“Say it loud say it clear / refugees are welcome here!“ Seitdem eine Gruppe von Menschen vor Weihnachten beschloss eine Demo unter dem Namen “Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes” (PEGIDA) zu veranstalten, <strong>ist</strong> die Stadt in Aufruhr. Ich bemer<strong>ke</strong> es me<strong>ist</strong>ens schon am Vortag, oder auf dem Weg zur Arbeit am Polizeiaufgebot, das in der Stadt unterwegs <strong>ist</strong>. Und natürlich an den Nachrichten, die mich den ganzen Tag erreichen: “Kommst du heute zur Gegendemo?” “Wo wollen wir uns treffen?”. Sobald es am Montag langsam Abend wird, beginnen sich die Straßen zu füllen und eine leichte Spannung liegt in der Luft - zumindest wenn man sich auf nicht-offiziellen Demo-Routen befindet. Wenn ich von der Gegendemo zurück nach Hause laufe und mich wieder unter der Masse der Einkaufsstraßen-Bummler befinde, beginne ich die Menschen um mich herum zu beobachten. Wer davon könnte auf welcher Demo gewesen sein? Es <strong>ist</strong> natürlich unmöglich festzustellen, aber das unangenehme Gefühl, Minuten vorher hinter zwei verschiedenen Fronten gestanden und sich Parolen entgegen gerufen zu haben, werde ich einfach nicht los. Meine bisherigen Erlebnisse zu den (Gegen-)Demoveranstaltungen am Montag sind gemischt. Geschrieben klingt das negativer als es <strong>ist</strong>. Doch leider kann ich das Verhalten auf beiden Seiten nicht als immer konfliktlösend bezeichnen. Besonders bezeichnend war für mich das Erlebnis eines Montags im Januar, an dem ich zufällig in eine Gruppe Leute auf der Prager Straße geriet, welche letztendlich damit begann PEGIDA-Demonstranten niederzuschreien. “PE-GI-DA Rass<strong>ist</strong>enpack / Wir haben Euch zum Kotzen satt!”, “Ihr habt den Krieg verloren“ und “Alle wollen dasselbe / Nazis in die Elbe” brüllte die Menge, in der ich stand in Richtung Polizeiautos. Ab und an winkten uns die PEGIDA-Teilnehmer dahinter zu. So sehr mich die Aussagen von PEGIDA und die schier endlose Masse an Menschen, die dem hinterherlaufen schockierten, genauso beschämte mich dieses Verhalten der Gegendemo, in der ich mich befand. Die Kundgebungen, welche unter anderem von “Dresden für alle” organisiert vor dem Rathaus und auf dem Theaterplatz stattfanden, habe ich hingegen besonders schön in Erinnerung! Jedes Mal, wenn ich diese Veranstaltungen betrat, war ich fasziniert von der Wärme und dem Frohsinn, die mir entgegenströmten! Fremde Leute schenkten heimlich Glühwein aus und tanzten. Beim laufen durch die Menge wurde mir eine Regenbogenfahne angesteckt und auf einer mobilen Bühne spielte eine Band Musik aus dem Balkan. Dazwischen hielten eingeladene Vertreter der Stadt, der Kirche oder von Hochschulen und Universitäten kurze Reden, um zu verdeutlichen, dass die Werte Toleranz und Vielfalt unzertrennlich mit Dresden verbunden sind. Auch hier riefen die Menschen oft Parolen, in die ich jedoch gerne mit einstimme, da sie friedliche Aussagen transportierten. “Say it loud say it clear / refugees are welcome here!“ Große Freude bereitete es mir ebenfalls, die Kreativität der anwesenden Leute zu beobachten, wenn ich umherwanderte. Einmal lief eine Frau vor mir, mit einem Hund und einer Ziege an der Leine. Oder an einer Ec<strong>ke</strong>, stand ein “Interkulturelles Sofa”. Auch die Sprüche auf Plakaten waren originell gestaltet und viele trugen bunte Warnwesten. Diese sind ein Symbol der Gegenbewegung geworden, nachdem eines Montags dazu aufgerufen wurde, die Straßen, welche durch die Demos verschmutzt wurden, sauber zu <strong>ke</strong>hren. Mittlerweile findet man diese Westen auch an Skulpturen vom Staatsschauspiel und baroc<strong>ke</strong>n Gebäuden wie der Glaskuppel der Hochschule für bildende Künste, was unterstreicht, dass es den Menschen von Dresden wichtig <strong>ist</strong>, ein Zeichen der Offenheit und Vielfalt an die Welt zu senden. Am Ende überlegte ich oft auf dem Nachhauseweg, wie Dresden ganz ohne solche Kundgebungen dastehen würde. Und dann bin ich froh, dass ich gemeinsam mit so vielen anderen ein Zeichen für Weltoffenheit und Toleranz setzen konnte. Aber ich bin auch etwas traurig, denn ich weiß, dass auf der Gegenseite neben den Radikalen auch viele Menschen liefen, mit deren Sorgen und Probleme sich nach wie vor niemand auseinandergesetzt hat. Martin L<strong>ist</strong>
TITELTHEMA: FLUCHT & VERTREIBUNG FLUCHT GRÜNDE Quelle: Pro Asyl - - -