RE KW 07
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M ENSCHEN IM GESPRÄCH<br />
„Energie und Kraft aus der Natur“<br />
Sie war die erste Olympiasiegerin im Super-G und ist dennoch bodenständige Lechtalerin geblieben: Sigrid Wolf<br />
Der Rhythmus des Lebens bereitet ihr keinerlei Probleme: das Auf und<br />
Ab der Karriere, die Zeit innerhalb und außerhalb des Rampenlichts, all<br />
die Jahreszeiten des menschlichen Daseins eben – all das hat Sigrid Wolf<br />
nicht verändert. Sie ist eine bodenständige Lechtalerin geblieben. Vielleicht<br />
deshalb, weil sie etwas geschafft hat, das ihr niemand mehr nehmen<br />
kann: den Olympiasieg im Super-G.<br />
Von Jürgen Gerrmann<br />
Anlässlich der alpinen Ski-WM, die<br />
am Sonntag zu Ende geht, blickte die<br />
Elbigenalperin im Gespräch mit der<br />
RUNDSCHAU auf die Zeit zurück, in<br />
der sie selbst zur „Crème de la Crème“<br />
des Wintersports zählte.<br />
Es ist eine Zeit, an die sie gerne zurückdenkt,<br />
aber ohne ihr hinterherzutrauern.<br />
Der Schrank mit den Pokalen,<br />
die sie in ihrer Karriere einheimsen<br />
konnte, ist voll, „Riesentrümmer“ sind<br />
drunter. Aber auf einen ganz kleinen<br />
zeigt sie dann doch mit ganz besonderem<br />
Stolz: 1971 gewann sie ihn. Als<br />
Sechsjährige. Bei der Vereinsmeisterschaft<br />
des SV Elbigenalp.<br />
ONKEL TONI ALS ENTDE-<br />
CKER. Dass sie einmal an die Weltspitze<br />
kommen, ja sogar zur Olympiasiegerin<br />
gekürt werden würde – das<br />
konnte die kleine Sigrid sich damals<br />
nicht vorstellen. Ja, sie träumte (im<br />
Gegensatz zu manch anderen) nicht<br />
einmal davon, als sie ein Kind war:<br />
„Bei mir hat sich das Schritt für Schritt<br />
entwickelt. Man fährt ein Rennen nach<br />
dem anderen und will immer besser<br />
werden.“<br />
Dass sie gut war, das erkannte ihr<br />
Onkel Toni Knittel indes schon bald.<br />
„Ja, der war schon mein Entdecker“,<br />
schmunzelt sie: „Bei ihm am Lift habe<br />
ich viele Freiheiten gehabt.“ Je höher<br />
sie es indes im Tiroler oder ÖSV-Kader<br />
brachte, desto seltener konnte sie bei<br />
ihm daheim trainieren. Und auch da<br />
hauptsächlich Riesentorlauf. Für die<br />
Speed-Disziplinen sind die Pisten am<br />
Sonnenlift eben nicht gerade ideal.<br />
Und dennoch war sie immer gern<br />
dort: „In jungen Jahren hatten wir eine<br />
nette Clique. Nach der Schule haben<br />
wir uns immer zum Skifahren getroffen<br />
und trainiert. Das war ganz normal,<br />
aber leider ist das nicht mehr so.“ Und<br />
da spürt man schon ein wenig Bedauern<br />
darüber, dass die Zeit, als die Tiroler<br />
Kinder quasi mit den Ski an den<br />
Füßen geboren wurden, wohl vorbei<br />
sind: „Wir hatten ja kein Handy und<br />
konnten uns nicht verabreden. Wenn<br />
man sich treffen wollte, musste man<br />
zum Lift. Die Piste war sozusagen unser<br />
Spielplatz.“<br />
Vielleicht war es gerade dieses<br />
Schritt-für-Schritt-Prinzip, das ihr letztlich<br />
zum Durchbruch verhalf. Und das<br />
gleich bei ihrem ersten Weltcup-Rennen.<br />
1981 wurde sie als Mitglied des<br />
RUNDSCHAU Seite 40<br />
ÖSV-Jugendkaders für die Abfahrt in<br />
Saalbach nominiert: „Ich bin nur hin,<br />
habe mir nix erhofft, war locker, hab<br />
nix erwartet.“ Mit der Startnummer 60<br />
stürzte sie sich ins Rennen. Und kam<br />
unten als Dritte an. Aus dem Nichts<br />
aufs Podest also.<br />
DIE LEIDIGEN HUNDERTS-<br />
TELSEKÜNDCHEN. Im Jahr darauf<br />
durfte sie in Schladming, wo der Reuttener<br />
Harti Weirather Abfahrts-Gold<br />
gewann, zwar schon WM-Luft schnuppern,<br />
aber noch nicht mitfahren: „Aber<br />
dennoch war das ein Riesenerlebnis.“<br />
Drei Jahre später wurde sie in Bormio<br />
Vierte in der Abfahrt – und zur Silbermedaille,<br />
die sich Katharina Gutensohn<br />
aus Österreich mit der Schweizerin<br />
Ariane Ehrat teilte, fehlte ihr<br />
nur ein Hundertstelsekündchen. 1989<br />
musste sie sich in Vail der Rauriserin<br />
Ulrike Maier im Super G gerade mal<br />
um drei Hundertstel geschlagen geben.<br />
So knapp kann es (wie man auch jetzt<br />
in Åre gesehen hat) im Skisport zugehen.<br />
„Stimmt. Wenn ich in meiner Karriere<br />
um vier Hundertstel schneller<br />
gefahren wäre, hätte ich jetzt eine<br />
Gold- und eine Silbermedaille mehr“,<br />
schmunzelt Sigrid Wolf. Wobei man<br />
deutlich erkennt: ganz ernst gemeint<br />
ist das nicht. Denn: „Gott sei dank<br />
habe ich ja den Olympiasieg. Dadurch<br />
ist all das andere egal. Wenn nicht, wären<br />
die Sekundenbruchteile vielleicht<br />
schlimmer.“<br />
VERLETZUNG ALS HILFE. In<br />
allem Ernst meint sie indes, dass ihr<br />
vielleicht gerade ein Ab in der Karriere<br />
den Weg nach oben eröffnet hat: „Im<br />
Frühjahr 1986 hab ich mir das Kreuzband<br />
gerissen. Das war vermutlich ein<br />
Wink. Ich hab danach mehr auf meinen<br />
Körper gehört.“ Und das habe ihr<br />
zum richtigen Durchbruch verholfen:<br />
„Ich habe viel gelernt. Zum Beispiel,<br />
selbst zu entscheiden, wie und was man<br />
trainiert. Das war damals gar nicht so<br />
leicht. Insofern war die Verletzung sogar<br />
eher eine Hilfe für mich.“<br />
Einen starken Willen hatte sie freilich<br />
schon damals: „Es war mir klar<br />
– wenn ich vorne mit dabei sein will,<br />
dann brauche ich Disziplin.“ Dabei<br />
habe ihr die Freude an der Natur und<br />
dem Skifahren auch sehr geholfen:<br />
„Dadurch hab ich bei Schlechtwetter<br />
nicht gejammert, sondern intensiv trainiert.<br />
Denn ich habe gespürt, dass man<br />
sich gerade dann einen Vorsprung erar-<br />
AUSSERFERNER<br />
SEIT 1922<br />
NACHRICHTEN<br />
Zu den erfolgreichsten österreichischen Skisportlerinnen zählt die Elbigenalperin<br />
Sigrid Wolf. Doch trotz aller Medaillen, Titel und Weltcup-Punkte ist die Lechtalerin<br />
bodenständig und bescheiden geblieben.<br />
RS-Foto: Gerrmann<br />
beiten kann.“<br />
Hinzu kam eine große mentale Stärke,<br />
auch wenn es vor drei Jahrzehnten<br />
noch keine speziellen Trainer dafür<br />
gab. Druck habe sie nie so empfunden,<br />
wie das möglicherweise heute bei<br />
vielen der Fall sei: „Oder ich habe ihn<br />
nicht an mich rankommen lassen.“ Ihr<br />
großer Tag in Calgary damals sei zum<br />
Beispiel „wahnsinnig schön“ gewesen:<br />
„Ich war Favoritin. Aber das hat mich<br />
nicht nervös gemacht.<br />
Ich war fokussiert und hab mich auf<br />
das Rennen gefreut, auch wenn mich<br />
in der Abfahrt zuvor ein Windstoß<br />
gepackt hat und ich weg vom Fenster<br />
war.“<br />
Ohnehin glaubt sie noch heute, dass<br />
„der Super-G extra für mich erfunden<br />
wurde“, sagte sie und zwinkert mit den<br />
Augen: „Das ist einfach eine Super-<br />
Disziplin. Eine schwierige Piste, man<br />
darf nicht trainieren und muss sich bei<br />
der Besichtigung alles genau merken<br />
und dann im Rennen auch umsetzen.“<br />
Das gelang ihr in Calgary weitaus am<br />
bes-ten. Eine ganze Sekunde betrug<br />
beim ersten Olympia-Super G ihr Vorsprung<br />
vor der Schweizerin Michela<br />
Figini. Da hätte sie also die vorhin erwähnten<br />
fünf Hundertstel locker abgeben<br />
können...<br />
Weitaus nervöser als bei Olympia sei<br />
sie dann bei der WM in Vail gewesen:<br />
„Da wollte ich wieder eine Medaille.<br />
Aber hätte fast den Start versemmelt,<br />
weil der Sessellift gestanden ist. Ich<br />
hatte die Nummer vier, bin quasi aus<br />
dem Lift gesprungen, habe die Ski<br />
angezogen und bin losgefahren. Das<br />
Gold habe ich damals ganz sicher am<br />
Start verloren.“<br />
Doch auch die erfolgreichste Karriere<br />
(zu der auch die zweimalige Wahl<br />
zu Österreichs „Sportlerin des Jahres“<br />
gehört) geht einmal zu Ende. Auslöser<br />
war bei Sigrid Wolf wieder ein Kreuzbandriss,<br />
im Dezember 1990 in Bad<br />
Kleinkirchheim: „Danach war mein<br />
Kopf einfach nicht mehr bereit.“<br />
Wehmut empfindet sie darob nicht:<br />
„Das Aufhören war nicht schwierig. Ich<br />
wusste, es geht einfach nicht mehr. Die<br />
Lindsey Vonn ist für mich ein Wahnsinn.<br />
Nach wie viel Verletzungen die<br />
wieder zurückgekommen ist!“<br />
Auch der Abschied aus dem Rampenlicht<br />
habe ihr keine Probleme bereitet:<br />
„Ich bin eher ein Typ, der das<br />
gar nicht braucht. Ich bin sowieso bodenständig,<br />
wusste, der ganze Rummel<br />
dauert nur kurze Zeit, dann wird es<br />
wieder anders. Ich habe das auch nie<br />
vermisst.“<br />
DIE LIEBE ZUR HEIMAT. Vermutlich<br />
auch wegen ihrer unverkennbarer<br />
Liebe zur Heimat: „Ich war nie<br />
eine Weltenbummlerin. Auch wenn<br />
wir den Sommer über in Australien<br />
trainiert haben, bin ich immer wieder<br />
gerne ins Lechtal zurück. Das ist meine<br />
Heimat, hier ist es wunderschön, ich<br />
habe nie daran gedacht, von hier wegzugehen.“<br />
Durch einen „totalen Zufall“ ist sie<br />
dann zu den Kräutern gekommen, eine<br />
Freundin hatte sie dafür begeistert:<br />
„Meine Kraft und Energie hatte ich<br />
schon immer aus der Natur geschöpft.<br />
Und je mehr man darüber weiß, desto<br />
interessanter ist es. Und im Lechtal bin<br />
in da am genau richtigen Platz“, strahlt<br />
die Kräuterpädagogin.<br />
Ihr Lieblingskraut? „Das ändert sich.<br />
Aber im Moment ist es die Meisterwurz.“<br />
Die enthalte ätherische Öle, sei<br />
kräftigend und immunstärkend.<br />
Auch jetzt ist sie viel und gerne in<br />
der Natur. Jetzt im Winter bei Tou-<br />
13./14. Februar 2019