[ke:onda] Dieses Boot ist voll!
Ausgabe 1/2015. Ein Heft über Flucht und Vertreibung.
Ausgabe 1/2015. Ein Heft über Flucht und Vertreibung.
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Die Jugendzeitung der Naturfreundejugend Deutschlands.<br />
Ausgabe 01/2015<br />
Ein Heft über Flucht und Vertreibung<br />
Bewegt:<br />
Zero Impact Camps<br />
Seite 16<br />
Beleuchtet:<br />
Fünf Fragen an<br />
Esther Bejarano Seite 20<br />
13<br />
Lach doch mal!<br />
Fre<strong>ist</strong>il:<br />
Seite 26
EDITORIAL<br />
Liebe Leserinnen<br />
und Leser,<br />
schließt einmal die Augen und stellt euch vor, wie es wäre, jede<br />
Nacht um das Leben fürchten zu müssen, wenn in der Ferne die<br />
Detonationen der Bomben zu hören sind. Wie es wäre, jeden<br />
Morgen zu hoffen, dass Freund*innen oder Verwandte nicht über<br />
Nacht abgeholt worden sind. Schule findet nicht regelmäßig statt.<br />
In den Läden gibt es, wenn sie offen haben, kaum noch etwas zu<br />
kaufen. Stellt euch vor, in Deutschland herrsche Krieg, Zerstörung,<br />
Unsicherheit, Willkür. Wenn es <strong>ke</strong>ine Aussicht auf Verbesserung<br />
gibt, was würdet ihr tun?<br />
<strong>Dieses</strong> Szenario <strong>ist</strong> erst 70 Jahre her. Wenn ihr bereits vor Schreck<br />
die Augen geöffnet habt, dann werdet euch bewusst, welches<br />
Glück ihr hattet, in das friedliche Europa des 21. Jahrhunderts<br />
hineingeboren zu sein. Aber bitte verschließt sie nicht vor den<br />
Menschen, denen dieser glückliche Zufall nicht zuteil wurde.<br />
Diese Menschen aus Syrien, Afghan<strong>ist</strong>an, Eritrea, dem Tschad -<br />
sie haben nicht Freunde und Verwandte hinter sich gelassen, sind<br />
nicht tausende Kilometer gewandert, haben auf dem Weg über<br />
das Mittelmeer nicht Mitmenschen ertrin<strong>ke</strong>n sehen, sie haben<br />
sich nicht auf den Weg in ein fremdes Land gemacht, dessen<br />
Sprache sie nicht sprechen und dessen Kultur sie nicht <strong>ke</strong>nnen,<br />
einfach nur weil sie ein Stück vom Kuchen des reichen Europas<br />
abhaben möchten, sondern weil sie schlichtweg in ihrem Heimatland<br />
<strong>ke</strong>ine Zukunft haben. Von solchen Menchen und ihren<br />
Geschichten berichten wir in diesem Heft und lassen auch die<br />
Hintergründe nicht außer Acht.<br />
In dem Bewusstsein, dass wir uns unsere Herkunft nicht aussuchen<br />
können, sollten wir, von Humanität geleitet, die Menschen<br />
hier ankommen lassen und ihnen ein gutes Leben ermöglichen.<br />
Gehen wir auf diese Menschen zu und bieten Rassismus, Fremdenfeindlich<strong>ke</strong>it<br />
und Islamhass <strong>ke</strong>inen Raum in unserer Gesellschaft.<br />
Eure Redaktion wünscht euch viel Spaß beim Lesen.<br />
Eure Redaktion<br />
IMPRESSUM<br />
<strong>ke</strong>:<strong>onda</strong> – Die Jugendzeitung der Naturfreundejugend Deutschlands<br />
Herausgegeben durch das Kinder- und Jugendwerk der Naturfreunde, Verein<br />
zur Förderung der Naturfreundejugend Deutschlands e.V., Adresse siehe unten<br />
Redaktionsanschrift und Verlag:<br />
Naturfreundejugend Deutschlands // // Warschauer Str. 59a // 10243 Berlin<br />
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Gestaltung: DIE.PROJEKTOREN – agentur für gestaltung und präsentation<br />
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Redaktion: Nina Bartz, Frau<strong>ke</strong> Gehrau, Ilona Frank, Lina Mombauer, Sebastian Bozada,<br />
Tobias Thiele (V.i.S.d.P.)<br />
© Naturfreundejugend Deutschlands 2015<br />
Gefördert aus Mitteln des Kinder- und Jugendplanes des Bundes
ZUR SACHE<br />
TITELTHEMA: Flucht & Vertreibung ................................................................... 04<br />
Fluchtwege ................................................................................................................ 05<br />
„Say it loud say it clear / refugees are welcome here“ ...................................... 06<br />
Fluchtgründe ..............................................................................................................07<br />
Interview: „Wir möchten nur mit unserem Leben weitermachen“ .................. 08<br />
Kumpel gesucht ........................................................................................................ 10<br />
Wenn ge<strong>ist</strong>ige Brandstifter echte Feuer legen .....................................................11<br />
RON: Post von RON ................................................................................................. 12<br />
Ein Bild sagt mehr als lange Textblöc<strong>ke</strong>!.............................................................. 13<br />
BEWEGT: Arbeit auf Bundesebene ....................................................................... 14<br />
Viel. Entfalten. / Heldin der Arbeit ........................................................................ 15<br />
Zero Impact Camps .................................................................................................. 16<br />
BELEUCHTET: Das Vermächtnis der Überlebenden ......................................... 18<br />
Fünf Fragen an Esther Bejarano ............................................................................. 20<br />
40 Jahre IYNF ............................................................................................................ 21<br />
Sadhana Forest India ............................................................................................... 22<br />
Bundeskonferenz 2015 ............................................................................................ 24<br />
FREISTIL: Filmtipp .................................................................................................. 25<br />
Weltweite Weltsichten ............................................................................................ 25<br />
ANSICHTSSACHE: Lach doch mal! ................................................................... 26<br />
Wohin wollen wir reisen? ........................................................................................ 27
TITELTHEMA: FLUCHT & VERTREIBUNG<br />
„Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern<br />
vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.“<br />
(Arti<strong>ke</strong>l 14 der UN-Menschenrechtserklärung)<br />
Immer mehr Menschen müssen fliehen. Weltweit sind momentan<br />
51,2 Millionen Menschen auf der Flucht vor Bürgerkrieg, Armut,<br />
politischer oder religiöser Verfolgung, um nur wenige Gründe zu<br />
nennen (Zahlen Sommer 2014). 86 % dieser Menschen suchen<br />
Schutz im eigenen Herkunftsland oder in Nachbarstaaten. Nur ein<br />
Bruchteil der Flüchtlinge macht sich auf den langen und gefährlichen<br />
Weg in Richtung Europa oder Nordamerika. Auf der Flucht in<br />
ein neues Leben lassen die Menschen alles zurück, was sie besitzen.<br />
Nicht selten sind sie auf Fluchthelfer angewiesen, die sich ihren<br />
Dienst teuer bezahlen lassen und denen sie gnadenlos ausgeliefert<br />
sind. Seit 2000 sind über 23.000 Menschen an Europas Außengrenzen<br />
gestorben. Die me<strong>ist</strong>en von ihnen bei der Flucht über das<br />
Mittelmeer. Und die Methoden der Schlepper werden immer skrupelloser.<br />
Zuletzt erreichte uns im Januar 2015 die Nachricht von<br />
führungslosen und ausrangierten Frachtern, die mit Geflüchteten<br />
überfüllt auf Italiens Küsten zusteuerten.<br />
Die „legale“ Einreise bleibt den Geflüchteten me<strong>ist</strong> verwehrt, da<br />
ihre Visaanträge nicht genehmigt werden. So bleibt vielen nur die<br />
„illegale“ Einreise nach Deutschland oder in andere europäische<br />
Staaten. Diese wird aber durch die europäische Flüchtlingspolitik<br />
erschwert: Durch die Dublin III-Verordnung wird die Zuständig<strong>ke</strong>it<br />
für die Prüfung eines Asylantrages innerhalb der EU geregelt. So<br />
müssen Asylsuchende in dem Staat Antrag auf Asyl stellen, der als<br />
„sicherer Drittstaat“ anerkannt <strong>ist</strong> und wo sie erstmalig Kontakt mit<br />
europäischen Behörden haben. Alternativ droht die Abschiebung<br />
in das Heimatland. In der Regel sind dies Randstaaten wie zum<br />
Beispiel Italien, Griechenland und Ungarn. Diese Regelung macht<br />
es den Menschen unvergleichbar schwer zum Beispiel in Deutschland<br />
einen Antrag auf Asyl zu stellen, unabhängig davon, ob sie<br />
bereits Familie hier haben oder die Sprache sprechen. So bleibt<br />
vielen nur die „illegale“ Einreise nach Europa und die Beantragung<br />
von Asyl. In Deutschland wird dies jedoch durch die Europäische<br />
Flüchtlingspolitik erschwert. „Sichere Drittstaaten“ sind fast alle<br />
Länder der EU. Die Geflüchteten können in Deutschland also nur<br />
dann einen Asylantrag stellen, wenn sie nicht zuvor von Behörden<br />
anderer „sicherer Drittstaaten“ reg<strong>ist</strong>riert wurden.<br />
Trotz dieser erschwerten Bedingungen nimmt die Zahl der Asylsuchenden<br />
in Deutschland zu. So suchten 2013 110.000 Menschen<br />
in Deutschland Schutz. 2014 waren es bereits in der ersten Jahreshälfte<br />
65.000 Menschen. In dieser Zahl nicht mit inbegriffen, <strong>ist</strong> der<br />
Teil an Geflüchteten, die bereits schon an der Grenze abgefangen<br />
wurden, bevor sie einen Antrag auf Asyl überhaupt stellen konnten.<br />
Der größte Anteil der Asylsuchenden kommt zurzeit aus Syrien,<br />
gefolgt von verfolgten Roma aus Serbien (hier liegt die Schutzrate<br />
bei fast null, da Serbien seit 2014 ein anerkannter Drittstaat <strong>ist</strong>) und<br />
Menschen aus Afghan<strong>ist</strong>an. Viele der Geflüchteten sind traumatisiert,<br />
haben Gewalt auf der Flucht erfahren oder aber auch Teile<br />
ihrer Familie verloren. Nach Ankunft in Deutschland kommen sie<br />
zunächst in einer Erstaufnahmeeinrichtung unter. Danach erfolgt<br />
die regionale Zuweisung. Eine freie Wohnungswahl, beispielsweise<br />
um in der Nähe von Familie oder Freunden unterzukommen, <strong>ist</strong> nicht<br />
möglich. Auch die Arbeitserlaubnis <strong>ist</strong> eingeschränkt oder verboten.<br />
Die Prüfung der Asylanträge dauert in Deutschland durchschnittlich<br />
über 7 Monate. In dieser Zeit leben die Menschen me<strong>ist</strong> abgeschottet<br />
von der Gesellschaft in abgelegenen Lagern. Dies macht es ihnen<br />
unmöglich, Anschluss zu finden und medizinische und psychische<br />
Betreuung zu bekommen. Nur 13,5 % der Menschen, die versuchen<br />
einen Antrag in Deutschland zu stellen, werden angenommen (Zahlen<br />
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Die me<strong>ist</strong>en bekommen<br />
Ablehnungsbescheide oder werden aufgrund der Dublin-Verordnung<br />
abgeschoben. Einige werden weder abgeschoben, noch wird der<br />
Antrag gewährle<strong>ist</strong>et. Sie leben Jahrelang mit einer „Duldung“ in<br />
Deutschland. Das bedeutet, dass sie eigentlich abgeschoben werden<br />
sollten, dies aus verschiedenen Gründen jedoch nicht möglich <strong>ist</strong>. Es<br />
bleibt ein Leben mit der Angst vor Abschiebung.<br />
Nina Bartz, Ilona Frank
FLUCHTWEGE<br />
Obwohl wir viel von überfüllten Gummibooten <strong>voll</strong>er geflüchteter<br />
Menschen vor der italienischen Insel Lampedusa lesen, <strong>ist</strong><br />
dies längst nicht die einzige Route, um nach Europa zu gelangen.<br />
Je nach Jahreszeit, Stär<strong>ke</strong> der Kontrollen und natürlich<br />
Budget der Flüchtenden führen ganz unterschiedliche Wege<br />
nach Europa. Hier seht ihr eine Übersicht der aktuell wichtigsten<br />
Routen.<br />
Quelle: Pro Asyl
“Say it loud say it clear / refugees are welcome here!“<br />
Seitdem eine Gruppe von Menschen vor Weihnachten beschloss<br />
eine Demo unter dem Namen “Patriotische Europäer gegen die<br />
Islamisierung des Abendlandes” (PEGIDA) zu veranstalten, <strong>ist</strong> die<br />
Stadt in Aufruhr.<br />
Ich bemer<strong>ke</strong> es me<strong>ist</strong>ens schon am Vortag, oder auf dem Weg zur<br />
Arbeit am Polizeiaufgebot, das in der Stadt unterwegs <strong>ist</strong>. Und<br />
natürlich an den Nachrichten, die mich den ganzen Tag erreichen:<br />
“Kommst du heute zur Gegendemo?” “Wo wollen wir uns treffen?”.<br />
Sobald es am Montag langsam Abend wird, beginnen sich die Straßen<br />
zu füllen und eine leichte Spannung liegt in der Luft - zumindest<br />
wenn man sich auf nicht-offiziellen Demo-Routen befindet.<br />
Wenn ich von der Gegendemo zurück nach Hause laufe und mich<br />
wieder unter der Masse der Einkaufsstraßen-Bummler befinde,<br />
beginne ich die Menschen um mich herum zu beobachten. Wer<br />
davon könnte auf welcher Demo gewesen sein? Es <strong>ist</strong> natürlich<br />
unmöglich festzustellen, aber das unangenehme Gefühl, Minuten<br />
vorher hinter zwei verschiedenen Fronten gestanden und sich<br />
Parolen entgegen gerufen zu haben, werde ich einfach nicht los.<br />
Meine bisherigen Erlebnisse zu den (Gegen-)Demoveranstaltungen<br />
am Montag sind gemischt. Geschrieben klingt das negativer als es<br />
<strong>ist</strong>. Doch leider kann ich das Verhalten auf beiden Seiten nicht als<br />
immer konfliktlösend bezeichnen. Besonders bezeichnend war für<br />
mich das Erlebnis eines Montags im Januar, an dem ich zufällig in<br />
eine Gruppe Leute auf der Prager Straße geriet, welche letztendlich<br />
damit begann PEGIDA-Demonstranten niederzuschreien.<br />
“PE-GI-DA Rass<strong>ist</strong>enpack / Wir haben Euch zum Kotzen satt!”, “Ihr<br />
habt den Krieg verloren“ und “Alle wollen dasselbe / Nazis in die<br />
Elbe” brüllte die Menge, in der ich stand in Richtung Polizeiautos.<br />
Ab und an winkten uns die PEGIDA-Teilnehmer dahinter zu.<br />
So sehr mich die Aussagen von PEGIDA und die schier endlose<br />
Masse an Menschen, die dem hinterherlaufen schockierten, genauso<br />
beschämte mich dieses Verhalten der Gegendemo, in der ich mich<br />
befand.<br />
Die Kundgebungen, welche unter anderem von “Dresden für alle”<br />
organisiert vor dem Rathaus und auf dem Theaterplatz stattfanden,<br />
habe ich hingegen besonders schön in Erinnerung!<br />
Jedes Mal, wenn ich diese Veranstaltungen betrat, war ich fasziniert<br />
von der Wärme und dem Frohsinn, die mir entgegenströmten!<br />
Fremde Leute schenkten heimlich Glühwein aus und tanzten.<br />
Beim laufen durch die Menge wurde mir eine Regenbogenfahne<br />
angesteckt und auf einer mobilen Bühne spielte eine Band Musik<br />
aus dem Balkan. Dazwischen hielten eingeladene Vertreter der<br />
Stadt, der Kirche oder von Hochschulen und Universitäten kurze<br />
Reden, um zu verdeutlichen, dass die Werte Toleranz und Vielfalt<br />
unzertrennlich mit Dresden verbunden sind. Auch hier riefen die<br />
Menschen oft Parolen, in die ich jedoch gerne mit einstimme, da<br />
sie friedliche Aussagen transportierten.<br />
“Say it loud say it clear / refugees are welcome here!“<br />
Große Freude bereitete es mir ebenfalls, die Kreativität der anwesenden<br />
Leute zu beobachten, wenn ich umherwanderte. Einmal<br />
lief eine Frau vor mir, mit einem Hund und einer Ziege an der<br />
Leine. Oder an einer Ec<strong>ke</strong>, stand ein “Interkulturelles Sofa”. Auch<br />
die Sprüche auf Plakaten waren originell gestaltet und viele trugen<br />
bunte Warnwesten. Diese sind ein Symbol der Gegenbewegung<br />
geworden, nachdem eines Montags dazu aufgerufen wurde, die<br />
Straßen, welche durch die Demos verschmutzt wurden, sauber zu<br />
<strong>ke</strong>hren. Mittlerweile findet man diese Westen auch an Skulpturen<br />
vom Staatsschauspiel und baroc<strong>ke</strong>n Gebäuden wie der Glaskuppel<br />
der Hochschule für bildende Künste, was unterstreicht, dass es den<br />
Menschen von Dresden wichtig <strong>ist</strong>, ein Zeichen der Offenheit und<br />
Vielfalt an die Welt zu senden.<br />
Am Ende überlegte ich oft auf dem Nachhauseweg, wie Dresden<br />
ganz ohne solche Kundgebungen dastehen würde. Und dann<br />
bin ich froh, dass ich gemeinsam mit so vielen anderen ein Zeichen<br />
für Weltoffenheit und Toleranz setzen konnte. Aber ich bin auch<br />
etwas traurig, denn ich weiß, dass auf der Gegenseite neben den<br />
Radikalen auch viele Menschen liefen, mit deren Sorgen und Probleme<br />
sich nach wie vor niemand auseinandergesetzt hat.<br />
Martin L<strong>ist</strong>
TITELTHEMA: FLUCHT & VERTREIBUNG<br />
FLUCHT<br />
GRÜNDE<br />
Quelle: Pro Asyl<br />
-<br />
-<br />
-
INTERVIEW<br />
WIR MÖCHTEN EINFACH NUR MIT<br />
UNSEREM LEBEN WEITERMACHEN<br />
Seit 2011 tobt in Syrien ein unübersichtlicher Bürgerkrieg, dem seither mindestens 200.000 Menschen zum Opfer<br />
gefallen sind. Etwa ein Fünftel der Bevöl<strong>ke</strong>rung, also rund vier Millionen Menschen, verließ seit Ausbruch des<br />
Krieges das Land. Die me<strong>ist</strong>en flohen in die Nachbarländer Tür<strong>ke</strong>i, Libanon und Jordanien. Nur rund 220.000<br />
Menschen haben bisher Asyl in einem europäischen Land beantragt. Zwei von ihnen haben wir bei der Vernissage<br />
zur Ausstellung „Capture your life“ getroffen: Die Brüder Mohamed und Ahmed, beide aus der südsyrischen<br />
Stadt Daraa. Sie leben heute im Bundesland Schleswig-Holstein und erzählten uns im Gespräch von ihrer Flucht.<br />
Mohamed, Ahmed, ihr habt vor etwa einem Jahr<br />
eure Heimat verlassen. Könnt ihr mir erzählen,<br />
warum ihr das tun musstet?<br />
Mohamed: In Syrien können nur die Leute arbeiten und studieren,<br />
die eine gute Beziehung zur Regierung haben. Wenn dein Vater bei<br />
der Armee <strong>ist</strong> oder für die Regierung arbeitet, dann hast du <strong>ke</strong>ine<br />
Probleme. Alle anderen…<br />
Ahmed: Ich habe in Aleppo [zweitgrößte Stadt im Norden Syriens,<br />
Red.] studiert. Jedes Mal wenn ich von Daraa nach Aleppo gefahren<br />
bin, musste ich an unzähligen Checkpoints anhalten. Viele meiner<br />
Freunde wurden dort getötet, andere sind im Gefängnis gelandet.<br />
Mohamed: Heute <strong>ist</strong> es in Syrien so: Die Regierung schnappt sich<br />
alle jungen Männer und steckt sie in die Armee, und dann musst du<br />
mit ihnen kämpfen. Gegen Frauen und Kinder. Entweder du machst<br />
das, oder du musst mit Bestrafung rechnen. Mein Bruder und ich<br />
wollten das nicht tun, und darum sind wir geflüchtet.<br />
Ihr seid unabhängig voneinander geflohen. Was<br />
war der Grund dafür?<br />
Ahmed: Ich kam aus Aleppo in die Tür<strong>ke</strong>i, und von dort aus mit dem<br />
Schiff weiter nach Italien. Syrische Bürger brauchen <strong>ke</strong>in Visum,<br />
um in die Tür<strong>ke</strong>i einzureisen. Und ich hatte auch <strong>ke</strong>inen Reisepass,<br />
denn wenn du einen beantragen willst, stec<strong>ke</strong>n dich die Leute von<br />
der Regierung sofort ins Militär. Ich war etwa zehn Tage unterwegs.<br />
Mein Bruder war in Daraa und ging zuerst nach Jordanien …<br />
Mohamed: … und von Jordanien weiter nach Algerien, Libyen,<br />
Tunesien, und dann über das Meer nach Italien. Das hat etwa zwölf<br />
Tage gedauert.<br />
Habt ihr Kontakt zu eurer Familie?<br />
Mohamed: Ja. Einige leben in Jordanien, andere noch immer in<br />
Syrien.
TITELTHEMA: FLUCHT UND VERTREIBUNG<br />
Hat eure Familie schon euren Kurzfilm gesehen,<br />
den ihr für „Capture your life“ produziert habt?<br />
Mohamed: Nein, noch nicht. Aber wird schic<strong>ke</strong>n ihnen den Film<br />
noch, und werden ihn auch unseren Freunden in Syrien zeigen. Wir<br />
stellen ihn ins Internet, damit andere Menschen sehen, dass aus<br />
Syrien nicht nur schlechte Menschen kommen. Und wieso sollen die<br />
auch das Land verlassen? Die schlechten Menschen bleiben doch<br />
und kämpfen. Wir sind aus Syrien hierher geflohen, weil wir hier<br />
sicher sind. Wir sind <strong>ke</strong>ine schlechten Menschen, aber manche hier<br />
haben ein falsches Bild von uns und anderen Menschen aus Syrien.<br />
Ihr seid beide zur gleichen Zeit aus verschiedenen<br />
Richtungen nach Mailand gekommen, ohne<br />
voneinander zu wissen. Warum habt ihr euch<br />
gerade in dieser Stadt getroffen?<br />
Mohamed: Italien <strong>ist</strong> von Nordafrika aus gesehen das naheste sichere<br />
Land. Und wenn du in Italien b<strong>ist</strong>, musst du dich bis nach Mailand<br />
vorarbeiten, denn von dort kommst du weiter. Schweden, Dänemark,<br />
Holland, Deutschland – wohin du es schaffst, hängt im Endeffekt nur<br />
davon ab, wie viel Geld du hast. Wer <strong>ke</strong>in Geld hat, bleibt in Italien.<br />
Und viele kommen gar nicht so weit, sondern sterben im Mittelmeer.<br />
Ahmed: Ein Freund von uns war im <strong>Boot</strong> mit 700 anderen Menschen<br />
von Libyen nach Italien. 50 davon sind gestorben – Männer,<br />
Frauen und Kinder.<br />
War Deutschland das Ziel eurer Reise? Oder wolltet<br />
ihr nur irgendwie aus Syrien wegkommen?<br />
Mohamed: Natürlich war das erste Ziel, raus aus Syrien zu kommen.<br />
Aber von Sardinien aus waren es nur zwei Tage nach Mailand,<br />
also bin ich dorthin weitergefahren. Dort traf ich meinen Bruder …<br />
Ahmed: Ich hatte <strong>ke</strong>ine Ahnung, dass er nach Mailand kommen<br />
würde. Plötzlich stand er da vor mir.<br />
Mohamed: … und wir berieten uns, was der beste Weg für unsere<br />
Weiterreise wäre, wo wir die me<strong>ist</strong>en Chancen hätten, um unser<br />
Studium im Ingenieurswesen beenden können.<br />
Könnt ihr in Deutschland studieren?<br />
Mohamed: Nein, leider nicht. Wir suchen eine Uni für uns, aber<br />
niemand kann uns nehmen, weil wir <strong>ke</strong>ine Aufenthaltsgenehmigung<br />
haben. Jetzt müssen wir noch ein paar Termine abwarten und<br />
bekommen dann hoffentlich die notwendigen Papiere. Im Moment<br />
warten wir auf unser zweites Gespräch [bei der Ausländerbehörde,<br />
Red.]. Wir haben versucht, dort anzurufen, aber niemand hatte Zeit<br />
für uns oder konnte uns weiterhelfen.<br />
Ahmed: Ein paar Freunde von uns kamen nach uns nach Deutschland<br />
und haben ihre Aufenthaltspapiere schon bekommen. Keine<br />
Ahnung, wie das funktionieren kann oder was der Grund dafür <strong>ist</strong>.<br />
Aber so <strong>ist</strong> es wohl…<br />
Wie habt ihr das Asylverfahren erlebt?<br />
Ahmed: Bei allem <strong>ist</strong> Glück mit im Spiel. Du kannst zweimal, dreimal,<br />
hundertmal beim Amt nach deinen Papieren fragen und du<br />
bekommst <strong>ke</strong>ine Antwort. Ob du eine Auskunft bekommst, hängt<br />
nur davon ab, wie viel Glück du hast.<br />
Und hattest du Glück?<br />
Ahmed: Ich? Mmmh, nein, eher nicht. Ich bin jetzt seit fünf Monaten<br />
hier und habe noch <strong>ke</strong>ine Papiere bekommen. Meine Familie<br />
fehlt mir auch.<br />
Wie war es für euch, in Deutschland anzukommen?<br />
Welche Reaktionen habt ihr erlebt?<br />
Mohamed: Viele Menschen haben uns geholfen und behandeln<br />
uns wie ihre eigenen Kinder. Ein paar nette Deutsche besuchen uns<br />
regelmäßig und geben uns zweimal jede Woche Deutschunterricht.<br />
Aber manchmal den<strong>ke</strong> ich über meine Zukunft nach. Wir können<br />
nicht zur Schule gehen, nicht arbeiten, nichts – nur warten. Das<br />
<strong>ist</strong>, was wir machen. Abwarten. Das Wetter <strong>ist</strong> auch ziemlich kalt.<br />
Aber viele Menschen helfen uns, das <strong>ist</strong> sehr schön.<br />
Welche Erfahrungen habt ihr gemacht, wenn<br />
ihr anderen Leuten erzählt, dass ihr aus Syrien<br />
kommt?<br />
Ahmed: Gute und schlechte Erfahrungen. Manche interessieren<br />
sich für uns und unser Leben und den Krieg. Aber es gibt auch<br />
eine Menge anderer Menschen, die glauben, dass alle aus Syrien<br />
schlechtes im Sinn haben.<br />
Mohamed: Aber wir kamen nicht hierher, um zu kämpfen. Wir<br />
wollen nur unser Leben weiterleben. Unser Land, unsere Zukunft<br />
– was wird daraus werden?<br />
Wie geht es jetzt weiter für euch?<br />
Ahmed: Wir hoffen, bald unsere Papiere zu bekommen. Ich hoffe,<br />
bald meine Frau nach Deutschland holen zu können. Wir möchten<br />
einfach nur mit unserem Leben weitermachen. Das Leben <strong>ist</strong> für<br />
meinen Bruder und mich und unsere Familie und eigentlich für alle<br />
Menschen in Syrien stehengeblieben. Denn wir haben nichts. Wir<br />
wollen doch nur unser Studium abschließen, lernen und arbeiten.<br />
So wie andere Menschen auch.<br />
Alles Gute euch beiden, und vielen Dank für das<br />
Gespräch.<br />
Das Interview führte Sebastian Bozada<br />
Seht hier Mohamed und Ahmeds Kurzfilm „Ein unerwartetes Wiedersehen“:<br />
http://capture-your-life.net/node/172
TITELTHEMA: FLUCHT & VERTREIBUNG<br />
KUMPEL GESUCHT<br />
Aner<strong>ke</strong>nnung und Solidarität für Geflüchtete darf nicht erst beginnen, wenn die deutsche und europäische<br />
Asylpolitik endlich im Interesse von Menschen handelt, die aus verschiedenen Gründen ihre Heimat verlassen<br />
müssen. Darum arbeitet die Naturfreundejugend Frankfurt am Main seit geraumer Zeit mit geflüchteten<br />
Menschen zusammen, um gemeinsam eine Perspektive für das Leben in der neuen Heimat zu gestalten. Ein<br />
Erfahrungsbericht. [Anmerkung: Die Namen der Betroffenen wurden auf eigenen Wunsch geändert]<br />
„An Donnerstagen <strong>ist</strong> immer Urlaub“, sagt Amaniel. Wir grinsen.<br />
Das sagt er jeden Donnerstag. Und jeden Donnerstag treffen wir<br />
uns hier im Naturfreundehaus Niederrad, um den Abend gemeinsam<br />
zu gestalten.<br />
Begonnen hat das alles damals beim Apfelfest der Ortsgruppe Frankfurt.<br />
Wir luden die Gruppe Geflüchteter ein, die dieser Tage direkt<br />
gegenüber untergebracht wurden. Beim Klettern, Slacklinen, Apfelsaftpressen<br />
und Waffelschlemmen freundeten wir uns schnell an.<br />
Seitdem treffen wir uns wöchentlich.<br />
Gegenseitig verköstigten wir uns schon oft mit unseren kulturellen<br />
Spezialitäten und zeigten uns traditionelle Tänze. Wir sammelten<br />
auch warme Kleidung für die Wintermonate und aus gegebenem<br />
Anlass Babysachen. Diverse Aktivitäten wie Volleyballspielen und<br />
Tischkic<strong>ke</strong>rn kamen gut an. Besonders behaglich war der Abend am<br />
Lagerfeuer mit Stockbrot. In der Weihnachtszeit backten wir Plätzchen.<br />
Nebenbei versuchen wir stets so viel Deutsch wie möglich zu<br />
sprechen. Manchmal kommen auch Leute, die uns die Sprachbarrieren<br />
erleichtern können. Mit deren Übersetzungshilfe sind dann sehr viel<br />
tiefgründigere Gespräche möglich.<br />
Letztens legten wir Steckbriefe an, um herauszufinden, was die Leute<br />
besonders interessiert und wie wir sie dabei unterstützen können.<br />
Da <strong>ist</strong> Ramsan, der Schreiner <strong>ist</strong> und gerne wieder in seinem Beruf<br />
arbeiten möchte. Omar hat ein abgeschlossenes Wirtschaftsstudium<br />
und möchte gerne noch den Master drauf setzen. Tafari <strong>ist</strong> ein<br />
wunderbarer Musi<strong>ke</strong>r, der gerne wieder mit seiner Gitarre in einer<br />
Band spielen möchte – wie damals in Eritrea. Einen Wunsch haben<br />
sie alle gemein: Sie fragen nach Freund*innen zum gemeinsamen<br />
Zeitvertreib. Wir versuchen nun ein paar Kontakte zu knüpfen, zum<br />
Beispiel durch einen Facebook-Post:<br />
MITMACHEN & UNTERSTÜTZEN<br />
Es wurde öfter schon mal nachgefragt, wie Geflüchtete unterstützt<br />
werden können. Was bei uns gebraucht wird, sind Leute, die Lust haben,<br />
was Schönes zu unternehmen und sich zu vernetzen. Die eine*n mal<br />
mitnehmen ins Kino, Museum, Schwimmbad oder zum Fußballspielen.<br />
Gemeinsames Sportmachen, Kochen und Musizieren, aber auch<br />
Deutschunterricht sind gefragt. Um die Gruppe erst mal <strong>ke</strong>nnen zu<br />
lernen, kannst du auch gerne bei unseren wöchentlichen Treffen in<br />
Niederrad vorbeischauen.<br />
Melde dich doch bei uns, wenn du Interesse hast, dann stellen wir<br />
gerne den Kontakt her.<br />
Naturfreundejugend Frankfurt // Am Poloplatz 15<br />
60528 Frankfurt // info@naturfreundejugend-ffm.de<br />
Seit der Anzeige sprudelt das Postfach <strong>voll</strong>er positiver Rückmeldungen.<br />
Es <strong>ist</strong> wunderbar, wie viele Menschen sich interessiert zeigen<br />
und einbringen möchten. Vor allem nach der Medienüberflutung<br />
über Asyl-Gegner*innen gab es Beden<strong>ke</strong>n, wie die breite Meinung<br />
zu solchen Projekten aussehen würde. Umso größer <strong>ist</strong> die Überraschung,<br />
wie viel Unterstützung wir tatsächlich zugesprochen<br />
bekommen. Und es <strong>ist</strong> erstaunlich leicht. Durch eine Anfrage bei der<br />
Eissporthalle bekamen wir beispielsweise für die gesamte Gruppe<br />
Freikarten gestellt, sodass wir Schlittschuhlaufen gehen konnten.<br />
Dies war ein bereicherndes Erlebnis für alle Beteiligten, zumal die<br />
Geflüchteten niemals zuvor auf dem Eis standen. Die eher weniger<br />
eleganten Landungen auf allen Vieren sorgten für jede Menge<br />
Gelächter. Von Fremden wurden wir angesprochen und gefragt, was<br />
wir für eine Gruppe seien, woraufhin wir bege<strong>ist</strong>erten Zuspruch<br />
ernteten: „Naturfreundejugend heißt ihr? Das schaue ich zu Hause<br />
direkt mal nach und auch, wie ich euch unterstützen kann.“<br />
Wichtig für uns <strong>ist</strong>, dass unsere Treffen, wie alle Veranstaltungen<br />
der NFJF, gemeinsam von allen Teilnehmenden gestaltet und umgesetzt<br />
werden. Als Willkommensgruß steht das Projekt den Hürden<br />
entgegen, die den Geflüchteten zu oft in den Weg gelegt werden.<br />
Natufreundejugend Frankfurt am Main
WENN GEISTIGE BRANDSTIFTER<br />
ECHTE FEUER LEGEN<br />
Lübeck, Vorra, Limburgerhof, Tröglitz – in letzter Zeit gingen Unterkünfte<br />
für Asylbewerber*innen in Flammen auf. Im Kielwasser von<br />
Pegida und Co. scheinen sich die Angriffe wieder zu häufen. Ein<br />
Problem, dass nach den Erfahrungen der 1990er Jahre eigentlich<br />
überwunden schien. Ganz tief im kollektiven Gedächtnis hat sich<br />
ein Ereignis rund um das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen<br />
eingegraben.<br />
Im August 1992 sind die Krawalle in Lichtenhagen der traurige Zenit<br />
einer ganzen Reihe von rass<strong>ist</strong>ischen Übergriffen auf Migrant*innen<br />
und Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte. Vor dem Sonnenblumenhaus<br />
tobte der Mob, der den Ausländern die Schuld für die<br />
schlechte wirtschaftliche Lage in Mecklenburg-Vorpommern gab.<br />
Die Parallele zur aktuellen Situation <strong>ist</strong> deutlich – „besorgte Bürger“<br />
gingen Hand in Hand mit rass<strong>ist</strong>ischen Neonazis, die „Schuldige“<br />
für ihre prekäre Situation suchten und fanden. In Rostock stand die<br />
Polizei ratlos und unterbesetzt daneben, Kamerateams filmten den<br />
zunehmend gewaltbereiten Mob vor dem Sonnenblumenhaus, in<br />
dem vietnamesische Asylbewerber lebten. Tagelang gab es Angriffe<br />
mit Steinen und Molotow-Cocktails auf die Unterkunft. Nur mit<br />
Glück blieb dieser Anschlag ohne Todesopfer.<br />
Nur einen Monat später, im September 1992 brannte im sächsischen<br />
Hoyerswerda ein Wohnheim, in dem frühere DDR-Gastarbeiter<br />
untergebracht waren. Auch hier waren wieder hunderte Menschen<br />
auf der Straße, die das Gebäude mit Molotow-Cocktails angegriffen.<br />
In Folge der Pogrome in Rostock und Hoyerswerda wurden die<br />
betroffenen Menschen aus beiden Städten ausquartiert und an<br />
anderen Orten untergebracht. Ein fatales Signal, denn der tobende<br />
Mob hatte sein Ziel damit erreicht. Verurteilungen gab es in beiden<br />
Fällen nur vereinzelt. Die Strafen fielen gering aus, manche<br />
Verfahren zogen sich so lange hin, dass die Straftaten verjährten.<br />
Obwohl beide Übergriffe in den neuen Bundesländern waren, sind<br />
Brandanschläge <strong>ke</strong>in ostdeutsches Phänomen. Im November 1992<br />
verübten Neonazis in Mölln (Schleswig-Holstein) Brandanschläge<br />
auf zwei von türkischstämmigen Familien bewohnte Häuser. Drei<br />
Menschen starben, neun wurden zum Teil schwer verletzt. Im Mai<br />
1993 zündeten Neonazis in Solingen (NRW) das Haus einer Familie<br />
mit türkischem Hintergrund an. Dabei kamen fünf Menschen ums<br />
Leben, 14 Personen kämpfen zum Teil noch immer mit den Folgen.<br />
Angesichts dieser Ereignisse scheinen mir die aktuellen Ereignisse<br />
mehr als bedrohlich. Nachdem die Zahl der Anschläge auf Wohnheime<br />
nach 1992 langsam san<strong>ke</strong>n, <strong>ist</strong> sie in den letzten Jahren<br />
wieder stark gestiegen. Bis wir wieder Tote rass<strong>ist</strong>ischer Gewalt<br />
beklagen müssen, <strong>ist</strong> wohl nur eine Frage der Zeit. Damals wie<br />
heute manifestieren sich Abstiegsängste in der Bevöl<strong>ke</strong>rung aufgrund<br />
der schlechten Wirtschaftslage im Hass auf (vermeintlich)<br />
Fremde. Bundesweit gab es im Jahr 2014 153 Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte,<br />
davon allein 35 Brandanschläge.<br />
Woher aber kommt dieser Hass gegen Menschen, die vor Krieg,<br />
Hunger und Verfolgung flüchten? Nach den Erfahrungen des zweiten<br />
Weltkriegs wurde das Recht auf Asyl explizit in Arti<strong>ke</strong>l 16a des<br />
Grundgesetzes veran<strong>ke</strong>rt. Dabei spielte insbesondere die Erfahrung<br />
von Deutschen, die als politisch oder religiös Verfolgte vor den<br />
Nazis ins Ausland fliehen mussten, eine große Rolle. Asyl <strong>ist</strong> ein<br />
Grundrecht – und dennoch gehen Menschen zu hunderten auf die<br />
Straße, um gegen Flüchtlingsunterkünfte in Berlin-Hellersdorf,<br />
Ludwigshafen oder Freital zu demonstrieren.<br />
Willkommenskultur sieht anders aus. Auch eine Unterbringung<br />
in abgeschotteten Kasernen und ohne jegliche Möglich<strong>ke</strong>iten zur<br />
Integration in die Gesellschaft, sind nicht besonders hilfreich, um<br />
„besorgten Bürgern“ ihre irrationalen Ängste zu nehmen. Was wir<br />
brauchen, <strong>ist</strong> eine echte Willkommenskultur, einen vorurteilsfreien<br />
Umgang und vor allem die Bereitschaft, neue Mitmenschen in<br />
unsere Gesellschaft aufzunehmen.<br />
Jörg Weißgerber
POST VON RON<br />
2015
RON ERKLÄRT DIE WELT...<br />
EIN BILD<br />
SAGT MEHR<br />
ALS LANGE<br />
TEXTBLÖCKE!<br />
Der G7-Gipfel tagt im Bayerischen Elmau,<br />
im Rheinland werden Dörfer weggebaggert<br />
und wenn TTIP in Kraft tritt, haben wir den<br />
genmanipulierten Salat. Die logische Konsequenz<br />
für Naturfreund*innen und alle,<br />
die ihre Umwelt und Gesundheit nicht zum<br />
Wohle des Kapitals aufgeben möchten:<br />
„Wir machen Ernst - es wird demonstriert!“<br />
Und ernst geht es in der Tat zu. TTIP<br />
stoppen! G7 stoppen! Braunkohleabbau<br />
stoppen! Was für Befürworter*innen der<br />
Protestbewegung sinn<strong>voll</strong> und richtig<br />
erscheint, mag auf die fernsehgebildeten<br />
Maßen eher wie bunte Kolonnen<br />
von spaßfreien Spielverderber*innen<br />
wir<strong>ke</strong>n.<br />
Denn unglücklicherweise sind diejenigen,<br />
gegen den sich der Protest me<strong>ist</strong>ens richtet,<br />
bestens gewappnet für den medialen<br />
Schlagabtausch. Statt sperriger Forderungen<br />
gibt es klare Botschaften, hässliche<br />
Fakten werden mit schönen Bildern gekontert<br />
– und am Ende dreht sich die Berichterstattung<br />
sowieso nur wieder um die gleichen<br />
drei verlorenen Seelen, die am Rande<br />
der Demo eine Mülltonne in Brand stec<strong>ke</strong>n.<br />
Darum, liebe Leser*innen, möchte ich euch<br />
einen neuen alten Vorschlag machen:<br />
Macht es ihnen nach! Femen zum Beispiel<br />
<strong>ist</strong> ja nun nicht eben für lange Reden<br />
bekannt – <strong>ke</strong>nnen tut sie trotzdem jede*r.<br />
Die Damen haben nämlich die landläufige<br />
Bege<strong>ist</strong>erung (oder Abneigung) für weibliche<br />
Brüste erkannt und platzieren ihre<br />
Botschaft einfach dort, wo jede Kamera<br />
hinstarrt.<br />
Fordere ich euch auf, ab sofort nackt zu<br />
demonstrieren? Nein! Aber mein Vorschlag<br />
<strong>ist</strong>, die Medien genauso für euch zu nutzen,<br />
wie es die anderen schon seit langem tun.<br />
Seid kreativ! Braunkohle gegen Dörfer?<br />
Baut Häuser und Bäume aus Pappe – Dörfer<br />
gegen Braunkohle! Bieten den Kameras<br />
was zum Fressen an, überrascht mit neuen<br />
Bildern – und bleibt am Ball!<br />
Euer RON
BEWEGT: ARBEIT AUF BUNDESEBENE<br />
In welchen Bereichen auch DU tatkräftig mitwir<strong>ke</strong>n kannst<br />
30. September 2015 <strong>ist</strong><br />
Einsendeschluss!<br />
Sportfotos gesucht!<br />
Ihr wart im Sommer mit der Naturfreundejugend auf einer<br />
Kanufreizeit? Ihr klettert oder fahrt Ski mit den NaturFreunden?<br />
Dann schickt uns eure Bilder!<br />
Ob als Gruppe oder Einzelperson: Wir suchen euer Erlebnis mit der<br />
Naturfreundejugend! Schickt uns eure schönsten Fotos und mit ein<br />
bisschen Glück seid ihr dann im Naturfreundejugend-Kalender<br />
„Berg frei! 2016.<br />
nfjd.de/Fotowettbewerb<br />
Jetzt für den Kinderrat anmelden!<br />
Wie vor jedem Kindergipfel sucht die Naturfreundejugend einen Kinderrat,<br />
der sich ein paar Mal trifft, um den Kindergipfel 2016 mit<br />
vorzubereiten und uns zu beraten! Der Kinderrat besteht aus ungefähr<br />
12 Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 14 Jahren. Beim<br />
Kindergipfel 2016 wird sich alles um den vielfältigen Kontinent Afrika<br />
drehen!<br />
Na, neugierig geworden? Die Ausschreibung<br />
findest du unter: nfjd.de/kigi2016<br />
23. – 27.09.2015<br />
Planning Wee<strong>ke</strong>nd “INSPIRE THE FUTURE!”<br />
Beim Planning Wee<strong>ke</strong>nd von 23. bis 27. September kommen<br />
Teilnehmer*innen aus ganz Europa zusammen, die sich mit dem Werten<br />
der Naturfreundejugend Internationale (IYNF) identifizieren. Der<br />
Fokus dieses Treffens liegt auf der Planung von zukünftigen Aktivitäten.<br />
Gemeinsam entwic<strong>ke</strong>ln die Teilnehmer*innen Projekte und Kampagnen<br />
auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene, die in den folgenden<br />
Jahren umgesetzt werden sollen. Und weil die Naturfreundejugend Internationale<br />
2015 vierzig Jahre alt wird, gehört eine große Geburtstagsfeier<br />
mit zum Programm!<br />
nfjd.de/iynf40y<br />
JETZT IM SHOP: CAPTURE YOUR LIFE<br />
Das Interview mit Ahmed und Mohamed (S. 8) entstand im Projekt<br />
„Capture your life“ der Naturfreundejugend Deutschlands. Auf<br />
dieser DVD findet ihr den Film der beiden und noch zwanzig weitere<br />
persönliche, bewegende und überraschende Kurzgeschichten.<br />
nfjd.de/dstdvd
LESERBRIEFE<br />
Eure Meinung <strong>ist</strong> uns wichtig!<br />
Egal, ob ihr einen Kommentar<br />
zum Titelthema, Lob oder Kritik für<br />
die Redaktion oder was euch sonst gerade<br />
beschäftigt loswerden wollt.<br />
Schickt uns eure Leserbriefe!<br />
HELDIN<br />
DER ARBEIT<br />
<strong>ke</strong>:<strong>onda</strong> Redaktion<br />
c/o Naturfreundejugend<br />
Deutschlands<br />
Warschauer Str. 59 a<br />
10243 Berlin<br />
<strong>ke</strong><strong>onda</strong>@naturfreundejugend.de<br />
VIEL.<br />
ENTFALTEN.<br />
Wir sprechen alle von Inklusion, von Diversity und Gleichberechtigung<br />
– aber was bedeutet das eigentlich für unseren Alltag?<br />
Antworten auf diese Frage werden wir in unserem neuen Projekt<br />
„Viel.Entfalten.“ suchen.<br />
Die sogenannte Angst vor einer „durchmischten Gesellschaft“ <strong>ist</strong><br />
sicherlich <strong>ke</strong>ine neue, aber das tagespolitische Geschehen deutet<br />
darauf hin, dass menschenverachtende Ideologien wieder ungestraft<br />
zur Schau gestellt werden können. Seien es die Islamfeinde<br />
von Pegida, die „Besorgten Eltern“, die alles nicht-heterosexuelle<br />
aus den Schulen verbannen wollen, oder das ewige Gezerre um<br />
gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung –<br />
in allen Bereichen unseres Alltags gibt es lautstar<strong>ke</strong> Gegner eines<br />
bunten vielfältigen Lebens.<br />
Naturfreund*innen stellen sich den Ewiggestrigen entgegen. Denn<br />
uns geht es nicht weit genug, allen Menschen nur auf dem Papier<br />
die gleichen Chancen einzuräumen. Wir wollen auch, dass Vielfalt<br />
gelebt und entfaltet werden kann.<br />
Wollt ihr mehr über Viel.Entfalten. erfahren? Dann besucht unsere<br />
Projektseite unter<br />
nfjd.de/vielentfalten<br />
Wer b<strong>ist</strong> du, beschreibe dich in drei Sätzen.<br />
Ich klettere gerne auf Bäume, reise in der Welt rum und lerne<br />
mit neuen Menschen und ... kommt mich doch einfach besuchen<br />
und lernt mich persönlich <strong>ke</strong>nnen!<br />
Mit wem würdest du gerne einmal Frühstüc<strong>ke</strong>n und warum?<br />
Mit Fenja aus Hessen! Weil es mit ihr nie langweilig wird.<br />
Dein Rezept gegen Stress und zu viel Arbeit?<br />
Musik spielen. Und hören!<br />
Ohne was kannst du nicht leben?<br />
Freunde!<br />
Was willst du der Welt mit auf den Weg geben?<br />
Ich bin dafür, positiv zu den<strong>ke</strong>n, und das Leben so zu leben, so<br />
wie du es willst!<br />
Ver<strong>voll</strong>ständige den Satz: Für mich <strong>ist</strong> die NFJ wie...<br />
... eine große, herzliche Familie<br />
In welchem Geschäft würdest du deine Kreditkarte überziehen?<br />
Im Moment in einem Kletterladen.<br />
Ilona Frank, Naturfreundejugend Eberswalde
16<br />
DER (NACHHALTIGSTE) SOMMER DEINES LEBENS<br />
ZERO-IMPACT-CAMPS<br />
Im Sommer <strong>ist</strong> es wieder soweit –<br />
wir Naturfreund*innen machen uns auf den Weg zu unseren Freizeiten,<br />
Camps und Natursportaktivitäten. Mit unserem Projekt<br />
„Zero-Impact-Camps“ wollen wir euch dieses Jahr begleiten, um<br />
uns zusammen über das Thema Nachhaltig<strong>ke</strong>it auf Reisen auszutauschen.<br />
Wir wollen ausprobieren, wie wir noch ressourcenschonender<br />
und sozial fair unterwegs sein, und junge Menschen<br />
für das Thema bege<strong>ist</strong>ern können.<br />
Warum <strong>ist</strong> das Thema nachhaltiges Reisen relevant?<br />
• Etwa neun Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen<br />
entstehen im Tourismus<br />
• Immer mehr Leute übernachten in Hotels, die den Markt<br />
dominieren<br />
• Im Tourismus und seinem wirtschaftlichen Umfeld arbeiten<br />
weltweit etwa 240 Millionen Beschäftigte - etwa 50 % davon<br />
im informellen Sektor, ohne Arbeitsverträge und Arbeitsschutz<br />
• Der größte Teil der Urlaubsreisen erfolgt mit dem Auto, gefolgt<br />
vom Flugzeug. Bus und Bahn werden viel seltener genutzt.<br />
• Ein Golfplatz in einem tropischen Land wie Thailand benötigt<br />
jährlich genauso viel Wasser wie 60.000 ländliche<br />
Dorfbewohner*innen.<br />
Wie kann man nachhaltig unterwegs sein?<br />
Um das herauszufinden, suchen wir eure Ideen. Macht beispielsweise<br />
mit eurem gesamten Camp bei unserem Wettbewerb mit.<br />
Dafür müsst ihr eure Idee in mindestens fünf Zeilen – gerne untermalt<br />
mit Fotos, Filmen, Zeichnungen oder was euch sonst noch<br />
einfällt – bis spätestens zum 15.09.2015 auf www.zero-impactcamps.de<br />
vorstellen. Eurer Kreativität sind <strong>ke</strong>ine Grenzen gesetzt.<br />
Die Ideen mit den me<strong>ist</strong>en Li<strong>ke</strong>s gewinnen! Sonderpreise vergibt<br />
unsere Jury für die kreativste Darstellung und die nachhaltigste<br />
Gruppenreise!<br />
Wer sind eigentlich Jana<br />
und Basti?<br />
Jana und Basti gehen für uns auf Entdeckungstour<br />
und betrachten ihre jeweiligen<br />
Reisen. Dabei haben sie unterwegs so einiges<br />
erlebt, was es wert <strong>ist</strong> in einem Comic<br />
erzählt zu werden. Die Zeichnerin der Beiden<br />
<strong>ist</strong> übrigens Kati Ric<strong>ke</strong>nbach.<br />
Was passiert im Sommer?<br />
Wie bereits erwähnt, wollen wir mit euch zusammen auf Reisen<br />
gehen. Diesen Sommer besuchen wir euch deshalb auf euren Freizeiten<br />
und Aktivitäten. Gemeinsam wollen wir uns vor Ort mit<br />
verschiedenen Aktionen dem Thema nachhaltiges Reisen nähern.<br />
Über unsere Erlebnisse in den verschiedenen Landesverbänden<br />
werden wir euch auf www.zero-impact-camps.de stets auf dem<br />
Laufenden halten.<br />
Was gibt es für Teamer*innen?<br />
Die Methoden und Workshop-Ideen unserer Aktionstage findet ihr<br />
nach der Probephase im Internet und als Erweiterung in unserem<br />
Ordner „Reisen mit Respekt“. Gerne dürft ihr sie selber auf der<br />
nächsten Freizeit ausprobieren.<br />
Wie viel wiegt ein ökologischer Rucksack?<br />
Wollt ihr wissen, wie nachhaltig euer Camp <strong>ist</strong>? Wenn ja, könnt<br />
ihr unseren Rechner auf www.zero-impact-camps.de nutzen,<br />
den wir zusammen mit dem Wuppertaler-Institut entwic<strong>ke</strong>lt<br />
haben. Im Chat mit Jana erhaltet ihr dabei neben der Info zu<br />
eurem Materialverbrauch für Anreise, Unterkunft, Verpflegung<br />
und Freizeitprogramm auch zahlreiche Tipps.
BEWEGT<br />
TOLLE PREISE ZU GEWINNEN!<br />
Teile deine Idee und gewinne<br />
einen von 40 Preisen!<br />
1<br />
X Reise mit bis zu 9 Personen<br />
nach Dresden<br />
10 X Deuter-Rucksäc<strong>ke</strong><br />
ReiseProviant<br />
von Rapunzel<br />
3<br />
X Stefan Loose-<br />
Stefan Loose-<br />
Reiseführer<br />
5 X Ortlieb-<br />
Fahrradtaschen<br />
20 X Öko-faire<br />
T-Shirts
DAS VERMÄCHTNIS<br />
DER ÜBERLEBENDEN<br />
Zu Beginn dieses Jahres, an einem kalten, verschneiten Wintertag,<br />
trafen sich mehr als 50 Staatschefs und Regierungsvertreter*innen<br />
nahe der polnischen Kleinstadt „Oświęcim“, die die Deutschen<br />
Auschwitz nannten. Sie kamen, aber sprachen nicht. Sie waren<br />
gekommen, um zuzuhören. Sie lauschten den Erzählungen dreier<br />
älterer Menschen. Alle drei waren bereits über 80 Jahre alt. Drei<br />
Repräsentanten einer Gruppe von etwa 300 älteren Menschen.<br />
Alle etwa im selben Alter. Sie waren einmal mehr gewesen – viel<br />
mehr – und sie waren einmal jünger gewesen. Junge Menschen,<br />
sprudelnd vor Tatendrang.<br />
Was haben die älteren Menschen zu sagen? Warum haben sie<br />
es sich nicht bequem gemacht auf ihren Sofas? So, wie es ältere<br />
Menschen normalerweise eben tun?<br />
Sie sind in diese kalte, kahle, weiße Fläche gekommen, weil sie etwas<br />
zu sagen haben. Etwas, das ihnen wichtig <strong>ist</strong>. Im Hintergrund ragen<br />
Kamine aus dem Schneetreiben auf. Kamine vergangener Barac<strong>ke</strong>n.<br />
Bei angestrengtem Schauen werden immer mehr Kamine sichtbar.<br />
Endlose Reihen. Gespalten nur von den Bahngleisen. Den Bahngleisen<br />
in den Tod. Stacheldraht versperrt den Weg nach außen. Die<br />
älteren Menschen berichten von ihrem Leben in dieser unwirklichen<br />
Kulisse. Mit mehr als 100.000 Menschen haben sie hier gelebt. Sie<br />
waren Gefangene und wussten nicht warum. Man nahm ihnen ihren<br />
Namen und gab ihnen eine Nummer. Und wer eine Nummer bekam,<br />
konnte sich glücklich schätzen, denn eine Nummer bedeutete die<br />
Chance zu leben. Zu leben bedeutete zu arbeiten, hart zu arbeiten<br />
den ganzen Tag. Eingepfercht zu Hunderten. Mit Seuchen und<br />
Ratten und der ständigen Angst als nächstes denen zu folgen, die<br />
<strong>ke</strong>ine Nummern bekamen. Kann man das überhaupt Leben nennen?<br />
Es <strong>ist</strong> ihnen wichtig dies zu erzählen. Bald werden sie es nicht<br />
mehr erzählen können.<br />
Zeitgleich zu diesem Treffen, gab es ein weiteres Treffen, nicht weit<br />
entfernt. Ein Treffen junger Menschen, genauso sprudelnd vor Tatendrang,<br />
wie es die älteren Menschen einst gewesen waren. Sie kamen<br />
aus fünf Ländern und innerhalb dieser Länder aus mehr als 40 Organisationen.<br />
Nachfahren der Opfer und der Täter. Auch zu ihnen kam<br />
einer der dreihundert verbliebenen älteren Menschen. Sie hörten<br />
seine Botschaft, die von den Vielen erzählt, denen es nicht vergönnt<br />
war, diesen Tatendrang auszuleben. Den vielen Ideen, die zwischen<br />
1941 und 1945 mit den Menschenleben verloren gingen. Sie sahen<br />
die Zeichnungen der Kinder in den Barac<strong>ke</strong>n, die stummen Zeugen<br />
des Grauens. Sie erzählen auf ihre Weise von den Ängsten und von<br />
den Hoffnungen, von den Schmerzen und von den Freuden, die es<br />
auch unter den schlimmsten Bedingungen noch gab. Sie sind Zeugen
BELEUCHTET<br />
und der Täter: „Wir werden angehen gegen Diskriminierung und<br />
kämpfen gegen Vorurteile. Ausgrenzung werden wir nicht zulassen.“<br />
Auf dem Gesicht des älteren Mannes entsteht ein Lächeln.<br />
Schnellvorlauf in den Sommer. Ein halbes Jahr nach der Gedenkfeier zur<br />
Befreiung von Auschwitz stehen rund 1000 junge Erwachsene still am<br />
internationalen Mahnmal für die Opfer des Faschismus. Das Denkmal<br />
aus grob behauenen Steinen steht zwischen den Ruinen der Vernichtungsanlage<br />
in Auschwitz-Bir<strong>ke</strong>nau: Den Gaskammern und Krematorien,<br />
in denen Menschen systematisch und routiniert ermordet wurden.<br />
der Lebendig<strong>ke</strong>it und Menschlich<strong>ke</strong>it dieser Menschen, die trotz aller<br />
gegenteiliger Versuche nicht ausgelöscht werden konnten.<br />
Sie sehen die Haare und die Schuhe. Angehäuft als Zeugen eines<br />
schrecklichen Grauens. Haare, einst Teil schöner Frisuren, heute zum<br />
Teppich verarbeitet. Schuhe, die gemacht wurden, um die Menschen<br />
auf ihrem Lebensweg zu begleiten. Auf dem Weg zu ihren Zielen und<br />
Wünschen. Getragen haben sie sie auf dem Weg in die Gaskammer.<br />
Die jungen Menschen hören die Worte der Überlebenden und sie<br />
sehen die Beweise. Und sie fragen sich: „Wie konnte das geschehen?“<br />
Doch sie haben <strong>ke</strong>ine Antwort. Und sie bekommen auch <strong>ke</strong>ine<br />
Antwort. Aber sie wissen: Es konnte geschehen.<br />
Dann reift in ihnen ein Entschluss: Dass Auschwitz nie wieder sei!<br />
Und sie schwören sich gemeinsam, die Nachkommen der Opfer<br />
Ein breites Bündnis aus Jugendverbänden – darunter die Naturfreundejugend<br />
– hatte zur gemeinsamen Gedenkstättenfahrt nach<br />
Auschwitz aufgerufen. Gemeinsam besuchen sie die Orte des Verbrechens.<br />
Sie hören die Geschichten von getöteten und überlebenden<br />
Menschen und versuchen zu verstehen, wie der kollektive<br />
Zusammenbruch von Menschlich<strong>ke</strong>it passieren konnte, für den das<br />
Regime der Nationalsozial<strong>ist</strong>en steht.<br />
Das gemeinsame Schweigen vor dem Mahnmal im ehemaligen<br />
Lager Auschwitz-Bir<strong>ke</strong>nau <strong>ist</strong> der Fixpunkt der Gedenkstättenfahrt.<br />
Viele finden erst hier den Raum, das Erlebte und Gefühlte an sich<br />
heranzulassen. Manche verlassen die Gruppe, um alleine durch<br />
die Stille des Lagers zu laufen. Andere suchen die Gemeinschaft,<br />
weinen zusammen und tauschen sich aus. Nel<strong>ke</strong>n werden vorsichtig<br />
auf das Mahnmal gelegt, auf die Gleise und vor die Ruinen der<br />
Krematorien. Diese gemeinsamen Minuten, im grausamen Herz<br />
der Vernichtungspolitik, erzeugen bei den Teilnehmer*innen ganz<br />
unterschiedliche Reaktionen. Kalt aber lässt dieser Ort niemanden.<br />
Wie schon im Januar erleben auch die Teilnehmer*innen hier wieder,<br />
dass Auschwitz <strong>ke</strong>in Ort <strong>ist</strong>, um Antworten zu bekommen.<br />
Auschwitz <strong>ist</strong> ein Ort, aus dem wir Fragen mitnehmen, die wir uns<br />
und anderen stellen müssen:<br />
Wie hätte ich mich verhalten?<br />
Warum <strong>ist</strong> Auschwitz passiert?<br />
Vor allem aber: Wie verhalte ich mich heute?<br />
Frederik Düpmeier und Sebastian Bozada
Bei der Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz trafen wir<br />
Zeitzeugin Esther Bejarano. Esther wurde 1924 in Saarlouis<br />
geboren und überlebte Auschwitz. Dort musste sie unter<br />
anderem für neu angekommene deportierte Menschen<br />
Musik spielen, die aus den Viehwaggons herausgetrieben<br />
und häufig direkt in die Gaskammern geführt wurden.<br />
Esther lebt heute in Hamburg, engagiert sich gegen<br />
Rechtsextremismus, kritisiert die europäische Asylpolitik<br />
und hat ein Album mit der Rapgruppe Microphone Mafia<br />
aufgenommen.<br />
FÜNF FRAGEN AN ESTHER BEJARANO<br />
Frage: Wenn du heute Nazi-Aufmärsche und<br />
Brandanschläge auf Flüchtlingsheime mitbekommst<br />
– wie <strong>ist</strong> das für dich?<br />
Esther: Das <strong>ist</strong> ja logisch, dass ich mich ganz schlecht fühle. Das<br />
<strong>ist</strong> schlimm, und zwar nicht nur für mich sondern auch für alle, die<br />
das Schreckliche [den Nationalsozialismus, Red.] durchgemacht<br />
haben. Ich kann es einfach nicht verstehen, dass heute immer<br />
noch so viele Nazis in Deutschland und auf der ganzen Welt herumlaufen.<br />
Und das unsere Regierung sehr, sehr wenig dagegen<br />
tut. Die [Nazis, Red.] können schon wieder so viele schreckliche<br />
Dinge tun. Wir haben die NSU und die Prozesse, und man sieht<br />
doch geradezu, dass das Ganze immer weiter herausgezögert<br />
wird, statt einen Schlussstrich zu ziehen. Ich bin sehr enttäuscht.<br />
Frage: Esther, hat deine Zeit in Auschwitz dein<br />
Verhältnis zur Musik verändert?<br />
Esther: Meine Liebe zur Musik hat sich überhaupt nicht geändert.<br />
Es gibt ja Menschen, die sagen: Nach Auschwitz kann man <strong>ke</strong>ine<br />
Musik mehr machen, <strong>ke</strong>ine Bilder mehr malen und <strong>ke</strong>ine Gedichte<br />
mehr schreiben. Das finde ich falsch! Genau das Gegenteil muss<br />
der Fall sein. Man muss sich doch ausdrüc<strong>ke</strong>n können, und ich<br />
mache das mit Musik. Ich bin sogar unter die Rapper gegangen.<br />
Microphone Mafia <strong>ist</strong> für mich eine besondere Gruppe, denn auf<br />
der Bühne sind wir drei Generationen und drei Religionen. Wir<br />
wollen Vorbild sein für alle Leute, die noch den<strong>ke</strong>n, dass man<br />
mit anderen Kulturen nichts anfangen kann. Wir jedenfalls sind<br />
Juden, Chr<strong>ist</strong>en und Moslems, und wir verstehen uns wunderbar<br />
miteinander.<br />
Frage: Woher hast du die Kraft, von deinen<br />
schlimmen Erlebnissen zu erzählen.<br />
Esther: Es <strong>ist</strong> ein Geben und ein Nehmen. Ich bekomme Kraft<br />
von denen, die mir zuhören wollen, die etwas lernen wollen und<br />
die sich für diese Materie interessieren. Ich sage immer: „Ihr seid<br />
nicht schuldig an dem, was damals geschah. Aber ihr macht euch<br />
schuldig, wenn ihr über diese Geschichte nichts wissen wollt.“<br />
Frage: Wie stehst du zu den späten Einsichten<br />
und Entschuldigungen in den Prozessen, die<br />
gegen die Täter geführt werden?<br />
Esther: Also, bis jetzt habe ich von diesen Prozessen nicht den<br />
Eindruck gehabt, dass die Täter sich entschuldigt haben. Dieser<br />
Mann in Lüneburg [Oskar Gröning, Red.] hat ja noch total<br />
die Sprache der Nazis benutzt. Er hat zwar gesagt, er fühle sich<br />
moralisch schuldig. Aber ich stehe auf dem Standpunkt, dass<br />
diese Menschen, die nach 1945 ohne ein schlechtes Gewissen<br />
unbehelligt leben konnten, unbedingt verurteilt werden müssen.<br />
Ich bin sehr dafür, dass sie, ob sie nun 80, 90 oder noch mehr<br />
Jahre in Frieden gelebt haben, jetzt endlich mal belangt werden<br />
müssen für das, was sie getan haben.<br />
Frage: Wie glaubst du, dass Erinnern und Geden<strong>ke</strong>n<br />
möglich <strong>ist</strong>, wenn es <strong>ke</strong>ine Zeitzeug*innen<br />
mehr gibt? Wie verhindern wir das Vergessen?<br />
Esther: Ein bisschen haben wir ja schon vorgearbeitet. Im Auschwitz-Komitee<br />
haben wir Geschichten geschrieben und Filme<br />
gemacht, aber natürlich kann das die Zeitzeugen nicht ersetzten.<br />
Aber ich wünsche mir, dass alle, die diese Geschichten hören,<br />
sie auch weitererzählen. Ich mer<strong>ke</strong> das immer wieder, dass junge<br />
Menschen zu mir kommen und mir sagen: „Esther, ich werde deine<br />
Geschichte weitererzählen!“ Und das <strong>ist</strong> für mich eine große<br />
Sache, ich freue mich wahnsinnig darüber.
40 JAHRE IYNF<br />
In den letzten Jahren hat IYNF jährlich<br />
einen neuen inhaltlichen Schwerpunkt<br />
gewählt. Nach dem “Year of Action for<br />
Change” (“Handeln für den Wandel”)<br />
in 2013 dem “Year of Urban Outdoors”<br />
(“Draußen sein in der Stadt”) in 2014 <strong>ist</strong><br />
„40 Years of Connecting and Inspiring“ („Austausch und Ansporn<br />
seit vierzig Jahren“) das Thema dieses Jahres.<br />
Der Grund für dieses Motto liegt auf der Hand, denn vor vierzig<br />
Jahren hat sich die erste Gruppe junger Naturfreund*innen mit<br />
dem Erwachsenenverband Naturfreunde Internationale (NFI)<br />
durchgesetzt. Nach zähen Verhandlungen hatten sie endlich<br />
Gelegenheit, eine eigenständige Teilgliederung gründen: Die<br />
Naturfreundejugend Internationale oder Young Naturefriends<br />
International (IYNF), wie sie bald genannt wurde.<br />
Dabei waren die ersten Jahre nicht einfach. Die Organisation<br />
lebte ihr Werte sehr strikt und war eng mit den sozial<strong>ist</strong>ischen<br />
Arbeiterbewegungen verknüpft. Zur Hochzeit des Kalten Krieges<br />
schienen das Leben im “Westen” auf der einen Seite, und das<br />
Leben und Bewerben des Sozialismus auf der anderen Seite schwer<br />
verknüpfbar. Gegen alle Widrig<strong>ke</strong>iten kämpfte IYNF hartnäckig<br />
für Menschenrechte, für demokratische Strukturen, Feminismus,<br />
Interkulturalität und nachhaltigen Tourismus. Obwohl sich die<br />
Ziele über die Jahre weiterentwic<strong>ke</strong>lt haben, hat IYNF die gesellschaftliche<br />
Entwicklung immer aktiv mitbegleitet.<br />
Nun also, vierzig Jahre später, wollen wir unter dem Motto “40<br />
Years of Connecting“ einen Rahmen für unsere Ideen und Taten<br />
schaffen, der unsere Le<strong>ist</strong>ungen und Erfahrungen seit 1975 mit<br />
einbezieht.<br />
Darum werden wir die Gelegenheit nutzen, mit verschiedenen<br />
Initiativen die Werte, Erfahrungsschätze und die Geschichte von<br />
IYNF unter aktuellen Bedingungen zu verstehen und zu nutzen.<br />
Neben den regelmäßigen Vernetzungstreffen hält das vierzigjährige<br />
Bestehen von IYNF zwei besondere Höhepunkt bereit: Eine<br />
Jubiläumsveranstaltung und eine Onlinesammlung der wichtigsten<br />
Momente in der Geschichte des Verbandes.<br />
Die Veranstaltung am 5. September in Prag wird mehrere Generationen<br />
von Naturfreund*innen zusammenbringen, um gemeinsam<br />
zu entdec<strong>ke</strong>n, woher die Bewegung kommt – und wohin sie<br />
schreiten wird. Mehr Informationen zur Jubiläumsfeier gibt es<br />
unter nfjd.de/iynf40y.<br />
Die Onlinesammlung wird die detaillierteste Chronik der IYNF, die<br />
je erschienen <strong>ist</strong> und voraussichtlich Ende des Jahres verfügbar<br />
sein. Dort werden die wichtigsten Ereignisse der Geschichte, die<br />
bedeutendsten Höhepunkte – und Niederschläge- und persönliche<br />
Anekdoten zusammengefasst werden. Nicht zu vergessen: Bilder<br />
aus 40 Jahren Verbandsgeschichte, inklusive 80s-Haarschnitten<br />
(ja, auch Deinem!).<br />
Wir laden alle Naturfreund*innen herzlich ein bei diesen und allen<br />
Veranstaltungen, die in diesem Jahr anstehen, dabei zu sein. Wenn<br />
du spannende Geschichten, Erfahrungen und Erinnerung mit IYNF<br />
hast, teile sie uns mit unter iynf@iynf.org.<br />
Berg Frei!
VON DRAUSSEN VOM<br />
WALDE KOMM ICH HER<br />
Sadhana Forest India<br />
Von meinem Auslandsjahr, in einer Freiwilligenkommune in Indien,<br />
die den hier vor Jahrzehnten alles überwuchernden Wald wiederaufforstet,<br />
sind jetzt schon 6 Monate rum. Die Zeit <strong>ist</strong> wie im<br />
Flug vergangen…<br />
Mit bestandenem Abitur in der Tasche wollte ich jetzt ganz anders<br />
leben: Nachhaltiger vor allem, näher an der Natur, näher an den<br />
Menschen und entschleunigt. Damit meine ich ein langsameres<br />
Leben, in dem ich mir mehr Zeit nehme für die wichtigen Dinge, zum<br />
Beispiel essen, schlafen, Beziehungen aufbauen und auf Technik zu<br />
verzichten. Ganz ohne natürlich auch nicht, denn diesen Reisebericht<br />
schreibe ich auf meinem Laptop. Doch in Sadhana Forest habe<br />
ich einen für mich guten Mittelweg gefunden. Doch erst mal zu mir<br />
und Sadhana, damit ihr wisst, wer ich bin und warum ich in diesen<br />
Ort verliebt bin. Ich bin Anna, 19 Jahre alt, komme aus Hannover und<br />
bin seit 4 Jahren aktiv bei der Naturfreundejugend. Manche <strong>ke</strong>nnen<br />
mich vielleicht von der Bundesebene, dem Fachbeirat Umwelt und<br />
Nachhaltig<strong>ke</strong>it oder vom Jugendbündnis Zukunftsenergie. Denn das<br />
<strong>ist</strong> ein zentrales Thema in meinem Leben: Nachhaltig<strong>ke</strong>it und vor<br />
allem nachhaltiges Leben und Arbeiten.<br />
Für mich war schon lange klar, dass es nach der Schule nach Indien<br />
gehen sollte. Indien hat mich mit seinem Facettenreichtum schon<br />
immer fasziniert! Und als ich von Sadhana Forest gelesen habe,<br />
und der Möglich<strong>ke</strong>it dort ein „Weltwärts“-Jahr (Förderprogramm<br />
des BMZ: weltwärts.de) zu machen, war für mich klar, dass ich<br />
dort hin will.
BELEUCHTET: UNTERWEGS<br />
Sadhana Forest <strong>ist</strong> eine Freiwilligen-Kommune im Süden Indiens,<br />
im Staat Tamil Nadu, die den tropischen, immergrünen Troc<strong>ke</strong>nlaubwald<br />
wieder aufforstet. Mindestens genauso wichtig wie<br />
der Wald <strong>ist</strong> aber auch unser gemeinschaftliches, friedliches<br />
und bewusstes Leben. In der Praxis heißt das: Solarstrom, ohne<br />
Wasser aus der Leitung, 100 % vegan, <strong>ke</strong>ine Kriegs- oder Wettkampfspiele,<br />
<strong>ke</strong>ine Drogen, unschooled und auf Gift-Economy-<br />
Basis. Ein ganz anderes Leben!<br />
Während den me<strong>ist</strong>en „vegan“ wahrscheinlich etwas sagt, sind<br />
die Begriffe „Unschooling“ und „Gift-Economy“ für viele wahrscheinlich<br />
neu, das waren sie für mich am Anfang auch. „Gift-<br />
Economy“ <strong>ist</strong> das Gegenmodell zu der im Moment vorherrschenden<br />
Tauschwirtschaft. Tauschwirtschaft heißt, dass eine Sache<br />
gegen eine andere Sache getauscht wird. Das Problem dabei <strong>ist</strong><br />
der Mehrwert, denn dabei gibt es immer einen Verlierer. Gift-<br />
Economy (engl.: „Schenk-Wirtschaft“) heißt, dass wenn ich von<br />
Dingen genug habe, diese anderen anbiete. Es wird <strong>ke</strong>ine Gegenle<strong>ist</strong>ung<br />
erwartet. Ich gebe, weil andere Bedarf haben und ich<br />
nicht. Wir leben das mit einem Umsonst-Laden, unserer Bibliothek<br />
und Workshops, die umsonst von verschiedenen Volontären<br />
angeboten werden.<br />
„Unschooling“ <strong>ist</strong> der kurze, von John Holt geprägte Name für<br />
natürliches, selbstgeleitetes, freies Lernen durch Erfahrung. Wie<br />
ihr euch vorstellen könnt, findet dieses nicht in der Schule statt.<br />
„Unschooling“ <strong>ist</strong> jedoch viel mehr als nur nicht zur Schule gehen<br />
und sich nicht von Kultusmin<strong>ist</strong>erien vorschreiben zu lassen, was<br />
man lernen muss! Es heißt viel mehr Kinder und Lernende jeden<br />
Alters zu respektieren und ihnen Autonomie zuzugestehen, zu<br />
lernen was, wann und wie sie wollen. Alle Kinder in Sadhana<br />
wachsen „unschooled“ auf und in unserem Projekt „Children’s<br />
Land“ können tamilische Kinder frei die Natur erkunden und auf<br />
eigene Faust und nach ihren Wünschen lernen.<br />
Ich arbeite seit über vier Monaten in Children’s Land, weshalb<br />
„Unschooling“ für mich zu einem wichtigen Thema in meinem<br />
Leben geworden <strong>ist</strong>. Ich habe viel mit dem Konzept gehadert und<br />
leider reicht der Platz in diesem Reisebericht in <strong>ke</strong>inster Weise aus,<br />
um zu erläutern, warum „Unschooling“ jetzt einer meiner neuen<br />
Werte geworden <strong>ist</strong>. Aber so viel sei gesagt: Es <strong>ist</strong> ein Thema, mit<br />
dem es sich zu beschäftigen lohnt! Wenn ich nicht gerade auf dem<br />
Gelände unseres Children‘s Land bin, verbringe ich viel Zeit mit den<br />
Sadhana-Kindern. Ich bin zu so etwas, wie unserer inoffiziellen<br />
Kommunen-Babysitterin geworden. Das genieße ich sehr! Wenn<br />
ich nicht gerade Wäsche mit der Hand wasche, neue Volontäre<br />
willkommen heiße oder Community-Meetings leite, findet man<br />
mich in meiner Hütte.<br />
Wir leben in Hütten aus Kasuarinenholz und mit Dächern aus Palmblättern,<br />
die mitten im Grünen stehen. Als Langzeitvolontärin habe<br />
ich meine eigene Hütte, um dort mal dem Trubel einer 100-köpfigen<br />
Kommune entkommen zu können. Manchmal werden die Menschen<br />
allen Alters und aus der ganzen Welt doch mal zu viel. Mein absoluter<br />
Lieblingsplatz <strong>ist</strong> dann meine Hängematte. Lange kommt das<br />
allerdings nicht vor, da in einer Kommune immer viel zu tun <strong>ist</strong>.<br />
Ich habe in Sadhana schon sehr viel gelernt. Permakultur, Wiederaufforstung,<br />
Wasserkonservierung, Unschooling und Gewaltfreie<br />
Kommunikation sind nur wenige Schlagwörter. Vor allem<br />
aber inspirieren mich die Menschen jeden Tag, Dinge anders zu<br />
den<strong>ke</strong>n und zu machen! Ich habe schon jetzt mehr Pläne für das<br />
nächste Jahr, als sich umsetzen lassen und tendenziell werden<br />
meine Ideen exponentiell mehr mit der Zeit.<br />
Sadhana Forest <strong>ist</strong> immer für Volontäre offen! Kommt also vorbei,<br />
wenn ihr in Indien seid! Alle Infos zum aktiv werden findet<br />
ihr auf Sadhanaforest.org.<br />
May the forest be with you!<br />
Anna-Lena Emmert
EIN RÜCKBLICK<br />
BUNDESKONFERENZ<br />
2015<br />
„Geden<strong>ke</strong>n, erinnern – und handeln“ unter diesem<br />
Motto stand Ende April die 10. Bundeskonferenz der Naturfreundejugend<br />
Deutschlands in Wiesbaden. Anlass hierzu war, dass sich<br />
2015 die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers<br />
Auschwitz als Symbol der Schoah, stellvertretend für viele andere<br />
Orte des Unrechts, zum siebzigsten Mal jährte.<br />
Als junge NaturFreunde sehen wir die Vergangenheit als Mahnung,<br />
aber auch als Teil unserer eigenen Geschichte. Wir hatten<br />
das Glück, dass Edith Erbrich, die als Kind nach Theresienstadt<br />
deportiert wurde, ihre Erinnerung mit uns Delegierten teilte. Ihre<br />
Geschichte hat uns alle tief berührt und wird uns helfen, die Gräueltaten<br />
der Nazis nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Mit<br />
dem anschließend verabschiedeten Positionspapier bekräftigten<br />
wir als Naturfreundejugend Deutschlands, dass wir die Erinnerung<br />
lebendig halten und wir unseren Beitrag le<strong>ist</strong>en werden,<br />
„dass Auschwitz nie wieder sei!“. Im Rahmen eines gemütlichen<br />
Erzählcafés mit dem NaturFreund Bruno Lampasiak hatten wir<br />
außerdem die Chance, Geschichten vom Widerstand und aus der<br />
Zeit nach Ende des Nazi-Regimes zu lauschen.<br />
Doch auch ein weiteres Thema hat 2015 leider an aktueller Brisanz<br />
gewonnen: Alleine bis zum April diese Jahres sollen im Mittelmeer<br />
mehr als 1700 Geflüchtete ertrun<strong>ke</strong>n sein – 30 Mal so<br />
viele wie im Vergleichszeitraum 2014 (Internationale Organisation<br />
für Migration). Ein Positionspapier hierzu mit Forderung zu<br />
einem Umden<strong>ke</strong>n in der momentanen Flüchtlingspolitik wurde<br />
von den Delegierten ausführlich diskutiert und mit einer großen<br />
Mehrheit verabschiedet. In den kommenden Jahren wollen wir uns<br />
als Naturfreundejugend stär<strong>ke</strong>r für Geflüchtete in Deutschland<br />
einsetzen. Wie Maßnahmen aussehen sollen, wurde im Rahmen<br />
eines Initiativantrages konkretisiert und verabschiedet.<br />
Neben aktuellen politischen Themen stand aber auch die Zukunft<br />
unseres Verbandes im Mittelpunkt der Konferenz: Die Bundeskonferenz<br />
hat eine neue Bundesleitung gewählt. Neue Bundesleiterin<br />
<strong>ist</strong> Clara Wengert (Landesverband Württemberg) und<br />
als Bundesleiter wurde Sascha Böhm (Landesverband Hessen)<br />
gewählt. Um den Fachbeirat Umwelt & Nachhaltig<strong>ke</strong>it wird sich<br />
fortan Fenja Wegner (Landesverband Hessen) kümmern, für den<br />
Fachbeirat Reisen & Sport wurde Malin Holtmann (Landesverband<br />
Bremen) gewählt und Finn Houska (Landesverband Niedersachsen)<br />
<strong>ist</strong> Fachbeiratsleiter für Demokratie & Mitbestimmung. Als<br />
weitere Mitglieder der Bundesleitung wurde außerdem Lyonel<br />
Frey-Schaaber (Landesverband Teutoburger Wald) und Jannis<br />
Pfendtner (Landesverband Brandenburg) gewählt.<br />
Viele Diskussionen und<br />
Ideen für mögliche neue<br />
Projekte wurden aber nicht<br />
nur im Plenum diskutiert,<br />
sondern auch abends bei<br />
köstlichen Getränk der<br />
badischen Cocktail-Bar<br />
weitergeführt.<br />
Rückblic<strong>ke</strong>nd war die Bundeskonferenz<br />
ein <strong>voll</strong>er Erfolg: Zum einen dadurch, dass insgesamt zehn Landesverbänden<br />
vertreten waren und viele konstruktive Diskussionen<br />
geführt werden konnten. Zum anderen <strong>ist</strong> es uns als Naturfreundejugend<br />
gelungen, uns zu wichtigen politischen Themen zu<br />
positionieren und inhaltliche Schwerpunkte für die kommenden<br />
zwei Jahre festzulegen. Ich bin gespannt auf die Umsetzung!<br />
Nina Bartz
FREISTIL<br />
FILMTIPP von Sebastian Bozada<br />
10 Milliarden – wie werden wir alle satt?<br />
Der Titel des Filmes „10 Milliarden – wie werden wir alle satt?“ <strong>ist</strong><br />
eigentlich selbsterklärend. Im Jahr 2050 werden voraussichtlich<br />
10.000.000.000 Menschen auf der Erde leben, und die müssen<br />
alle irgendwie ernährt werden. Was aber <strong>ist</strong> die richtige Methode<br />
– Massentierhaltung und Gen-Tech-Reis, Bio-Landwirtschaft oder<br />
Aquakultur?<br />
„Gute Frage“, dachte sich wohl Filmemacher Valentin Thurn, und<br />
machte sich auf den Weg zu Lebensmittelproduzent*innen um<br />
ihnen diese Frage zu stellen. Dabei bewegt sich der Film immer<br />
zwischen zwei grundsätzlichen Positionen. Auf der einen Seite die<br />
industrielle Landwirtschaft, die mit Düngemitteln, Gentechnik und<br />
gewaltigem Maschineneinsatz große Mengen von Lebensmitteln<br />
produzieren kann. Auf der anderen Seite die traditionellen Formen<br />
der Landwirtschaft, die zwar weniger produzieren, dafür aber auch<br />
unabhängiger von Ressourcen und Maschinen sind.<br />
Empfehlenswert <strong>ist</strong> der Film deshalb, weil er unvoreingenommen<br />
der Leitfrage nachgeht. Statt einzelne Methoden in der Landwirtschaft<br />
nach „gut“ und „schlecht“ zu trennen, werden Chancen und<br />
Risi<strong>ke</strong>n ruhig diskutiert.<br />
Womit wir auch beim Ton dieses Filmes wären: Ruhig beschreibt<br />
er sehr treffend diese kritische Weltreise durch das Spektrum der<br />
Landwirtschaft. Statt kurzen Schnitten und Weltuntergangsstimmung<br />
arbeitet der Film durchgängig mit ästhetischen Bildern und<br />
der ruhigen Stimme von Valentin Thurn, der alle Szenen moderiert.<br />
Und dafür nimmt er sich Zeit – knapp zwei Stunden dauert<br />
„10 Milliarden“.<br />
Ich empfehle, den Film in Gesellschaft von ein paar Mitstreiter*innen<br />
anzuschauen. Am besten funktioniert „10 Milliarden – wie werden<br />
wir alle satt?“ nämlich, wenn ihr jemanden habt, um die zahllosen<br />
Gedan<strong>ke</strong>nfäden aus dem Film im Gespräch weiterzuspinnen.<br />
WELTWEITE WELTSICHTEN<br />
Kurz und knapp: Ich über mich: Hallo, Ich bin<br />
Thomas aus Belgien, seit fünf Jahren „Naturfreund“ und<br />
aktiv bei den International Young Naturfriends (IYNF). Ich mag<br />
Berge, Sport im Freien, Jugendorganisationen im Allgemeinen und reise<br />
Name<br />
gerne. Darum den<strong>ke</strong> ich, dass die Naturfreunde-Bewegung ein guter Ort<br />
für mich <strong>ist</strong>, um meine Interessen zu leben – und mich kritisch mit ihnen<br />
auseinanderzusetzen. Ach so: Ansonsten versuche ich natürlich auch, die<br />
Welt ein kleines bisschen besser zu machen und mein Leben in <strong>voll</strong>en<br />
Zügen zu genießen.<br />
2) Was wünscht du dir für die Zukunft? Ich möchte, dass wir globale<br />
Probleme wie den Klimawandel, Armut, Hunger, Krieg und die ungleiche<br />
Verteilung von Chancen angehen werden. Mein größter Wunsch <strong>ist</strong> es,<br />
dass all diese Probleme irgendwann Geschichte sind!<br />
3) Wenn du die Macht hättest – was würdest du<br />
tun? Wenn ich die Macht hätte, würde ich ein universelles<br />
System für ein garantiertes Mindesteinkommen<br />
schaffen. Das würde bedeuten, dass alle Menschen auf der<br />
Welt genug Geld haben, um ihre Grundbedürfnisse zu stillen. Ich den<strong>ke</strong>,<br />
dies wäre der erste Schritt in eine Zukunft, in der sich alle Menschen von<br />
einem Finanzsystem befreien, dass bisher nur für Wettbewerb gesorgt und<br />
unsere Welt geteilt hat.<br />
4) Was macht dein Land besonders schön? Belgien <strong>ist</strong> ein sehr kleines<br />
Land. Hier gibt es <strong>ke</strong>ine großen Wälder oder Berge wie in Deutschland.<br />
Wenn ihr nach Belgien kommt, dann bitte nicht wegen der Natur, sondern<br />
um andere Menschen <strong>ke</strong>nnenzulernen. Weil Belgien so klein <strong>ist</strong> und von<br />
großen Staaten wie Frankreich, Deutschland und Großbritannien umgeben<br />
<strong>ist</strong>, sind wir hier den Austausch gewohnt. Ich bin der Meinung, dass<br />
wir hier in Belgien sehr offen für Besucher*innen und neue Erfahrungen<br />
sind – und das macht meine Heimat so schön!
ANSICHTSSACHE<br />
LACH DOCH MAL!<br />
Als das französische Satire-Magazin Charlie Hebdo zum wiederholten<br />
Male Anfang diesen Jahres eine Mohammedkarikatur veröffentlichte,<br />
fanden das einige strenggläubige Muslime nicht witzig.<br />
Damit <strong>ist</strong> das Ziel erreicht – denn Satire <strong>ist</strong> eine Übertreibung und<br />
Bloßstellung von Missständen der Gegenwart und soll durchaus<br />
verletzend sein. Nach einem Anschlag durch Al-Qaida-Anhänger<br />
gab es kaum einen, der nicht Charlie war, aber trotzdem wurde<br />
diskutiert, ob man Mohammed im Engeren, (und) Gott und Religionen<br />
im Allgemeinen verspotten dürfe.<br />
Um eines vorweg zu nehmen: Ein im Koran veran<strong>ke</strong>rtes Abbildungsverbot<br />
für Mohammed gibt es nicht. Darauf haben sich muslimische<br />
Gelehrte erst viel später geeinigt. Und warum soll sich ein<br />
nicht muslimischer Mensch daran halten müssen?<br />
Darf man nun religiöse Gefühle verletzen oder sollte man respekt<strong>voll</strong>er<br />
miteinander umgehen?<br />
Nach Kurt Tucholsky, einem Schriftsteller aus den 1920er Jahren,<br />
darf Satire alles.<br />
Fragt man Papst Franziskus und andere religiöse Oberhäupter, dann<br />
darf man Religionen nicht lächerlich machen. Der Papst persönlich<br />
sagt, er würde denjenigen schlagen, der seine Mutter beleidigt. Da<br />
hat sich aber jemand schlecht im Griff, finde ich. Meine Mutter<br />
darf auch niemand beleidigen, schlagen werde ich die Person aber<br />
trotzdem nicht.<br />
Wenn einer ein Bild in einer Zeitung malt, dass dem anderen nicht<br />
gefällt, dann darf dieser das Bild auch kritisieren. Das eine <strong>ist</strong> für<br />
mich Presse-, das andere Meinungsfreiheit und über Geschmack<br />
kann man bekanntlich streiten.<br />
Einzelne junge Gewalttäter gibt es immer, ob sie nun „Dschihad<strong>ist</strong>en“<br />
sind, Amokläufer oder sich eben NSU nennen. Natürlich <strong>ist</strong><br />
jeder, der durch ihre Hand gestorben <strong>ist</strong>, einer zu viel. Die Gesellschaft<br />
muss es schaffen, dass diese Menschen, bevor sie sich radikalisieren,<br />
aufgefangen und eingebunden werden, aber die Gesellschaft<br />
und vor allem die Presse darf sich von einigen wenigen nicht<br />
einschüchtern lassen.<br />
In allen anderen Fällen sieht es aber so aus: Muslime, Chr<strong>ist</strong>en,<br />
Juden, Athe<strong>ist</strong>en und Agnosti<strong>ke</strong>r* leben friedlich zusammen. Dazu<br />
gehört auch, dass der eine den anderen aufs Korn nimmt, welcher<br />
den Witz nicht verstanden hat und dann beleidigt <strong>ist</strong>. Aber wie<br />
unter Freunden verträgt man sich und zahlt es bei Gelegenheit<br />
heim, schließlich haben uns all unsere Mütter beigebracht, dass<br />
Sich-gegenseitig-die-Köpfe-einschlagen zu nichts führt.<br />
Kurt Tucholski sagte einmal folgendes: „Der Satiri<strong>ke</strong>r <strong>ist</strong> ein<br />
gekränkter Ideal<strong>ist</strong>: er will die Welt gut haben, sie <strong>ist</strong> schlecht,<br />
und nun rennt er gegen das Schlechte an.“ Das Satire-Magazin<br />
Charlie Hebdo kann man als solches verstehen. Es nimmt alle aufs<br />
Korn und macht nicht vor Religionen halt.<br />
Um ein Gegenbeispiel zu nennen: Der Judenwitz eines Nazis <strong>ist</strong><br />
nicht okay, weil er einseitig <strong>ist</strong> (und garantiert geschmacklos) und<br />
sich der Nazi sicher nie über das Chr<strong>ist</strong>entum (oder seine eigene<br />
Religion) lustig machen würde. Für mich endet die Meinungsfreiheit<br />
bei der Relativierung von Mord und Totschlag. Das <strong>ist</strong><br />
IMMER schlimm.<br />
Mein Schlusswort: Die besten Schwulenwitze erzählte mir ein<br />
Schwuler. Ich bin mir sicher, dass Muslime die besten Witze über<br />
ihre eigene Religion machen können und einen guten Sinn für<br />
Humor haben, der mehr in den Medien vertreten sein sollte. Aber<br />
wenn ich nicht gemeinsam mit ihnen lachen kann, dann lache<br />
ich eben ohne sie.<br />
Frau<strong>ke</strong> Gehrau<br />
* jemand, für den die Ex<strong>ist</strong>enz Gottes nicht abschließend geklärt <strong>ist</strong>
ANSCHTSSACHE<br />
WOHIN WOLLEN WIR REISEN?<br />
Ich besuche ein Theaterfestival in Berlin. Mit Tanz, Sprache und<br />
Musik behandeln drei junge Künstler*innen die zentrale Frage, wie<br />
weit man von zu Hause weg sein muss um sich wirklich frei zu<br />
fühlen, sich verwirklichen zu können. Denn für viele Menschen <strong>ist</strong><br />
das Reisen eng mit dem Gefühl von Freiheit und Unabhängig<strong>ke</strong>it<br />
verknüpft. Ein wichtiges Thema, auch für uns als Naturfreund*innen.<br />
Schließlich spielt das Reisen als Inbegriff von Freiheit eine große<br />
Rolle in der Geschichte der Naturfreunde. Ich sage nur: Berg frei!<br />
Auf dem Festival fielen die Antworten der Zuschauer zu dieser<br />
Frage sehr unterschiedlich aus. Von Entfernungen wie Berlin - Melbourne<br />
bis Berlin Steglitz - Berlin Kreuzberg war alles dabei. Und<br />
tatsächlich glaube ich, dass nicht allein der geografische Abstand<br />
ausschlaggebend <strong>ist</strong>. Viel relevanter <strong>ist</strong>, wie stark man sich auch<br />
gedanklich vom Alltag und den Gegebenheiten zu Hause entfernen<br />
kann. Nur wenn das gelingt kann Reisen mehr sein als ein bloßer<br />
Wechsel des Ortes.<br />
Dann kann es uns die Tür öffnen für neue Erfahrungen und Erlebnisse,<br />
und damit verbunden auch neuen Entdeckungen über die<br />
eigene Person oder den eigenen Lebensstil.<br />
Eine Chance unterschiedlichste Dinge auszuprobieren und sich<br />
auf Veränderungen einzulassen, die man dann vielleicht wieder<br />
mit zurück in den Alltag nimmt.<br />
Mit unseren Reisen und Freizeiten können wir als Naturfreundejugend<br />
jungen Menschen eine Plattform bieten um diese Freiheit zu<br />
finden, neue Erfahrungen zu sammeln und sich auszuprobieren. Sei<br />
es durch den Kontakt zu neuen Kulturen und anderen Menschen,<br />
das Austesten alternativer Ernährung, ökologischer Anreiseoptionen<br />
oder dem Entdec<strong>ke</strong>n und Erleben von Natur. Ich freue mich<br />
diesen Sommer mit euch zusammen auf diese Reisen zu gehen und<br />
neue Möglich<strong>ke</strong>iten im Rahmen des Projektes Zero Impact Camp<br />
zu entdec<strong>ke</strong>n und auszuprobieren.<br />
Lina Mombauer<br />
Lina Mombauer <strong>ist</strong> Projektreferentin<br />
in der Bundesgeschäftsstelle der<br />
Naturfreundejugend.<br />
WETTBEWERB<br />
text<br />
Wir suchen die nachhaltigste Jugendreise!<br />
So, jetzt <strong>ke</strong>nnst du Zero Impact Camps und weißt alles über nachhaltigen<br />
Spaß im Grünen. Jetzt b<strong>ist</strong> du am Zug! Wir wollen deinen nachhaltigen<br />
Reisebericht hören. Lade deinen Erfahrungsbericht mit einem<br />
Bild, einer Zeichnung oder einem Video unter www.zero-impactcamps.de/gewinne/-/<br />
hoch. Die Gewinner*innen werden anhand der<br />
Anzahl an Li<strong>ke</strong>s bestimmt, sowie in den beiden Sonderkategorien<br />
„kreativste Darstellung“ und „nachhaltigste Gruppenreise“.<br />
Einsendeschluß <strong>ist</strong> der 15. September 2015.<br />
Mehr Informationen unter www.zero-impact-camps.de