[ke:onda] Dieses Boot ist voll!
Ausgabe 1/2015. Ein Heft über Flucht und Vertreibung.
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WENN GEISTIGE BRANDSTIFTER<br />
ECHTE FEUER LEGEN<br />
Lübeck, Vorra, Limburgerhof, Tröglitz – in letzter Zeit gingen Unterkünfte<br />
für Asylbewerber*innen in Flammen auf. Im Kielwasser von<br />
Pegida und Co. scheinen sich die Angriffe wieder zu häufen. Ein<br />
Problem, dass nach den Erfahrungen der 1990er Jahre eigentlich<br />
überwunden schien. Ganz tief im kollektiven Gedächtnis hat sich<br />
ein Ereignis rund um das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen<br />
eingegraben.<br />
Im August 1992 sind die Krawalle in Lichtenhagen der traurige Zenit<br />
einer ganzen Reihe von rass<strong>ist</strong>ischen Übergriffen auf Migrant*innen<br />
und Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte. Vor dem Sonnenblumenhaus<br />
tobte der Mob, der den Ausländern die Schuld für die<br />
schlechte wirtschaftliche Lage in Mecklenburg-Vorpommern gab.<br />
Die Parallele zur aktuellen Situation <strong>ist</strong> deutlich – „besorgte Bürger“<br />
gingen Hand in Hand mit rass<strong>ist</strong>ischen Neonazis, die „Schuldige“<br />
für ihre prekäre Situation suchten und fanden. In Rostock stand die<br />
Polizei ratlos und unterbesetzt daneben, Kamerateams filmten den<br />
zunehmend gewaltbereiten Mob vor dem Sonnenblumenhaus, in<br />
dem vietnamesische Asylbewerber lebten. Tagelang gab es Angriffe<br />
mit Steinen und Molotow-Cocktails auf die Unterkunft. Nur mit<br />
Glück blieb dieser Anschlag ohne Todesopfer.<br />
Nur einen Monat später, im September 1992 brannte im sächsischen<br />
Hoyerswerda ein Wohnheim, in dem frühere DDR-Gastarbeiter<br />
untergebracht waren. Auch hier waren wieder hunderte Menschen<br />
auf der Straße, die das Gebäude mit Molotow-Cocktails angegriffen.<br />
In Folge der Pogrome in Rostock und Hoyerswerda wurden die<br />
betroffenen Menschen aus beiden Städten ausquartiert und an<br />
anderen Orten untergebracht. Ein fatales Signal, denn der tobende<br />
Mob hatte sein Ziel damit erreicht. Verurteilungen gab es in beiden<br />
Fällen nur vereinzelt. Die Strafen fielen gering aus, manche<br />
Verfahren zogen sich so lange hin, dass die Straftaten verjährten.<br />
Obwohl beide Übergriffe in den neuen Bundesländern waren, sind<br />
Brandanschläge <strong>ke</strong>in ostdeutsches Phänomen. Im November 1992<br />
verübten Neonazis in Mölln (Schleswig-Holstein) Brandanschläge<br />
auf zwei von türkischstämmigen Familien bewohnte Häuser. Drei<br />
Menschen starben, neun wurden zum Teil schwer verletzt. Im Mai<br />
1993 zündeten Neonazis in Solingen (NRW) das Haus einer Familie<br />
mit türkischem Hintergrund an. Dabei kamen fünf Menschen ums<br />
Leben, 14 Personen kämpfen zum Teil noch immer mit den Folgen.<br />
Angesichts dieser Ereignisse scheinen mir die aktuellen Ereignisse<br />
mehr als bedrohlich. Nachdem die Zahl der Anschläge auf Wohnheime<br />
nach 1992 langsam san<strong>ke</strong>n, <strong>ist</strong> sie in den letzten Jahren<br />
wieder stark gestiegen. Bis wir wieder Tote rass<strong>ist</strong>ischer Gewalt<br />
beklagen müssen, <strong>ist</strong> wohl nur eine Frage der Zeit. Damals wie<br />
heute manifestieren sich Abstiegsängste in der Bevöl<strong>ke</strong>rung aufgrund<br />
der schlechten Wirtschaftslage im Hass auf (vermeintlich)<br />
Fremde. Bundesweit gab es im Jahr 2014 153 Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte,<br />
davon allein 35 Brandanschläge.<br />
Woher aber kommt dieser Hass gegen Menschen, die vor Krieg,<br />
Hunger und Verfolgung flüchten? Nach den Erfahrungen des zweiten<br />
Weltkriegs wurde das Recht auf Asyl explizit in Arti<strong>ke</strong>l 16a des<br />
Grundgesetzes veran<strong>ke</strong>rt. Dabei spielte insbesondere die Erfahrung<br />
von Deutschen, die als politisch oder religiös Verfolgte vor den<br />
Nazis ins Ausland fliehen mussten, eine große Rolle. Asyl <strong>ist</strong> ein<br />
Grundrecht – und dennoch gehen Menschen zu hunderten auf die<br />
Straße, um gegen Flüchtlingsunterkünfte in Berlin-Hellersdorf,<br />
Ludwigshafen oder Freital zu demonstrieren.<br />
Willkommenskultur sieht anders aus. Auch eine Unterbringung<br />
in abgeschotteten Kasernen und ohne jegliche Möglich<strong>ke</strong>iten zur<br />
Integration in die Gesellschaft, sind nicht besonders hilfreich, um<br />
„besorgten Bürgern“ ihre irrationalen Ängste zu nehmen. Was wir<br />
brauchen, <strong>ist</strong> eine echte Willkommenskultur, einen vorurteilsfreien<br />
Umgang und vor allem die Bereitschaft, neue Mitmenschen in<br />
unsere Gesellschaft aufzunehmen.<br />
Jörg Weißgerber