlichkeit. Bisherige<br />

Forschungsvorhaben betrafen z.T.<br />

den Werkstoff EN-GJS-450-18 und zeigten<br />

Lücken, z.B. bei den Werkstoffen ​EN-<br />

GJS-500-14 und 600-10, im Tieftemperaturbereich<br />

oder hinsichtlich der Bewertung<br />

von Fehlstellen.<br />

Im 2011 abgeschlossenen Vorhaben<br />

„MEGAWind“ wurde ein neuer GJS-Si-<br />

Werkstoff für große Windenergieanlagen<br />

(WEA) qualifiziert. Das BMWi-Vorhaben<br />

„Lunkerfest“ (bis 2016) zielte auf die Vergleichbarkeit<br />

der zerstörungsfreien Prüfverfahren<br />

(ZfP) mit dem Gefüge und diente<br />

der Steigerung des Auslastungsgrades<br />

von WEA-Komponenten aus GJS-Si-Werkstoffen.<br />

„SWL Eisenguss“ entwickelt synthetische<br />

Wöhlerlinien für die Bewertung<br />

von konventionellen und ausgewählten<br />

hoch Si-legierten GJS-Werkstoffen. Im gerade<br />

angelaufenen Vorhaben „Grenzqualifizierung“<br />

wird die lokale, zyklische Beanspruchbarkeit<br />

von Bauteilen mit Gefügeabweichungen<br />

untersucht, um ein<br />

Qualitätssicherungskonzept auf Basis von<br />

ZfP-Methoden sowie virtueller Grenzmusterbauteile<br />

zu erstellen.<br />

Dr. Bleicher wies darauf hin, dass die<br />

Ergebnisse vieler Vorhaben aufgrund begrenzter<br />

Fördermittel eher schlaglichtartig<br />

seien und manche Fragen offen lassen<br />

müssten. Aufgrund einer minimalen Probenzahl<br />

sei nur eine Abschätzung der zyklischen<br />

Eigenschaften möglich und keine<br />

genaue Eigenschaftsvorhersage. Im Sinne<br />

des Leichtbaus sollten fundierte Datensätze<br />

für Konstruktionsrichtlinien (FKM,<br />

etc.) bereitgestellt werden.<br />

Es fehle eine konsequente Betrachtung<br />

aller drei Werkstoffe hinsichtlich<br />

Spannungs-Dehnungs-Verhalten, Mittelspannungsempfindlichkeit<br />

(in Abhängigkeit<br />

vom Gefüge), Stütz- und Kerbwirkung<br />

sowie die Untersuchung des gefügeabhängigen<br />

Größeneinflusses. Notwendig<br />

sei ein größeres, umfassendes Forschungsvorhaben,<br />

das im Übrigen auch<br />

von der FVG unterstützt werden würde.<br />

Schadenstolerante Auslegung von<br />

Strukturbauteilen aus hochfestem<br />

Gusseisen (damage tolerant design)<br />

(L. Heine, Prof. Dr.-Ing. C. Broeckmann, C.<br />

Gebhardt M.Sc., Institut für Werkstoffanwendungen<br />

im Maschinenbau der RWTH<br />

Aachen)<br />

Leichte Ungänzen können im Gefüge von<br />

Gusseisenwerkstoffen (Poren, etc.) auftreten.<br />

Die Bauteillebensdauer wird durch<br />

Rissstart und -wachstum (nach Kitagawa)<br />

bestimmt, was wiederum von der Beanspruchungsart<br />

abhängt. Untersucht wurde<br />

ein Planetenträger aus EN-GJS-700-2<br />

(nicht GJS-Si aber methodisch interessant)<br />

mit typischen Ungänzen. Modifizierte Ermüdungsversuche<br />

zeigten eine Lage im<br />

unteren Streuband. In-situ-Risswachstumsversuche<br />

im REM wurden zur Bestimmung<br />

der Nachgiebigkeit herangezogen,<br />

die über ein Rissschließen oder eine weitere<br />

Rissöffnung entscheidet (Bild 8). Dieser<br />

Übergang ist entscheidend für die einheitliche<br />

Betrachtung des Risswachstums<br />

und die fortschrittliche, schadenstolerante<br />

Auslegung von Windenergieanlagen.<br />

Aktuell wird in der Forschungsvereinigung<br />

Antriebstechnik (FVA) das Forschungsvorhaben<br />

„Leichtkonstruktion<br />

Guss“ durchgeführt, in dem für einen Planetenträger<br />

die alternativen Werkstoffe<br />

EN-GJS-700-2 und ADI verglichen werden.<br />

Einsatz bruchmechanischer Methoden<br />

im Life-Cycle-Management von<br />

Bauteilen aus GJS unter Berücksichtigung<br />

der Gusssimulation<br />

(Prof. Dr.-Ing. P. Langenberg, Dr.-Ing. P. Kucharczyk,<br />

IWT Solutions, Aachen, C. Thomser,<br />

Dr-Ing. J.C. Sturm, MAGMA Gießereitechnologie,<br />

Aachen)<br />

Professor Langenberg zeigte deutlich auf,<br />

dass es sich bei der Bruchmechanik nicht<br />

alleine um ein Prüfverfahren handelt, sondern<br />

primär um eine Berechnungsmethode,<br />

die bereits im frühen Design-Stadium<br />

eingesetzt werden kann. So lassen sich<br />

Zähigkeitsanforderungen an den Werk-<br />

Bild 8: In-situ-Experiment unter dem Rasterelektronenmikroskop zur Entwicklung eines<br />

schadenstoleranten Designs, unter anderem für Windkraftanlagen.<br />

GRAFIK: RWTH AACHEN<br />

12<br />

GIESSEREI KOMPAKT


stoff auf Basis von Design-relevanten Eingangsgrößen<br />

ermitteln (z. B. Spannungen<br />

und Fehlstellen, die noch mit ZfP-Prüfverfahren<br />

nach DIN EN 12680 bestimmt werden)<br />

. Dies stellt einen deutlichen Vorteil<br />

gegenüber der Kerbschlagarbeit dar, die<br />

ein rein erfahrungsbasiertes, nicht übertragbares<br />

Kriterium liefert. Auch im Betrieb<br />

hilft die Bruchmechanik, Bauteile mit<br />

Fehlstellen im Betrieb zu halten und ihren<br />

sicheren Ausbauzeitpunkt zu ermitteln.<br />

In der aktuellen Studie wird gemeinsam<br />

mit MAGMA untersucht, wie die häufig<br />

fehlende bruchmechanische Risszähigkeit<br />

aus der Erstarrungssimulation heraus bestimmt<br />

werden kann (Bild 9). Damit werden<br />

die hohen Kosten der Bruchmechanischen<br />

Prüfung vermieden und das Gießen,<br />

zum Beispiel eines komplexen Bauteils wie<br />

dem Planetenträger, im Vorfeld optimiert.<br />

Bild 9: Berechnungen<br />

an einem Planetenträger<br />

sollen<br />

die Zähigkeit aus<br />

der Erstarrungssimulation<br />

heraus<br />

bestimmen:<br />

„Hot Spots“ zeigen<br />

Spannungen an<br />

der Bauteiloberfläche,<br />

die jedoch in<br />

Richtung Bauteilinneres<br />

rasch abklingen.<br />

GRAFIK: MAGMA<br />

Diskussion: Was benötigen die<br />

Konstrukteure?<br />

Hier wurden die Ergebnisse einer vor der<br />

Tagung durchgeführten Umfrage vorgestellt.<br />

Die ersten fünf Punkte wurden<br />

mehrfach genannt und sind als besonders<br />

wichtig anzusehen. Die Antworten geben<br />

Hinweise darauf, welche konstruktiven<br />

Anforderungen noch zu erfüllen sind:<br />

> Hohe Festigkeit, hohe Streckgrenze:<br />

Leichtbaupotenzial,<br />

> Hohe Dehnung / Zähigkeit: Sicherheit<br />

bei der Simulation und Auslegung der<br />

Produkte, die durch geringere Wandstärken<br />

und optimiertes Design ausgenutzt<br />

werden können,<br />

> Gute Zerspanbarkeit / Bearbeitbarkeit<br />

(< 5 % Perlit),<br />

> Hohe Schwingfestigkeit,<br />

> Temperaturabhängige Kennwerte: Änderung<br />

bei hohen (bis 200 °C) und<br />

tiefen (-20 °C/-40 °C) Temperaturen,<br />

> Risszähigkeit bei statischer Belastung/Rissverhalten<br />

bei zyklischer Belastung<br />

(in Abhängigkeit von der Temperatur),<br />

> Aussagen zur Bruchmechanik: z. Zt.<br />

kein geeignetes Verfahren zur prozessbegleitenden<br />

Prüfung, KV ungeeignet.<br />

> Mechanische Kennwerte für 60 –<br />

200 mm Wanddicke (nicht in der<br />

Norm): Kennwerte aus dem Bauteil<br />

müssen EN 1563 Tabelle 3, t < 30 mm<br />

ent sprechen,<br />

> „Garantie“ wanddickenabhängiger Eigenschaften,<br />

> Reduktion der Sicherheitsbeiwerte,<br />

optimierte Auslegungsprozesse (bzgl.<br />

Dynamik).<br />

Aktueller Forschungsbedarf wird hinsichtlich<br />

„Big Data“ gesehen. Heutige Messmethoden<br />

erlauben die Erfassung zahlreicher<br />

Prozessparameter, die in Modelle<br />

gefasst werden könnten. Auch bei den<br />

Prüfverfahren ist gemäß den vorhergehenden<br />

Vorträgen zu überlegen, welche sich<br />

für die Beschreibung des Bauteilverhaltens<br />

bzw. der Zähigkeit am besten eignen.<br />

Ausblick<br />

Kurzfristig sollten Hinweise für die Anwendung<br />

von mischkristallverfestigtem Gusseisen<br />

mit Kugelgrafit, zur Information,<br />

angegeben werden. Die Werkstoffsorten<br />

haben ein unterschiedliches Zähigkeitsverhalten.<br />

Um ein bestmögliches Bauteilverhalten<br />

zu erzielen, sollten die Werkstoffe<br />

gemäß ihrer Stärken eingesetzt<br />

werden. Anwendungsbeispiele je nach<br />

Werkstoffsorte finden sich in verschiedenen<br />

Normen und sollten auf die EN 1563<br />

übertragen werden. Dies betrifft auch die<br />

Abgrenzung von den konventionellen GJS-<br />

Werkstoffen und den ADI-Werkstoffen.<br />

Der BDG-Fachausschuss „Konstruieren in<br />

Guss“ wird sich hiermit in nächster Zeit<br />

auseinandersetzen. Auf der Agenda stehen<br />

die folgenden Fragestellungen:<br />

> Festlegung von Anwendungsbeispielen<br />

für Si-legierte GJS-Werkstoffe, abhängig<br />

von der Beanspruchung (statisch,<br />

dynamisch, Überlast),<br />

> Vorbereitung eines informativen Anhangs<br />

zur DIN EN 1563,<br />

> Sicherheitsbeiwerte in Konstruktionsregelwerken,<br />

> Begleitung von IGF-Forschungsvorhaben<br />

und neue Projektskizzen.<br />

Es hat sich gezeigt, dass das Verhalten der<br />

Werkstoffe noch nicht voll umfänglich bekannt<br />

ist; auf einigen Gebieten besteht<br />

noch Forschungsbedarf. Zu diesen Themen<br />

sollten kurzfristig Forschungsanträge<br />

vorbereitet werden, um noch fehlende Erkenntnisse<br />

zu den GJS-Si-Werkstoffen zu<br />

gewinnen. Vielversprechend sind unter<br />

anderem das gerade angelaufene IGF-Vorhaben<br />

„Leichtbaupotenzial GJS-Si“ und das<br />

IGF-Vorhaben „Schädigungsmechanik“,<br />

das im Herbst 2018 anlaufen soll.<br />

Der nächste Schritt ist eine gezielte<br />

„Vermarktung“ dieser Werkstoffgruppe,<br />

um den Kunden die Eigenschaftspotenziale<br />

darzustellen. Hierfür plant der BDG<br />

eine Tagung mit dem Arbeitstitel „Gusseisen-Forum“<br />

im November 2019. Bis dahin<br />

werden weitere, abgesicherte Erkenntnisse<br />

vorliegen, u.a. aus zurzeit laufenden<br />

IGF-Forschungsvorhaben. All das<br />

wird bisherige Hemmnisse bei der Anwendung<br />

dieser interessanten Werkstoffklasse<br />

beseitigen.<br />

Forschungsvorhaben<br />

> BMU 0327593 MEGAWind („Si-Wind“)<br />

(1.8.2006 – 31.10.2011),<br />

> IGF 16255N (IfG) „Ermittlung v. zyklischen<br />

Werkstoffeigenschaften f. dünnwandige<br />

Gussstücke aus hoch Si-haltigen<br />

Gusseisenlegierungen“ (1.11.2009<br />

– 30.9.2012),<br />

> IGF 41EN (Cornet, IfG mit ÖGI) „Werkstoff-<br />

u. fertigungstechnische Grundlagen<br />

der Herstellung und Anwendung<br />

von hoch Si-haltigem GJS“ (1.7.2010<br />

– 30.6.2012),<br />

> IGF 16670N (IfG) „Erarbeitung eines<br />

Prozessfensters zur Herstellung von<br />

Gussstücken aus GJV-Si …“ (1.8.2012<br />

– 31.7.2014),<br />

> IGF 17316N (IfG) „Charakterisierung<br />

der Porositätsverteilung in GJS und ihr<br />

GIESSEREI KOMPAKT<br />

13


EINFÜHRUNG<br />

Einfluss auf die zyklischen mechanischen<br />

Eigenschaften“ (1.11.2011 –<br />

28.2.2014),<br />

> FFG Nr. 854398 (A) „Gusseisen mit verbesserten<br />

Eigenschaften durch hohe<br />

Si-Gehalte“ – EsiCast (Abschluss 2016),<br />

> IGF 18524N „Versagenspotenzial GJS-<br />

Si“ (IWM mit IfG/GI, 1.4.2015 –<br />

30.6.2018),<br />

> IGF 18554N „Metallurgische Optimierung<br />

GJS-Si“ (GI, 1.1.2015 – 30.6.2017),<br />

> IGF 18555N „Carbidvorhersage GJS-Si“<br />

(IfG/GI mit IWM, 1.4.2015 –<br />

31.12.2017),<br />

> IGF 18976N „Gusshaut“ (SAM, LBF, GI,<br />

1.1.2016 – 30.6.2019),<br />

> IGF 19257BG „SWL Eisenguss“ (LBF,<br />

IWM, MFPA, 30.11.2016 – 1.4.2019),<br />

> IGF 19769N „Leichtbaupotenzial GJS-<br />

Si“ (GI, 1.1.2018 – 30.6.2020).<br />

Weiterführende Literatur<br />

> Björkegren, L.E.; Hamberg, K.: Silicon<br />

alloyed ductile iron with excellent ductility<br />

and machinability. Proc. Keith Millis<br />

Symposium, Hilton Head, USA,<br />

2003,<br />

> Menk, W.; Prukner, S.; Kniewallner, L.:<br />

Gussteile erobern das Hoheitsgebiet<br />

der Schmiedeteile. Giesserei 12/2007<br />

S. 31 ff,<br />

> Larker, R.: Solution strengthened ferritic<br />

ductile iron ISO 1083/JS/500-10<br />

provides superior consistent properties<br />

in hydraulic rotators. China Foundry<br />

4/2009,<br />

> Mikoleizik, P.; Kleinkröger, W.: Werkstoffentwicklung<br />

für Windenergieanlagen<br />

im Multi-Megawatt-Bereich Offshore –<br />

MEGAWind (Abschlussbericht 2012),<br />

> Löblich, H.; Stets, W.: Hoch Si haltiges<br />

GJS toleriert größere Anteile an carbidbildenden<br />

Elementen. Giesserei<br />

4/2012, S. 28ff,<br />

> Gassner, G.; Bauer, W.; Schumacher, P.;<br />

Löblich, H.; Stets, W.: Zwischenbericht<br />

Cornet-Projekt „SIRON“ Giesserei<br />

5/2012, S. 18ff,<br />

> Vollrath, K.: Neue hochinteressante<br />

GJS-Werkstoffe. Giesserei 9/2013, S.<br />

70ff.<br />

> Chailler, K.; Gilles, R. (CTIF). Fonderie<br />

Revue 39 (2013) S. 17ff,<br />

> Bleicher, C; Kaufmann, H.: Die Schwingfestigkeit<br />

von Gusseisen mit Kugelgraphit<br />

bei Tieftemperaturen (WEA). Giesserei<br />

10/2014 S. 38ff,<br />

> Mikoleizik, P.; Geier, G.: Si-Wind – Giesserei<br />

9/2014 S. 64ff,<br />

> Bleicher, C.; Wagener, R.; Kaufmann, H.;<br />

Melz, T.: Si-Wind – Neuer Werkstoff für<br />

Offshore-Windenergieanlagen. Giesserei<br />

9 + 10/2014,<br />

> Pusch, G.; u.a.: Mechanische und<br />

bruchmechanische Kennwerte Si-MXverfestigter<br />

GJS-Werkstoffe im Hinblick<br />

auf ihren Einsatz in WEA. Giesserei-<br />

Rundschau 1/2016,<br />

> Werner, H.; Lappat, I.; Aurich, B.: Mischkristallverfestigte<br />

EN-GJS-Werkstoffe<br />

für Groß- und Schwergussteile. Giesserei<br />

2/2016, S. 38ff,<br />

> Bleicher, C.: Ein Beitrag zur Beurteilung<br />

der Schwingfestigkeit von Großgussbauteilen<br />

aus GJS mit besonderer Berücksichtigung<br />

der Auswirkungen von Lunkern<br />

auf die Bauteillebensdauer. Diss.<br />

TU Darmstadt, April 2016 (mit GJS-450-<br />

18),<br />

> Seidel, S.: Machbarkeitsstudie zur Herstellung<br />

von mischkristallverfestigtem<br />

ferritischem Gusseisen mit Kugelgraphit<br />

im Großguss. Giesserei 7 +<br />

8/2016,<br />

> Michel, D.: [Einfluss div. MX-Härter auf<br />

GJS-500-14 und 600-10] (ÖGI M.Sc.<br />

2016),<br />

> Fischer, S.; Brachmann, J.; Bührig-Polaczek,<br />

A.; Weiß, P.: Metallurgische Verbesse-rung<br />

von mischkristallverfestigten<br />

Gusseisen mit Kugelgraphit. Giesserei<br />

6+7/2017,<br />

> Riebisch, M.; Pustal, B.; Bührig-Polaczek,<br />

A.; Hallstedt, B.: Einfluss karbidbildender<br />

Elemente auf das Gefüge und<br />

die mechanischen Eigenschaften von<br />

hoch Si-haltigem GJS. Giesserei Special<br />

1/2018, S. 43ff.,<br />

> Gassner, G.; Koppensteiner, E.; Glavanovic,<br />

L.; Schindelbacher, G.; Schumacher,<br />

P.: Potenziale und Limitierungen<br />

von Si-mischkristallverfestigten GJS-<br />

Sorten. Giesserei Special 1/2018, S.<br />

70ff,<br />

> Knothe, W.: Bewertung von Bauteilen<br />

aus GJS für dynamische Lastfälle – auch<br />

unter extremen Kältebedingungen. Giesserei<br />

6/2018 S. 42ff,<br />

> Philipp Weiß, Anže Tekavčič, Andreas<br />

Bührig-Polaczek: Mechanistic approach<br />

to new design concepts for high silicon<br />

ductile iron, Materials Science and Engineering:<br />

A, Volume 713, 24 January<br />

2018, Pages 67-74.,<br />

Weitere Informationen<br />

Forschungsvereinigung Gießereitechnik<br />

e.V. FVG<br />

Dr. Ingo Steller<br />

Hansaallee 203, 40549 Düsseldorf<br />

Tel.: 0211/6871-342, Mail: fvg@bdguss.<br />

de<br />

Web: www.fvguss.de<br />

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht<br />

in GIESSEREI 9/2018.<br />

14<br />

GIESSEREI KOMPAKT


Gussteile erobern das<br />

Hoheits gebiet der Schmiedeteile<br />

Die Werkstofffamilie SiboDur mit neuen Perspektiven für Gusseisen mit Kugelgraphit<br />

VON WERNER MENK, SABINE<br />

PRUKNER UND LEOPOLD KNIEWALL-<br />

NER, SCHAFFHAUSEN, SCHWEIZ<br />

In Zukunft können Entwickler und Konstrukteure<br />

von Motoren ihre Vorstellung<br />

revidieren, dass nur geschmiedete<br />

Bauteile Hochleistungsteile sind. Denn<br />

auch mit modernen Gusseisenwerkstoffen<br />

erschließen sich heute Möglichkeiten,<br />

die bislang nur umgeformtem Stahl vorbehalten<br />

waren. Die neue Werkstoff-Familie<br />

SiboDur von GF Automotive, Schaffhausen,<br />

Schweiz, verleiht gegossenen<br />

Bauteilen für Antrieb und Fahrwerk nahezu<br />

die gleichen Festigkeits- und Schwingungseigenschaften.<br />

Und: Alle anderen<br />

positiven Eigenschaften des Gusses bleiben<br />

erhalten.<br />

Gießen als Alternative zum Schmieden<br />

Viele Fahrzeugteile sind zeitlich und örtlich<br />

wechselnden Kräften, Dreh- und Biegemomenten<br />

sowie komplexen Schwingungsanregungen<br />

ausgesetzt. Das Kraftniveau<br />

ist in den letzten Jahren<br />

angestiegen und wird künftig weiter<br />

wachsen. Unter anderem durch aufladbare<br />

Dieselmotoren mit Direkteinspritzung,<br />

höhere Achslasten sowie den Zwang<br />

zum Leichtbau.<br />

Die Vorteile gegossener Bauteile gegenüber<br />

geschmiedeten sind vielfältig:<br />

Gegossene Teile sind in vielen Fällen er-<br />

heblich kostengünstiger. Und da das Gießen<br />

mehr gestalterische Freiheit lässt,<br />

sind hohl gegossene, leichtere Ausführungen<br />

möglich (Bild 1). Darüber hinaus<br />

entstehen beim Gießen maßhaltigere Bauteile<br />

mit nur kleinen Formteilungsgraten.<br />

Das vereinfacht die Nacharbeit und ist<br />

wirtschaftlicher, weil sich Gusseisen mit<br />

Kugelgraphit einfacher bearbeiten lässt<br />

als Schmiedestahl.<br />

Aufgrund dieser Vorzüge und einer relativ<br />

kurzen Entwicklungszeit sind Gussbauteile<br />

für Anwendungen mit hohen Festigkeitsanforderungen<br />

wie im Automobilbau<br />

besonders geeignet.<br />

Überschreiten die Anforderungen an<br />

die (Schwing-)Festigkeit gewisse Grenzen,<br />

Grenzüberschreitend. GF Automotive hat den Werkstoff Gusseisen mit Kugelgraphit weiterentwickelt. Ergebnis ist die Werkstoffgruppe SiboDur,<br />

die neue Anwendungen erschließt, z. B. für Schwenklager, Radlager, Kurbelwellen oder Pleuel, die heute noch geschmiedet werden.<br />

Erste Produktentwicklungen im Automobilbau bestätigen dies. So nutzen VW und Audi zwei Gusswerkstoffe dieser Werkstofffamilie für dynamisch<br />

hoch beanspruchte Teile des Fahrwerks und ersetzten damit ihre geschmiedeten Varianten.<br />

FOTOS UND GRAPHIKEN: GEORG FISCHER AUTOMOTIVE AG<br />

GIESSEREI KOMPAKT<br />

15


NEUE WERKSTOFFE<br />

musste der Konstrukteur bisher stets auf<br />

geschmiedete Bauteile ausweichen und<br />

dafür meist höhere Kosten in Kauf nehmen.<br />

Die Werkstofffamilie SiboDur von<br />

GF Automotive löst diesen Zielkonflikt –<br />

mit einer Festigkeit fast wie Schmiedestahl<br />

und den vielen günstigen Eigenschaften<br />

eines gegossenen Bauteils.<br />

Bild 1: Hohlgegossene Kurbelwelle<br />

Bild 2: Ergebnisse der Schlagversuche an baugleichen Querlenkern aus unterschiedlichen<br />

Werkstoffen<br />

Werkstofffamilie SiboDur<br />

Der Name SiboDur leitet sich von den Zuschlägen<br />

Silicium und Bor ab sowie dem<br />

englischen Wort für Haltbarkeit (Durability).<br />

GF Automotive hat den Werkstoff aus<br />

Gusseisen mit Kugelgraphit entwickelt.<br />

Wesentliche Bestandteile sind ein Kohlenstoffgehalt<br />

von 3,35 bis 3,65 % und<br />

ein Siliciumgehalt von 2,8 bis 3,3 %. Im<br />

Vergleich zu handelsüblichem Gusseisen<br />

mit Kugelgraphit hat SiboDur bessere Eigenschaften<br />

bei Dehnung, Zugfestigkeit<br />

und Schwingfestigkeit bei gleichem Elastizitätsmodul.<br />

Beim Gießen wird ein homogeneres<br />

Gefüge ohne „Ausreißer“ erreicht, wodurch<br />

der Werkstoff höhere Dehnungswerte<br />

hat. Außerdem ist der Kerbeinfluss<br />

im Vergleich zu anderen Gusswerkstoffen<br />

kleiner. Durch Variation der Zuschläge<br />

lassen sich zudem die Werkstoffeigenschaften<br />

den Anforderungen anpassen.<br />

Eine höhere Festigkeit bei gleicher Duktilität<br />

ist ebenso möglich wie eine höhere<br />

Duktilität bei gleicher Festigkeit.<br />

Ähnlich wie bei Gusseisen mit Kugelgraphit<br />

ist auch SiboDur eine Werkstofffamilie.<br />

Begonnen hat ihre Entwicklung<br />

mit einem Querlenker für ein Mittelklassefahrzeug,<br />

an den sehr hohe Anforderungen<br />

hinsichtlich Steifigkeit, Festigkeit<br />

und Verformungsvermögen gestellt wurden.<br />

Die bisherige Stahlblechkonstruktion<br />

wurde diesen Anforderungen nicht<br />

gerecht. Als Alternative bot sich eine<br />

Gusskonstruktion an. Schlagversuche allerdings<br />

zeigten, dass auch konventionelles<br />

Gusseisen mit Kugelgraphit (GJS-400-<br />

15) die dabei aufzunehmende kinetische<br />

Energie nicht hinreichend absorbieren<br />

konnte.<br />

Erst die Kombination der Bauteilentwicklung<br />

mit der Werkstoffentwicklung<br />

führte zum Ziel: dem ferritischen Gusseisenwerkstoff<br />

SiboDur 450-17 HD. Er erfüllte<br />

die gestellten Anforderungen und<br />

eignet sich für Querlenker und Radträger<br />

(Bild 2). Der Werkstoff hat eine Mindest-<br />

Dehngrenze von 310 MPa, eine Mindest-<br />

Zugfestigkeit von 450 MPa und eine<br />

Bruchdehnung von mindestens 17 %.<br />

Praktisch genutzt wird er bereits seit vier<br />

Jahren (2003).<br />

Weitergehende Überlegungen führten<br />

zur Entwicklung des ebenfalls ferritischen<br />

Werkstoffs SiboDur 450-17 HS, der aufgrund<br />

von etwas mehr Silicium über eine<br />

deutlich höhere Schwingfestigkeit verfügt,<br />

ohne größere Einbußen bei der Bearbeitbarkeit<br />

und der Zähigkeit. Schwingprüfungen<br />

an Radträgern zeigen das – besonders<br />

gegenüber konventionellem<br />

16 GIESSEREI KOMPAKT


Bild 3: Prämierter Hinterradträger des VW Golf<br />

Gusseisen mit Kugelgraphit (GJS-400-15).<br />

Audi nutzt den Werkstoff für den Radträger<br />

eines seiner Modelle und ersetzte damit<br />

eine geschmiedete Variante.<br />

Entwicklung höher fester Sorten<br />

Auf Basis dieser Anwendungen reifte die<br />

Überlegung, auch höher feste Gusseisensorten<br />

zu entwickeln. So entstand Sibo-<br />

Dur 700-10. Der Werkstoff hat im Vergleich<br />

zu den bereits vorhandenen Sorten<br />

eine etwas abgewandelte Zusammensetzung<br />

und mehr perlitstabilisierende Elemente.<br />

Dadurch erreicht er eine Dehngrenze<br />

von mindestens 440 MPa und eine<br />

Zugfestigkeit von mindestens 700 MPa<br />

bei einer Bruchdehnung von 8 bis 12 %.<br />

Ein Beispiel für seine Anwendung ist<br />

der Radträger des VW Golf mit integriertem<br />

Lagerzapfen. Das Bauteil wurde bislang<br />

geschmiedet und in Zusammenarbeit<br />

zwischen Volkswagen, Entwicklungsingenieuren<br />

aus Schaffhausen und Fachleuten<br />

aus Mettmann auf eine Gusskonstruktion<br />

umgestellt, die alle Anforderungen bezüglich<br />

statischer und dynamischer Festigkeit,<br />

Steifigkeit, aber auch Zähigkeit und<br />

Duktilität erfüllt.<br />

Die größte Hürde dabei waren die Verformungsbedingungen:<br />

Bei einem Seitenaufprall<br />

muss sich der Zapfen des Radträgers<br />

plastisch verformen, ohne anzureißen.<br />

Damit verbunden ist eine<br />

möglichst exakte Werkstoffzusammensetzung.<br />

Sie darf nur in sehr engen Toleranzen<br />

schwanken, was hohe Anforderungen<br />

an die Prozesstechnik in der Gießerei<br />

stellt.<br />

Mit den in Mettmann vorhandenen<br />

Fertigungsmitteln ist dies gewährleistet,<br />

und es gelang, die in Versuchen optimierte<br />

Zusammensetzung prozesssicher herzustellen.<br />

Seit August dieses Jahres wird<br />

der geschmiedete Radträger fertigungsbegleitend<br />

durch einen gegossenen ausgetauscht.<br />

Für diese Entwicklung erhielt<br />

GF Automotive den Volkswagen Group<br />

Award 2007 (Bild 3), mit dem der Konzern<br />

alljährlich seine 25 besten Zulieferer auszeichnet.<br />

In der Kategorie Entwicklungskompetenz<br />

steht er für die Innovationsfähigkeit<br />

eines Unternehmens, seine technische<br />

Ausstattung sowie die Qualität der<br />

Zusammenarbeit. „Mit dem Radträger aus<br />

SiboDur wurde eine echte Innovation gewürdigt“,<br />

so Ferdinand Stutz, Leiter GF<br />

Automotive. „Wie kein zweites verkörpert<br />

dieses Bauteil den technischen Fortschritt<br />

unserer Bemühungen, Werkstoff,<br />

Verfahren und Produkt bestmöglich aufeinander<br />

abzustimmen, um den Kundennutzen<br />

zu steigern.“<br />

Rollieren steigert Dauerfestigkeit<br />

Durch diesen Erfolg beflügelt, kamen<br />

Fachleute auf die Idee, SiboDur auch auf<br />

seine Eignung für Kurbelwellen zu testen.<br />

GF Automotive fertigt jährlich etwa zwei<br />

Millionen davon aus Gusseisen mit Kugelgraphit.<br />

Durch Rollieren der am stärksten<br />

beanspruchten Bereiche (Übergangsradien<br />

zwischen Lagerzapfen und Wange)<br />

werden Druckeigenspannungen aufgebracht<br />

und so die Schwingfestigkeit um<br />

10 bis 15 % erhöht. Die damit einhergehende<br />

partielle Kaltverfestigung glättet<br />

die Oberfläche (Reduktion von Kerben)<br />

und verfestigt sie durch plastische Verformung.<br />

Besonders intensives Rollieren<br />

führt bei herkömmlichen Gusswerkstoffen<br />

allerdings zu einer Festigkeitsminderung,<br />

da die Werkstoffoberfläche versprödet.<br />

SiboDur 700-10 eignet sich besonders<br />

gut zur partiellen Kaltverfestigung. Er<br />

lässt sich weitaus intensiver als herkömmlicher<br />

Kugelgraphitguss rollieren. Das<br />

steigert seine Schwingfestigkeit um nahezu<br />

50 %. Das Potential des Werkstoffs<br />

wird damit deutlich. Zum Beispiel an einem<br />

1,6- l-Ottomotor: Die Schwingfestigkeit<br />

seiner rollierten Serien-Kurbelwelle<br />

aus herkömmlichem Guss beträgt etwa<br />

1000 Nm. Eine rollierte Welle aus SiboDur<br />

GIESSEREI KOMPAKT<br />

17


NEUE WERKSTOFFE<br />

dagegen hat eine Schwingfestigkeit von<br />

mehr als dem Eineinhalbfachen.<br />

Noch deutlicher tritt das Phänomen<br />

bei einem weitverbreiteten 1,9-l-Dieselmotor<br />

zutage. Dessen serienmäßige Kurbelwelle<br />

aus Schmiedestahl hat eine Dauerschwingfestigkeit<br />

von etwa 1870 Nm.<br />

Die gleiche Welle aus höherfestem Sibo-<br />

Dur erreicht nach dem Rollieren eine fast<br />

genauso hohe Dauerschwingfestigkeit<br />

(1830 Nm) und mit optimal eingestellten<br />

Parametern einen Wert, der weit darüber<br />

liegt (Bild 4). Damit ist die bisherige Alleinstellung<br />

geschmiedeter Kurbelwellen<br />

passé.<br />

Bild 4: Einfluss des Rollierens auf die Dauerfestigkeit von Schmiedestahl und SiboDur<br />

Bild 5: Steigerung der Dauerfestigkeit von Kurbelwellen aus SiboDur durch Härten<br />

der Übergangsradien<br />

Bild 6: Dämpfergabel aus SiboDur 700-10<br />

Härten als Alternative<br />

Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass<br />

sich SiboDur auch sehr gut härten lässt.<br />

An Proben mit gehärteten Übergangsradien<br />

konnte nochmals eine deutlich höhere<br />

Schwingfestigkeit erzielt werden als<br />

mit rollierten (Bild 5). Damit ist die Möglichkeit<br />

gegeben, bestehende Fertigungseinrichtungen<br />

für geschmiedete Kurbelwellen<br />

mit gehärteten Übergangsradien<br />

wirtschaftlich auf gegossene Wellen umzurüsten.<br />

Für Automobilhersteller hat das mehrere<br />

Vorteile: Sie können jetzt einen Grundmotor<br />

mit mehreren Leistungsstufen mit<br />

nur noch einer Kurbelwelle planen. Die bisherige<br />

kostenintensive Alternative – geschmiedete<br />

Wellen für leistungsstarke Motoren,<br />

gegossene für die Grundmotorisierung<br />

– ist dann nicht mehr erforderlich.<br />

Eine andere Möglichkeit ist, aufgrund<br />

der guten Festigkeitseigenschaften rollierter<br />

oder gehärteter Kurbelwellen aus<br />

SiboDur, deren Abmessungen zu verkleinern,<br />

um so die Masse zu reduzieren und<br />

Reibungsverluste zu minimieren. Doch<br />

SiboDur 700-10 eignet sich nicht nur für<br />

Kurbelwellen, sondern auch für andere<br />

Bauteile, die hohen dynamischen Beanspruchungen<br />

ausgesetzt sind wie Pleuel,<br />

Rad- und Schwenklager oder Dämpfergabeln.<br />

Bild 6 zeigt ein Beispiel dazu, das<br />

GF Automotive für Audi entwickelt hat.<br />

Die Ingolstädter setzen bei ihren Autos<br />

zwar weitgehend auf Aluminium, schätzen<br />

aber dort, wo hohe Kräfte und Momente<br />

wirken und nur ein relativ kleiner Bauraum<br />

zur Verfügung steht, noch immer den Eisenguss.<br />

Anwendungspotential<br />

Inzwischen ist SiboDur zu einer Werkstofffamilie<br />

mit einem großen Substitutionspotential<br />

gegenüber anderen Fertigungsverfahren<br />

und Werkstoffen geworden (Tabelle<br />

1). Zu den Merkmalen und<br />

Besonderheiten dieser Familie zählen<br />

Kosten- und Komplexitätsvorteile gegenüber<br />

gleichschweren Stahlschmiedeteilen,<br />

Gewichtsvorteile gegenüber konventio-<br />

18 GIESSEREI KOMPAKT


Tabelle 1: Eigenschaften und Anwendungsbeispiele der Werkstofffamilie SiboDur<br />

nellen Eisengusswerkstoffen, Kostenvorteile<br />

gegenüber zwischenstufenvergütetem<br />

Gusseisen mit Kugelgraphit (ADI,<br />

Austempered Ductile Iron) und ein besseres<br />

Verhältnis der Kosten zum Gewicht<br />

bei der Substitution von Aluminium.<br />

Jüngstes Kind der Familie ist die Gusssorte<br />

SiboDur 550-12 mit einer Zugfestigkeit<br />

von 500 bis 550 MPa und guter Bearbeitbarkeit.<br />

Der Werkstoff eignet sich besonders<br />

für Radnaben schwerer Lastkraftwagen.<br />

Dr. sc. techn. ETH Werner Menk, Leiter<br />

Werkstoff- und Verfahrensentwicklung;<br />

Dr. mont. Leopold Kniewallner, Leiter Forschung<br />

und Entwicklung sowie Dipl.-Ing.<br />

Sabine Prukner, Projektingenieurin Werkstoff-<br />

und Verfahrensentwicklung, Georg<br />

Fischer Automotive AG, Schaffhausen,<br />

Schweiz<br />

Literatur:<br />

[1] ATZ 107 (2005) Nr. 2, S. 126-131.<br />

[2] Giesserei 92 (2005) Nr. 5, S. 66-67.<br />

[3] konstruieren + giessen 31 (2006)<br />

Nr. 3, S. 6-9.<br />

[4] MTZ 68 (2007) Nr. 5, S.384-388.<br />

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht<br />

in GIESSEREI 12/2007.<br />

Rollieren – für mehr Festigkeit an hoch<br />

beanspruchten Stellen<br />

Bild 7: Prinzip des Rollierens: F G Gerätekraft,<br />

F R Rollenkraft, D 1 Rollendurchmesser,<br />

D 2 Werkstückdurchmesser, r Rollenradius,<br />

α Rollenanstellwinkel<br />

Die Haltbarkeit von Kurbelwellen lässt<br />

sich mit verschiedenen Maßnahmen<br />

steigern, unter anderem mit thermischen<br />

Verfahren wie dem Härten oder<br />

mit mechanischen wie dem Rollieren.<br />

Nachträglich bearbeitet werden dabei<br />

die während des Betriebs am höchsten<br />

beanspruchten Stellen. Das sind<br />

bei Kurbelwellen die Übergangsradien<br />

zwischen den Lagerzapfen und den<br />

Wangen der Gegengewichte. Ihre Qualität<br />

beeinflusst in hohem Maße die Biegewechselfestigkeit<br />

einer Kurbelwelle,<br />

während die Ölbohrungen in den Lagerzapfen<br />

maßgeblichen Einfluss auf<br />

die Torsionswechselfestigkeit haben.<br />

Bild 7 zeigt das Prinzip des Rollierens.<br />

Die radial auf die Welle wirkende Kraft wird dabei mit zwei Rollkörpern<br />

in die Übergangsradien geleitet. Der dabei sich aufbauende Druck glättet und<br />

verdichtet die Oberfläche, was sich festigkeitssteigernd auswirkt. Fachleute<br />

sprechen in diesem Zusammenhang von Kaltverfestigung. Die Haltbarkeit<br />

einer Kurbelwelle erhöht sich dadurch merklich.<br />

Nicht alle Gusswerkstoffe lassen sich jedoch gleichermaßen gut rollieren.<br />

Und bei konventionellen Sorten bewirkt es bisweilen sogar einen gegenteiligen<br />

Effekt, wenn mit zu hoher Kraft rolliert wird. SiboDur 700-10 dagegen<br />

lässt sich sehr gut rollieren, weitaus besser sogar als die üblicherweise für<br />

Kurbelwellen genutzte Gusssorte GJS-700-2.<br />

GIESSEREI KOMPAKT<br />

19

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