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Ausgabe 1/2015. Ein Heft über Flucht und Vertreibung.

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Die Jugendzeitung der Naturfreundejugend Deutschlands.<br />

Ausgabe 01/2015<br />

Ein Heft über Flucht und Vertreibung<br />

Bewegt:<br />

Zero Impact Camps<br />

Seite 16<br />

Beleuchtet:<br />

Fünf Fragen an<br />

Esther Bejarano Seite 20<br />

13<br />

Lach doch mal!<br />

Fre<strong>ist</strong>il:<br />

Seite 26


EDITORIAL<br />

Liebe Leserinnen<br />

und Leser,<br />

schließt einmal die Augen und stellt euch vor, wie es wäre, jede<br />

Nacht um das Leben fürchten zu müssen, wenn in der Ferne die<br />

Detonationen der Bomben zu hören sind. Wie es wäre, jeden<br />

Morgen zu hoffen, dass Freund*innen oder Verwandte nicht über<br />

Nacht abgeholt worden sind. Schule findet nicht regelmäßig statt.<br />

In den Läden gibt es, wenn sie offen haben, kaum noch etwas zu<br />

kaufen. Stellt euch vor, in Deutschland herrsche Krieg, Zerstörung,<br />

Unsicherheit, Willkür. Wenn es <strong>ke</strong>ine Aussicht auf Verbesserung<br />

gibt, was würdet ihr tun?<br />

<strong>Dieses</strong> Szenario <strong>ist</strong> erst 70 Jahre her. Wenn ihr bereits vor Schreck<br />

die Augen geöffnet habt, dann werdet euch bewusst, welches<br />

Glück ihr hattet, in das friedliche Europa des 21. Jahrhunderts<br />

hineingeboren zu sein. Aber bitte verschließt sie nicht vor den<br />

Menschen, denen dieser glückliche Zufall nicht zuteil wurde.<br />

Diese Menschen aus Syrien, Afghan<strong>ist</strong>an, Eritrea, dem Tschad -<br />

sie haben nicht Freunde und Verwandte hinter sich gelassen, sind<br />

nicht tausende Kilometer gewandert, haben auf dem Weg über<br />

das Mittelmeer nicht Mitmenschen ertrin<strong>ke</strong>n sehen, sie haben<br />

sich nicht auf den Weg in ein fremdes Land gemacht, dessen<br />

Sprache sie nicht sprechen und dessen Kultur sie nicht <strong>ke</strong>nnen,<br />

einfach nur weil sie ein Stück vom Kuchen des reichen Europas<br />

abhaben möchten, sondern weil sie schlichtweg in ihrem Heimatland<br />

<strong>ke</strong>ine Zukunft haben. Von solchen Menchen und ihren<br />

Geschichten berichten wir in diesem Heft und lassen auch die<br />

Hintergründe nicht außer Acht.<br />

In dem Bewusstsein, dass wir uns unsere Herkunft nicht aussuchen<br />

können, sollten wir, von Humanität geleitet, die Menschen<br />

hier ankommen lassen und ihnen ein gutes Leben ermöglichen.<br />

Gehen wir auf diese Menschen zu und bieten Rassismus, Fremdenfeindlich<strong>ke</strong>it<br />

und Islamhass <strong>ke</strong>inen Raum in unserer Gesellschaft.<br />

Eure Redaktion wünscht euch viel Spaß beim Lesen.<br />

Eure Redaktion<br />

IMPRESSUM<br />

<strong>ke</strong>:<strong>onda</strong> – Die Jugendzeitung der Naturfreundejugend Deutschlands<br />

Herausgegeben durch das Kinder- und Jugendwerk der Naturfreunde, Verein<br />

zur Förderung der Naturfreundejugend Deutschlands e.V., Adresse siehe unten<br />

Redaktionsanschrift und Verlag:<br />

Naturfreundejugend Deutschlands // // Warschauer Str. 59a // 10243 Berlin<br />

Telefon 030 - 29 77 32 70 // Telefax 030 - 29 77 32 80<br />

<strong>ke</strong><strong>onda</strong>@naturfreundejugend.de // www.<strong>ke</strong><strong>onda</strong>.de<br />

Fotos: Titel: Titel: Noborder Network / www.flickr.com/photos/noborder/2428633887<br />

/ CC BY 2.0 // S. 3, 4: soft.train (pc) // S. 5, 7: Pro Asyl // S. 6: Martin L<strong>ist</strong> / NFJ Sachsen<br />

// S. 2, 3, 8, 13 15, 16, 18, 19, 20, 24, 27: Sebastian Bozada / NFJD // S. 9: Luminis<br />

(fo) // S. 10: NFJ Ortsgruppe Frankfurt/Main // S. 11: MURPHY73 (pc) //<br />

S. 12: Frederic Bozada // S. 14: NFJD // S. 14, 27: klikk, vadiko, Alan Earley (fo);<br />

Chr<strong>ist</strong>ian Deppermann / NFJ Teutoburger Wald// S. 15: DeVice, Jérôme Rommé (fo) //<br />

S. 16, 17, 27: Kathi Ric<strong>ke</strong>nbach // S. 18, 21, 25: IYNF // S. 22, 23: Anna-Lena Emmert;<br />

photallery (fo) // S. 25: julien tromeu, Eray Haciosmanoglu (fo) // S. 26: kallejipp (pc)<br />

pc: photocase.com / fo: fotolia.com / f: flickr<br />

Mitglieder der Naturfreundejugend Deutschlands erhalten [<strong>ke</strong>:<strong>onda</strong>] kostenlos.<br />

[<strong>ke</strong>:<strong>onda</strong>] kann auch als Abo für 5 € pro Jahr inkl. Versandkosten bestellt werden.<br />

Gestaltung: DIE.PROJEKTOREN – agentur für gestaltung und präsentation<br />

Druck: DCM Druck Center Mec<strong>ke</strong>nheim GmbH<br />

Redaktion: Nina Bartz, Frau<strong>ke</strong> Gehrau, Ilona Frank, Lina Mombauer, Sebastian Bozada,<br />

Tobias Thiele (V.i.S.d.P.)<br />

© Naturfreundejugend Deutschlands 2015<br />

Gefördert aus Mitteln des Kinder- und Jugendplanes des Bundes


ZUR SACHE<br />

TITELTHEMA: Flucht & Vertreibung ................................................................... 04<br />

Fluchtwege ................................................................................................................ 05<br />

„Say it loud say it clear / refugees are welcome here“ ...................................... 06<br />

Fluchtgründe ..............................................................................................................07<br />

Interview: „Wir möchten nur mit unserem Leben weitermachen“ .................. 08<br />

Kumpel gesucht ........................................................................................................ 10<br />

Wenn ge<strong>ist</strong>ige Brandstifter echte Feuer legen .....................................................11<br />

RON: Post von RON ................................................................................................. 12<br />

Ein Bild sagt mehr als lange Textblöc<strong>ke</strong>!.............................................................. 13<br />

BEWEGT: Arbeit auf Bundesebene ....................................................................... 14<br />

Viel. Entfalten. / Heldin der Arbeit ........................................................................ 15<br />

Zero Impact Camps .................................................................................................. 16<br />

BELEUCHTET: Das Vermächtnis der Überlebenden ......................................... 18<br />

Fünf Fragen an Esther Bejarano ............................................................................. 20<br />

40 Jahre IYNF ............................................................................................................ 21<br />

Sadhana Forest India ............................................................................................... 22<br />

Bundeskonferenz 2015 ............................................................................................ 24<br />

FREISTIL: Filmtipp .................................................................................................. 25<br />

Weltweite Weltsichten ............................................................................................ 25<br />

ANSICHTSSACHE: Lach doch mal! ................................................................... 26<br />

Wohin wollen wir reisen? ........................................................................................ 27


TITELTHEMA: FLUCHT & VERTREIBUNG<br />

„Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern<br />

vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.“<br />

(Arti<strong>ke</strong>l 14 der UN-Menschenrechtserklärung)<br />

Immer mehr Menschen müssen fliehen. Weltweit sind momentan<br />

51,2 Millionen Menschen auf der Flucht vor Bürgerkrieg, Armut,<br />

politischer oder religiöser Verfolgung, um nur wenige Gründe zu<br />

nennen (Zahlen Sommer 2014). 86 % dieser Menschen suchen<br />

Schutz im eigenen Herkunftsland oder in Nachbarstaaten. Nur ein<br />

Bruchteil der Flüchtlinge macht sich auf den langen und gefährlichen<br />

Weg in Richtung Europa oder Nordamerika. Auf der Flucht in<br />

ein neues Leben lassen die Menschen alles zurück, was sie besitzen.<br />

Nicht selten sind sie auf Fluchthelfer angewiesen, die sich ihren<br />

Dienst teuer bezahlen lassen und denen sie gnadenlos ausgeliefert<br />

sind. Seit 2000 sind über 23.000 Menschen an Europas Außengrenzen<br />

gestorben. Die me<strong>ist</strong>en von ihnen bei der Flucht über das<br />

Mittelmeer. Und die Methoden der Schlepper werden immer skrupelloser.<br />

Zuletzt erreichte uns im Januar 2015 die Nachricht von<br />

führungslosen und ausrangierten Frachtern, die mit Geflüchteten<br />

überfüllt auf Italiens Küsten zusteuerten.<br />

Die „legale“ Einreise bleibt den Geflüchteten me<strong>ist</strong> verwehrt, da<br />

ihre Visaanträge nicht genehmigt werden. So bleibt vielen nur die<br />

„illegale“ Einreise nach Deutschland oder in andere europäische<br />

Staaten. Diese wird aber durch die europäische Flüchtlingspolitik<br />

erschwert: Durch die Dublin III-Verordnung wird die Zuständig<strong>ke</strong>it<br />

für die Prüfung eines Asylantrages innerhalb der EU geregelt. So<br />

müssen Asylsuchende in dem Staat Antrag auf Asyl stellen, der als<br />

„sicherer Drittstaat“ anerkannt <strong>ist</strong> und wo sie erstmalig Kontakt mit<br />

europäischen Behörden haben. Alternativ droht die Abschiebung<br />

in das Heimatland. In der Regel sind dies Randstaaten wie zum<br />

Beispiel Italien, Griechenland und Ungarn. Diese Regelung macht<br />

es den Menschen unvergleichbar schwer zum Beispiel in Deutschland<br />

einen Antrag auf Asyl zu stellen, unabhängig davon, ob sie<br />

bereits Familie hier haben oder die Sprache sprechen. So bleibt<br />

vielen nur die „illegale“ Einreise nach Europa und die Beantragung<br />

von Asyl. In Deutschland wird dies jedoch durch die Europäische<br />

Flüchtlingspolitik erschwert. „Sichere Drittstaaten“ sind fast alle<br />

Länder der EU. Die Geflüchteten können in Deutschland also nur<br />

dann einen Asylantrag stellen, wenn sie nicht zuvor von Behörden<br />

anderer „sicherer Drittstaaten“ reg<strong>ist</strong>riert wurden.<br />

Trotz dieser erschwerten Bedingungen nimmt die Zahl der Asylsuchenden<br />

in Deutschland zu. So suchten 2013 110.000 Menschen<br />

in Deutschland Schutz. 2014 waren es bereits in der ersten Jahreshälfte<br />

65.000 Menschen. In dieser Zahl nicht mit inbegriffen, <strong>ist</strong> der<br />

Teil an Geflüchteten, die bereits schon an der Grenze abgefangen<br />

wurden, bevor sie einen Antrag auf Asyl überhaupt stellen konnten.<br />

Der größte Anteil der Asylsuchenden kommt zurzeit aus Syrien,<br />

gefolgt von verfolgten Roma aus Serbien (hier liegt die Schutzrate<br />

bei fast null, da Serbien seit 2014 ein anerkannter Drittstaat <strong>ist</strong>) und<br />

Menschen aus Afghan<strong>ist</strong>an. Viele der Geflüchteten sind traumatisiert,<br />

haben Gewalt auf der Flucht erfahren oder aber auch Teile<br />

ihrer Familie verloren. Nach Ankunft in Deutschland kommen sie<br />

zunächst in einer Erstaufnahmeeinrichtung unter. Danach erfolgt<br />

die regionale Zuweisung. Eine freie Wohnungswahl, beispielsweise<br />

um in der Nähe von Familie oder Freunden unterzukommen, <strong>ist</strong> nicht<br />

möglich. Auch die Arbeitserlaubnis <strong>ist</strong> eingeschränkt oder verboten.<br />

Die Prüfung der Asylanträge dauert in Deutschland durchschnittlich<br />

über 7 Monate. In dieser Zeit leben die Menschen me<strong>ist</strong> abgeschottet<br />

von der Gesellschaft in abgelegenen Lagern. Dies macht es ihnen<br />

unmöglich, Anschluss zu finden und medizinische und psychische<br />

Betreuung zu bekommen. Nur 13,5 % der Menschen, die versuchen<br />

einen Antrag in Deutschland zu stellen, werden angenommen (Zahlen<br />

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Die me<strong>ist</strong>en bekommen<br />

Ablehnungsbescheide oder werden aufgrund der Dublin-Verordnung<br />

abgeschoben. Einige werden weder abgeschoben, noch wird der<br />

Antrag gewährle<strong>ist</strong>et. Sie leben Jahrelang mit einer „Duldung“ in<br />

Deutschland. Das bedeutet, dass sie eigentlich abgeschoben werden<br />

sollten, dies aus verschiedenen Gründen jedoch nicht möglich <strong>ist</strong>. Es<br />

bleibt ein Leben mit der Angst vor Abschiebung.<br />

Nina Bartz, Ilona Frank


FLUCHTWEGE<br />

Obwohl wir viel von überfüllten Gummibooten <strong>voll</strong>er geflüchteter<br />

Menschen vor der italienischen Insel Lampedusa lesen, <strong>ist</strong><br />

dies längst nicht die einzige Route, um nach Europa zu gelangen.<br />

Je nach Jahreszeit, Stär<strong>ke</strong> der Kontrollen und natürlich<br />

Budget der Flüchtenden führen ganz unterschiedliche Wege<br />

nach Europa. Hier seht ihr eine Übersicht der aktuell wichtigsten<br />

Routen.<br />

Quelle: Pro Asyl


“Say it loud say it clear / refugees are welcome here!“<br />

Seitdem eine Gruppe von Menschen vor Weihnachten beschloss<br />

eine Demo unter dem Namen “Patriotische Europäer gegen die<br />

Islamisierung des Abendlandes” (PEGIDA) zu veranstalten, <strong>ist</strong> die<br />

Stadt in Aufruhr.<br />

Ich bemer<strong>ke</strong> es me<strong>ist</strong>ens schon am Vortag, oder auf dem Weg zur<br />

Arbeit am Polizeiaufgebot, das in der Stadt unterwegs <strong>ist</strong>. Und<br />

natürlich an den Nachrichten, die mich den ganzen Tag erreichen:<br />

“Kommst du heute zur Gegendemo?” “Wo wollen wir uns treffen?”.<br />

Sobald es am Montag langsam Abend wird, beginnen sich die Straßen<br />

zu füllen und eine leichte Spannung liegt in der Luft - zumindest<br />

wenn man sich auf nicht-offiziellen Demo-Routen befindet.<br />

Wenn ich von der Gegendemo zurück nach Hause laufe und mich<br />

wieder unter der Masse der Einkaufsstraßen-Bummler befinde,<br />

beginne ich die Menschen um mich herum zu beobachten. Wer<br />

davon könnte auf welcher Demo gewesen sein? Es <strong>ist</strong> natürlich<br />

unmöglich festzustellen, aber das unangenehme Gefühl, Minuten<br />

vorher hinter zwei verschiedenen Fronten gestanden und sich<br />

Parolen entgegen gerufen zu haben, werde ich einfach nicht los.<br />

Meine bisherigen Erlebnisse zu den (Gegen-)Demoveranstaltungen<br />

am Montag sind gemischt. Geschrieben klingt das negativer als es<br />

<strong>ist</strong>. Doch leider kann ich das Verhalten auf beiden Seiten nicht als<br />

immer konfliktlösend bezeichnen. Besonders bezeichnend war für<br />

mich das Erlebnis eines Montags im Januar, an dem ich zufällig in<br />

eine Gruppe Leute auf der Prager Straße geriet, welche letztendlich<br />

damit begann PEGIDA-Demonstranten niederzuschreien.<br />

“PE-GI-DA Rass<strong>ist</strong>enpack / Wir haben Euch zum Kotzen satt!”, “Ihr<br />

habt den Krieg verloren“ und “Alle wollen dasselbe / Nazis in die<br />

Elbe” brüllte die Menge, in der ich stand in Richtung Polizeiautos.<br />

Ab und an winkten uns die PEGIDA-Teilnehmer dahinter zu.<br />

So sehr mich die Aussagen von PEGIDA und die schier endlose<br />

Masse an Menschen, die dem hinterherlaufen schockierten, genauso<br />

beschämte mich dieses Verhalten der Gegendemo, in der ich mich<br />

befand.<br />

Die Kundgebungen, welche unter anderem von “Dresden für alle”<br />

organisiert vor dem Rathaus und auf dem Theaterplatz stattfanden,<br />

habe ich hingegen besonders schön in Erinnerung!<br />

Jedes Mal, wenn ich diese Veranstaltungen betrat, war ich fasziniert<br />

von der Wärme und dem Frohsinn, die mir entgegenströmten!<br />

Fremde Leute schenkten heimlich Glühwein aus und tanzten.<br />

Beim laufen durch die Menge wurde mir eine Regenbogenfahne<br />

angesteckt und auf einer mobilen Bühne spielte eine Band Musik<br />

aus dem Balkan. Dazwischen hielten eingeladene Vertreter der<br />

Stadt, der Kirche oder von Hochschulen und Universitäten kurze<br />

Reden, um zu verdeutlichen, dass die Werte Toleranz und Vielfalt<br />

unzertrennlich mit Dresden verbunden sind. Auch hier riefen die<br />

Menschen oft Parolen, in die ich jedoch gerne mit einstimme, da<br />

sie friedliche Aussagen transportierten.<br />

“Say it loud say it clear / refugees are welcome here!“<br />

Große Freude bereitete es mir ebenfalls, die Kreativität der anwesenden<br />

Leute zu beobachten, wenn ich umherwanderte. Einmal<br />

lief eine Frau vor mir, mit einem Hund und einer Ziege an der<br />

Leine. Oder an einer Ec<strong>ke</strong>, stand ein “Interkulturelles Sofa”. Auch<br />

die Sprüche auf Plakaten waren originell gestaltet und viele trugen<br />

bunte Warnwesten. Diese sind ein Symbol der Gegenbewegung<br />

geworden, nachdem eines Montags dazu aufgerufen wurde, die<br />

Straßen, welche durch die Demos verschmutzt wurden, sauber zu<br />

<strong>ke</strong>hren. Mittlerweile findet man diese Westen auch an Skulpturen<br />

vom Staatsschauspiel und baroc<strong>ke</strong>n Gebäuden wie der Glaskuppel<br />

der Hochschule für bildende Künste, was unterstreicht, dass es den<br />

Menschen von Dresden wichtig <strong>ist</strong>, ein Zeichen der Offenheit und<br />

Vielfalt an die Welt zu senden.<br />

Am Ende überlegte ich oft auf dem Nachhauseweg, wie Dresden<br />

ganz ohne solche Kundgebungen dastehen würde. Und dann<br />

bin ich froh, dass ich gemeinsam mit so vielen anderen ein Zeichen<br />

für Weltoffenheit und Toleranz setzen konnte. Aber ich bin auch<br />

etwas traurig, denn ich weiß, dass auf der Gegenseite neben den<br />

Radikalen auch viele Menschen liefen, mit deren Sorgen und Probleme<br />

sich nach wie vor niemand auseinandergesetzt hat.<br />

Martin L<strong>ist</strong>


TITELTHEMA: FLUCHT & VERTREIBUNG<br />

FLUCHT<br />

GRÜNDE<br />

Quelle: Pro Asyl<br />

-<br />

-<br />

-


INTERVIEW<br />

WIR MÖCHTEN EINFACH NUR MIT<br />

UNSEREM LEBEN WEITERMACHEN<br />

Seit 2011 tobt in Syrien ein unübersichtlicher Bürgerkrieg, dem seither mindestens 200.000 Menschen zum Opfer<br />

gefallen sind. Etwa ein Fünftel der Bevöl<strong>ke</strong>rung, also rund vier Millionen Menschen, verließ seit Ausbruch des<br />

Krieges das Land. Die me<strong>ist</strong>en flohen in die Nachbarländer Tür<strong>ke</strong>i, Libanon und Jordanien. Nur rund 220.000<br />

Menschen haben bisher Asyl in einem europäischen Land beantragt. Zwei von ihnen haben wir bei der Vernissage<br />

zur Ausstellung „Capture your life“ getroffen: Die Brüder Mohamed und Ahmed, beide aus der südsyrischen<br />

Stadt Daraa. Sie leben heute im Bundesland Schleswig-Holstein und erzählten uns im Gespräch von ihrer Flucht.<br />

Mohamed, Ahmed, ihr habt vor etwa einem Jahr<br />

eure Heimat verlassen. Könnt ihr mir erzählen,<br />

warum ihr das tun musstet?<br />

Mohamed: In Syrien können nur die Leute arbeiten und studieren,<br />

die eine gute Beziehung zur Regierung haben. Wenn dein Vater bei<br />

der Armee <strong>ist</strong> oder für die Regierung arbeitet, dann hast du <strong>ke</strong>ine<br />

Probleme. Alle anderen…<br />

Ahmed: Ich habe in Aleppo [zweitgrößte Stadt im Norden Syriens,<br />

Red.] studiert. Jedes Mal wenn ich von Daraa nach Aleppo gefahren<br />

bin, musste ich an unzähligen Checkpoints anhalten. Viele meiner<br />

Freunde wurden dort getötet, andere sind im Gefängnis gelandet.<br />

Mohamed: Heute <strong>ist</strong> es in Syrien so: Die Regierung schnappt sich<br />

alle jungen Männer und steckt sie in die Armee, und dann musst du<br />

mit ihnen kämpfen. Gegen Frauen und Kinder. Entweder du machst<br />

das, oder du musst mit Bestrafung rechnen. Mein Bruder und ich<br />

wollten das nicht tun, und darum sind wir geflüchtet.<br />

Ihr seid unabhängig voneinander geflohen. Was<br />

war der Grund dafür?<br />

Ahmed: Ich kam aus Aleppo in die Tür<strong>ke</strong>i, und von dort aus mit dem<br />

Schiff weiter nach Italien. Syrische Bürger brauchen <strong>ke</strong>in Visum,<br />

um in die Tür<strong>ke</strong>i einzureisen. Und ich hatte auch <strong>ke</strong>inen Reisepass,<br />

denn wenn du einen beantragen willst, stec<strong>ke</strong>n dich die Leute von<br />

der Regierung sofort ins Militär. Ich war etwa zehn Tage unterwegs.<br />

Mein Bruder war in Daraa und ging zuerst nach Jordanien …<br />

Mohamed: … und von Jordanien weiter nach Algerien, Libyen,<br />

Tunesien, und dann über das Meer nach Italien. Das hat etwa zwölf<br />

Tage gedauert.<br />

Habt ihr Kontakt zu eurer Familie?<br />

Mohamed: Ja. Einige leben in Jordanien, andere noch immer in<br />

Syrien.


TITELTHEMA: FLUCHT UND VERTREIBUNG<br />

Hat eure Familie schon euren Kurzfilm gesehen,<br />

den ihr für „Capture your life“ produziert habt?<br />

Mohamed: Nein, noch nicht. Aber wird schic<strong>ke</strong>n ihnen den Film<br />

noch, und werden ihn auch unseren Freunden in Syrien zeigen. Wir<br />

stellen ihn ins Internet, damit andere Menschen sehen, dass aus<br />

Syrien nicht nur schlechte Menschen kommen. Und wieso sollen die<br />

auch das Land verlassen? Die schlechten Menschen bleiben doch<br />

und kämpfen. Wir sind aus Syrien hierher geflohen, weil wir hier<br />

sicher sind. Wir sind <strong>ke</strong>ine schlechten Menschen, aber manche hier<br />

haben ein falsches Bild von uns und anderen Menschen aus Syrien.<br />

Ihr seid beide zur gleichen Zeit aus verschiedenen<br />

Richtungen nach Mailand gekommen, ohne<br />

voneinander zu wissen. Warum habt ihr euch<br />

gerade in dieser Stadt getroffen?<br />

Mohamed: Italien <strong>ist</strong> von Nordafrika aus gesehen das naheste sichere<br />

Land. Und wenn du in Italien b<strong>ist</strong>, musst du dich bis nach Mailand<br />

vorarbeiten, denn von dort kommst du weiter. Schweden, Dänemark,<br />

Holland, Deutschland – wohin du es schaffst, hängt im Endeffekt nur<br />

davon ab, wie viel Geld du hast. Wer <strong>ke</strong>in Geld hat, bleibt in Italien.<br />

Und viele kommen gar nicht so weit, sondern sterben im Mittelmeer.<br />

Ahmed: Ein Freund von uns war im <strong>Boot</strong> mit 700 anderen Menschen<br />

von Libyen nach Italien. 50 davon sind gestorben – Männer,<br />

Frauen und Kinder.<br />

War Deutschland das Ziel eurer Reise? Oder wolltet<br />

ihr nur irgendwie aus Syrien wegkommen?<br />

Mohamed: Natürlich war das erste Ziel, raus aus Syrien zu kommen.<br />

Aber von Sardinien aus waren es nur zwei Tage nach Mailand,<br />

also bin ich dorthin weitergefahren. Dort traf ich meinen Bruder …<br />

Ahmed: Ich hatte <strong>ke</strong>ine Ahnung, dass er nach Mailand kommen<br />

würde. Plötzlich stand er da vor mir.<br />

Mohamed: … und wir berieten uns, was der beste Weg für unsere<br />

Weiterreise wäre, wo wir die me<strong>ist</strong>en Chancen hätten, um unser<br />

Studium im Ingenieurswesen beenden können.<br />

Könnt ihr in Deutschland studieren?<br />

Mohamed: Nein, leider nicht. Wir suchen eine Uni für uns, aber<br />

niemand kann uns nehmen, weil wir <strong>ke</strong>ine Aufenthaltsgenehmigung<br />

haben. Jetzt müssen wir noch ein paar Termine abwarten und<br />

bekommen dann hoffentlich die notwendigen Papiere. Im Moment<br />

warten wir auf unser zweites Gespräch [bei der Ausländerbehörde,<br />

Red.]. Wir haben versucht, dort anzurufen, aber niemand hatte Zeit<br />

für uns oder konnte uns weiterhelfen.<br />

Ahmed: Ein paar Freunde von uns kamen nach uns nach Deutschland<br />

und haben ihre Aufenthaltspapiere schon bekommen. Keine<br />

Ahnung, wie das funktionieren kann oder was der Grund dafür <strong>ist</strong>.<br />

Aber so <strong>ist</strong> es wohl…<br />

Wie habt ihr das Asylverfahren erlebt?<br />

Ahmed: Bei allem <strong>ist</strong> Glück mit im Spiel. Du kannst zweimal, dreimal,<br />

hundertmal beim Amt nach deinen Papieren fragen und du<br />

bekommst <strong>ke</strong>ine Antwort. Ob du eine Auskunft bekommst, hängt<br />

nur davon ab, wie viel Glück du hast.<br />

Und hattest du Glück?<br />

Ahmed: Ich? Mmmh, nein, eher nicht. Ich bin jetzt seit fünf Monaten<br />

hier und habe noch <strong>ke</strong>ine Papiere bekommen. Meine Familie<br />

fehlt mir auch.<br />

Wie war es für euch, in Deutschland anzukommen?<br />

Welche Reaktionen habt ihr erlebt?<br />

Mohamed: Viele Menschen haben uns geholfen und behandeln<br />

uns wie ihre eigenen Kinder. Ein paar nette Deutsche besuchen uns<br />

regelmäßig und geben uns zweimal jede Woche Deutschunterricht.<br />

Aber manchmal den<strong>ke</strong> ich über meine Zukunft nach. Wir können<br />

nicht zur Schule gehen, nicht arbeiten, nichts – nur warten. Das<br />

<strong>ist</strong>, was wir machen. Abwarten. Das Wetter <strong>ist</strong> auch ziemlich kalt.<br />

Aber viele Menschen helfen uns, das <strong>ist</strong> sehr schön.<br />

Welche Erfahrungen habt ihr gemacht, wenn<br />

ihr anderen Leuten erzählt, dass ihr aus Syrien<br />

kommt?<br />

Ahmed: Gute und schlechte Erfahrungen. Manche interessieren<br />

sich für uns und unser Leben und den Krieg. Aber es gibt auch<br />

eine Menge anderer Menschen, die glauben, dass alle aus Syrien<br />

schlechtes im Sinn haben.<br />

Mohamed: Aber wir kamen nicht hierher, um zu kämpfen. Wir<br />

wollen nur unser Leben weiterleben. Unser Land, unsere Zukunft<br />

– was wird daraus werden?<br />

Wie geht es jetzt weiter für euch?<br />

Ahmed: Wir hoffen, bald unsere Papiere zu bekommen. Ich hoffe,<br />

bald meine Frau nach Deutschland holen zu können. Wir möchten<br />

einfach nur mit unserem Leben weitermachen. Das Leben <strong>ist</strong> für<br />

meinen Bruder und mich und unsere Familie und eigentlich für alle<br />

Menschen in Syrien stehengeblieben. Denn wir haben nichts. Wir<br />

wollen doch nur unser Studium abschließen, lernen und arbeiten.<br />

So wie andere Menschen auch.<br />

Alles Gute euch beiden, und vielen Dank für das<br />

Gespräch.<br />

Das Interview führte Sebastian Bozada<br />

Seht hier Mohamed und Ahmeds Kurzfilm „Ein unerwartetes Wiedersehen“:<br />

http://capture-your-life.net/node/172


TITELTHEMA: FLUCHT & VERTREIBUNG<br />

KUMPEL GESUCHT<br />

Aner<strong>ke</strong>nnung und Solidarität für Geflüchtete darf nicht erst beginnen, wenn die deutsche und europäische<br />

Asylpolitik endlich im Interesse von Menschen handelt, die aus verschiedenen Gründen ihre Heimat verlassen<br />

müssen. Darum arbeitet die Naturfreundejugend Frankfurt am Main seit geraumer Zeit mit geflüchteten<br />

Menschen zusammen, um gemeinsam eine Perspektive für das Leben in der neuen Heimat zu gestalten. Ein<br />

Erfahrungsbericht. [Anmerkung: Die Namen der Betroffenen wurden auf eigenen Wunsch geändert]<br />

„An Donnerstagen <strong>ist</strong> immer Urlaub“, sagt Amaniel. Wir grinsen.<br />

Das sagt er jeden Donnerstag. Und jeden Donnerstag treffen wir<br />

uns hier im Naturfreundehaus Niederrad, um den Abend gemeinsam<br />

zu gestalten.<br />

Begonnen hat das alles damals beim Apfelfest der Ortsgruppe Frankfurt.<br />

Wir luden die Gruppe Geflüchteter ein, die dieser Tage direkt<br />

gegenüber untergebracht wurden. Beim Klettern, Slacklinen, Apfelsaftpressen<br />

und Waffelschlemmen freundeten wir uns schnell an.<br />

Seitdem treffen wir uns wöchentlich.<br />

Gegenseitig verköstigten wir uns schon oft mit unseren kulturellen<br />

Spezialitäten und zeigten uns traditionelle Tänze. Wir sammelten<br />

auch warme Kleidung für die Wintermonate und aus gegebenem<br />

Anlass Babysachen. Diverse Aktivitäten wie Volleyballspielen und<br />

Tischkic<strong>ke</strong>rn kamen gut an. Besonders behaglich war der Abend am<br />

Lagerfeuer mit Stockbrot. In der Weihnachtszeit backten wir Plätzchen.<br />

Nebenbei versuchen wir stets so viel Deutsch wie möglich zu<br />

sprechen. Manchmal kommen auch Leute, die uns die Sprachbarrieren<br />

erleichtern können. Mit deren Übersetzungshilfe sind dann sehr viel<br />

tiefgründigere Gespräche möglich.<br />

Letztens legten wir Steckbriefe an, um herauszufinden, was die Leute<br />

besonders interessiert und wie wir sie dabei unterstützen können.<br />

Da <strong>ist</strong> Ramsan, der Schreiner <strong>ist</strong> und gerne wieder in seinem Beruf<br />

arbeiten möchte. Omar hat ein abgeschlossenes Wirtschaftsstudium<br />

und möchte gerne noch den Master drauf setzen. Tafari <strong>ist</strong> ein<br />

wunderbarer Musi<strong>ke</strong>r, der gerne wieder mit seiner Gitarre in einer<br />

Band spielen möchte – wie damals in Eritrea. Einen Wunsch haben<br />

sie alle gemein: Sie fragen nach Freund*innen zum gemeinsamen<br />

Zeitvertreib. Wir versuchen nun ein paar Kontakte zu knüpfen, zum<br />

Beispiel durch einen Facebook-Post:<br />

MITMACHEN & UNTERSTÜTZEN<br />

Es wurde öfter schon mal nachgefragt, wie Geflüchtete unterstützt<br />

werden können. Was bei uns gebraucht wird, sind Leute, die Lust haben,<br />

was Schönes zu unternehmen und sich zu vernetzen. Die eine*n mal<br />

mitnehmen ins Kino, Museum, Schwimmbad oder zum Fußballspielen.<br />

Gemeinsames Sportmachen, Kochen und Musizieren, aber auch<br />

Deutschunterricht sind gefragt. Um die Gruppe erst mal <strong>ke</strong>nnen zu<br />

lernen, kannst du auch gerne bei unseren wöchentlichen Treffen in<br />

Niederrad vorbeischauen.<br />

Melde dich doch bei uns, wenn du Interesse hast, dann stellen wir<br />

gerne den Kontakt her.<br />

Naturfreundejugend Frankfurt // Am Poloplatz 15<br />

60528 Frankfurt // info@naturfreundejugend-ffm.de<br />

Seit der Anzeige sprudelt das Postfach <strong>voll</strong>er positiver Rückmeldungen.<br />

Es <strong>ist</strong> wunderbar, wie viele Menschen sich interessiert zeigen<br />

und einbringen möchten. Vor allem nach der Medienüberflutung<br />

über Asyl-Gegner*innen gab es Beden<strong>ke</strong>n, wie die breite Meinung<br />

zu solchen Projekten aussehen würde. Umso größer <strong>ist</strong> die Überraschung,<br />

wie viel Unterstützung wir tatsächlich zugesprochen<br />

bekommen. Und es <strong>ist</strong> erstaunlich leicht. Durch eine Anfrage bei der<br />

Eissporthalle bekamen wir beispielsweise für die gesamte Gruppe<br />

Freikarten gestellt, sodass wir Schlittschuhlaufen gehen konnten.<br />

Dies war ein bereicherndes Erlebnis für alle Beteiligten, zumal die<br />

Geflüchteten niemals zuvor auf dem Eis standen. Die eher weniger<br />

eleganten Landungen auf allen Vieren sorgten für jede Menge<br />

Gelächter. Von Fremden wurden wir angesprochen und gefragt, was<br />

wir für eine Gruppe seien, woraufhin wir bege<strong>ist</strong>erten Zuspruch<br />

ernteten: „Naturfreundejugend heißt ihr? Das schaue ich zu Hause<br />

direkt mal nach und auch, wie ich euch unterstützen kann.“<br />

Wichtig für uns <strong>ist</strong>, dass unsere Treffen, wie alle Veranstaltungen<br />

der NFJF, gemeinsam von allen Teilnehmenden gestaltet und umgesetzt<br />

werden. Als Willkommensgruß steht das Projekt den Hürden<br />

entgegen, die den Geflüchteten zu oft in den Weg gelegt werden.<br />

Natufreundejugend Frankfurt am Main


WENN GEISTIGE BRANDSTIFTER<br />

ECHTE FEUER LEGEN<br />

Lübeck, Vorra, Limburgerhof, Tröglitz – in letzter Zeit gingen Unterkünfte<br />

für Asylbewerber*innen in Flammen auf. Im Kielwasser von<br />

Pegida und Co. scheinen sich die Angriffe wieder zu häufen. Ein<br />

Problem, dass nach den Erfahrungen der 1990er Jahre eigentlich<br />

überwunden schien. Ganz tief im kollektiven Gedächtnis hat sich<br />

ein Ereignis rund um das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen<br />

eingegraben.<br />

Im August 1992 sind die Krawalle in Lichtenhagen der traurige Zenit<br />

einer ganzen Reihe von rass<strong>ist</strong>ischen Übergriffen auf Migrant*innen<br />

und Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte. Vor dem Sonnenblumenhaus<br />

tobte der Mob, der den Ausländern die Schuld für die<br />

schlechte wirtschaftliche Lage in Mecklenburg-Vorpommern gab.<br />

Die Parallele zur aktuellen Situation <strong>ist</strong> deutlich – „besorgte Bürger“<br />

gingen Hand in Hand mit rass<strong>ist</strong>ischen Neonazis, die „Schuldige“<br />

für ihre prekäre Situation suchten und fanden. In Rostock stand die<br />

Polizei ratlos und unterbesetzt daneben, Kamerateams filmten den<br />

zunehmend gewaltbereiten Mob vor dem Sonnenblumenhaus, in<br />

dem vietnamesische Asylbewerber lebten. Tagelang gab es Angriffe<br />

mit Steinen und Molotow-Cocktails auf die Unterkunft. Nur mit<br />

Glück blieb dieser Anschlag ohne Todesopfer.<br />

Nur einen Monat später, im September 1992 brannte im sächsischen<br />

Hoyerswerda ein Wohnheim, in dem frühere DDR-Gastarbeiter<br />

untergebracht waren. Auch hier waren wieder hunderte Menschen<br />

auf der Straße, die das Gebäude mit Molotow-Cocktails angegriffen.<br />

In Folge der Pogrome in Rostock und Hoyerswerda wurden die<br />

betroffenen Menschen aus beiden Städten ausquartiert und an<br />

anderen Orten untergebracht. Ein fatales Signal, denn der tobende<br />

Mob hatte sein Ziel damit erreicht. Verurteilungen gab es in beiden<br />

Fällen nur vereinzelt. Die Strafen fielen gering aus, manche<br />

Verfahren zogen sich so lange hin, dass die Straftaten verjährten.<br />

Obwohl beide Übergriffe in den neuen Bundesländern waren, sind<br />

Brandanschläge <strong>ke</strong>in ostdeutsches Phänomen. Im November 1992<br />

verübten Neonazis in Mölln (Schleswig-Holstein) Brandanschläge<br />

auf zwei von türkischstämmigen Familien bewohnte Häuser. Drei<br />

Menschen starben, neun wurden zum Teil schwer verletzt. Im Mai<br />

1993 zündeten Neonazis in Solingen (NRW) das Haus einer Familie<br />

mit türkischem Hintergrund an. Dabei kamen fünf Menschen ums<br />

Leben, 14 Personen kämpfen zum Teil noch immer mit den Folgen.<br />

Angesichts dieser Ereignisse scheinen mir die aktuellen Ereignisse<br />

mehr als bedrohlich. Nachdem die Zahl der Anschläge auf Wohnheime<br />

nach 1992 langsam san<strong>ke</strong>n, <strong>ist</strong> sie in den letzten Jahren<br />

wieder stark gestiegen. Bis wir wieder Tote rass<strong>ist</strong>ischer Gewalt<br />

beklagen müssen, <strong>ist</strong> wohl nur eine Frage der Zeit. Damals wie<br />

heute manifestieren sich Abstiegsängste in der Bevöl<strong>ke</strong>rung aufgrund<br />

der schlechten Wirtschaftslage im Hass auf (vermeintlich)<br />

Fremde. Bundesweit gab es im Jahr 2014 153 Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte,<br />

davon allein 35 Brandanschläge.<br />

Woher aber kommt dieser Hass gegen Menschen, die vor Krieg,<br />

Hunger und Verfolgung flüchten? Nach den Erfahrungen des zweiten<br />

Weltkriegs wurde das Recht auf Asyl explizit in Arti<strong>ke</strong>l 16a des<br />

Grundgesetzes veran<strong>ke</strong>rt. Dabei spielte insbesondere die Erfahrung<br />

von Deutschen, die als politisch oder religiös Verfolgte vor den<br />

Nazis ins Ausland fliehen mussten, eine große Rolle. Asyl <strong>ist</strong> ein<br />

Grundrecht – und dennoch gehen Menschen zu hunderten auf die<br />

Straße, um gegen Flüchtlingsunterkünfte in Berlin-Hellersdorf,<br />

Ludwigshafen oder Freital zu demonstrieren.<br />

Willkommenskultur sieht anders aus. Auch eine Unterbringung<br />

in abgeschotteten Kasernen und ohne jegliche Möglich<strong>ke</strong>iten zur<br />

Integration in die Gesellschaft, sind nicht besonders hilfreich, um<br />

„besorgten Bürgern“ ihre irrationalen Ängste zu nehmen. Was wir<br />

brauchen, <strong>ist</strong> eine echte Willkommenskultur, einen vorurteilsfreien<br />

Umgang und vor allem die Bereitschaft, neue Mitmenschen in<br />

unsere Gesellschaft aufzunehmen.<br />

Jörg Weißgerber


POST VON RON<br />

2015


RON ERKLÄRT DIE WELT...<br />

EIN BILD<br />

SAGT MEHR<br />

ALS LANGE<br />

TEXTBLÖCKE!<br />

Der G7-Gipfel tagt im Bayerischen Elmau,<br />

im Rheinland werden Dörfer weggebaggert<br />

und wenn TTIP in Kraft tritt, haben wir den<br />

genmanipulierten Salat. Die logische Konsequenz<br />

für Naturfreund*innen und alle,<br />

die ihre Umwelt und Gesundheit nicht zum<br />

Wohle des Kapitals aufgeben möchten:<br />

„Wir machen Ernst - es wird demonstriert!“<br />

Und ernst geht es in der Tat zu. TTIP<br />

stoppen! G7 stoppen! Braunkohleabbau<br />

stoppen! Was für Befürworter*innen der<br />

Protestbewegung sinn<strong>voll</strong> und richtig<br />

erscheint, mag auf die fernsehgebildeten<br />

Maßen eher wie bunte Kolonnen<br />

von spaßfreien Spielverderber*innen<br />

wir<strong>ke</strong>n.<br />

Denn unglücklicherweise sind diejenigen,<br />

gegen den sich der Protest me<strong>ist</strong>ens richtet,<br />

bestens gewappnet für den medialen<br />

Schlagabtausch. Statt sperriger Forderungen<br />

gibt es klare Botschaften, hässliche<br />

Fakten werden mit schönen Bildern gekontert<br />

– und am Ende dreht sich die Berichterstattung<br />

sowieso nur wieder um die gleichen<br />

drei verlorenen Seelen, die am Rande<br />

der Demo eine Mülltonne in Brand stec<strong>ke</strong>n.<br />

Darum, liebe Leser*innen, möchte ich euch<br />

einen neuen alten Vorschlag machen:<br />

Macht es ihnen nach! Femen zum Beispiel<br />

<strong>ist</strong> ja nun nicht eben für lange Reden<br />

bekannt – <strong>ke</strong>nnen tut sie trotzdem jede*r.<br />

Die Damen haben nämlich die landläufige<br />

Bege<strong>ist</strong>erung (oder Abneigung) für weibliche<br />

Brüste erkannt und platzieren ihre<br />

Botschaft einfach dort, wo jede Kamera<br />

hinstarrt.<br />

Fordere ich euch auf, ab sofort nackt zu<br />

demonstrieren? Nein! Aber mein Vorschlag<br />

<strong>ist</strong>, die Medien genauso für euch zu nutzen,<br />

wie es die anderen schon seit langem tun.<br />

Seid kreativ! Braunkohle gegen Dörfer?<br />

Baut Häuser und Bäume aus Pappe – Dörfer<br />

gegen Braunkohle! Bieten den Kameras<br />

was zum Fressen an, überrascht mit neuen<br />

Bildern – und bleibt am Ball!<br />

Euer RON


BEWEGT: ARBEIT AUF BUNDESEBENE<br />

In welchen Bereichen auch DU tatkräftig mitwir<strong>ke</strong>n kannst<br />

30. September 2015 <strong>ist</strong><br />

Einsendeschluss!<br />

Sportfotos gesucht!<br />

Ihr wart im Sommer mit der Naturfreundejugend auf einer<br />

Kanufreizeit? Ihr klettert oder fahrt Ski mit den NaturFreunden?<br />

Dann schickt uns eure Bilder!<br />

Ob als Gruppe oder Einzelperson: Wir suchen euer Erlebnis mit der<br />

Naturfreundejugend! Schickt uns eure schönsten Fotos und mit ein<br />

bisschen Glück seid ihr dann im Naturfreundejugend-Kalender<br />

„Berg frei! 2016.<br />

nfjd.de/Fotowettbewerb<br />

Jetzt für den Kinderrat anmelden!<br />

Wie vor jedem Kindergipfel sucht die Naturfreundejugend einen Kinderrat,<br />

der sich ein paar Mal trifft, um den Kindergipfel 2016 mit<br />

vorzubereiten und uns zu beraten! Der Kinderrat besteht aus ungefähr<br />

12 Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 14 Jahren. Beim<br />

Kindergipfel 2016 wird sich alles um den vielfältigen Kontinent Afrika<br />

drehen!<br />

Na, neugierig geworden? Die Ausschreibung<br />

findest du unter: nfjd.de/kigi2016<br />

23. – 27.09.2015<br />

Planning Wee<strong>ke</strong>nd “INSPIRE THE FUTURE!”<br />

Beim Planning Wee<strong>ke</strong>nd von 23. bis 27. September kommen<br />

Teilnehmer*innen aus ganz Europa zusammen, die sich mit dem Werten<br />

der Naturfreundejugend Internationale (IYNF) identifizieren. Der<br />

Fokus dieses Treffens liegt auf der Planung von zukünftigen Aktivitäten.<br />

Gemeinsam entwic<strong>ke</strong>ln die Teilnehmer*innen Projekte und Kampagnen<br />

auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene, die in den folgenden<br />

Jahren umgesetzt werden sollen. Und weil die Naturfreundejugend Internationale<br />

2015 vierzig Jahre alt wird, gehört eine große Geburtstagsfeier<br />

mit zum Programm!<br />

nfjd.de/iynf40y<br />

JETZT IM SHOP: CAPTURE YOUR LIFE<br />

Das Interview mit Ahmed und Mohamed (S. 8) entstand im Projekt<br />

„Capture your life“ der Naturfreundejugend Deutschlands. Auf<br />

dieser DVD findet ihr den Film der beiden und noch zwanzig weitere<br />

persönliche, bewegende und überraschende Kurzgeschichten.<br />

nfjd.de/dstdvd


LESERBRIEFE<br />

Eure Meinung <strong>ist</strong> uns wichtig!<br />

Egal, ob ihr einen Kommentar<br />

zum Titelthema, Lob oder Kritik für<br />

die Redaktion oder was euch sonst gerade<br />

beschäftigt loswerden wollt.<br />

Schickt uns eure Leserbriefe!<br />

HELDIN<br />

DER ARBEIT<br />

<strong>ke</strong>:<strong>onda</strong> Redaktion<br />

c/o Naturfreundejugend<br />

Deutschlands<br />

Warschauer Str. 59 a<br />

10243 Berlin<br />

<strong>ke</strong><strong>onda</strong>@naturfreundejugend.de<br />

VIEL.<br />

ENTFALTEN.<br />

Wir sprechen alle von Inklusion, von Diversity und Gleichberechtigung<br />

– aber was bedeutet das eigentlich für unseren Alltag?<br />

Antworten auf diese Frage werden wir in unserem neuen Projekt<br />

„Viel.Entfalten.“ suchen.<br />

Die sogenannte Angst vor einer „durchmischten Gesellschaft“ <strong>ist</strong><br />

sicherlich <strong>ke</strong>ine neue, aber das tagespolitische Geschehen deutet<br />

darauf hin, dass menschenverachtende Ideologien wieder ungestraft<br />

zur Schau gestellt werden können. Seien es die Islamfeinde<br />

von Pegida, die „Besorgten Eltern“, die alles nicht-heterosexuelle<br />

aus den Schulen verbannen wollen, oder das ewige Gezerre um<br />

gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung –<br />

in allen Bereichen unseres Alltags gibt es lautstar<strong>ke</strong> Gegner eines<br />

bunten vielfältigen Lebens.<br />

Naturfreund*innen stellen sich den Ewiggestrigen entgegen. Denn<br />

uns geht es nicht weit genug, allen Menschen nur auf dem Papier<br />

die gleichen Chancen einzuräumen. Wir wollen auch, dass Vielfalt<br />

gelebt und entfaltet werden kann.<br />

Wollt ihr mehr über Viel.Entfalten. erfahren? Dann besucht unsere<br />

Projektseite unter<br />

nfjd.de/vielentfalten<br />

Wer b<strong>ist</strong> du, beschreibe dich in drei Sätzen.<br />

Ich klettere gerne auf Bäume, reise in der Welt rum und lerne<br />

mit neuen Menschen und ... kommt mich doch einfach besuchen<br />

und lernt mich persönlich <strong>ke</strong>nnen!<br />

Mit wem würdest du gerne einmal Frühstüc<strong>ke</strong>n und warum?<br />

Mit Fenja aus Hessen! Weil es mit ihr nie langweilig wird.<br />

Dein Rezept gegen Stress und zu viel Arbeit?<br />

Musik spielen. Und hören!<br />

Ohne was kannst du nicht leben?<br />

Freunde!<br />

Was willst du der Welt mit auf den Weg geben?<br />

Ich bin dafür, positiv zu den<strong>ke</strong>n, und das Leben so zu leben, so<br />

wie du es willst!<br />

Ver<strong>voll</strong>ständige den Satz: Für mich <strong>ist</strong> die NFJ wie...<br />

... eine große, herzliche Familie<br />

In welchem Geschäft würdest du deine Kreditkarte überziehen?<br />

Im Moment in einem Kletterladen.<br />

Ilona Frank, Naturfreundejugend Eberswalde


16<br />

DER (NACHHALTIGSTE) SOMMER DEINES LEBENS<br />

ZERO-IMPACT-CAMPS<br />

Im Sommer <strong>ist</strong> es wieder soweit –<br />

wir Naturfreund*innen machen uns auf den Weg zu unseren Freizeiten,<br />

Camps und Natursportaktivitäten. Mit unserem Projekt<br />

„Zero-Impact-Camps“ wollen wir euch dieses Jahr begleiten, um<br />

uns zusammen über das Thema Nachhaltig<strong>ke</strong>it auf Reisen auszutauschen.<br />

Wir wollen ausprobieren, wie wir noch ressourcenschonender<br />

und sozial fair unterwegs sein, und junge Menschen<br />

für das Thema bege<strong>ist</strong>ern können.<br />

Warum <strong>ist</strong> das Thema nachhaltiges Reisen relevant?<br />

• Etwa neun Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen<br />

entstehen im Tourismus<br />

• Immer mehr Leute übernachten in Hotels, die den Markt<br />

dominieren<br />

• Im Tourismus und seinem wirtschaftlichen Umfeld arbeiten<br />

weltweit etwa 240 Millionen Beschäftigte - etwa 50 % davon<br />

im informellen Sektor, ohne Arbeitsverträge und Arbeitsschutz<br />

• Der größte Teil der Urlaubsreisen erfolgt mit dem Auto, gefolgt<br />

vom Flugzeug. Bus und Bahn werden viel seltener genutzt.<br />

• Ein Golfplatz in einem tropischen Land wie Thailand benötigt<br />

jährlich genauso viel Wasser wie 60.000 ländliche<br />

Dorfbewohner*innen.<br />

Wie kann man nachhaltig unterwegs sein?<br />

Um das herauszufinden, suchen wir eure Ideen. Macht beispielsweise<br />

mit eurem gesamten Camp bei unserem Wettbewerb mit.<br />

Dafür müsst ihr eure Idee in mindestens fünf Zeilen – gerne untermalt<br />

mit Fotos, Filmen, Zeichnungen oder was euch sonst noch<br />

einfällt – bis spätestens zum 15.09.2015 auf www.zero-impactcamps.de<br />

vorstellen. Eurer Kreativität sind <strong>ke</strong>ine Grenzen gesetzt.<br />

Die Ideen mit den me<strong>ist</strong>en Li<strong>ke</strong>s gewinnen! Sonderpreise vergibt<br />

unsere Jury für die kreativste Darstellung und die nachhaltigste<br />

Gruppenreise!<br />

Wer sind eigentlich Jana<br />

und Basti?<br />

Jana und Basti gehen für uns auf Entdeckungstour<br />

und betrachten ihre jeweiligen<br />

Reisen. Dabei haben sie unterwegs so einiges<br />

erlebt, was es wert <strong>ist</strong> in einem Comic<br />

erzählt zu werden. Die Zeichnerin der Beiden<br />

<strong>ist</strong> übrigens Kati Ric<strong>ke</strong>nbach.<br />

Was passiert im Sommer?<br />

Wie bereits erwähnt, wollen wir mit euch zusammen auf Reisen<br />

gehen. Diesen Sommer besuchen wir euch deshalb auf euren Freizeiten<br />

und Aktivitäten. Gemeinsam wollen wir uns vor Ort mit<br />

verschiedenen Aktionen dem Thema nachhaltiges Reisen nähern.<br />

Über unsere Erlebnisse in den verschiedenen Landesverbänden<br />

werden wir euch auf www.zero-impact-camps.de stets auf dem<br />

Laufenden halten.<br />

Was gibt es für Teamer*innen?<br />

Die Methoden und Workshop-Ideen unserer Aktionstage findet ihr<br />

nach der Probephase im Internet und als Erweiterung in unserem<br />

Ordner „Reisen mit Respekt“. Gerne dürft ihr sie selber auf der<br />

nächsten Freizeit ausprobieren.<br />

Wie viel wiegt ein ökologischer Rucksack?<br />

Wollt ihr wissen, wie nachhaltig euer Camp <strong>ist</strong>? Wenn ja, könnt<br />

ihr unseren Rechner auf www.zero-impact-camps.de nutzen,<br />

den wir zusammen mit dem Wuppertaler-Institut entwic<strong>ke</strong>lt<br />

haben. Im Chat mit Jana erhaltet ihr dabei neben der Info zu<br />

eurem Materialverbrauch für Anreise, Unterkunft, Verpflegung<br />

und Freizeitprogramm auch zahlreiche Tipps.


BEWEGT<br />

TOLLE PREISE ZU GEWINNEN!<br />

Teile deine Idee und gewinne<br />

einen von 40 Preisen!<br />

1<br />

X Reise mit bis zu 9 Personen<br />

nach Dresden<br />

10 X Deuter-Rucksäc<strong>ke</strong><br />

ReiseProviant<br />

von Rapunzel<br />

3<br />

X Stefan Loose-<br />

Stefan Loose-<br />

Reiseführer<br />

5 X Ortlieb-<br />

Fahrradtaschen<br />

20 X Öko-faire<br />

T-Shirts


DAS VERMÄCHTNIS<br />

DER ÜBERLEBENDEN<br />

Zu Beginn dieses Jahres, an einem kalten, verschneiten Wintertag,<br />

trafen sich mehr als 50 Staatschefs und Regierungsvertreter*innen<br />

nahe der polnischen Kleinstadt „Oświęcim“, die die Deutschen<br />

Auschwitz nannten. Sie kamen, aber sprachen nicht. Sie waren<br />

gekommen, um zuzuhören. Sie lauschten den Erzählungen dreier<br />

älterer Menschen. Alle drei waren bereits über 80 Jahre alt. Drei<br />

Repräsentanten einer Gruppe von etwa 300 älteren Menschen.<br />

Alle etwa im selben Alter. Sie waren einmal mehr gewesen – viel<br />

mehr – und sie waren einmal jünger gewesen. Junge Menschen,<br />

sprudelnd vor Tatendrang.<br />

Was haben die älteren Menschen zu sagen? Warum haben sie<br />

es sich nicht bequem gemacht auf ihren Sofas? So, wie es ältere<br />

Menschen normalerweise eben tun?<br />

Sie sind in diese kalte, kahle, weiße Fläche gekommen, weil sie etwas<br />

zu sagen haben. Etwas, das ihnen wichtig <strong>ist</strong>. Im Hintergrund ragen<br />

Kamine aus dem Schneetreiben auf. Kamine vergangener Barac<strong>ke</strong>n.<br />

Bei angestrengtem Schauen werden immer mehr Kamine sichtbar.<br />

Endlose Reihen. Gespalten nur von den Bahngleisen. Den Bahngleisen<br />

in den Tod. Stacheldraht versperrt den Weg nach außen. Die<br />

älteren Menschen berichten von ihrem Leben in dieser unwirklichen<br />

Kulisse. Mit mehr als 100.000 Menschen haben sie hier gelebt. Sie<br />

waren Gefangene und wussten nicht warum. Man nahm ihnen ihren<br />

Namen und gab ihnen eine Nummer. Und wer eine Nummer bekam,<br />

konnte sich glücklich schätzen, denn eine Nummer bedeutete die<br />

Chance zu leben. Zu leben bedeutete zu arbeiten, hart zu arbeiten<br />

den ganzen Tag. Eingepfercht zu Hunderten. Mit Seuchen und<br />

Ratten und der ständigen Angst als nächstes denen zu folgen, die<br />

<strong>ke</strong>ine Nummern bekamen. Kann man das überhaupt Leben nennen?<br />

Es <strong>ist</strong> ihnen wichtig dies zu erzählen. Bald werden sie es nicht<br />

mehr erzählen können.<br />

Zeitgleich zu diesem Treffen, gab es ein weiteres Treffen, nicht weit<br />

entfernt. Ein Treffen junger Menschen, genauso sprudelnd vor Tatendrang,<br />

wie es die älteren Menschen einst gewesen waren. Sie kamen<br />

aus fünf Ländern und innerhalb dieser Länder aus mehr als 40 Organisationen.<br />

Nachfahren der Opfer und der Täter. Auch zu ihnen kam<br />

einer der dreihundert verbliebenen älteren Menschen. Sie hörten<br />

seine Botschaft, die von den Vielen erzählt, denen es nicht vergönnt<br />

war, diesen Tatendrang auszuleben. Den vielen Ideen, die zwischen<br />

1941 und 1945 mit den Menschenleben verloren gingen. Sie sahen<br />

die Zeichnungen der Kinder in den Barac<strong>ke</strong>n, die stummen Zeugen<br />

des Grauens. Sie erzählen auf ihre Weise von den Ängsten und von<br />

den Hoffnungen, von den Schmerzen und von den Freuden, die es<br />

auch unter den schlimmsten Bedingungen noch gab. Sie sind Zeugen


BELEUCHTET<br />

und der Täter: „Wir werden angehen gegen Diskriminierung und<br />

kämpfen gegen Vorurteile. Ausgrenzung werden wir nicht zulassen.“<br />

Auf dem Gesicht des älteren Mannes entsteht ein Lächeln.<br />

Schnellvorlauf in den Sommer. Ein halbes Jahr nach der Gedenkfeier zur<br />

Befreiung von Auschwitz stehen rund 1000 junge Erwachsene still am<br />

internationalen Mahnmal für die Opfer des Faschismus. Das Denkmal<br />

aus grob behauenen Steinen steht zwischen den Ruinen der Vernichtungsanlage<br />

in Auschwitz-Bir<strong>ke</strong>nau: Den Gaskammern und Krematorien,<br />

in denen Menschen systematisch und routiniert ermordet wurden.<br />

der Lebendig<strong>ke</strong>it und Menschlich<strong>ke</strong>it dieser Menschen, die trotz aller<br />

gegenteiliger Versuche nicht ausgelöscht werden konnten.<br />

Sie sehen die Haare und die Schuhe. Angehäuft als Zeugen eines<br />

schrecklichen Grauens. Haare, einst Teil schöner Frisuren, heute zum<br />

Teppich verarbeitet. Schuhe, die gemacht wurden, um die Menschen<br />

auf ihrem Lebensweg zu begleiten. Auf dem Weg zu ihren Zielen und<br />

Wünschen. Getragen haben sie sie auf dem Weg in die Gaskammer.<br />

Die jungen Menschen hören die Worte der Überlebenden und sie<br />

sehen die Beweise. Und sie fragen sich: „Wie konnte das geschehen?“<br />

Doch sie haben <strong>ke</strong>ine Antwort. Und sie bekommen auch <strong>ke</strong>ine<br />

Antwort. Aber sie wissen: Es konnte geschehen.<br />

Dann reift in ihnen ein Entschluss: Dass Auschwitz nie wieder sei!<br />

Und sie schwören sich gemeinsam, die Nachkommen der Opfer<br />

Ein breites Bündnis aus Jugendverbänden – darunter die Naturfreundejugend<br />

– hatte zur gemeinsamen Gedenkstättenfahrt nach<br />

Auschwitz aufgerufen. Gemeinsam besuchen sie die Orte des Verbrechens.<br />

Sie hören die Geschichten von getöteten und überlebenden<br />

Menschen und versuchen zu verstehen, wie der kollektive<br />

Zusammenbruch von Menschlich<strong>ke</strong>it passieren konnte, für den das<br />

Regime der Nationalsozial<strong>ist</strong>en steht.<br />

Das gemeinsame Schweigen vor dem Mahnmal im ehemaligen<br />

Lager Auschwitz-Bir<strong>ke</strong>nau <strong>ist</strong> der Fixpunkt der Gedenkstättenfahrt.<br />

Viele finden erst hier den Raum, das Erlebte und Gefühlte an sich<br />

heranzulassen. Manche verlassen die Gruppe, um alleine durch<br />

die Stille des Lagers zu laufen. Andere suchen die Gemeinschaft,<br />

weinen zusammen und tauschen sich aus. Nel<strong>ke</strong>n werden vorsichtig<br />

auf das Mahnmal gelegt, auf die Gleise und vor die Ruinen der<br />

Krematorien. Diese gemeinsamen Minuten, im grausamen Herz<br />

der Vernichtungspolitik, erzeugen bei den Teilnehmer*innen ganz<br />

unterschiedliche Reaktionen. Kalt aber lässt dieser Ort niemanden.<br />

Wie schon im Januar erleben auch die Teilnehmer*innen hier wieder,<br />

dass Auschwitz <strong>ke</strong>in Ort <strong>ist</strong>, um Antworten zu bekommen.<br />

Auschwitz <strong>ist</strong> ein Ort, aus dem wir Fragen mitnehmen, die wir uns<br />

und anderen stellen müssen:<br />

Wie hätte ich mich verhalten?<br />

Warum <strong>ist</strong> Auschwitz passiert?<br />

Vor allem aber: Wie verhalte ich mich heute?<br />

Frederik Düpmeier und Sebastian Bozada


Bei der Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz trafen wir<br />

Zeitzeugin Esther Bejarano. Esther wurde 1924 in Saarlouis<br />

geboren und überlebte Auschwitz. Dort musste sie unter<br />

anderem für neu angekommene deportierte Menschen<br />

Musik spielen, die aus den Viehwaggons herausgetrieben<br />

und häufig direkt in die Gaskammern geführt wurden.<br />

Esther lebt heute in Hamburg, engagiert sich gegen<br />

Rechtsextremismus, kritisiert die europäische Asylpolitik<br />

und hat ein Album mit der Rapgruppe Microphone Mafia<br />

aufgenommen.<br />

FÜNF FRAGEN AN ESTHER BEJARANO<br />

Frage: Wenn du heute Nazi-Aufmärsche und<br />

Brandanschläge auf Flüchtlingsheime mitbekommst<br />

– wie <strong>ist</strong> das für dich?<br />

Esther: Das <strong>ist</strong> ja logisch, dass ich mich ganz schlecht fühle. Das<br />

<strong>ist</strong> schlimm, und zwar nicht nur für mich sondern auch für alle, die<br />

das Schreckliche [den Nationalsozialismus, Red.] durchgemacht<br />

haben. Ich kann es einfach nicht verstehen, dass heute immer<br />

noch so viele Nazis in Deutschland und auf der ganzen Welt herumlaufen.<br />

Und das unsere Regierung sehr, sehr wenig dagegen<br />

tut. Die [Nazis, Red.] können schon wieder so viele schreckliche<br />

Dinge tun. Wir haben die NSU und die Prozesse, und man sieht<br />

doch geradezu, dass das Ganze immer weiter herausgezögert<br />

wird, statt einen Schlussstrich zu ziehen. Ich bin sehr enttäuscht.<br />

Frage: Esther, hat deine Zeit in Auschwitz dein<br />

Verhältnis zur Musik verändert?<br />

Esther: Meine Liebe zur Musik hat sich überhaupt nicht geändert.<br />

Es gibt ja Menschen, die sagen: Nach Auschwitz kann man <strong>ke</strong>ine<br />

Musik mehr machen, <strong>ke</strong>ine Bilder mehr malen und <strong>ke</strong>ine Gedichte<br />

mehr schreiben. Das finde ich falsch! Genau das Gegenteil muss<br />

der Fall sein. Man muss sich doch ausdrüc<strong>ke</strong>n können, und ich<br />

mache das mit Musik. Ich bin sogar unter die Rapper gegangen.<br />

Microphone Mafia <strong>ist</strong> für mich eine besondere Gruppe, denn auf<br />

der Bühne sind wir drei Generationen und drei Religionen. Wir<br />

wollen Vorbild sein für alle Leute, die noch den<strong>ke</strong>n, dass man<br />

mit anderen Kulturen nichts anfangen kann. Wir jedenfalls sind<br />

Juden, Chr<strong>ist</strong>en und Moslems, und wir verstehen uns wunderbar<br />

miteinander.<br />

Frage: Woher hast du die Kraft, von deinen<br />

schlimmen Erlebnissen zu erzählen.<br />

Esther: Es <strong>ist</strong> ein Geben und ein Nehmen. Ich bekomme Kraft<br />

von denen, die mir zuhören wollen, die etwas lernen wollen und<br />

die sich für diese Materie interessieren. Ich sage immer: „Ihr seid<br />

nicht schuldig an dem, was damals geschah. Aber ihr macht euch<br />

schuldig, wenn ihr über diese Geschichte nichts wissen wollt.“<br />

Frage: Wie stehst du zu den späten Einsichten<br />

und Entschuldigungen in den Prozessen, die<br />

gegen die Täter geführt werden?<br />

Esther: Also, bis jetzt habe ich von diesen Prozessen nicht den<br />

Eindruck gehabt, dass die Täter sich entschuldigt haben. Dieser<br />

Mann in Lüneburg [Oskar Gröning, Red.] hat ja noch total<br />

die Sprache der Nazis benutzt. Er hat zwar gesagt, er fühle sich<br />

moralisch schuldig. Aber ich stehe auf dem Standpunkt, dass<br />

diese Menschen, die nach 1945 ohne ein schlechtes Gewissen<br />

unbehelligt leben konnten, unbedingt verurteilt werden müssen.<br />

Ich bin sehr dafür, dass sie, ob sie nun 80, 90 oder noch mehr<br />

Jahre in Frieden gelebt haben, jetzt endlich mal belangt werden<br />

müssen für das, was sie getan haben.<br />

Frage: Wie glaubst du, dass Erinnern und Geden<strong>ke</strong>n<br />

möglich <strong>ist</strong>, wenn es <strong>ke</strong>ine Zeitzeug*innen<br />

mehr gibt? Wie verhindern wir das Vergessen?<br />

Esther: Ein bisschen haben wir ja schon vorgearbeitet. Im Auschwitz-Komitee<br />

haben wir Geschichten geschrieben und Filme<br />

gemacht, aber natürlich kann das die Zeitzeugen nicht ersetzten.<br />

Aber ich wünsche mir, dass alle, die diese Geschichten hören,<br />

sie auch weitererzählen. Ich mer<strong>ke</strong> das immer wieder, dass junge<br />

Menschen zu mir kommen und mir sagen: „Esther, ich werde deine<br />

Geschichte weitererzählen!“ Und das <strong>ist</strong> für mich eine große<br />

Sache, ich freue mich wahnsinnig darüber.


40 JAHRE IYNF<br />

In den letzten Jahren hat IYNF jährlich<br />

einen neuen inhaltlichen Schwerpunkt<br />

gewählt. Nach dem “Year of Action for<br />

Change” (“Handeln für den Wandel”)<br />

in 2013 dem “Year of Urban Outdoors”<br />

(“Draußen sein in der Stadt”) in 2014 <strong>ist</strong><br />

„40 Years of Connecting and Inspiring“ („Austausch und Ansporn<br />

seit vierzig Jahren“) das Thema dieses Jahres.<br />

Der Grund für dieses Motto liegt auf der Hand, denn vor vierzig<br />

Jahren hat sich die erste Gruppe junger Naturfreund*innen mit<br />

dem Erwachsenenverband Naturfreunde Internationale (NFI)<br />

durchgesetzt. Nach zähen Verhandlungen hatten sie endlich<br />

Gelegenheit, eine eigenständige Teilgliederung gründen: Die<br />

Naturfreundejugend Internationale oder Young Naturefriends<br />

International (IYNF), wie sie bald genannt wurde.<br />

Dabei waren die ersten Jahre nicht einfach. Die Organisation<br />

lebte ihr Werte sehr strikt und war eng mit den sozial<strong>ist</strong>ischen<br />

Arbeiterbewegungen verknüpft. Zur Hochzeit des Kalten Krieges<br />

schienen das Leben im “Westen” auf der einen Seite, und das<br />

Leben und Bewerben des Sozialismus auf der anderen Seite schwer<br />

verknüpfbar. Gegen alle Widrig<strong>ke</strong>iten kämpfte IYNF hartnäckig<br />

für Menschenrechte, für demokratische Strukturen, Feminismus,<br />

Interkulturalität und nachhaltigen Tourismus. Obwohl sich die<br />

Ziele über die Jahre weiterentwic<strong>ke</strong>lt haben, hat IYNF die gesellschaftliche<br />

Entwicklung immer aktiv mitbegleitet.<br />

Nun also, vierzig Jahre später, wollen wir unter dem Motto “40<br />

Years of Connecting“ einen Rahmen für unsere Ideen und Taten<br />

schaffen, der unsere Le<strong>ist</strong>ungen und Erfahrungen seit 1975 mit<br />

einbezieht.<br />

Darum werden wir die Gelegenheit nutzen, mit verschiedenen<br />

Initiativen die Werte, Erfahrungsschätze und die Geschichte von<br />

IYNF unter aktuellen Bedingungen zu verstehen und zu nutzen.<br />

Neben den regelmäßigen Vernetzungstreffen hält das vierzigjährige<br />

Bestehen von IYNF zwei besondere Höhepunkt bereit: Eine<br />

Jubiläumsveranstaltung und eine Onlinesammlung der wichtigsten<br />

Momente in der Geschichte des Verbandes.<br />

Die Veranstaltung am 5. September in Prag wird mehrere Generationen<br />

von Naturfreund*innen zusammenbringen, um gemeinsam<br />

zu entdec<strong>ke</strong>n, woher die Bewegung kommt – und wohin sie<br />

schreiten wird. Mehr Informationen zur Jubiläumsfeier gibt es<br />

unter nfjd.de/iynf40y.<br />

Die Onlinesammlung wird die detaillierteste Chronik der IYNF, die<br />

je erschienen <strong>ist</strong> und voraussichtlich Ende des Jahres verfügbar<br />

sein. Dort werden die wichtigsten Ereignisse der Geschichte, die<br />

bedeutendsten Höhepunkte – und Niederschläge- und persönliche<br />

Anekdoten zusammengefasst werden. Nicht zu vergessen: Bilder<br />

aus 40 Jahren Verbandsgeschichte, inklusive 80s-Haarschnitten<br />

(ja, auch Deinem!).<br />

Wir laden alle Naturfreund*innen herzlich ein bei diesen und allen<br />

Veranstaltungen, die in diesem Jahr anstehen, dabei zu sein. Wenn<br />

du spannende Geschichten, Erfahrungen und Erinnerung mit IYNF<br />

hast, teile sie uns mit unter iynf@iynf.org.<br />

Berg Frei!


VON DRAUSSEN VOM<br />

WALDE KOMM ICH HER<br />

Sadhana Forest India<br />

Von meinem Auslandsjahr, in einer Freiwilligenkommune in Indien,<br />

die den hier vor Jahrzehnten alles überwuchernden Wald wiederaufforstet,<br />

sind jetzt schon 6 Monate rum. Die Zeit <strong>ist</strong> wie im<br />

Flug vergangen…<br />

Mit bestandenem Abitur in der Tasche wollte ich jetzt ganz anders<br />

leben: Nachhaltiger vor allem, näher an der Natur, näher an den<br />

Menschen und entschleunigt. Damit meine ich ein langsameres<br />

Leben, in dem ich mir mehr Zeit nehme für die wichtigen Dinge, zum<br />

Beispiel essen, schlafen, Beziehungen aufbauen und auf Technik zu<br />

verzichten. Ganz ohne natürlich auch nicht, denn diesen Reisebericht<br />

schreibe ich auf meinem Laptop. Doch in Sadhana Forest habe<br />

ich einen für mich guten Mittelweg gefunden. Doch erst mal zu mir<br />

und Sadhana, damit ihr wisst, wer ich bin und warum ich in diesen<br />

Ort verliebt bin. Ich bin Anna, 19 Jahre alt, komme aus Hannover und<br />

bin seit 4 Jahren aktiv bei der Naturfreundejugend. Manche <strong>ke</strong>nnen<br />

mich vielleicht von der Bundesebene, dem Fachbeirat Umwelt und<br />

Nachhaltig<strong>ke</strong>it oder vom Jugendbündnis Zukunftsenergie. Denn das<br />

<strong>ist</strong> ein zentrales Thema in meinem Leben: Nachhaltig<strong>ke</strong>it und vor<br />

allem nachhaltiges Leben und Arbeiten.<br />

Für mich war schon lange klar, dass es nach der Schule nach Indien<br />

gehen sollte. Indien hat mich mit seinem Facettenreichtum schon<br />

immer fasziniert! Und als ich von Sadhana Forest gelesen habe,<br />

und der Möglich<strong>ke</strong>it dort ein „Weltwärts“-Jahr (Förderprogramm<br />

des BMZ: weltwärts.de) zu machen, war für mich klar, dass ich<br />

dort hin will.


BELEUCHTET: UNTERWEGS<br />

Sadhana Forest <strong>ist</strong> eine Freiwilligen-Kommune im Süden Indiens,<br />

im Staat Tamil Nadu, die den tropischen, immergrünen Troc<strong>ke</strong>nlaubwald<br />

wieder aufforstet. Mindestens genauso wichtig wie<br />

der Wald <strong>ist</strong> aber auch unser gemeinschaftliches, friedliches<br />

und bewusstes Leben. In der Praxis heißt das: Solarstrom, ohne<br />

Wasser aus der Leitung, 100 % vegan, <strong>ke</strong>ine Kriegs- oder Wettkampfspiele,<br />

<strong>ke</strong>ine Drogen, unschooled und auf Gift-Economy-<br />

Basis. Ein ganz anderes Leben!<br />

Während den me<strong>ist</strong>en „vegan“ wahrscheinlich etwas sagt, sind<br />

die Begriffe „Unschooling“ und „Gift-Economy“ für viele wahrscheinlich<br />

neu, das waren sie für mich am Anfang auch. „Gift-<br />

Economy“ <strong>ist</strong> das Gegenmodell zu der im Moment vorherrschenden<br />

Tauschwirtschaft. Tauschwirtschaft heißt, dass eine Sache<br />

gegen eine andere Sache getauscht wird. Das Problem dabei <strong>ist</strong><br />

der Mehrwert, denn dabei gibt es immer einen Verlierer. Gift-<br />

Economy (engl.: „Schenk-Wirtschaft“) heißt, dass wenn ich von<br />

Dingen genug habe, diese anderen anbiete. Es wird <strong>ke</strong>ine Gegenle<strong>ist</strong>ung<br />

erwartet. Ich gebe, weil andere Bedarf haben und ich<br />

nicht. Wir leben das mit einem Umsonst-Laden, unserer Bibliothek<br />

und Workshops, die umsonst von verschiedenen Volontären<br />

angeboten werden.<br />

„Unschooling“ <strong>ist</strong> der kurze, von John Holt geprägte Name für<br />

natürliches, selbstgeleitetes, freies Lernen durch Erfahrung. Wie<br />

ihr euch vorstellen könnt, findet dieses nicht in der Schule statt.<br />

„Unschooling“ <strong>ist</strong> jedoch viel mehr als nur nicht zur Schule gehen<br />

und sich nicht von Kultusmin<strong>ist</strong>erien vorschreiben zu lassen, was<br />

man lernen muss! Es heißt viel mehr Kinder und Lernende jeden<br />

Alters zu respektieren und ihnen Autonomie zuzugestehen, zu<br />

lernen was, wann und wie sie wollen. Alle Kinder in Sadhana<br />

wachsen „unschooled“ auf und in unserem Projekt „Children’s<br />

Land“ können tamilische Kinder frei die Natur erkunden und auf<br />

eigene Faust und nach ihren Wünschen lernen.<br />

Ich arbeite seit über vier Monaten in Children’s Land, weshalb<br />

„Unschooling“ für mich zu einem wichtigen Thema in meinem<br />

Leben geworden <strong>ist</strong>. Ich habe viel mit dem Konzept gehadert und<br />

leider reicht der Platz in diesem Reisebericht in <strong>ke</strong>inster Weise aus,<br />

um zu erläutern, warum „Unschooling“ jetzt einer meiner neuen<br />

Werte geworden <strong>ist</strong>. Aber so viel sei gesagt: Es <strong>ist</strong> ein Thema, mit<br />

dem es sich zu beschäftigen lohnt! Wenn ich nicht gerade auf dem<br />

Gelände unseres Children‘s Land bin, verbringe ich viel Zeit mit den<br />

Sadhana-Kindern. Ich bin zu so etwas, wie unserer inoffiziellen<br />

Kommunen-Babysitterin geworden. Das genieße ich sehr! Wenn<br />

ich nicht gerade Wäsche mit der Hand wasche, neue Volontäre<br />

willkommen heiße oder Community-Meetings leite, findet man<br />

mich in meiner Hütte.<br />

Wir leben in Hütten aus Kasuarinenholz und mit Dächern aus Palmblättern,<br />

die mitten im Grünen stehen. Als Langzeitvolontärin habe<br />

ich meine eigene Hütte, um dort mal dem Trubel einer 100-köpfigen<br />

Kommune entkommen zu können. Manchmal werden die Menschen<br />

allen Alters und aus der ganzen Welt doch mal zu viel. Mein absoluter<br />

Lieblingsplatz <strong>ist</strong> dann meine Hängematte. Lange kommt das<br />

allerdings nicht vor, da in einer Kommune immer viel zu tun <strong>ist</strong>.<br />

Ich habe in Sadhana schon sehr viel gelernt. Permakultur, Wiederaufforstung,<br />

Wasserkonservierung, Unschooling und Gewaltfreie<br />

Kommunikation sind nur wenige Schlagwörter. Vor allem<br />

aber inspirieren mich die Menschen jeden Tag, Dinge anders zu<br />

den<strong>ke</strong>n und zu machen! Ich habe schon jetzt mehr Pläne für das<br />

nächste Jahr, als sich umsetzen lassen und tendenziell werden<br />

meine Ideen exponentiell mehr mit der Zeit.<br />

Sadhana Forest <strong>ist</strong> immer für Volontäre offen! Kommt also vorbei,<br />

wenn ihr in Indien seid! Alle Infos zum aktiv werden findet<br />

ihr auf Sadhanaforest.org.<br />

May the forest be with you!<br />

Anna-Lena Emmert


EIN RÜCKBLICK<br />

BUNDESKONFERENZ<br />

2015<br />

„Geden<strong>ke</strong>n, erinnern – und handeln“ unter diesem<br />

Motto stand Ende April die 10. Bundeskonferenz der Naturfreundejugend<br />

Deutschlands in Wiesbaden. Anlass hierzu war, dass sich<br />

2015 die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers<br />

Auschwitz als Symbol der Schoah, stellvertretend für viele andere<br />

Orte des Unrechts, zum siebzigsten Mal jährte.<br />

Als junge NaturFreunde sehen wir die Vergangenheit als Mahnung,<br />

aber auch als Teil unserer eigenen Geschichte. Wir hatten<br />

das Glück, dass Edith Erbrich, die als Kind nach Theresienstadt<br />

deportiert wurde, ihre Erinnerung mit uns Delegierten teilte. Ihre<br />

Geschichte hat uns alle tief berührt und wird uns helfen, die Gräueltaten<br />

der Nazis nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Mit<br />

dem anschließend verabschiedeten Positionspapier bekräftigten<br />

wir als Naturfreundejugend Deutschlands, dass wir die Erinnerung<br />

lebendig halten und wir unseren Beitrag le<strong>ist</strong>en werden,<br />

„dass Auschwitz nie wieder sei!“. Im Rahmen eines gemütlichen<br />

Erzählcafés mit dem NaturFreund Bruno Lampasiak hatten wir<br />

außerdem die Chance, Geschichten vom Widerstand und aus der<br />

Zeit nach Ende des Nazi-Regimes zu lauschen.<br />

Doch auch ein weiteres Thema hat 2015 leider an aktueller Brisanz<br />

gewonnen: Alleine bis zum April diese Jahres sollen im Mittelmeer<br />

mehr als 1700 Geflüchtete ertrun<strong>ke</strong>n sein – 30 Mal so<br />

viele wie im Vergleichszeitraum 2014 (Internationale Organisation<br />

für Migration). Ein Positionspapier hierzu mit Forderung zu<br />

einem Umden<strong>ke</strong>n in der momentanen Flüchtlingspolitik wurde<br />

von den Delegierten ausführlich diskutiert und mit einer großen<br />

Mehrheit verabschiedet. In den kommenden Jahren wollen wir uns<br />

als Naturfreundejugend stär<strong>ke</strong>r für Geflüchtete in Deutschland<br />

einsetzen. Wie Maßnahmen aussehen sollen, wurde im Rahmen<br />

eines Initiativantrages konkretisiert und verabschiedet.<br />

Neben aktuellen politischen Themen stand aber auch die Zukunft<br />

unseres Verbandes im Mittelpunkt der Konferenz: Die Bundeskonferenz<br />

hat eine neue Bundesleitung gewählt. Neue Bundesleiterin<br />

<strong>ist</strong> Clara Wengert (Landesverband Württemberg) und<br />

als Bundesleiter wurde Sascha Böhm (Landesverband Hessen)<br />

gewählt. Um den Fachbeirat Umwelt & Nachhaltig<strong>ke</strong>it wird sich<br />

fortan Fenja Wegner (Landesverband Hessen) kümmern, für den<br />

Fachbeirat Reisen & Sport wurde Malin Holtmann (Landesverband<br />

Bremen) gewählt und Finn Houska (Landesverband Niedersachsen)<br />

<strong>ist</strong> Fachbeiratsleiter für Demokratie & Mitbestimmung. Als<br />

weitere Mitglieder der Bundesleitung wurde außerdem Lyonel<br />

Frey-Schaaber (Landesverband Teutoburger Wald) und Jannis<br />

Pfendtner (Landesverband Brandenburg) gewählt.<br />

Viele Diskussionen und<br />

Ideen für mögliche neue<br />

Projekte wurden aber nicht<br />

nur im Plenum diskutiert,<br />

sondern auch abends bei<br />

köstlichen Getränk der<br />

badischen Cocktail-Bar<br />

weitergeführt.<br />

Rückblic<strong>ke</strong>nd war die Bundeskonferenz<br />

ein <strong>voll</strong>er Erfolg: Zum einen dadurch, dass insgesamt zehn Landesverbänden<br />

vertreten waren und viele konstruktive Diskussionen<br />

geführt werden konnten. Zum anderen <strong>ist</strong> es uns als Naturfreundejugend<br />

gelungen, uns zu wichtigen politischen Themen zu<br />

positionieren und inhaltliche Schwerpunkte für die kommenden<br />

zwei Jahre festzulegen. Ich bin gespannt auf die Umsetzung!<br />

Nina Bartz


FREISTIL<br />

FILMTIPP von Sebastian Bozada<br />

10 Milliarden – wie werden wir alle satt?<br />

Der Titel des Filmes „10 Milliarden – wie werden wir alle satt?“ <strong>ist</strong><br />

eigentlich selbsterklärend. Im Jahr 2050 werden voraussichtlich<br />

10.000.000.000 Menschen auf der Erde leben, und die müssen<br />

alle irgendwie ernährt werden. Was aber <strong>ist</strong> die richtige Methode<br />

– Massentierhaltung und Gen-Tech-Reis, Bio-Landwirtschaft oder<br />

Aquakultur?<br />

„Gute Frage“, dachte sich wohl Filmemacher Valentin Thurn, und<br />

machte sich auf den Weg zu Lebensmittelproduzent*innen um<br />

ihnen diese Frage zu stellen. Dabei bewegt sich der Film immer<br />

zwischen zwei grundsätzlichen Positionen. Auf der einen Seite die<br />

industrielle Landwirtschaft, die mit Düngemitteln, Gentechnik und<br />

gewaltigem Maschineneinsatz große Mengen von Lebensmitteln<br />

produzieren kann. Auf der anderen Seite die traditionellen Formen<br />

der Landwirtschaft, die zwar weniger produzieren, dafür aber auch<br />

unabhängiger von Ressourcen und Maschinen sind.<br />

Empfehlenswert <strong>ist</strong> der Film deshalb, weil er unvoreingenommen<br />

der Leitfrage nachgeht. Statt einzelne Methoden in der Landwirtschaft<br />

nach „gut“ und „schlecht“ zu trennen, werden Chancen und<br />

Risi<strong>ke</strong>n ruhig diskutiert.<br />

Womit wir auch beim Ton dieses Filmes wären: Ruhig beschreibt<br />

er sehr treffend diese kritische Weltreise durch das Spektrum der<br />

Landwirtschaft. Statt kurzen Schnitten und Weltuntergangsstimmung<br />

arbeitet der Film durchgängig mit ästhetischen Bildern und<br />

der ruhigen Stimme von Valentin Thurn, der alle Szenen moderiert.<br />

Und dafür nimmt er sich Zeit – knapp zwei Stunden dauert<br />

„10 Milliarden“.<br />

Ich empfehle, den Film in Gesellschaft von ein paar Mitstreiter*innen<br />

anzuschauen. Am besten funktioniert „10 Milliarden – wie werden<br />

wir alle satt?“ nämlich, wenn ihr jemanden habt, um die zahllosen<br />

Gedan<strong>ke</strong>nfäden aus dem Film im Gespräch weiterzuspinnen.<br />

WELTWEITE WELTSICHTEN<br />

Kurz und knapp: Ich über mich: Hallo, Ich bin<br />

Thomas aus Belgien, seit fünf Jahren „Naturfreund“ und<br />

aktiv bei den International Young Naturfriends (IYNF). Ich mag<br />

Berge, Sport im Freien, Jugendorganisationen im Allgemeinen und reise<br />

Name<br />

gerne. Darum den<strong>ke</strong> ich, dass die Naturfreunde-Bewegung ein guter Ort<br />

für mich <strong>ist</strong>, um meine Interessen zu leben – und mich kritisch mit ihnen<br />

auseinanderzusetzen. Ach so: Ansonsten versuche ich natürlich auch, die<br />

Welt ein kleines bisschen besser zu machen und mein Leben in <strong>voll</strong>en<br />

Zügen zu genießen.<br />

2) Was wünscht du dir für die Zukunft? Ich möchte, dass wir globale<br />

Probleme wie den Klimawandel, Armut, Hunger, Krieg und die ungleiche<br />

Verteilung von Chancen angehen werden. Mein größter Wunsch <strong>ist</strong> es,<br />

dass all diese Probleme irgendwann Geschichte sind!<br />

3) Wenn du die Macht hättest – was würdest du<br />

tun? Wenn ich die Macht hätte, würde ich ein universelles<br />

System für ein garantiertes Mindesteinkommen<br />

schaffen. Das würde bedeuten, dass alle Menschen auf der<br />

Welt genug Geld haben, um ihre Grundbedürfnisse zu stillen. Ich den<strong>ke</strong>,<br />

dies wäre der erste Schritt in eine Zukunft, in der sich alle Menschen von<br />

einem Finanzsystem befreien, dass bisher nur für Wettbewerb gesorgt und<br />

unsere Welt geteilt hat.<br />

4) Was macht dein Land besonders schön? Belgien <strong>ist</strong> ein sehr kleines<br />

Land. Hier gibt es <strong>ke</strong>ine großen Wälder oder Berge wie in Deutschland.<br />

Wenn ihr nach Belgien kommt, dann bitte nicht wegen der Natur, sondern<br />

um andere Menschen <strong>ke</strong>nnenzulernen. Weil Belgien so klein <strong>ist</strong> und von<br />

großen Staaten wie Frankreich, Deutschland und Großbritannien umgeben<br />

<strong>ist</strong>, sind wir hier den Austausch gewohnt. Ich bin der Meinung, dass<br />

wir hier in Belgien sehr offen für Besucher*innen und neue Erfahrungen<br />

sind – und das macht meine Heimat so schön!


ANSICHTSSACHE<br />

LACH DOCH MAL!<br />

Als das französische Satire-Magazin Charlie Hebdo zum wiederholten<br />

Male Anfang diesen Jahres eine Mohammedkarikatur veröffentlichte,<br />

fanden das einige strenggläubige Muslime nicht witzig.<br />

Damit <strong>ist</strong> das Ziel erreicht – denn Satire <strong>ist</strong> eine Übertreibung und<br />

Bloßstellung von Missständen der Gegenwart und soll durchaus<br />

verletzend sein. Nach einem Anschlag durch Al-Qaida-Anhänger<br />

gab es kaum einen, der nicht Charlie war, aber trotzdem wurde<br />

diskutiert, ob man Mohammed im Engeren, (und) Gott und Religionen<br />

im Allgemeinen verspotten dürfe.<br />

Um eines vorweg zu nehmen: Ein im Koran veran<strong>ke</strong>rtes Abbildungsverbot<br />

für Mohammed gibt es nicht. Darauf haben sich muslimische<br />

Gelehrte erst viel später geeinigt. Und warum soll sich ein<br />

nicht muslimischer Mensch daran halten müssen?<br />

Darf man nun religiöse Gefühle verletzen oder sollte man respekt<strong>voll</strong>er<br />

miteinander umgehen?<br />

Nach Kurt Tucholsky, einem Schriftsteller aus den 1920er Jahren,<br />

darf Satire alles.<br />

Fragt man Papst Franziskus und andere religiöse Oberhäupter, dann<br />

darf man Religionen nicht lächerlich machen. Der Papst persönlich<br />

sagt, er würde denjenigen schlagen, der seine Mutter beleidigt. Da<br />

hat sich aber jemand schlecht im Griff, finde ich. Meine Mutter<br />

darf auch niemand beleidigen, schlagen werde ich die Person aber<br />

trotzdem nicht.<br />

Wenn einer ein Bild in einer Zeitung malt, dass dem anderen nicht<br />

gefällt, dann darf dieser das Bild auch kritisieren. Das eine <strong>ist</strong> für<br />

mich Presse-, das andere Meinungsfreiheit und über Geschmack<br />

kann man bekanntlich streiten.<br />

Einzelne junge Gewalttäter gibt es immer, ob sie nun „Dschihad<strong>ist</strong>en“<br />

sind, Amokläufer oder sich eben NSU nennen. Natürlich <strong>ist</strong><br />

jeder, der durch ihre Hand gestorben <strong>ist</strong>, einer zu viel. Die Gesellschaft<br />

muss es schaffen, dass diese Menschen, bevor sie sich radikalisieren,<br />

aufgefangen und eingebunden werden, aber die Gesellschaft<br />

und vor allem die Presse darf sich von einigen wenigen nicht<br />

einschüchtern lassen.<br />

In allen anderen Fällen sieht es aber so aus: Muslime, Chr<strong>ist</strong>en,<br />

Juden, Athe<strong>ist</strong>en und Agnosti<strong>ke</strong>r* leben friedlich zusammen. Dazu<br />

gehört auch, dass der eine den anderen aufs Korn nimmt, welcher<br />

den Witz nicht verstanden hat und dann beleidigt <strong>ist</strong>. Aber wie<br />

unter Freunden verträgt man sich und zahlt es bei Gelegenheit<br />

heim, schließlich haben uns all unsere Mütter beigebracht, dass<br />

Sich-gegenseitig-die-Köpfe-einschlagen zu nichts führt.<br />

Kurt Tucholski sagte einmal folgendes: „Der Satiri<strong>ke</strong>r <strong>ist</strong> ein<br />

gekränkter Ideal<strong>ist</strong>: er will die Welt gut haben, sie <strong>ist</strong> schlecht,<br />

und nun rennt er gegen das Schlechte an.“ Das Satire-Magazin<br />

Charlie Hebdo kann man als solches verstehen. Es nimmt alle aufs<br />

Korn und macht nicht vor Religionen halt.<br />

Um ein Gegenbeispiel zu nennen: Der Judenwitz eines Nazis <strong>ist</strong><br />

nicht okay, weil er einseitig <strong>ist</strong> (und garantiert geschmacklos) und<br />

sich der Nazi sicher nie über das Chr<strong>ist</strong>entum (oder seine eigene<br />

Religion) lustig machen würde. Für mich endet die Meinungsfreiheit<br />

bei der Relativierung von Mord und Totschlag. Das <strong>ist</strong><br />

IMMER schlimm.<br />

Mein Schlusswort: Die besten Schwulenwitze erzählte mir ein<br />

Schwuler. Ich bin mir sicher, dass Muslime die besten Witze über<br />

ihre eigene Religion machen können und einen guten Sinn für<br />

Humor haben, der mehr in den Medien vertreten sein sollte. Aber<br />

wenn ich nicht gemeinsam mit ihnen lachen kann, dann lache<br />

ich eben ohne sie.<br />

Frau<strong>ke</strong> Gehrau<br />

* jemand, für den die Ex<strong>ist</strong>enz Gottes nicht abschließend geklärt <strong>ist</strong>


ANSCHTSSACHE<br />

WOHIN WOLLEN WIR REISEN?<br />

Ich besuche ein Theaterfestival in Berlin. Mit Tanz, Sprache und<br />

Musik behandeln drei junge Künstler*innen die zentrale Frage, wie<br />

weit man von zu Hause weg sein muss um sich wirklich frei zu<br />

fühlen, sich verwirklichen zu können. Denn für viele Menschen <strong>ist</strong><br />

das Reisen eng mit dem Gefühl von Freiheit und Unabhängig<strong>ke</strong>it<br />

verknüpft. Ein wichtiges Thema, auch für uns als Naturfreund*innen.<br />

Schließlich spielt das Reisen als Inbegriff von Freiheit eine große<br />

Rolle in der Geschichte der Naturfreunde. Ich sage nur: Berg frei!<br />

Auf dem Festival fielen die Antworten der Zuschauer zu dieser<br />

Frage sehr unterschiedlich aus. Von Entfernungen wie Berlin - Melbourne<br />

bis Berlin Steglitz - Berlin Kreuzberg war alles dabei. Und<br />

tatsächlich glaube ich, dass nicht allein der geografische Abstand<br />

ausschlaggebend <strong>ist</strong>. Viel relevanter <strong>ist</strong>, wie stark man sich auch<br />

gedanklich vom Alltag und den Gegebenheiten zu Hause entfernen<br />

kann. Nur wenn das gelingt kann Reisen mehr sein als ein bloßer<br />

Wechsel des Ortes.<br />

Dann kann es uns die Tür öffnen für neue Erfahrungen und Erlebnisse,<br />

und damit verbunden auch neuen Entdeckungen über die<br />

eigene Person oder den eigenen Lebensstil.<br />

Eine Chance unterschiedlichste Dinge auszuprobieren und sich<br />

auf Veränderungen einzulassen, die man dann vielleicht wieder<br />

mit zurück in den Alltag nimmt.<br />

Mit unseren Reisen und Freizeiten können wir als Naturfreundejugend<br />

jungen Menschen eine Plattform bieten um diese Freiheit zu<br />

finden, neue Erfahrungen zu sammeln und sich auszuprobieren. Sei<br />

es durch den Kontakt zu neuen Kulturen und anderen Menschen,<br />

das Austesten alternativer Ernährung, ökologischer Anreiseoptionen<br />

oder dem Entdec<strong>ke</strong>n und Erleben von Natur. Ich freue mich<br />

diesen Sommer mit euch zusammen auf diese Reisen zu gehen und<br />

neue Möglich<strong>ke</strong>iten im Rahmen des Projektes Zero Impact Camp<br />

zu entdec<strong>ke</strong>n und auszuprobieren.<br />

Lina Mombauer<br />

Lina Mombauer <strong>ist</strong> Projektreferentin<br />

in der Bundesgeschäftsstelle der<br />

Naturfreundejugend.<br />

WETTBEWERB<br />

text<br />

Wir suchen die nachhaltigste Jugendreise!<br />

So, jetzt <strong>ke</strong>nnst du Zero Impact Camps und weißt alles über nachhaltigen<br />

Spaß im Grünen. Jetzt b<strong>ist</strong> du am Zug! Wir wollen deinen nachhaltigen<br />

Reisebericht hören. Lade deinen Erfahrungsbericht mit einem<br />

Bild, einer Zeichnung oder einem Video unter www.zero-impactcamps.de/gewinne/-/<br />

hoch. Die Gewinner*innen werden anhand der<br />

Anzahl an Li<strong>ke</strong>s bestimmt, sowie in den beiden Sonderkategorien<br />

„kreativste Darstellung“ und „nachhaltigste Gruppenreise“.<br />

Einsendeschluß <strong>ist</strong> der 15. September 2015.<br />

Mehr Informationen unter www.zero-impact-camps.de

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