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CMS Stiftungsmagazin RADAR Nr. 6: Wie wohnen im Alter?

Dieses RADAR vermittelt Ihnen einen Überblick über Forschungsresultate zum Thema «Leben und Wohnen im Alter, lässt Expertinnen und Experten zu Wort kommen – und hat sechs ganz unterschiedliche Menschen aus drei Generationen zu ihren Vorstellungen befragt.

Dieses RADAR vermittelt Ihnen einen Überblick über Forschungsresultate zum Thema «Leben und Wohnen im Alter, lässt Expertinnen und Experten zu Wort kommen – und hat sechs ganz unterschiedliche Menschen aus drei Generationen zu ihren Vorstellungen befragt.

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Graue Panther<br />

«WIR SOLLTEN MÖGLICHST VIELEN<br />

DAS MÖGLICHE ERMÖGLICHEN»<br />

Die 75-jährige Elisabeth Nussbaumer<br />

ist Vizepräsidentin der ‹Grauen<br />

Panther Nordwestschweiz›, einer<br />

Lobby-Organisation für ältere<br />

Menschen in der Region. Für <strong>RADAR</strong><br />

hat sie ihre persönlichen Wohnerfahrungen<br />

und -vorstellungen festgehalten.<br />

Und sie sagt auch:<br />

Hört auf, nur in <strong>Alter</strong>skategorien<br />

zu denken.<br />

Wohnen <strong>im</strong> <strong>Alter</strong>: Zu diesem Thema werden zahlreiche Studien<br />

erstellt, veröffentlicht, diskutiert – in öffentlichen Foren, in der Politlandschaft,<br />

<strong>im</strong> Freundes- und Bekanntenkreis. Da frage ich mich<br />

manchmal schon: Gibt es eigentlich auch Studien zum Wohnen mit<br />

25, mit 40? Und wenn nein, warum nicht? Welchen Hintergrund hat<br />

das Kümmern um die Wohnbedürfnisse der Alten – und was heisst<br />

denn eigentlich <strong>im</strong> <strong>Alter</strong>?<br />

Wohnen war für mich <strong>im</strong>mer ein ganz wichtiger Bestandteil<br />

meiner Lebensqualität. Sich zu Hause wohlfühlen ist elementar für<br />

meine Befindlichkeit. Das hat einerseits mit dem Ort, mit der Lage,<br />

mit der Architektur, mit der Umgebung zu tun – aber vor allem mit<br />

den Menschen <strong>im</strong> nächsten Umfeld.<br />

Ich habe auch in jungen Jahren nie in einer WG gewohnt – ich<br />

brauche meine eigene Küche! Zu Beginn unserer Familienphase<br />

haben wir in Reinach so gewohnt, dass rund um uns andere Familien<br />

waren, mit denen zusammen wir Mittagstische, Spielgruppen, Babysitting<br />

etc. organisierten. Die Kontakte untereinander haben sich<br />

bis heute erhalten, und wenn sich die damaligen Kleinkinder nach<br />

vierzig Jahren irgendwo treffen, tauschen sie Erinnerungen an<br />

damals aus. Später haben wir zusammen mit einer dieser Familien<br />

ein altes Bauernhaus in einem Baselbieter Dorf gekauft und umgebaut.<br />

Auch dort war es wieder so, dass wir uns als Hausgemeinschaft<br />

mit zunächst drei und später vier Familien den Alltag unseren<br />

Bedürfnissen entsprechend geteilt haben. Familie und Beruf waren<br />

darum kein Problem. Es war garantiert, dass <strong>im</strong>mer jemand zu<br />

Hause war, wenn die Kinder von der Schule he<strong>im</strong>kamen, und dass<br />

unter der Woche abwechselnd gekocht wurde. Diese Möglichkeit von<br />

Gemeinsamkeit und gleichzeitiger Privatsphäre in der eigenen Wohnung<br />

finde ich opt<strong>im</strong>al. Abends nach der Arbeit spontan bei einem<br />

Glas Wein zusammensitzen, aber sich auch zurückziehen können,<br />

wenn einem danach ist, das ist für mich Wohnglück pur.<br />

Ich bin kein ‹Landkind›. Ich bin in einem Vorort von Basel aufgewachsen,<br />

und es war für mich <strong>im</strong>mer klar, dass ich – wenn ich denn<br />

einmal älter sein würde – in die Stadt zurückkehren wollte. Ein Trämli<br />

vor dem Haus, zu Fuss auf den Markt, ins Kino oder ins Theater, alles<br />

Wesentliche in der Nähe, Freundinnen und Freunde, die spontan vorbeikommen<br />

können.<br />

Lange habe ich mich vor allem theoretisch mit Zukunftsperspektiven<br />

beschäftigt. Denn mein ‹Traumhaus› auf dem Land wollte<br />

mich nicht loslassen. Zudem gab es, auch nachdem Ehepartner und<br />

Kinder ausgezogen waren, keinen zwingenden Grund dafür, sofort<br />

etwas an meiner Wohnsituation zu ändern. Es war für mich klar,<br />

dass ich nicht irgendwo in der Stadt allein in einer Wohnung zusammen<br />

mit wildfremden Menschen zusammenleben wollte.<br />

<strong>Wie</strong> aber eine Hausgemeinschaft neu aufbauen, wie ich sie<br />

während 35 Jahren erlebt hatte? Unkompliziert, tolerant, verbindlich<br />

und dennoch flexibel? Ich habe mich bei diversen Gruppierungen<br />

kundig gemacht, einmal bin ich sogar fast in ein Projekt in der Stadt<br />

eingestiegen. Allerdings zeigte sich hier der Unterschied zwischen 30<br />

und 65! Die Leichtigkeit, mit der wir uns als junge Familien mit anderen,<br />

ähnlich ‹gestrickten› Leuten zusammengetan hatten, ist eben<br />

<strong>im</strong> höheren <strong>Alter</strong> nicht mehr vorhanden. Alle bringen unendlich viele<br />

Erfahrungen mit. Und alle wissen – viel besser als vor fünfzig Jahren<br />

–, was sie wollen oder vielmehr: nicht (mehr) wollen. Ich hatte dann<br />

den Mut oder die Energie nicht, mich auf das Exper<strong>im</strong>ent einzulassen.<br />

Weil ich unsicher war, ob ich mich wohlfühlen würde – vielleicht<br />

auch, weil ich die andern zu kompliziert fand. Zudem wohnte ich<br />

nach wie vor sehr günstig in meinem viel zu grossen Haus, und es<br />

bestand kein unmittelbarer Zwang, mich zu entscheiden.<br />

Ich habe dann den Schritt doch gewagt. Seit gut vier Jahren<br />

wohne ich jetzt tatsächlich in der Stadt. Durch Bekannte wurde ich<br />

auf eine Wohnung aufmerksam, die von der Lage, von den Räumlichkeiten<br />

und von den Mitbewohnern her eine so attraktive <strong>Alter</strong>native<br />

zu meinem Haus <strong>im</strong> Dorf bot, dass ich mich spontan begeistern<br />

liess. Ich hab’s bisher nie bereut. Ich habe den Rhein vor meinen<br />

Fenstern, das Trämli in der Nähe, bin zu Fuss in fünf bis zehn Minuten<br />

fast überall in der Stadt, und die meisten meiner Freundinnen<br />

und Freunde <strong>wohnen</strong> in erreichbarer Nähe. Auch für die Grosskinder<br />

bin ich in zehn Minuten erreichbar. Glück gehabt – einmal mehr!<br />

Auch mein Bedürfnis nach unkomplizierter Nachbarschaft hat<br />

sich in Bezug auf Verlässlichkeit und Toleranz erfüllt. Bekannte fanden<br />

zwar, mit siebzig solle man nicht in eine Wohnung ohne Lift<br />

ziehen. Aber das tägliche Treppensteigen hält mich vorläufig noch<br />

fit. Ich hoffe, ich schaffe das mindestens noch fünf bis zehn Jahre<br />

lang – sonst ist dann halt wieder ein Wohnungswechsel fällig.<br />

Wohnen <strong>im</strong> <strong>Alter</strong> – es ist mir klar, dass es da noch viele anderen<br />

Facetten gibt. Probleme mit der Vertreibung von langjährigen Mieterinnen<br />

und Mietern aus der gewohnten Umgebung, unbezahlbare<br />

Mieten, Vereinsamung. Vieles ist in Bewegung, es gibt Projekte in<br />

den Quartieren, die sich mit den Problemen auseinandersetzen. Es<br />

gibt viele Ideen für neue Wohnprojekte und ‹altersgerechte› Überbauungen<br />

auch für generationenübergreifendes Wohnen. Bei einem<br />

Rundgang durch diverse Quartiere mit dem Schwerpunkt ‹<strong>Wie</strong> erreichen<br />

wir die unerreichbaren älteren Menschen?› ist mir allerdings<br />

aufgefallen, dass sich Herausforderungen für das Zusammenleben<br />

wohl nicht nur mit Konzepten vom Reissbrett lösen lassen. Nachbarschaftshilfe<br />

kann man nicht verordnen. Dort, wo in Quartieren<br />

bisher tatsächlich etwas geschah, waren es <strong>im</strong>mer einzelne Menschen,<br />

die sich an ihrem Arbeitsort oder innerhalb einer Siedlung<br />

unkompliziert und gezielt um andere kümmerten und so sehr viel<br />

bewirken konnten.<br />

Es gibt nicht einfach ‹das <strong>Alter</strong>› und es gibt nicht ‹die Alten›.<br />

Es gibt kein Universalrezept – denn es gibt unendlich viele Individuen<br />

und wohl ebenso viele unterschiedliche Vorstellungen und Träume<br />

in Bezug auf Leben und Wohnen. Wir sollten möglichst vielen das<br />

Mögliche ermöglichen.<br />

Elisabeth Nussbaumer<br />

Vizepräsidentin ‹Graue Panther Nordwestschweiz›<br />

www.grauepanther.ch<br />

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