04.12.2018 Aufrufe

CMS Stiftungsmagazin RADAR Nr. 6: Wie wohnen im Alter?

Dieses RADAR vermittelt Ihnen einen Überblick über Forschungsresultate zum Thema «Leben und Wohnen im Alter, lässt Expertinnen und Experten zu Wort kommen – und hat sechs ganz unterschiedliche Menschen aus drei Generationen zu ihren Vorstellungen befragt.

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Expertin<br />

«HÖCHSTE ZEIT,<br />

DASS WIR HANDELN!»<br />

scy Wer heute pensioniert wird, wird älter und bleibt länger jung<br />

als alle Generationen vor uns. Das erfordert ein radikales Umdenken<br />

der künftigen Lebens- und Wohnformen von Seniorinnen und<br />

Senioren. Anna Ravizza ist inter<strong>im</strong>istische Leiterin der Abteilung<br />

‹Wohnen <strong>im</strong> <strong>Alter</strong>› der <strong>CMS</strong>. <strong>RADAR</strong> hat mit ihr über Irrtümer,<br />

die neuen Herausforderungen und Chancen gesprochen. Und über<br />

brachliegende Ressourcen.<br />

Die Gerontologin, Human-Resources-Managerin und Unternehmensberaterin<br />

Anna Ravizza ist seit Januar 2018 inter<strong>im</strong>istische Leiterin des Bereichs ‹Wohnen <strong>im</strong><br />

<strong>Alter</strong>› der <strong>CMS</strong>. Die passionierte Golferin wohnt am Murtensee und pendelt von<br />

ihrem Wohnort seither dre<strong>im</strong>al in der Woche nach Basel, wo sie die innovative<br />

Neuausrichtung der <strong>CMS</strong>-<strong>Alter</strong>ssiedlungen mitkonzipiert hat und begleitet. Die<br />

Beschäftigung mit <strong>Alter</strong>sfragen ist für sie zu einer Herzensangelegenheit geworden.<br />

Und das kam so:<br />

Anna Ravizza hat sich 2005 be<strong>im</strong> Uhrenunternehmen Rolex in Biel als eine der<br />

ersten Personaldirektorinnen systematisch um die Lebensplanung der Mitarbeitenden<br />

auch über die Pensionierung hinaus gekümmert. Weil sie der Überzeugung<br />

war, dass ein Unternehmen gerade auch gegenüber langjährigen Mitarbeitenden<br />

eine Verantwortung trage. Sie hat bei Rolex das Projekt ‹58plus› initiiert und Mitarbeitende<br />

ab 58 mit fünf Weiterbildungstagen pro Jahr auf die Pensionierung<br />

vorbereitet. Ist so etwas denn überhaupt nötig? «O ja», sagt Ravizza. «Aus dem<br />

Arbeitsprozess austreten, noch fit sein, aber plötzlich nicht mehr ‹gebraucht› oder<br />

wahrgenommen werden: Da kommt oft die grosse Leere. Das kann depressiv<br />

machen oder zu Suchtproblemen führen. <strong>Wie</strong> und wo möchte man in den nächsten<br />

zwanzig, dreissig Jahren leben und <strong>wohnen</strong>, was tun mit all der Freizeit? Sich erst<br />

mit 65 mit diesen Fragen auseinanderzusetzen ist viel zu spät.»<br />

Die Erfahrungen mit ‹58plus› und die Gespräche mit Mitarbeitenden waren<br />

für Ravizza ein persönliches Aha-Erlebnis. Das Thema hat sie gepackt und ihr<br />

Interesse an <strong>Alter</strong>sfragen erst recht geweckt. Sie hat sich in Gerontologie weitergebildet<br />

und in Biel eine neue <strong>Alter</strong>sresidenz aufgebaut und geführt, die ganz<br />

anders war als bisherige ‹He<strong>im</strong>e›. Kein isoliertes, beschauliches, blüemletes Trögli<br />

am Waldrand weit weg vom Schuss, sondern das pure Gegenteil: modern, mitten<br />

in der Stadt, mit öV gut erreichbar, mit einem Mix von Wohnungen und Einzelz<strong>im</strong>mern<br />

<strong>im</strong> Pflegebereich, zwei Restaurants, Seminarräumen mit viel Publikumsverkehr,<br />

integriertem Fitness-Center, einer Kita, einem stufenlosen Pflegeangebot<br />

von Null bis Intensivpflege und einzeln buchbaren Serviceleistungen. Ravizza: «Die<br />

‹bescheidene› und ‹dankbare› Nachkriegsgeneration, die sich an den Waldrand<br />

ausgrenzen liess, stirbt weg. Die nachrückenden Seniorinnen und Senioren bleiben<br />

länger jung, sind autonomer, selbstbewusster und wollen weder bemuttert noch<br />

‹parkiert› werden.»<br />

Klar, nicht alle älteren Menschen würden sich für einen Umzug in eine <strong>Alter</strong>sresidenz<br />

entscheiden, auch nicht in eine moderne. Die meisten wollten so lange<br />

wie möglich selbstständig zu Hause <strong>wohnen</strong>. Aber egal, ob jüngere oder ältere<br />

Seniorinnen, ob zu Hause oder in <strong>Alter</strong>sresidenzen: «Man will Teil der Gesellschaft<br />

bleiben, wahrgenommen werden! Unter Menschen sein, weiterhin eine Rolle spielen<br />

und aktiv mitgestalten. Das grosse Potenzial der Menschen über 65 wird heute<br />

noch viel zu wenig erkannt. Wer pensioniert wird, verschwindet heute oft vom<br />

gesellschaftlichen Radar. Das ist schlecht für die Betroffenen und schlecht für<br />

unsere Gesellschaft.»<br />

Wer heute 65 sei, sei so fit wie früher 55-Jährige, das belegten zahlreiche<br />

Studien, sagt Ravizza. Die Generation Ü65 sei mobiler, sportlich häufig sehr aktiv<br />

und gegenüber neuen Technologien <strong>im</strong> Übrigen entgegen allen Clichés sehr offen.<br />

«Fitte ältere Menschen könnten und müssten deshalb viel stärker für Gemeinschaftsaufgaben<br />

gewonnen werden. In beider Interesse. Für Engagements in der<br />

Nachbarschaftshilfe zum Beispiel, auch für die Betreuung von noch älteren<br />

Menschen. Wer keine Betreuungsaufgaben übernehmen will, kann sich ja rein organisatorisch<br />

betätigen. Etwa generell bei der Freiwilligenarbeit auch auf anderen<br />

Gebieten. Oder sich politisch engagieren! Der Anteil der über 65-Jährigen<br />

in der Politik ist gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil viel zu klein.» Die erfahrene<br />

<strong>Alter</strong>sexpertin: «Da sind vor allem die Gemeinden und die Quartiere gefordert.<br />

Jemand muss den Lead haben, Ideen entwickeln und den Anstoss geben. Nicht von<br />

oben herab etwas verordnen, sondern unkompliziert Vernetzungen ermöglichen.»<br />

Für die ‹neuen Alten› sei vor allem auch eine ganz neue Wohnraumplanung<br />

und -politik nötig, ist Ravizza überzeugt. Für ältere Menschen, die sich gegen einen<br />

Umzug in eine <strong>Alter</strong>sresidenz entscheiden und so lange wie möglich selbstständig<br />

<strong>wohnen</strong> wollten, seien die heutigen Wohnungsangebote ungenügend. Es mangle an<br />

zentral gelegenen und mit öV gut erreichbaren, nicht zu teuren Zwei- bis höchstens<br />

3½-Z<strong>im</strong>mer-Wohnungen (für Ehepaare) mit Lift, Internet, schwellenlosem Zugang<br />

auch zu und in den Nasszellen und der Möglichkeit, je nach individuellem Bedarf<br />

Dienstleistungen à la carte beziehen zu können: Essen, Reinigung, Putzdienst,<br />

Spitex. Zumal mobile Angebote weniger Kosten verursachten. Auf jeden Fall keine<br />

<strong>Alter</strong>s-Ghettos, sondern idealerweise eine durchmischte Mietklientel.<br />

Gemischte Wohnmodelle mit Jung und Alt: tönt wunderbar. Aber was, wenn<br />

die Partys der Hipster die Älteren stören, wenn Babys nachts durchschreien und<br />

die Pingeligkeit der Älteren die Jüngeren nervt? Ravizza: «Unabdingbar ist bei<br />

gemischten Wohnmodellen, dass Alte und Junge Räume haben, in denen sie sich<br />

untereinander austauschen können. Es muss eine kontinuierliche Kommunikation<br />

sichergestellt sein. Das trägt zum Verständnis bei. Warum nicht in solchen neuen<br />

Wohnmodellen institutionell eine Mediatorin oder einen Mediator anstellen, die<br />

bei Konflikten gezielt vermitteln und eine gute Kommunikation ermöglichen? Das<br />

kommt allen zugute und wäre eine gute Investition.» Liegenschaftsbesitzer, -vermieter<br />

und Immobiliengesellschaften hätten das grosse Potenzial neuer,<br />

zukunftsgerichteter Wohnmodelle leider noch <strong>im</strong>mer nicht erkannt. Gerade ältere<br />

Mieterinnen und Mieter seien langjährige, treue Mieter. Zögen nicht alle zwei Jahre<br />

aus wie jüngere, was Hausbesitzern auch viele Umtriebe erspare. «Die Herausforderung<br />

ist: Wir müssen auch bei der<br />

ANNA RAVIZZA<br />

Planung von Wohnraum <strong>im</strong>mer zwanzig<br />

Jahre vorausdenken, entsprechend riere in jungen Jahren als Fernmeldesekretärin bei<br />

Die 65-jährige Anna Ravizza begann ihre Berufskar-<br />

bauen und renovieren. Wir leben in den ehemaligen PTT. Danach hat sie sich umfassend<br />

unserer Gesellschaft zum ersten Mal weitergebildet: Wirtschaftsdiplom, Personalmanagement,<br />

General-Management, Master in Human<br />

mit vier bis fünf Generationen zusammen.<br />

Das ist eine völlig andere Aus-<br />

Resources, dipl. He<strong>im</strong>leiterin, dipl. Gerontologin,<br />

CAS-Weiterbildungen <strong>im</strong> Gesundheitswesen und <strong>im</strong><br />

gangslage als noch bis vor Kurzem.<br />

Management. Sie war Personalchefin bei diversen<br />

Höchste Zeit, dass wir handeln.» Grossunternehmen (u.a. Bernmobil und Rolex) und<br />

Direktorin verschiedener <strong>Alter</strong>szentren. Seit Januar<br />

2018 ist sie inter<strong>im</strong>istische Leiterin ‹Wohnen <strong>im</strong><br />

<strong>Alter</strong>› der <strong>CMS</strong>. Nach der Neupositionierung der<br />

<strong>CMS</strong>-<strong>Alter</strong>ssiedlungen wird sie ab Frühjahr 2019 zum<br />

Bürgerspital Basel wechseln, das die <strong>CMS</strong>-<strong>Alter</strong>ssiedlungen<br />

neu betreiben wird. Dort wird sie den<br />

Ausbau des neuen Geschäftsfelds ‹Wohnen mit<br />

Service› begleiten.<br />

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