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[ke:onda] Dieses Boot ist voll!

Ausgabe 1/2015. Ein Heft über Flucht und Vertreibung.

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TITELTHEMA: FLUCHT UND VERTREIBUNG<br />

Hat eure Familie schon euren Kurzfilm gesehen,<br />

den ihr für „Capture your life“ produziert habt?<br />

Mohamed: Nein, noch nicht. Aber wird schic<strong>ke</strong>n ihnen den Film<br />

noch, und werden ihn auch unseren Freunden in Syrien zeigen. Wir<br />

stellen ihn ins Internet, damit andere Menschen sehen, dass aus<br />

Syrien nicht nur schlechte Menschen kommen. Und wieso sollen die<br />

auch das Land verlassen? Die schlechten Menschen bleiben doch<br />

und kämpfen. Wir sind aus Syrien hierher geflohen, weil wir hier<br />

sicher sind. Wir sind <strong>ke</strong>ine schlechten Menschen, aber manche hier<br />

haben ein falsches Bild von uns und anderen Menschen aus Syrien.<br />

Ihr seid beide zur gleichen Zeit aus verschiedenen<br />

Richtungen nach Mailand gekommen, ohne<br />

voneinander zu wissen. Warum habt ihr euch<br />

gerade in dieser Stadt getroffen?<br />

Mohamed: Italien <strong>ist</strong> von Nordafrika aus gesehen das naheste sichere<br />

Land. Und wenn du in Italien b<strong>ist</strong>, musst du dich bis nach Mailand<br />

vorarbeiten, denn von dort kommst du weiter. Schweden, Dänemark,<br />

Holland, Deutschland – wohin du es schaffst, hängt im Endeffekt nur<br />

davon ab, wie viel Geld du hast. Wer <strong>ke</strong>in Geld hat, bleibt in Italien.<br />

Und viele kommen gar nicht so weit, sondern sterben im Mittelmeer.<br />

Ahmed: Ein Freund von uns war im <strong>Boot</strong> mit 700 anderen Menschen<br />

von Libyen nach Italien. 50 davon sind gestorben – Männer,<br />

Frauen und Kinder.<br />

War Deutschland das Ziel eurer Reise? Oder wolltet<br />

ihr nur irgendwie aus Syrien wegkommen?<br />

Mohamed: Natürlich war das erste Ziel, raus aus Syrien zu kommen.<br />

Aber von Sardinien aus waren es nur zwei Tage nach Mailand,<br />

also bin ich dorthin weitergefahren. Dort traf ich meinen Bruder …<br />

Ahmed: Ich hatte <strong>ke</strong>ine Ahnung, dass er nach Mailand kommen<br />

würde. Plötzlich stand er da vor mir.<br />

Mohamed: … und wir berieten uns, was der beste Weg für unsere<br />

Weiterreise wäre, wo wir die me<strong>ist</strong>en Chancen hätten, um unser<br />

Studium im Ingenieurswesen beenden können.<br />

Könnt ihr in Deutschland studieren?<br />

Mohamed: Nein, leider nicht. Wir suchen eine Uni für uns, aber<br />

niemand kann uns nehmen, weil wir <strong>ke</strong>ine Aufenthaltsgenehmigung<br />

haben. Jetzt müssen wir noch ein paar Termine abwarten und<br />

bekommen dann hoffentlich die notwendigen Papiere. Im Moment<br />

warten wir auf unser zweites Gespräch [bei der Ausländerbehörde,<br />

Red.]. Wir haben versucht, dort anzurufen, aber niemand hatte Zeit<br />

für uns oder konnte uns weiterhelfen.<br />

Ahmed: Ein paar Freunde von uns kamen nach uns nach Deutschland<br />

und haben ihre Aufenthaltspapiere schon bekommen. Keine<br />

Ahnung, wie das funktionieren kann oder was der Grund dafür <strong>ist</strong>.<br />

Aber so <strong>ist</strong> es wohl…<br />

Wie habt ihr das Asylverfahren erlebt?<br />

Ahmed: Bei allem <strong>ist</strong> Glück mit im Spiel. Du kannst zweimal, dreimal,<br />

hundertmal beim Amt nach deinen Papieren fragen und du<br />

bekommst <strong>ke</strong>ine Antwort. Ob du eine Auskunft bekommst, hängt<br />

nur davon ab, wie viel Glück du hast.<br />

Und hattest du Glück?<br />

Ahmed: Ich? Mmmh, nein, eher nicht. Ich bin jetzt seit fünf Monaten<br />

hier und habe noch <strong>ke</strong>ine Papiere bekommen. Meine Familie<br />

fehlt mir auch.<br />

Wie war es für euch, in Deutschland anzukommen?<br />

Welche Reaktionen habt ihr erlebt?<br />

Mohamed: Viele Menschen haben uns geholfen und behandeln<br />

uns wie ihre eigenen Kinder. Ein paar nette Deutsche besuchen uns<br />

regelmäßig und geben uns zweimal jede Woche Deutschunterricht.<br />

Aber manchmal den<strong>ke</strong> ich über meine Zukunft nach. Wir können<br />

nicht zur Schule gehen, nicht arbeiten, nichts – nur warten. Das<br />

<strong>ist</strong>, was wir machen. Abwarten. Das Wetter <strong>ist</strong> auch ziemlich kalt.<br />

Aber viele Menschen helfen uns, das <strong>ist</strong> sehr schön.<br />

Welche Erfahrungen habt ihr gemacht, wenn<br />

ihr anderen Leuten erzählt, dass ihr aus Syrien<br />

kommt?<br />

Ahmed: Gute und schlechte Erfahrungen. Manche interessieren<br />

sich für uns und unser Leben und den Krieg. Aber es gibt auch<br />

eine Menge anderer Menschen, die glauben, dass alle aus Syrien<br />

schlechtes im Sinn haben.<br />

Mohamed: Aber wir kamen nicht hierher, um zu kämpfen. Wir<br />

wollen nur unser Leben weiterleben. Unser Land, unsere Zukunft<br />

– was wird daraus werden?<br />

Wie geht es jetzt weiter für euch?<br />

Ahmed: Wir hoffen, bald unsere Papiere zu bekommen. Ich hoffe,<br />

bald meine Frau nach Deutschland holen zu können. Wir möchten<br />

einfach nur mit unserem Leben weitermachen. Das Leben <strong>ist</strong> für<br />

meinen Bruder und mich und unsere Familie und eigentlich für alle<br />

Menschen in Syrien stehengeblieben. Denn wir haben nichts. Wir<br />

wollen doch nur unser Studium abschließen, lernen und arbeiten.<br />

So wie andere Menschen auch.<br />

Alles Gute euch beiden, und vielen Dank für das<br />

Gespräch.<br />

Das Interview führte Sebastian Bozada<br />

Seht hier Mohamed und Ahmeds Kurzfilm „Ein unerwartetes Wiedersehen“:<br />

http://capture-your-life.net/node/172

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